Ein Sternekoch kauft ein: Björn Freitags Erfahrungen als „Vorkoster“

Ein Sternekoch kauft ein: Björn Freitags Erfahrungen als „Vorkoster“

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Die Supermarktentfremdung ist oft ein schleichender Prozess. Und Sterneköche bilden die größte Risikogruppe: weil sie Gemüse ausschließlich erntefrisch vom Großmarkt beziehen; weil der Händler ihres Vertrauens ihnen immer nur die beste Ware anbietet; weil sie auf einen Blick wissen, ob der Fisch so frisch ist wie behauptet; und weil es, um ausgezeichnetes Essen zuzubereiten, nunmal nötig ist, auch ausgezeichnet einzukaufen. Das geschieht relativ selten in neonbestrahlten Discountern, wo man sich sein Futter selbst von der Palette zieht, hat nichts mit den Fertigtütenverbrechen zu tun, die massenweise in den Regalen der Supermärkte lagern oder mit Zusatzstoffen vollgepumpt in der Tiefkühltheke versenkt wurden.

Kurz und gut: So ein Spitzenkoch ahnt oft gar nicht, was für eine Herausforderung so ein ganz normaler Einkauf sein kann!

„Ich war in den vergangenen Jahren seltener im Supermarkt“, gesteht Björn Freitag. Doch das hat sich unlängst drastisch geändert: „Inzwischen bin ich ein wandelndes Lexikon und weiß genau, wie man Verpackungen lesen muss, um Inhaltsstoffe und Herkunft herauszufinden.“ Das verdankt Freitag dem WDR, der freundlicherweise eine Art Wiedereingliederungsmaßnahme für Spitzenköche veranstaltet, die sie in den Einkaufsalltag der Deutschen zurückführt.

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Das Ergebnis ist praktischerweise auch für notorische Microwellenaufwärmer einsehbar. Weil es nämlich im Fernsehen läuft. Seit dem vergangenen Jahr ist Freitag, dem das Sterne-Restaurant „Goldener Anker“ in Dorsten gehört, im Auftrag des WDR als „Der Vorkoster“ unterwegs. Und anstatt, wie viele seiner Kollegen, fürs Fernsehen konkursgefährdete Gaststätten aufzupäppeln, schaut er sich ganz genau an, was bei den Zuschauern zuhause im Backofen, der Microwelle und auf dem Herd landet.

Der erste Weg führt immer in den Supermarkt oder den Discounter, wo Freitag den Mitarbeitern unangenehm genaue Fragen stellt. Doch die wenigsten wissen Genaueres über das, was sie anbieten. „Das ist natürlich der Preis dafür, dass wir alles so günstig einkaufen wollen“, sagt er. Und stellt selbst Nachforschungen an. Freitag lädt sich bei Herstellern ein, blitzt bei den meisten ab – und nervt so lange, bis ihn doch mal jemand zusehen lässt, wie angebaut, zurecht geschnippelt und beutelgerecht verpackt wird.

Mit einer solchen Verpackung in der Hand besucht Freitag zum Beispiel eine gigantische Gewächshausanlage in den Niederlanden, wo die Tomaten wachsen, die er bei sich um die Ecke im Laden gekauft hat. Alleine schon, um den Bauern zu treffen, der mit seinem Qualitätsversprechen hinten auf die Packung gedruckt ist. Überraschung: Der Mann existiert tatsächlich! Dabei war auch Freitags erster Reflex: Das Bild ist bestimmt nur ein Werbe-Gag. Genau das ist ja das Problem. Unser Vertrauen in die Industrie ist derart aufgeweicht, dass wir immer zuerst annehmen, übers Ohr gehauen zu werden.

Wenn das tatsächlich der Fall ist, darf Freitag es auch in die Kamera sagen. Produkte und Logos werden ohne Verpixelung gezeigt, unabhängig von ihrer Bewertung. Es geht im „Vorkoster“ aber weniger darum, einzelne Hersteller an den Pranger zu stellen, sondern darum, die Systematiken zu erklären, mit denen Lebensmittel ins Regal kommen.

