Augen zu und durch: Warum günstiges Einkaufen unbequem sein muss

Augen zu und durch: Warum günstiges Einkaufen unbequem sein muss

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Einkaufen bei Aldi Nord ist wie ein Besuch beim Zahnarzt: Ein gewisser Nutzen lässt sich nicht abstreiten, aber die meisten Menschen sind froh, wenn sie es hinter sich gebracht haben.

Beim Arzt liegt das daran, dass niemand gerne Zahnschmerzen hat, aber eine mindestens genauso große Abneigung dagegen, im Mund herumgebohrt zu bekommen. Bei Aldi sind die düsteren Höhlen Läden schuld, die einzig und allein von unterschiedlichen Brauntönen zusammengehalten werden und es in ihrer Unwirtlichkeit jederzeit mit der Oberfläche des Mars aufnehmen könnte.

Genau so soll es ja auch sein.

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„Ein Discounter wie Aldi ist gar nicht daran interessiert, dass sich seine Kunden möglichst lange im Laden aufhalten“, sagt der Werbepsychologe Johannes Schneider von der Marketingberatung Decode. Mit Kunden, die eine halbe Stunde grübelnd am Käseregal stehenbleiben oder vom Personal wissen wollen, welcher Wein am besten zur Forelle passt, verdient Aldi nämlich nichts. Stattdessen soll alles zackzack gehen, der Kunde muss sich sozusagen dem Geschäftsmodell anpassen. Deswegen sind die Läden alle gleich aufgebaut. So finden wir uns blind darin zurecht und landen schnellstmöglich an der Kasse.

Das Lenken übernimmt unser „Autopilot“, sagt Schneider:

„Pro Sekunde kann ein Mensch ungefähr 11 Millionen Sinneseindrücke verarbeiten. Das geht, weil wir gewisse Lernerfahrungen abspeichern, die in den jeweiligen Situationen abgerufen werden. Das führt dazu, dass Signale, die wir wahrnehmen, als Codes funktionieren können.“ Dabei handelt es sich um Informationen, die wir unterbewusst registrieren. „Die Forschung sagt, dass 85 bis 90 Prozent unserer täglichen Entscheidungen durch unser implizites System beeinflusst werden. Das geht auch gar nicht anders: Weil man gar nicht über jede kleine Entscheidung nachdenken kann.“

An dieser Stelle kommen die braunen Discounterfliesen ins Spiel. Der Autopilot liefert nämlich alleine durch die Umgebung, in der wir uns aufhalten, einen ganze Menge abgespeicherter Assoziationen.

„Ein Laden mit dunklem Holzfußboden und besonderem Lichtambiente signalisiert uns zum Beispiel eine gewisse Hochwertigkeit. Und das wiederum ist ein Signal dafür, dass die Produkte in dem Laden teuer sein müssen“, erklärt Schneider. Wer seinen Einkaufswagen aber durch enge Gänge schiebt, in denen Waren auf Paletten gestapelt sind, wo es unordentlich ist und wenig Wert auf Präsentation gelegt wird, der denkt automatisch: Hier können die Produkte ja nicht viel kosten.

Günstiges Einkaufen muss also immer auch ein bisschen Selbstbestrafung sein. Weil wir sonst automatisch preismisstrauisch werden. In jedem Fall beeinflusst das Ladendesign unsere Preiswahrnehmung. (Von der Supermarktblog-Leser ja bereits wissen, dass sie wichtiger sein kann als der tatsächliche Preis.)

Schlecker hat sich das zunutze gemacht und legt uns damit herein: Weil die Läden klein sind und ramschig aussehen, werten die Kunden das als Indiz dafür, dass Schlecker günstig ist. Dabei ist häufig das Gegenteil der Fall, wie die WDR-Redaktion „Servicezeit“ kürzlich getestet hat. In vielen Fällen ist Schlecker tatsächlich teurer als die Konkurrenz (ganzen Beitrag bei wdr.de ansehen). Vielleicht ist es deshalb gar nicht so clever, dass das Unternehmen seine Filialen derzeit in einem riesigen Kraftakt modernisiert. Die neuen, aufgeräumten Läden können dann zwar mit denen von DM und Rossmann mithalten – aber gleichtzeitig müsste Schlecker die Preise senken, weil den Kunden sonst auffällt, dass sie die ganze Zeit an der Nase herumgeführt wurden.

Natürlich geht das irgendwann auch ohne Renovierung. „Implizite Eindrücke können durch Erfahrungen überwunden werden“, sagt Schneider. „Wir lernen irgendwann, dass es in dem Laden gar nicht so günstig ist, indem wir über unser explizites System die Preise vergleichen.“

Für Lebensmittelhändler wie Edeka und Rewe ist es übrigens kein besonders großes das Problem, dass sie – im Vergleich mit den Discountern – eher als teuer wahrgenommen werden. Im Gegenteil: Es ist sozusagen Absicht. Beide Händler haben in den vergangenen Jahren viel Geld in die Modernisierung ihrer Filialen gesteckt, damit die Kunden sich dort wohlfühlen und Produkte entdecken, die sie bei Aldi oder Lidl nicht kriegen.

Schneider erklärt: „Einkaufen bei Edeka und Rewe hat viel mit sinnlichem Erleben zu tun, mit dem Anfassen der Produkte und damit, sich inspirieren zu lassen. Wir sprechen da von einer ‚impliziten Belohnung‘, die solche Marken versprechen.“

Für Discounter gelten diese Regeln nicht. Dort geht es vor allem darum, günstig und schnell einkaufen zu können. Deswegen akzeptieren die Kunden auch Einschränkungen bei der Auswahl. „Wenn aber der Discount plötzlich anfängt, mit Codes zu arbeiten, die eine andere Belohnung signalisieren, verwirrt er seine Kunden und nimmt in Kauf, ein Stück seiner ursprünglichen Positionierung zu verlieren.“

Genau das macht neue Ladendesigns von Discountern auch so heikel. Die Kunden erwarten implizit, dass es dort, wo sie günstig einkaufen, ramschig aussieht. Aldi Nord muss mit seinen neuen Filialen also das Kunststück fertig bringen, einerseits so modern zu wirken, dass die Kunden nicht glauben, sie würden zum Beispiel bei Lidl mehr geboten bekommen. Andererseits darf es auf keinen Fall so modern sein, dass deswegen der Eindruck entsteht, die Produkte seien teurer geworden.

Es hilft also alles nichts: Die braune Discounterfliese muss bleiben. Sonst gerät unsere gesamte Einkaufswelt noch aus den Fugen.

Fotos: Supermarktblog

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1 Kommentar
  • Hmm, wobei ich allerdings bei dm schöne Läden und niedrige Preise gewohnt bin. Offenbar sind diese Regeln heute, 2017, sowieso nicht mehr so streng, wo Aldi und Lidl auch nicht mehr so schlimm aussehen, zumindest die neueren Filialen.

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