Kompott statt Kompost: So lassen sich Lebensmittel vor der Tonne retten

Kompott statt Kompost: So lassen sich Lebensmittel vor der Tonne retten

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Um sein neues Projekt zu finanzieren, lud der britische Koch Arthur Potts Dawson im vergangenen Jahr Freunde und Unterstützer in London zu einem Fundraising-Dinner ein, für das jeder Gast 150 Pfund zahlen sollte. Zusammengenommen reichte das prima als Startkapital. Am Abend waren die Tische hübsch gedeckt, die Leute ebenso hungrig wie gut gelaunt – bis Dawson ankündigte, es gebe noch ein winziges Detail, das er ihnen beichten müsse. Sämtliche Zutaten für das Menü habe er den Tag über aus den Mülltonnen der großen Supermärkte gefischt. Keine verdorbene Ware, sondern ausschließlich frische Sachen.

Ein paar Gäste haben ziemlich verdutzt geguckt. Aber keiner ist aufgestanden und wollte sein Geld zurückhaben, wie es Dawson angeboten hatte. Den meisten hat es geschmeckt.

Dabei ging es dem Koch gar nicht darum, Geld beim Einkaufen zu sparen (das war eher ein Nebeneffekt). Sondern darum, zu zeigen, dass irgendwas mit unseren Supermärkten nicht stimmen kann, wenn so viel Essbares in der Tonne landet, um daraus noch ein Fünf-Gänge-Menü für 60 Leute zubereiten zu können. Nach dem erfolgreichen Dinner hatte Dawson sein Startkapital tatsächlich zusammen und eröffnete „The People’s Supermarket“ in London, einen Laden, der von seinen eigenen Kunden verwaltet und organisiert wird, um unabhängig von den großen Ketten zu sein. Im angeschlossenen Bistro wird auch Gemüse, das sonst liegen geblieben wäre, verwertet. (Wenn Sie mehr wissen wollen: hier entlang.)

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Projekte wie „The People’s Supermarket“ nennt man Kooperativen. Die funktionieren auch in viel kleinerem Rahmen, zum Beispiel als Vereinbarung mit einem Bauern, von dem eine Gruppe Menschen regelmäßig ihr Obst und Gemüse holt.

„Wenn 5 Prozent der Verbraucher ihre Lebensmittel über Kooperativen beziehen würden, käme dadurch schon ein enormer Druck auf die Supermärkte zustande, damit sie ihre Angebotspolitik überdenken müssten“, sagt Filmemacher Valentin Thurn, der „Taste the Waste“ gedreht hat (siehe Supermarktblog vom Freitag). Aber wenn nicht von heute von morgen plötzlich das halbe Land seine Einkaufsgewohnheiten umstellt, bleibt das Problem mit dem Überschuss im Supermarkt trotzdem bestehen. Dabei ließe sich vieles schon jetzt ganz einfach vor dem Container retten, zum Beispiel mit Restposten-Verkäufen, wie es sie in manchen Supermärkten bereits gibt. Thurn sagt: „Das passiert nur zu selten und vor allem zu verschämt. Viele Märkte verstecken solche Regale mit Restposten regelrecht.“

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Die niederländische Supermarktkette Jumbo versteckt nicht, zumindest nicht absichtlich. Sie hat sich stattdessen eine Regelung ausgedacht, mit der erstens weniger Lebensmittel weggeschmissen werden müssen. Und die den Mitarbeitern zweitens auch noch den Aufwand spart, Produkte mit ablaufender Haltbarkeit selbst auszusortieren. Das machen stattdessen die Kunden. Jumbo verspricht: Jeder, der im Regal Waren findet, die noch am selben Tag oder am nächsten ablaufen, kann sie kostenlos mitnehmen. Davon ausgenommen sind Brot, Fleisch, Fisch und Sushi.

Auch Jumbo sortiert weiter aus und wirft weg, die Aktion mag also vor allem ein guter PR-Gag sein. Aber die Idee dahinter, die Kunden einzubeziehen, um weniger verderben zu lassen, und sie dafür zu „belohnen“, ist klasse.

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In der Braunschweiger Innenstadt gibt es eine „Vortagsbäckerei“, bei der Brot und Brötchen verkauft werden, die sonst in die Tonne gekommen wären (wie in Thurns Film, siehe Foto). Wo noch? Bitte in die Kommentare schreiben!

