Warum wir allein mit Bio (erstmal) nicht die Welt retten

Warum wir allein mit Bio (erstmal) nicht die Welt retten

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Rewe-Tortellini mit Pro-Planet-Label

Anfang des Jahres hat Rewe im „Edeka/Rewe-Check“, den im Ersten fast 6 Mio. Zuschauer gesehen haben, für sein „Pro Planet“-Label ziemlich eins auf den Deckel gekriegt (Sendung in der Mediathek ansehensiehe dazu auch Supermarktblog). Das Logo wird seit 2010 auf Eigenmarken-Produkte gedruckt, bei deren Produktion sich Rewe nach eigener Darstellung darum bemüht, die Umwelt weniger zu belasten und von den Produzenten klare Sozialstandards für deren Mitarbeiter einzufordern.

Der WDR behauptete in seiner Sendung, einen spanischen Betrieb gefunden zu haben, in dem die Sozialstandards, mit denen Pro Planet wirbt, ein Märchen sind – und holte einen Gewerkschafter vor die Kamera, der erklärte, die von Rewe gestellten Anforderungen seien kaum zu gewährleisten.

Rewe fühlt sich zu unrecht angegriffen. Das Unternehmen veröffentlichte eine Stellungnahme, in der es erklärte, die von den WDR-Reportern interviewten Tagelöhner in Spanien seien nicht als Arbeiter eines Pro-Planet-Betriebs ausfindig zu machen gewesen. Und wenn dem doch so sein sollte, wäre das Verhalten des Produzenten ein Kündigungsgrund:

„Der Einsatz von illegalen Einwanderern stellt nach den Pro Planet-Vorgaben grundsätzlich einen Rechts- und damit einen Vertragsbruch dar. (…) Erfährt die Rewe Group von solchen Rechtsbrüchen, so wird das entsprechend sanktioniert bis hin zu Auslistung.“

Das Problem sind wohl: die Kontrollen. Die Hersteller können sich ja verpflichten, die Rewe-Standards einzuhalten – im Tagesgeschäft wird das aber nicht ständig, sondern laut Rewe bloß „stichprobenartig“ kontrolliert.

Eine Beschwerde, die Rewe beim WDR-Rundfunkrat zum „Markencheck“ eingereicht hat, ist von diesem noch nicht behandelt worden. (Da war man gerade mit anderem beschäftigt.)

Eigentlich geht es aber gar nicht um die Sendung, die Rewe natürlich deshalb so ärgert, weil die Zuschauer danach den Eindruck hatten, sie würden mit der Pro-Planet-Initiative hinters Licht geführt. Sondern darum, was ein Supermarkt tatsächlich unternehmen kann, um eine nachhaltigere Produktion von Lebensmitteln zu fördern. Zu allererst einmal ist Pro Planet für Rewe gutes Marketing – oder wie es im Unternehmen heißt: ein „Differenzierungsmerkmal“, also eine Besonderheit, die Rewe von vielen Konkurrenten abhebt. Aber: Meint Rewe es damit wirklich ernst?

Zumindest gibt man sich große Mühe, genau das zu versichern: „Verantwortliches Handeln im Sinne der Umwelt und der Gesellschaft“ sei „Bestandteil der Unternehmenskultur“, heißt es in Köln. Zu Beginn dieser Woche diskutierten die Mitarbeiter der Rewe-Zentrale mit eingeladenen Herstellern, Lieferanten, NGO-Vertretern und Kaufleuten in Berlin darüber, wie Rewe noch nachhaltiger werden könnte. Mit neuen, grünen Produkten, energieschonenden Filialen, einem verantwortungsvollen Umgang mit Mitarbeitern und gesellschaftlichen Engagements.

„Wir wollen ein moderner, lokaler, sympathischer, verantwortungsbewusster Supermarkt sein“, sagte Lionel Souque, der im Rewe-Vorstand das Supermarkt-Geschäft verantwortet, zur Begrüßung.

Ja, prima, sagen Sie jetzt vielleicht: Warum verkauft Souque ab sofort dann nicht ausschließlich Bio-Produkte? Die sind doch nachhaltig. Und sympathisch.

Weil zum Nachhaltigsein immer zwei gehören, in diesem Fall: der Supermarkt – und die Kunden. Also wir.

Nicola Tanaskovic, Funktionsbereichsleiterin für Nachhaltigkeitsprojekte bei Rewe, erklärte in einer der Arbeitsgruppen: „Die Preissensibilität im deutschen Markt ist groß. Wenn wir unsere Produkte nachhaltiger machen wollen, bringt das auch Kosten mit sich, die wir irgendwann an die Kunden weitergeben müssen.“ Derzeit sei das noch nicht bei allen Artikeln der Fall. Man wolle die Konsumenten deshalb „für das Thema sensibilisieren“.

