Einkaufsrouten-Forschung im Supermarkt: Wo laufen sie denn?

Einkaufsrouten-Forschung im Supermarkt: Wo laufen sie denn?

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Kennen Sie das? Kaum ist die Münze drin und die Kette ab, setzt sich das Gefährt wie von Geisterhand in Bewegung, obwohl wir doch dahinter stehen und selber lenken. In Supermärkten, wo wir regelmäßig unsere Wocheneinkäufe erledigen, haben wir – aus Gewohnheit und Erfahrung – eine Einkaufswagen-Route abgespeichert, die automatisch eingeschlagen wird. Fast wie früher auf dem Verkehrsübungsplatz.

Gunnar Mau weiß genau, wie diese Routen funktionieren. Mit seiner Marktforschungsfirma Shoppermetrics findet er im Auftrag der Supermärkte heraus, wie sich Kunden in deren Läden bewegen. Und vor allem: warum. Mau sagt:

„Natürlich kann man die Kunden nach ihrem Einkauf fragen: An welchem Regal haben Sie gestanden und welche Produkte haben Sie sich angeschaut? Nach unseren Erfahrungen ist es aber so, dass viele Leute sich gar nicht mehr bewusst erinnern, wo sie langgelaufen sind – selbst wenn sie die Produkte vor sich im Einkaufswagen liegen haben. Einkaufen läuft sehr habitualisiert ab. Wir sind es gewohnt und denken nicht darüber nach. Deshalb merken wir manchmal gar nicht, was wir im Supermarkt alles getan haben.“

Aus diesem Grund lässt Mau seine Mitarbeiter spicken: Kunden werden, wenn sie in den Markt kommen, zufällig ausgewählt und dann bei ihrem Weg durch den Markt beobachtet. Auf einem Tablet-Computer zeichnet der Mitarbeiter die Route nach: einmal durch die Obst- und Gemüse-Abteilung zur Käsetheke, den Zwischenstopp am Cornflakes-Regal und den Abstecher in die Drogerieabteilung. „Wir laufen den Kunden mit gebührendem Abstand nach, verstecken und verkleiden uns aber nicht, sondern gehen offen durch den Markt“, erklärt Mau. Zu trampelig dürfen die Forscher dabei nicht sein. „An ein paar Regalen verhalten wir uns anders, wenn wir wissen, dass wir beobachtet werden – zum Beispiel bei Süßwaren. Wer ahnt, dass er beobachtet wird, kauft dort weniger impulsiv.“

Nach dem Bezahlen werden die Kunden angesprochen, aufgeklärt und gefragt, ob sie sich noch an einer kurzen Befragung beteiligen.

„Wir brauchen beides: die Beobachtung des unbewussten Verhaltens und die Erklärung des Kundens, was er gesucht hat und warum er etwas gekauft oder nicht gekauft hat“, sagt Mau. Weil sich auf der Karte zwar die 180-Grad-Wende vor der Weinabteilung einzeichnen lässt – aber es genauso wichtig ist, vom Kunden zu erfahren, warum er sich in diesem Moment zum U-Turn entschieden hat.

Die Daten der „Kundenlaufstudien“ werden anonym erhoben, es gibt keine Bilder und keine Videos. In der Regel ist der Auftraggeber auch gar nicht am individuellen Einkaufsweg einzelner Kunden interessiert, sondern am Gesamtergebnis: der Hitzekarte.

Dabei handelt es sich keineswegs um eine Temperaturvorhersage für erkältungsanfällige Supermarktbesucher, die ungern an offenen Kühltheken vorbeilaufen. Sondern um ein vom Computer erstelltes Abbild der Marktstruktur, der alle Laufwege übereinander legt und dadurch visualisiert, in welchen Regalreihen es, ähm, besonders hitzig zugeht. Die Hitzekarte zeigt an, wo sich die meisten Kunden aufhalten. Je blauer ein Bereich ist, desto weniger wird er genutzt. Rot bedeutet hingegen: hier kommt fast jeder vorbei. So sieht das aus (Beispiel):


