Kalt, ganz kalt: Was sich deutsche Supermärkte in Großbritannien abschauen können

Kalt, ganz kalt: Was sich deutsche Supermärkte in Großbritannien abschauen können

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Manchmal braucht es keine technischen Wunder, keine Zeitsprünge, nicht mal eine Glaskugel, um in die Zukunft zu blicken. Wer wissen will, wie wir morgen Lebensmittel einkaufen, muss nur nach Großbritannien fahren, wo sich deutsche Supermärkte gerne neue Trends abgucken. Das Supermarktblog hat sich in London in ganz verschiedenen Märkten umgesehen und berichtet in mehreren Teilen.

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Gehen Sie da nicht rein!

Also: Gehen Sie da nicht mit kurzen Hosen oder Ärmeln rein! Die unbedingt notwendige Bekleidung für den ersten Besch eines M&S Simply Food ist: Polarmütze, doppelt gefütterter Mantel mit aufgestelltem Kragen, drei Paar übereinandergezogene Socken, lange Unterhose und dicksohlige Stiefel.

Wer entsprechende Vorbereitungen verweigert, setzt sich unweigerlich dem Gefrierschock aus. Denn der Lebensmittel-Ableger der britischen Kaufhauskette Marks & Spencer besteht quasi ausschließlich aus mannshohen Kühltheken, in denen alles aufbewahrt wird, was sich bei drei nicht als Rotwein verkleidet hat. Das gilt auch für Waren, von denen deutsche Verbraucher wüssten, dass sie nicht sofort wegschimmeln, wenn man sie nicht in den Kühlschlaf versetzt. (Äpfel zum Beispiel.) Wahrscheinlich ließe sich mit der Energie, die für den Betrieb der Kälteanlagen benötigt wird, sonst eine komplette englische Kleinstadt versorgen. Und wenn die Pole tatsächlich eines Tages schmelzen sollten: in einer M&S-Simply-Food-Filiale fände die flüchtende Tierwelt ein ideales neues Lebensumfeld.

Aber all das stört beim Einkaufen in den über 350 britischen Filialen niemanden. Denn schon allein die Aufbewahrung fast des kompletten Sortiments in Kühlanlagen suggeriert den Kunden vor allem: Hier ist alles frisch!

Das ist sehr, sehr schlau.

Und wer sich an die Kälte gewöhnt hat, merkt beim Schlendern durch die Gänge schnell, dass er im Paradies für Sofortessen (*) angekommen ist.

Unter dem eigenen Namen lässt Marks & Spencer seit der Gründung seiner Food-Stores im Jahr 2001 eine Vielzahl fertiger Mittag- und Abendessen, Nachtische und Säfte abpacken – Obstsalate und Gemüseschalen, klassische Salate, Nudelsalate, Couscous-Variationen, Törtchen und Kuchen, Sandwiches in rauen Mengen.

Man neigt beim ersten Rundgang dazu, angesichts der Vielfalt zu hyperventilieren – erst recht, wenn man sonst nur in deutschen Mittelklassesupermärkten steht, wo morgens eine Mitarbeiterin missmutig Tomaten, Gurken und Eisbergsalat kleinhäckselt, um das dann mit absurd hohem Gramm-Preis in einer traurig-leeren Kühlinsel im Eingangsbereich zu beerdigen. Das Höchste der Gefühle in einem deutschen Supermarkt ist oftmals die „Pilzpfanne“, bei der sich ein paar geschnittene Pilze mit Zwiebeln und Dekogewürzen unter eine Plastikfolie quetschen. Oder eine bereits geschälte Ananas im durchsichtigen Töpfchen, das an der Kasse in Gold aufgewogen wird.

Sofortessen in deutschen Lebensmittelmärkten ist: langweilig, lieblos, hässlich verpackt. Kein Wunder, dass sich das seit Jahren hier nicht durchsetzt.

Das Sofortessen bei M&S Simply Food ist in jeglicher Hinsicht das Gegenteil. Die Briten scheinen sehr viel besser verstanden zu haben, „Convenience“ als ernstzunehmende Unterkategorie im Lebensmittelhandel zu etablieren. Teuer sind die Produkte bei M&S Simply Food auch. (Und genau das führte vor zwei Jahren dazu, dass einige Filialen geschlossen werden mussten, weil die Briten in der Krise dann doch lieber günstig bei der Discount-Konkurrenz einkauften.)

Aber zum Beispiel im Vergleich zur traurigen Auswahl Mayonnaise-ertränkter Salate und Sandwiches, die Rewe to Go in seiner Testfiliale im Regal stehen hat, ist quasi für jeden Geschmack etwas dabei. Alles kann als Happen für zwischendurch gegessen werden oder nach Belieben zu einer „echten“ Mahlzeit kombiniert (Salat, Sandwich, Saft). Die meisten Produkte sind ansprechend-dezent verpackt. Überall steht drauf, ob das Sofortessen für Vegetarier geeignet ist. Daneben ist eine Nährwerttabelle gedruckt und (wohl eher zur Wohlfühl-Simulation) die Verpackung verrät dem Käufer zusätzlich, wieviele der empfohlenen Stücke Obst und Gemüse er mit dieser Mahlzeit zu sich nimmt („2 of your 5 a day“).

Das ist ein Traum für Menschen, die zu schusselig oder zu faul sind, sich zuhause die Tupperbox zu befüllen, aber trotzdem nicht einsehen, deswegen unterwegs in fingerdick mit Salatcreme zugespachtelte Baguettes beißen zu sollen. Wann endlich trauen sich Edeka, Rewe und Tengelmann die Sofortessen-Revolution? Es muss dafür ja nicht gleich tausend neue Kühlanlagen hageln, das Obst darf weiter im Regal liegen bleiben. Mit Tankstellensortimenten in Fußgängerzonen wird es jedenfalls nicht getan sein.

Mehr zu den Konsequenzen der Sofortessen-Gewöhnung der Briten steht das nächste Mal an dieser Stelle. Damit Sie sich zwischendurch ein bisschen aufwärmen können.

Fotos: Supermarktblog

*„Sofortessen“ ist der Supermarktblog-Übersetzungsvorschlag für „Convenience“-Produkte. Zumindest heißt (annähernd) fertig zubereitetes Essen, bei dem man eigentlich nur noch eine Plastikfolie abreißen muss, in Fachkreisen so. Versteht aber ja kein Mensch. Im Englischen ist’s leichter: „ready-to-eat“ – deshalb „Sofortessen“. Oder: besserer Vorschlag? (zurück)

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2 Kommentare
  • Hinweis am Rande: Die Links für die Fußnote haben hinter der Domain noch die alte Struktur aus dem FAZ-Blog, funktionieren also nicht.
    Den „Rewe to go“ in der Kölner Fußgängerzone habe ich immer nur von außen im Vorbeigehen betrachtet – ich habe ja schon in meinem vollwertigen Rewe um die Ecke gesehen, was der Sofortessen-Kram kostet. Und dann eine ganze Filiale nur mit solchen Sachen? Es wundert mich wirklich, dass die noch nicht wieder wegen mangelndem Umsatz geschlossen wurde.

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