Das wird kein leichter Job – nicht nur weil Nachhaltigkeit (geht Ihnen das ähnlich?) so ein unglaublich sperriger und dröger Begriff ist. Viele Leute können sich darunter alles und nichts vorstellen. Das ist aber nur eines der Probleme. Professor Stefan Schaltegger hat in seinem Vortrag über die „Herausforderungen auf dem Weg aus der Nische zum Massenmarkt“ bei der Rewe-Veranstaltung noch ein paar mehr parat gehabt. Schaltegger ist Leiter des Centre for Sustainability Managment (CSM) an der Leuphana-Universität in Lüneburg (wo sich Nachhaltigkeit sogar studieren lässt). Er glaubt: Wenn wir wirklich viel mehr Produkte unter fairen Bedingungen herstellen wollen, die die Umwelt weniger belasten, dann geht das nur schrittweise.

Schaltegger unterscheidet zwischen der Nische und dem Massenmarkt. Die Nische, das sind Bio-Artikel, die klare Vorgaben für die Herstellung haben – aber derzeit gerade einmal 3,9 Prozent der in Deutschland verkauften Lebensmittel ausmachen.

„Diese Nische lässt sich nicht auf einen Massenmarkt übertragen“, ist Schaltegger überzeugt. Er schlägt eine „Nachhaltigkeitsaufwertung des Konventionellen“ vor, also nichts anderes als eine Verbesserung eines Teils der ganz normalen Produkte, die von der Mehrheit gekauft werden. Und zwar, indem man nach und nach einzelne Kriterien des Produktionsprozesses verbessert. So ähnlich soll Pro Planet bei Rewe funktionieren. Kategorien sind zum Beispiel: „wasserschonend angebaut“, „Artenvielfalt schützend“ und „unterstützt ressourcenschonenden Anbau“. (Ein anschauliches konkretes Beispiel dafür steht hier.) Ähnlich ist es aber (wie schon im vorigen Blogeintrag erwähnt) mit zertifiziertem Fisch und Fleisch mit Tierwohl-Siegel bei anderen Anbietern.

Schalteggers Theorie zufolge interessiert sich die Masse bisher gar nicht so sehr dafür, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden. (Oder, um das zu ergänzen: nur sehr kurzfristig, wie der Pferdefleisch-Skandal gezeigt hat.) Über den Unterschied zu den Konsumenten in der Nische, also den überzeugten Bio-Käufern, sagt er:

„Im Massenmarkt sind die Konsumenten nicht bereit, gleich viel Zeit zu investieren, um sich zu informieren.“

Das zweite Problem ist: Die, die sonst schon Bio kaufen, verstehen nicht, warum sie im Supermarkt Produkte mitnehmen sollten, die im Vergleich dazu geringere Nachhaltigkeitsstandards erfüllen. „Dieser scheinbare Widerspruch muss erklärt werden“, sagt Schaltegger. Zum Beispiel, indem ein Supermarkt konkrete Ziele vorgibt, also den Kunden erklärt, was er langfristig vorhat, und dass das nur Schritt für Schritt geht, damit möglichst viele Leute mitziehen. Auch die, für die das bisher kein Thema war.

Vielleicht gelingt das, indem man die Nachhaltigkeit eines Produkts gar nicht so sehr in den Vordergrund stellt – sondern stattdessen mit einem Zusatznutzen wirbt: wenn also ein Waschmittel „antiallergen weil schadstoffarm“ ist. Es wurde umweltschonend hergestellt (ohne Schadstoffe), aber kaufen wollen es die Leute vielleicht wegen der Garantie, dass ihnen nach dem Waschen beim Klamottentragen vor lauter Chemie nicht die Haut explodiert.

Schaltegger ist überzeugt:

„Wir brauchen eine nachhaltige Transformation des Massenmarkts. Nischen reichen nicht.“

Es wird für Supermärkte, zum Beispiel Rewe mit Pro Planet, ein hartes Stück Arbeit sein, das so durchzusetzen, dass die Kunden es nicht nur verstehen, sondern mittelfristig auch bereit sind, für die entsprechenden Produkte mehr zu bezahlen. (Zumal da immer das Misstrauen ist: Wird ein Preis tatsächlich erhöht, um die Produktionsbedingungen zu verbessern, oder ist das auch eine Gelegenheit für den Händler, seine Marge zu erhöhen?)

Mich macht das automatisch misstrauisch, wenn Rewe – wie gerade – eine „Themenwoche Umweltschutz“ veranstaltet, dafür seine Website grün einfärbt und Baumumarmungsbilder ins Netz stellt. Weil das so dick aufgetragen ist. Ähnlich wie die Aktion, die Kunden aufzufordern, an diesem Samstag mit dem Rad zum Einkauf zu kommen; Rewe will dann für jeden Radler, der zwischen 8 und 12 Uhr eintrifft, einen neu gepflanzten Baum spenden.

Website zur Rewe-Umweltwoche

Das ist ja schön und gut.

Aber vielleicht hätte im Marketing dann jemand drauf achten können, dass im aktuellen Newsletter unter der Baumpflanz-Aktionsankündigung nicht gleich das Angebot der Rewe-Touristiksparte für die Bangkok-Reise steht („Bald ist wieder Urlaubszeit!“).