Und weil neulich jemand, ebenfalls in den Kommentaren, wissen wollte, was mit Broten und Brötchen aus den Backtheken der Discounter passiert, hab ich mal nachgefragt. Backtheken-Expandierer Lidl erklärt: „Gebackene Brote werden nach Ladenschluss einzeln verpackt und am nächsten Tag zu einem rabattierten Verkaufspreis angeboten. Die übrigen Backwaren werden fachgerecht über einen Futtermittelhersteller weiter verwertet.“

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Langsam würden ihrer Mutter ide Anfragen ein bisschen zu viel, sagt Barbara vom Dorp am Telefon. Seit kürzlich darüber geschrieben wurde, dass in dem familienbetriebenen Edeka in Bonn so gut wie keine Lebensmittelreste anfallen, rufen ständig Journalisten an. Weil alle mit der 78-jährigen Frau sprechen wollen, die abends nach Ladenschluss das übrig gebliebene Obst und Gemüse nimmt, um daraus Kompott, Grünkohl oder Möhrengemüse zu kochen. Das alles wird dann wieder im Markt verkauft. Die 15 bis 20 Portionen sind immer ratzfatz weg.

„Meine Mutter macht das gerne und ist auch aus einer Generation, die es verinnerlicht hat, Lebensmittel nicht einfach wegzuwerfen“, sagt vom Dorp, die stellvertretende Geschäftsführerin ist. So richtig versteht die Familie trotzdem nicht, warum das plötzlich alle so spannend finden. Schließlich läuft das ja schon seit Jahren so.

Dabei ist es doch ganz einfach: Wie toll ist das bitteschön, wenn eine 78-Jährige intuitiv all das richtig macht, was in den großen Supermärkten falsch läuft?

Das gilt nicht nur fürs Kompott. Salatblätter oder Kohlreste können Kunden für ihre Kaninchen abholen, auch Wurstenden würde die Familie am liebsten an Haustierbesitzer weggeben – aber da motzt der Hygiene-Kontrolleur regelmäßig wegen der Vorschriften und weil der Eimer für die Fleischreste fehlt (die es ja nicht gibt). Molkereiprodukte mit ablaufendem Haltbarkeitsdatum kommen in dem kleinen Edeka in ein eigenes Fach. Vom Dorp sagt: „Wir haben Kunden, die zuerst dort nach Produkten gucken. Natürlich würden die sonst auch etwas anderes kaufen. Aber angesichts der Gewinnspannen im Lebensmitteleinzelhandel ist es gut, überhaupt noch Geld für Waren zu bekommen, die andernfalls weggeworfen würden.“

So sympathisch sich das alles anhört: als Modell für die Zukunft wird es leider nicht funktionieren. „In dem Moment, in dem wir jemanden dafür anstellen und bezahlen müssten, würde es sich nicht mehr rechnen“, sagt vom Dorp.

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Ein Edeka allein reicht natürlich nicht. Aber wie wäre es zum Beispiel mit gut 300 Tegut-Filialen? Das vor allem im Rhein-Main-Gebiet aktive Unternehmen testet in manchen seiner Läden, ob es klappt, Frischwaren mit ablaufendem Haltbarkeitsdatum preisreduziert neben denen zu verkaufen, die noch länger haltbar sind (Supermarktblog-Kommentator hanswurst hat bereits darauf hingewiesen). An der Präsentation ließe sich vielleicht noch arbeiten: Im Regal sieht das oft nämlich noch ein bisschen rumpelig aus. Und rot leuchtende Preisschilder sehen auch eher aus wie ein Warnsignal, Preisreduktion hin oder her. Aber es ist ein Anfang. Ob die Initiative auf alle Filialen ausgweitet wird, kann Tegut noch nicht sagen.

Abstriche beim Angebot zu machen, traut sich auch der Herausforderer der großen Handelsketten auch nicht. Vorstandschef Thomas Gutberlet sagt:

„Unsere Kunden erwarten einerseits, dass sie das bei uns übliche besondere Warensortiment bis zum Ladenschluss erhalten. Andererseits sind sie so verständnisvoll, dass sie keine zehn Sorten Brötchen mehr verlangen, sondern auch zwei oder drei völlig ausreichen.“

Wenn wir wirklich wollen, dass weniger Lebensmittel auf dem Müll landen, ist das wohl das Mindeste.

Fotos: Channel 4, Das Erste/Thurnfilm, Supermarktblog

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