„Ich versuche natürlich, an die Zuschauer zu appellieren, aktiv zu werden und selbst zu kochen anstatt Fertiggerichte aus dem Supermarkt aufzuwärmen“, sagt Freitag. „Aber ich hab auch Verständnis dafür, dass manche Leute nach der Arbeit ausgelaugt sind und keine Lust mehr haben, sich an den Herd zu stellen.“

Deshalb kommen beim „Vorkoster“ zu Testzwecken auch die tiefgefrorenen Discounter-Fritten auf den Tisch. In der Kartoffelfolge probiert Freitag zudem haufenweise Chips und erklärt, wahrscheinlich kurz vor dem Glutamatschock, wie die Industrie das hinkriegt: dass man nicht aufhören kann, davon zu essen. Dann wiegt er 100 Gramm Chips ab, legt sie auf einen Teller und stellt ein Glas daneben, in das exakt so viel Öl hineinkommt, wie das Häufchen laut Verpackung enthält. Als Zuschauer hat man anschließend erstmal eine Weile keine Lust mehr auf Snacks. Aber Freitag ist noch nicht fertig: Er erkundigt sich bei den Herstellern nach dem Acrylamid-Anteil in ihren Produkten, schreibt Mails und legt nach dem Telefonat mit der Kunden-Hotline enttäuscht auf: „Da sagt nur einer Werbesprüche auf.“

Dass er mal eine zufriedenstellende Antwort auf die oft ganz einfachen Fragen bekommt, ist selten. Manchmal ist der zuständige Kollege, der Auskunft geben könnte, „auf Dienstreise“. Ein andermal gibt es erst gar keine Reaktion vom Hersteller. Auch viele Discounter lassen Freitags Team lieber nicht mit der Kamera rein.

Diese Ausflüchte reichen schon, um das Misstrauen gegenüber einer Industrie zu stärken, die permanent behauptet, Transparenz herstellen zu wollen, im entscheidenden Moment dann aber doch mauert und Kunden mit Nachfragen so behandelt, sie würden sie ein Atomkraftwerk ausspähen wollen.

„Für die neue Staffel haben wir deutlich öfter Drehgenehmigungen bekommen, weil die Unternehmen inzwischen wissen, dass sie fair behandelt werden“, relativiert Freitag. „Es kann sein, dass auch die Medien da in der Vergangenheit verbrannte Erde hinterlassen haben. Uns geht es aber nicht darum, alles von vornherein zu verurteilen.“

Stimmt. Manchmal reicht es auch hinterher. Zum Beispiel beim Subjektivsiegel der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), das Fleisch- und Wurstwaren als „DLG-geprüft“ auszeichnet – was aber nichts anderes bedeutet als dass ein Produkt den Geschmackstest der DLG-eigenen Prüfer bestanden hat. Freitag darf an einem Test teilnehmen, trifft viele wichtig auf Zetteln herumkritzelnde Männer und Frauen in weißen Kitteln – und macht sich dann den Spaß, sie zu einer eigenen Geschmacksprobe zu bitten: Fertig-Hühnerfrikassee aus der Packung, in sechs verschiedenen Varianten. Fast alle werden von den Testern blind gekostet und als schlecht bewertet, eines besonders übel. Es ist ausgerechnet das, was die DLG im Vorjahr für guten Geschmack ausgezeichnet hat, erklärt Freitag den verdutzten Weißkitteln danach.

Den Zuschauern verrät Freitag nachher, wie leicht sie Hühnerfrikassee selbst machen können und warum die Boullion, die man dazu braucht, auch nicht schwer ist. „Man muss ja nicht unbedingt Sternekoch sein, um so eine Sendung zu machen“, sagt er. „Aber es hilft natürlich.“

Ab diesem Montag zeigt der WDR neue Folgen von „Der Vorkoster“, wöchentlich um 20.15 Uhr. Ältere Sendungen sind auf wdr.de als Video abrufbar.

Screenshots: WDR

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