Lidl backt jetzt selbst: Besuchstag im Brötchenknast

Lidl backt jetzt selbst: Besuchstag im Brötchenknast

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So sieht sie also aus, die erste Backwarenvollzugsanstalt Deutschlands: Auf drei Stockwerken quetschen sich Brezeln, Kürbiskernbrötchen, Rosinenzöpfe und Krustenbrote in vergitterten Zellen nebeneinander – bis ein Kunde sie begnadigt, mit einem langen Eisenstab aus ihrer Gefangenschaft drischt und in die vorbereiteten Tüten packt. Was die Teiglinge in ihrem kurzen Tiefkühlleben verbrochen haben bevor sie aufgebacken wurden, entzieht sich der Kenntnis des Betrachters. Aber jetzt sie sind hier gelandet: im Lidl-Brötchenknast.

Zumindest ist das die erste Assoziation, die mir in den Sinn kam, als ich das erste Mal vor der neuen Backtheke stand, die Lidl gerade in einer seiner Berliner Filialen eingeweiht hat.

SB-Theke in einem Berliner Lidl – samt Brotschneidemaschine und „Restebox“ für heruntergefallene Ware.

Die Kunden stehen noch etwas ratlos vor der monströsen Selbstbedienstation. Manche haben Mühe, an die gewünschten Backwaren heranzukommen: Brote und Zöpfe lassen sich zwar einfach so entnehmen, aber man muss wissen, wo die Plexiglasklappe der jeweiligen Box aufgeht (am Griff, natürlich!). Für Brötchen braucht man schon etwas mehr Geschick, weil die aus dem hinteren Teil der Box tatsächlich erst mit besagtem Stab nach vorne gerüttelt werden müssen, wo sie durch ein separates Auffanggitter fallen. Und zwar, damit nicht jeder Kunde erstmal alle Brötchen anfasst, bevor er sich für das schönste entscheidet. Wer auf der Kirmes schon immer gut darin war, Plüschtiere aus Greifarm-Maschinen zu ziehen, der ist an der Lidl-Backtheke automatisch Vollprofi.

Alle anderen üben besser noch ein bisschen. Vor allem, wenn sie es auf die seniorenfeindlichen Brötchen aus der unteren Reihe abgesehen haben, für die man in die Hocke gehen muss, um überhaupt dranzukommen.

Man wolle ein „erweitertes Sortiment an frischen Backwaren in ausgewählten Filialen“ testen, erklärt Lidl die Selbstbedientheke, die sich nahtlos in den Markt einfügt. Dafür wurde die Wand im Eingangsbereich eingerissen und der Markt mit einem Anbau vergrößert, weil ja irgendwo auch aufgebacken werden muss. Der Anbau ist dreimal so groß wie der Laden des Filialbäckers, der sich bei Lidl eingemietet hat (mal sehen, wie lange noch). Dafür fehlt jetzt ein Teil des Parkplatzes.

Mit 20 Broten, Brötchen und „süßen Stückchen“ wirbt der Discounter im Prospekt, für den jemand die Produkte ziemlich dilettantisch in die separat fotografierten Hintergründe gephotoshoppt hat. (Entweder das, oder Lidl-Baguettes sind so leicht, dass sie schweben können.)

Ja, wo liegt es denn auf, das frischgebackene Baguette? Ausriss aus dem aktuellen Lidl-Backprospekt.

Draußen wird das neue Sortiment auf Bannern mit völlig Lidl-untypischer Schrift angekündigt: „Wir backen mehrmals täglich frisch für Sie!“

Und abgesehen davon, dass die Backwaren im Vergleich zu dem, was sie beim echten Bäcker kosten würden, tatsächlich gruselig günstig sind, ist das natürlich auch nichts anderes als bei den Back-Discountern in den Innenstädten.

„Mehr Auswahl und Spitzenqualität“ verspricht der Discounter seinen Kunden auf den Bannern zur Straßeseite.

Nur eins versteh ich nicht: den völlig unverhältnismäßigen Aufwand.

Discounter funktionieren in der Regel so, dass sie über die Menge der Produkte, die sie verkaufen, ihren Umsatz machen – weil die Marge bei den meisten Waren durch die Niedrigpreise eher gering ist (siehe auch Supermarkt-Mythos 10). Das gilt auch fürs Frischgebackene. Die Sache hat nur einen Haken: Die Theken, die Lidl für gerade einmal 20 verschiedene Brote und Brötchen anschafft, und die aufwändig in die Läden eingebaut werden müssen, blockieren locker fünf Meter Regalplatz, der natürlich nicht mehr für andere Produkte zur Verfügung steht. Auf fünf Metern Regelplatz würde Lidl sonst aber ein Vielfaches an Waren unterbringen, die viel mehr zum Umsatz beitragen könnten als ein paar Baguettes für 49 Cent.

