Ferien am Radieschen River: Ein Reisebericht aus Schweizer Supermärkten

Ferien am Radieschen River: Ein Reisebericht aus Schweizer Supermärkten

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Hohe Berge, tiefe Täler, tanzende DJs – Touristen hat die Schweiz so einiges zu bieten. Leider weigert sich die Fremdenverkehrswerbung bis heute, die zahlreichen Sehenswürdigkeiten des Lebensmittelhandels in ihren Empfehlungskatalog aufzunehmen. Das Supermarktblog ist extra nach Zürich gereist, um Migros und Coop einen Besuch abzustatten und das Versäumnis nachzuholen. (Bevor Sie auch die Reiselust packt: bitte das Kleingedruckte lesen.*)

*Wechselkursbedingt eignet sich der Einkauf in Schweizer Supermärkten ausschließlich für mehrfache Lottogewinner, die gerade geerbt haben. Sollten Sie nicht zu dieser Gruppe gehören, seien Sie vorsichtig! Ihr Portemonnaie wird es Ihnen danken.

Pizza-Stalaktiten
Malerisch gelegen in den Tiefkühlzonen vieler Ladengeschäfte, gehören die wunderbaren Pizza-Stalaktiten zu den einzigartigen Naturschauspielen des Landes. Aus kleinen Metallarmen in den Kühlmöbeln wachsen vorbelegte Pizzen in allen Farben und Größen, oft reichhaltig belegt mit Wurstsorten, Gemüse oder sogar Meeresgetier. Die zur Familie der Teigfladen gehörenden Pizza-Stalaktiten sind ein Phänomen der Supermarktneuzeit und werden lediglich durch eine dünne Plastikschicht von ihrer Umwelt geschützt. Einmal aufgewärmt, sind sie schnell verschwunden. Auf keinen Fall sollten sie mit ihren tiefgefrorenen Artgenossen in deutschen Supermärkten verwechselt werden, die oft eine deutlich längere Haltbarkeit aufweisen und zu den so genannten Flachwüchsern gehören. Die Tiefkühlzonen sind jahreszeitenunabhängig begehbar. Bei längerem Aufenthalt empfiehlt sich geeignete Kleidung (gefütterte Jacken etc.).

Billigmarken-Tiefebene
Zu den für Touristen weniger empfehlenswerten Regionen des Schweizer Lebensmittelhandels gehören die Bück- und Reckregionen der Marktregale. Ihrer leichten Zugänglichkeit zum Trotz sollten Urlauber sie meiden, da sie in Migros-Filialen zum bevorzugten Lebensraum der „M Budget“-Billigmarken gehören (u.a. Schokolade, Zwieback, Kartoffelpüree). Diese fallen sofort durch die ungewöhnlich ablehnend gestalteten Verpackungen auf, die selbst Discount-erfahrener Kundschaft schwer zusetzt. Mehr noch als die alarmierende Farbkombination aus dunklem Grün und Migros-Orange signalisiert das Fehlen beschönigender Inhaltsabbildungen (deutsch: „Serviervorschlag“) den heimischen Einkäufern Gefahr. Viele Schweizer machen deshalb automatisch einen großen Bogen um die Produkte, auch um nicht von Eidgenossen bei einer eventuellen Konsumabsicht beobachtet zu werden. Touristen sollten es ihnen gleichtun, um Einheimische nicht zu mitleidigen Blicken zu provozieren.

Radieschenwasserfall
Von regelmäßigen Kunden liebevoll „Radieschen River“ genannt, ist dieses Phänomen sicher ein Höhepunkt der Schweizer Supermarkteinrichtung und wegen seiner günstigen Lage im Seitengang der Gemüseabteilung des Bahnhofs-Coop in Zürich nur schwer zu verpassen. Umringt von prächtigen Südfrüchten, heimischem Obst sowie Zucchini und Auberginen in Bio-Qualität sprudelt ein Wasserfall über Treppengitter, auf denen sich tagsüber ganze Radieschenkolonien erfrischen. Ursprung dieser beinahe natürlichen Quelle ist eine Minisprinkleranlage an der Oberseite des Regals. Allerdings zeigt sich hier auch die Zweiklassengesellschaft in Schweizer Frischeabteilungen. Zwecks Nutznießerschaft haben sich zwar einige parasitäre Kräuter an die Seiten des Radieschenwasserfalls geklemmt; das Restgemüse sitzt aber weiter auf dem Trockenen.

Recycling-Quelle
Vielen Deutschen sind aus ihrem Supermarkt die störrischen, nach Alkohol riechenden Pfandautomaten bekannt, vor denen man bis zur endgültigen Flaschenerkennung ganze Nachmittage lang belästigt werden kann. Ihre Schweizer Verwandten sind edler, frischer, in der Regel hinter der Kassenzone beheimatet und schlucken leere Plastikflaschen ohne Widerstand. (Allerdings verzichten Sie auf die Herausgabe nützlicher Pfandbons.) An Regentagen kann sich ein Besuch lohnen, sonst gehören die Recycling-Quellen aber nicht zu den Must-see-Attraktionen.

Heiße Theken und Döner-Hügel
Sie sind wenig appetitlich, aber ein unverzichtbarer Teil der Supermarktbiosphäre unserer Nachbarn: die heißen Theken, in denen allerlei Würste und Schnitzel eine Heimat gefunden haben. Ihre Existenz ist oft nicht von langer Dauer, da sie zum Sofortverzehr erhitzt und in Plastiktaschen verpackt werden. So sind sie leichte Beute für hungrige Mittagspausenhetzer und fettsüchtige Touristen. Während sich Würste und Schnitzel am liebsten in höhlenartigen Heißregalen aufhalten, die direkt an die Supermarktwände grenzen, bevorzugen Quiches, Pasteten und Frischfrittiertes frei zugängliche Metalltheken mit offenen Seiten. Ab und an verirrt sich auch mal eine Focaccia dazu. Höhepunkt ist aber der nahegelegene Dönerhügel, der ebenfalls eine Theke belegt, an der jedoch Bedienungspflicht durch Marktpersonal herrscht, welches das Schichtfleisch nach den individuellen Wünschen des Künden Kunden abträgt und zu einer „Mahlzeit“ verknetet. Der Besuch ist vor allem zu Stoßzeiten empfohlen, da sich das Fast Food zu weniger geeigneten Snackzeiten in seine Heißregale zurückzieht und sich seltener blicken lässt.

Falls Sie weitere Sehenswürdigkeiten in Schweizer Supermärkten empfehlen können, schreiben Sie die doch in die Kommentare!

Fotos: Supermarktblog

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1 Kommentar
  • Alarmierende Farbkombinationen aus Giftgrün und Grellorange findet man auch in deutschen Supermärkten: Besuchen Sie doch mal einen GLOBUS-Markt! Ich empfehle allerdings dringend die Mitnahme einer Sonnenbrille, um nicht angesichts der „Korrekt“-Eigenmarke das Augenlicht zu verlieren…

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