Karte: Shoppermetrics

Je nach Bauweise und Regalanordnung fallen die Ergebnisse natürlich sehr unterschiedlich aus. Es gibt immer Gänge, in denen viel weniger los ist als in anderen, sagt Marktforscher Mau. Aber das bedeute nicht automatisch, dass deswegen der ganze Laden umgeräumt werden müsse. „Es brauchen gar nicht alle Kunden überall langgehen. Wichtig ist, dass Kunden zu den Regalen kommen, die sich auch für die dort eingeräumten Produkte interessieren könnten.“

Sicher ließen sich mehr Leute am Regal mit den Windeln vorbeischleusen, wenn es direkt am Eingang stehen würde. Das wäre bloß ziemlicher Unsinn, weil nur ein Teil der Kunden die Produkte auch gebrauchen kann.

In der Studie für einen Getränkemarkt ermittelte Shoppermetrics ungewöhnlich viele „Kurzläufer“: Leute, die schnurstracks zum Stand mit den Sixpacks gegangen sind und sich ihr Feierabendbier gekauft haben. „Die erste Reaktion des Händlers war verständlicherweise: Wir müssen die Sixpacks ganz nach hinten stellen!“, sagt Mau. „Aber es bringt nicht unbedingt Vorteile, diese Kunden durch den ganzen Laden zu leiten.“ Viele kommen ja vielleicht, weil sie genau wissen, in diesem Laden auf kürzestem Weg zu ihrem Bierchen zu gelangen. „Wir konnten mit unseren Daten zeigen, dass es besser ist, alles so zu lassen wie es ist und stattdessen das Sortiment im vorderen Ladenbereich zu ergänzen, nämlich mit Produkten, die diese Kunden auch noch gebrauchen könnten, von den Chips bis zur Fernsehzeitschrift.“

Die Hitzekarten eignen sich aber genauso, um festzustellen, was in einem Laden schief läuft – vor allem dann, wenn es Sortimente betrifft, die eigentlich für alle Käufer relevant sein müssten. Mau erklärt:

„Angenommen, die Molkereiabteilung wäre auf der Hitzekarte eines Markts tiefblau gefärbt, obwohl Milch und Käse normalerweise von sehr vielen Kunden gekauft werden, dann wäre das ein Grund dafür, auch über eine Verlegung im Geschäft nachzudenken.“

Wenn’s nicht gleich ein Komplettumbau werden soll: Wie lassen sich Kunden dann in leere Gänge locken, die sie bisher immer gemieden haben?

Ganz einfach: Drogeriefilialist dm stellt seine Regalreihen zum Beispiel schräg (wie hier gut zu sehen ist). Dann erkennen die Kunden beim Vorbeilaufen viel besser, was drin ist und zweigen eher mal von ihrer Route ab.

Im Neubau eines Getränkemarkts hatten die Marktforscher von Shoppermetrics einmal selbst Einfluss auf die Regalanordnung. Die Frage war: Was passiert, wenn die üblichen Regalreihen mit niedrigen Blöcken unterbrochen werden, durch die es sich besser durchgehen lässt, und die sich problemlos überschauen lassen? Tatsächlich sind viele nicht nur durch die Außengänge gelaufen, sondern öfter einmal quer durch die Mitte. „Je mehr man sieht, desto eher fällt einem ein, was man noch gebrauchen kann“, erklärt Mau.

(Auch Rewe scheint sich an dieser Erkenntnis zu orientieren: Die Regale in der Obst- und Gemüseabteilung sind in vielen Filialen zur Marktmitte hin so niedrig, dass sich stets in den Laden hinein [und auf die dahinter gelegenen Kassen] schauen lässt; in den neuen Penny-Läden [Bild] funktioniert’s genauso.)

Was Shoppermetrics noch alles über unsere Einkaufsgewohnheiten herausfinden kann und wie die Supermärkte darauf reagieren, steht im nächsten Blogintrag. Bis dahin könnten Sie sich ja vielleicht in den Kommentaren outen: Sind Sie auch Kurzläufer? Oder steuern in einem ganz bestimmten Laden immer dieselbe Route an?

Foto: Supermarktblog

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