Ein einfacher Flug von Berlin nach Bangkok setzt laut Atmosfair pro Person ca. 2320 kg CO2 frei, mehr als ein Jahr Autofahren bzw. ungefähr das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen. (Und das auch nur, wenn Sie dort bleiben.) Um das wieder aus der Atmosphäre zu holen, braucht der eine kleine Spendenbaum schon ziemlich große Unterstützung. Mit solchen Patzern macht sich’s Rewe nicht gerade leichter, glaubwürdig zu wirken.

Ach so: Schönen Restweltumwelttag noch!

Foto: Supermarktblog

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8 Kommentare
  • Ich kann die Kritik nachvollziehen – und finde es auch wichtig, dass Medien da auf Kontroll-Defizite hinweisen, wo es sie offensichtlich gibt. Und ich teile die Ansicht, dass zu dickes Auftragen einen gut gemeinten Ansatz gleich etwas unglaubwürdiger erscheinen lässt. ABER: Ist es nicht auch gut, immerhin ETWAS richtig zu machen? Diese „ganz oder gar nicht“-Theorie halte ich für gefährlich. Taugt nämlich prima als Ausrede, gar nichts zu tun. Das Tierwohl-Siegel wurde auch auf der Ebene angegriffen, auch weil man da mit den großen „Tierproduzenten“ zusammen gearbeitet hat. Aber anders kommt man ja nicht an die Massendaten. Und anders kann man auch der Masse nicht helfen. Oder?

    • Das seh ich gar nicht so anders, aber ich glaube, Unternehmen müssen auch ein Gefühl dafür entwickeln, wie sie in einem solchen Anpackprozess am ehesten glaubwürdig bleiben. Weil es sonst, wie im Text erwähnt, zu leicht als Marketing abgetan werden kann.
      Rewe braucht ja für viele Verbesserungsmöglichkeiten kein Output von außen, da muss bloß einer durch’s Sortiment gehen, um rauszukriegen, dass es wenig nachhaltig war, den Rewe-Qualitätsmarke-Orangensaft aus dem Tetrapak in die durchsichtige PET-Wegwerfflasche zu holen, weil das im Regal besser aussieht.

    • Mich würde mal ein wissenschaftlicher Test interessieren in dem ich erkenne, was denn nun „nachhaltiger“ ist PET oder Tetrapak. Ich erinner mich an eine schöne Dokumentation, die ich mal gesehen habe, da hatte der Apfel aus Argentinien einen besseren CO2 Fußabdruck, als der Apfel vom Bauern um die Ecke, weil der die monatelang kühlen muss. Dasselbe kann man ja weiterführen bei EW und MW Getränken. Die einen sagen das, die anderen das. Also sooooo toll kann es nicht sein mit dem LKW leere Flaschen durch Deutschland zu schippern?!?

    • Studien gibt es unter anderem vom Umweltbundesamt:
      http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/2180.pdf

      Fazit: Tetra Paks sind im Vergleich zu Einweg Verpackungen CO2 sparender, im Vergleich zu Mehrwegsystemen ist der Vorteil umstritten. Die Studie ist schon etwas älter und der Hersteller von „Tetra Pak“ betreibt natürlich massives Eigenmarketing, aber über den Daumen stimmt das wohl weiterhin.

      Ich wage auch zu bezweifeln, dass sich all die Einweg PET Flaschen noch sinnvoll recyceln lassen. Inzwischen sind ja gefühlte 95% der alkoholfreien Getränkeflaschen Einweg PET, so viel Kunststoff-Granulat kann doch kein Mensch mehr sinnvoll verwenden.

  • @Uli: Doch, der Bedarf an PET-Recyclat übersteigt derzeit das Angebot.
    PET ist generell aus 2 Gründen ein Spitzenrecycling-Material:
    1. Fällt PET dem Einwegpfand sei Dank fast sortenrein im Supermarkt an.
    2. PET unterliegt nicht zwangsweise einem Downcycling, d.h,. PET-Recyclat ist fast genau so gut wie Neuware und kann diese in fast allen Anwendungen zu 30-100% ersetzen.

  • Ich finde, dass man Bio bei Rewe nicht empfehlen kann. Bio oder nicht – Zwiebeln bei Rewe kommen oft aus Neuseeland oder Südamerika, Kartoffeln aus Ägypten. Leute, so macht Bio keinen Sinn! Das sind Nahrungsmittel, die bei uns genauso wachsen, die nicht teuer oder besonders sind. Da geht es um Preisschinderei … Absurder kann Bio nicht sein (wobei leider die anderen Supermärkte gar nicht besser sind). Wer was für Umwelt und Nachhaltigkeit tun will, ist sicher auf der richtigen Seite, wenn er konventionelle Kartoffeln vom Bauern um die Ecke kauft als angebliche Bio-Knollen aus der Kartoffelhochburg Ägypten….

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