„Ich mag keine sprechenden Einkaufswagen“: Edeka-Kaufmann Dieter Hieber über seinen Zukunftsmarkt

„Ich mag keine sprechenden Einkaufswagen“: Edeka-Kaufmann Dieter Hieber über seinen Zukunftsmarkt

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Wer Experten fragt, wie der Supermarkt der Zukunft aussehen wird, kriegt mit hoher Wahrscheinlichkeit was von vollautomatischen Leitsystemen zu hören, von kontaktlosem Bezahlen an der Kasse und Produktinformationen, die automatisch aufs Smartphone gefunkt werden.

Aber bestimmt nicht von Dieter Hieber.

Der wird stattdessen von einem Supermarkt erzählen, der seine Kunden nicht nervt. Der modern ist, aber nicht mit unnötiger Technik vollgestopft. Einem Laden, der nicht nur an die denkt, die dort ihr Geld ausgeben – sondern auch an alle, die es dort verdienen. Der Laden, in dem all schon  ausprobiert wird, heißt „Hiebers Frische Center“, steht in der Nähe von Freiburg und ist in diesem Jahr in New York als einer von weltweit vier Läden mit dem Euroshop Retail-Design-Preis als Supermarkt des Jahres ausgezeichnet worden.

Sehen so Supermärkte aus? Hiebers Frische Center in Bad Krozingen bei Freiburg

Die Herkunftsliste der Preisträger sieht so aus:

Huixquilucan, Mexico
Singapur
Walnut Creek, USA – und:
Bad Krozingen, Deutschland

Hieber sagt:

„Ich mag keine sprechenden Einkaufswagen und plärrenden Displays – das ist für mich die Horrorvision eines Supermarkts. Bei uns sind Mitarbeiter für die Kunden ansprechbar. Deshalb sind die Personalkosten relativ hoch. Aber wir erreichen auch eine höhere Spanne, deshalb lohnt es sich.“

Das ist die Kurzversion der Erklärung, was den Laden von  der Konkurrenz unterscheidet. Die lange ist auch ziemlich interessant und geht so:

„Mein Vater hat früher Standard-Edeka-Märkte betrieben, wie es sie überall gab, ist damit aber nicht vorangekommen“, erklärt Hieber die Geschichte des Familienbetriebs.

„Ende der 80er hat er in Lörrach den ersten Laden eröffnet, in dem alles anders war – und am Anfang war das wirklich bitter, weil es gar nicht lief.“

„Anders“ war das, was in Hiebers zwölf Edeka-Märkten von der Schweizer Grenze bis in den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald heute selbstverständlich ist: Die Regale waren niedriger als üblich, es standen keine Sonderangebotsstapel im Weg herum, der Markt war eingerichtet, um den Kunden einen angenehmen Einkauf zu ermöglichen. Da konnte doch was nicht stimmen. „Viele haben gedacht: Hier muss es teuer sein“, sagt Hieber. „Aber mit der Zeit hat eine Gewöhnung eingesetzt.“

Vor dreieinhalb Jahren hat er die Verantwortung für die Märkte von seinem Vater übernommen, der immer noch seine Erfahrungen als Kaufmann in den Betrieb einbringt. Nur liegt es jetzt am Sohn, die Ideen von früher für die Zukunft weiterzuentwickeln.

Mit seiner schwarzen Fassade und der ungewöhnlichen Architektur hat der Markt in Bad Krozingen schon von außen kaum etwas mit den Lebensmittel-Bunkern gemein, die andere Gemeinden an den Ortsrand betoniert kriegen. Dabei ist die eigentliche Überraschung: drinnen. 40.000 unterschiedliche Produkte gibt es zu kaufen – Lebensmittel, Drogeriewaren, Haushaltsartikel. Und trotzdem fehlt etwas. Nirgendwo hängen neonfarbene Angebotsschilder, weit und breit sind keine Paletten in Sicht, und wer still ist, hört: nichts. Jedenfalls kein Musikgedudel. Die Leute sollen einfach einkaufen.

Fühl dich wohl und komm wieder: Obst und Gemüse bei Hiebers Frische Center

„Wir wollen, dass die Produkte wirken“, erklärt Hieber, warum er auf all das verzichtet, woran wir uns im Supermarkt über Jahre wohl oder übel gewöhnt haben.

Kein Wunder, dass das auch in Bad Krozingen erstmal für Verwirrung sorgte. „Als wir eröffnet haben, waren die Kunden anfangs irritiert und haben gefragt: Habt ihr keine Angebote? Doch, hab ich dann immer erklärt, aber die stehen nur in der Zeitung“, erinnert sich Hieber. Im Grunde genommen ist der ganze Markt eine einzige Erziehungsmaßnahme: Weil er die Schnäppchenfuchsigkeit der Kundschaft auszuhebeln versucht, indem er den Einkaufsprozess radikal reduziert. Das funktioniert nur, wenn viele kleine Details stimmen.

Weil die Nachfrage nach frischen, gekühlten Produkten steigt, die Kühlregale deshalb aber immer breiter und unübersichtlicher werden, hat Hieber Holzrahmen einbauen lassen, in denen besondere Lebensmittel sofort auffallen sollen, z.B. Smoothies oder handgemachte frische Pasta.

Besondere Produkte werden in der Kühltheke eingerahmt.