Selbst wenn den ganzen Tag über immer wieder frische Waren nachgelegt werden, weil die Boxen zu keiner Tageszeit leer sein dürfen (wie ein Mitarbeiter seiner Kollegin erklärt hat), muss es eine mittlere Ewigkeit dauern bis sich der Brötchenknast für Lidl refinanziert – wenn überhaupt.

Vielleicht ist der Backstationentest aber auch ein Zeichen dafür, dass die Discounter von den Supermärkten gelernt haben und gegenüber der Kundschaft wertiger auftreten müssen, wenn sie ihren Marktanteil weiter steigern wollen.

Die Angestellten im Markt, die dafür verantwortlich sind, dass ständig nachgefüllt wird, nehmen die zusätzliche Arbeit noch mit Humor. Den Preis fürs Käselaugenspitzbrötchen kennt die Frau an der Kasse schon auswendig. Und als ein Kunde sie auf die Belastung anspricht, scherzt die: „Wir kriegen das schon gebacken.“

Und wo kaufen Sie Ihre Brötchen?

Fotos: Supermarktblog

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3 Kommentare
  • Es geht auch ohne Brötchenknast!

    Ich bin regelmäßig in Irland und – zugegeben – Lidl und Aldi durchaus dankbar, die dortige Supermarktkultur ordentlich aufgemischt zu haben. Vor deren Ankunft haben die Platzhirsche Musgrave (SuperValu,
    Centra), Dunnes und natürlich Tesco bis Ende der 90er kaum wirklichen Wettbewerb betrieben, erst die Discounter scheinen sie gezwungen zu haben — nun gibt es überall „Price Match“-Schilder (die mit Aldi,
    Lidl oder auch Tesco vergleichen) und das Angebot ist vielfältiger geworden.

    So hat Lidl dann auch Nutella endlich bezahlbar gemacht, denn es gibt nun die 400g-Gläser für nur 40% mehr als Deutschland, nicht mehr nur die kleinen 200g-Becher, die doppelt soviel wie ein 400g-Glas in
    Deutschland kosteten (wobei die Becher hinterher allerdings super als Wassergläser funktionieren).

    Dann braucht man natürlich auch Brot, als Basis für das Nutella …
    und da hat Lidl dankenswerterweise im Frühjahr/Sommer 2011 das Frischbrot-Angebot in Irland eingeführt.

    http://www.lidl.ie/cps/rde/xchg/lidl_ri_ie/hs.xsl/freshly-baked-throughout-the-day.htm

    Das Angebot ist umfangreich: Es gibt natürlich Irish Soda Bread, andererseits aber auch das Baguette-(brötchen)-sortiment, wie es sonst in Irland von „Cuisine de France“ vertrieben wird. Das „richtige“ Roggenbrot als „Artisan Rye Loaf“ — nicht unbedingt klassisches Brot in Irland — wurde leider mittlerweile wieder ausgelistet.

    Der wesentliche Unterschied zu Deutschland ist aber die Präsentation:
    Kein Brötchenknast! Offener Vollzug in schicken Körben. Es geht also, man muß sich nur fragen, warum das deutschen Kunden nicht geboten werden kann — schade.

    Hier ein paar Fotos, die ich Anfang Januar im Lidl in Skibbereen
    (West Cork) zum Zwecke des Nachweises erstellt habe 😉

    https://imageshack.us/photo/my-images/39/dv3x.jpg/
    http://imageshack.us/photo/my-images/600/0esp.jpg/
    http://imageshack.us/photo/my-images/196/2vol.jpg/
    http://imageshack.us/photo/my-images/163/gkw0.jpg/

    • Toll, vielen Dank!
      (Und die Erklärung ist, soweit ich weiß, einfach: Hygienevorschriften.)

  • Der Witz ist ja: wenn jeder Discounter so ein Backstall hat, kann jeder das über die Preise der anderen Produkte umlegen. Ergo: auch der Kunde, der zwar seine Brötchen beim (Bio-) Bäcker kauft, zahlt für den Brötchenknast im Discounter mit.

    Dasselbe gilt auch für die Bereiche, in denen sich die Discounter selbst Konkurrenz machen. Hier im Rheinland gibt es kaum einen neuen Lidl, Netto oder Aldi, ohne daß Wochen später daneben oder gegenüber nicht noch jemand von der Konkurrenz seinen Laden hinstellt. Die Immobilien müssen ja auch irgendwoher finanziert werden.

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