Geschältes Obst, geschnittenes Gemüse und Sofortessen werden in kleinen Truhen dort positioniert, wo sie thematisch hinpassen, und nicht in ein- und derselben Kühltonne versenkt.

An die Wand ist ein großer Saisonkalender gezeichnet. Dort lässt sich ablesen, welches Gemüse zu welcher Zeit frisch aus Deutschland (bzw. direkt aus der Region) kommt.

Die Regale schließen direkt mit der Produkthöhe ab, damit die Kunden den gesamten Markt überblicken zu können.

Der Laden ist kein Bunker, sondern hat Fenster.

Draußen ist Wetter! Hiebers Frische Center lässt die Sonne rein.

Auf den kleinen Bildschirmen an den Waagen der Bedientheken erscheinen statt Angeboten regelmäßige Hinweise auf die ladeneigenen Veranstaltungen: Weinproben, Kochkurse, Marktführungen.

Die abgetrennte Drogerieabteilung leuchtet blau-violett-silbern in der Ladenmitte.

DIe Drogerie leuchtet blau-violett-silbern in der Ladenmitte.

Regale werden nicht von polternden Rollcontainern befüllt, sondern aus ganz normalen Einkaufswagen. Vorher wischen Mitarbeiter die Regale aus. Produkte kommen einzeln und ohne Karton ins Regal. Immer.

Die Kassen sind holzverkleidet, mit langen Transportbändern ausgestattet und völlig frei. Niemand kriegt Last-Minute-Gummibärchen angedreht. An der Kasse wird bezahlt. Basta.

Nicht bloß süßwarenfrei, sondern komplett unverramscht: die Kassen in Hiebers Frische Center

Mit dem Bistro und dem „Steak Point“ im Eingangsbereich wird wegen des hohen Aufwands nicht viel  verdient. Aber wenn’s schmeckt, kaufen die Leute vielleicht mehr im Laden.

Bäckerei und Bistro bei Hiebers Frische Center.

Für sein Konzept, sagt Hieber, hat er sich im Ausland inspirieren lassen und dann mit Architekten alles so geplant, dass ein Supermarkt entsteht, in dem Kunden sich  intuitiv zurechtfinden. Die Frage ist nur: Rentiert sich das? Ja, meint der Geschäftsführer. Und widerspricht im gleichen Atemzug der Vermutung, dass die Kosten fürs Einkaufserlebnis auf die Preise draufgeschlagen werden:

„Das Glas Nutella kostet bei uns das gleiche wie überall sonst.“

Auch Billigartikel der Edeka-Marke Gut und günstig stehen im Regal: „Wir müssen den Kunden immer signalisieren: Was du im Discounter bekommst, kriegst du bei uns auch. Das darf uns nicht egal sein.“ Der Trick ist ein anderer: „Natürlich wollen wir die Leute verführen, etwas Besonderes dazu zu kaufen.“ Das gute Fleisch, den besonderen Kaffee, die Schokolade, die nicht auf dem Einkaufszettel stand.  Mitarbeiter hinter der Bedientheke sind als Köche ausgebildet, um Tipps zur Zubereitung geben zu können. Dann trauen sich die Kunden auch mal, nicht immer bloß Forelle mitzunehmen.

Die Leute kaufen nicht teurer ein, meint Hieber, sondern: anders. Und mehr.

Es ist ein unausgesprochener Deal, den er mit seiner Kundschaft eingeht: Die Leute lassen sich locken – dafür kriegen sie Service und Design.

Was in Bad Krozingen noch alles anders funktioniert als in herkömmlichen Supermärkten, steht im nächsten Blogeintrag.

Fotos: Supermarktblog

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12 Kommentare
  • also, wenn ich das richtig sehe in der Auflösung, dann steht die Babynahrung sehr wohl im Karton da…ist ja aber eigtl egal, wollte nur mal motzen, weil ich ja aus Deutschland bin…
    Ansonsten sehr interessantes Konzept freu mich auf den nächsten Eintrag mit weiteren Besonderheiten.

  • Der Bericht ist richtig motivierend. Ihn zufällig zu lesen, nachdem ich bei Aldi fast gegen einen riesigen Pappkarton gelaufen wäre, der hinter mir aufgestellt wurde, war vielleicht auch ein relevanter Aspekt.

    Mich erinnert der Laden aber im Anblick und Gefühl an einen Supermarkt in Mülheim, der früher wohl mal ein Gartenhandel war. Als ich von einem Freund unterwegs dort hingebracht wurde, war ich begeistert, zu sehen dass man ja doch einen Laden ohne all den Unsinn machen kann, weil sich das sonst nicht lohnt. Habe leider völlig verpasst, den Namen zu beachten.

    • Müllheim (E Center Müllheim ehem. Kolossa) – Richtung Innenstadt.

      Mir persönlich gefallen die Hieber Märkte sehr gut, vor allem muss man nicht lange suchen um etwas zu finden (Da alles ausgeschildert ist nach Straßen z.B: Zuckerstraße o.ä.) und auch das Personal vor Ort gibt einem sehr gute Tipps und Tricks, wenn es ums Thema: Fleisch etc geht.

  • Heber ist wirklich klasse! Vom frisch geschnittenen Obstbecher über warme halbe Hähnchen bis zur Glutenfrei-Gasse gibt’s da wirklich alles. Und alles ansprechend.

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