Muppetshow für Lebensmittel: Amerika sucht den „Supermarket Superstar“

Muppetshow für Lebensmittel: Amerika sucht den „Supermarket Superstar“

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Weil viele Leute in der Ernährungskette nicht ganz so weit unten anfangen wollen und mit der Zeit merken, dass es alles andere als leicht ist, aus dem Nichts Reichtümer anzuhäufen, hat der amerikanische Traum – vom Tellerwäscher zum Millionär – in den vergangenen Jahren einen heimlichen Mittelschichts-Konkurrenten bekommen. Unterforderte Hausfrauen, gelangweilte Büroarbeiter und Leute, die genervt den alten Job an den Nagel gehängt haben, wollen nun Berühmtheit damit erlangen, ihre an Lebensmittelneuerungen völlig unterversorgten Mitmenschen mit cleveren Appetitmachern zu beglücken.

Der US-Kabelsender Lifetime, der sich nach eigener Auskunft insbesondere an „Frauen in gehobenen Positionen“ richtet, hat jetzt eine Show draus gemacht.

Sie heißt „Supermarket Superstar“ und funktioniert genau so, wie Sie sich das gerade vorstellen.

Die Moderatorin der Lifetime-Show "Supermarket Superstar" scheint selbst nur selten Lebensmittelläden aufzusuchen

In neun Folgen treten jeweils drei Kandidaten gegeneinander an, die behaupten, zuhause in ihrer Küche etwas Essbares zusammengerührt zu haben, das sie künftig im großen Stil verkaufen wollen. Eine mit Karikaturen besetzte Dreier-Jury bewertet, was am besten gefällt. Anschließend entscheidet der Einkäufer einer realen Supermarktkette, was tatsächlich produziert wird. Das klingt halbwegs nachvollziehbar, ist aber nur minimal weniger irre als eine durchschnittliche Muppetshow. (Und leider nicht ansatzweise so witzig.)

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Zu den Juroren, angekündigt als „Titanen der Lebensmittel-Welt“ (wo immer auch diese Lebensmittel-Welt liegen mag), gehört „Americas Cookie-Queen“ Debbi Fields, die womöglich operationsbedingt über ihre Gesichtsgrenzen hinauszugrinsen vermag (das auf dem Bild oben ist sie nicht, das ist die Moderatorin), ein Frank-Rosin-hafter Schreihhals-Koch („Willst du mich verarschen? 1260 Kalorien???“) und ein schnöseliger Marketing-Profi, der berechenbar den Kotzbrocken spielt und über die mit Espressopudding gefüllten Glutenfrei-Kekse einer Kandidatin sagt: „Die sehen aus wie Hockey-Pucks aus Sägespänen.“

(Damit hat er zwar recht, die Schöpferin muss anschließend aber fast ins Krankenhaus eingeliefert werden vor Verzweifelung.)

In ihrer Abziehbildhaftigkeit unterscheiden sich die Teilnehmer glücklicherweise kaum von den Juroren, sodass in der Sendung zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer einseitigen Niveauaufwertung besteht. (Kurze Clips auf der Website ansehen.)

Realityfernsehgerecht wird abwechselnd gepöbelt und geschleimt, dazwischen permanent dramatisiert (bei Yotube gibt’s einen unfassbar aufgepumpten Trailer). Nach einem inszenierten Kundentest („The Focus Group has spoken!“) geht am Ende so wie in Folge 3 aus der vorvergangenen Woche leider nicht der „Chirp Chomp“ von Kandidat John (ein Proteinriegel aus echten Grillen) und auch nicht die „Apple bomb“ (ein in Kuchenteig gebackener ganzer Apfel) von Kandidatin Hoda in Serie. Sondern der langweilige und sehr unappetitlich aussehende Espressopuddingkeks, den eine sehr amerikanische Mutter für ihren nahrungsmittelallergischen Sohn gebacken hat.

Dass sich „Supermarket Superstar“ trotzdem als Weiterbildungsmaßnahme eignet (und hier im Blog auftaucht), liegt am Mittelteil, in dem die Kandidaten die Rezepturen nach den Vorstellungen der Juroren überarbeiten müssen. Und zwar jetzt und sofort in der Studioküche.

Dabei kriegt man als Zuschauer sehr hübsch die üblichen Methoden der Lebensmittelindustrie erklärt, denen die Verbesserungsvorschläge direkt entlehnt zu sein scheinen.

Die Keksfüllung ist zu weich und drückt sich beim Reinbeißen raus? Da muss wohl noch ein bisschen Stabilisator rein!

2,99 Euro für einen einzigen Riegel? Zu teuer! Aber wenn statt der guten Mandelbutter billige Erdnussbutter verwendet wird, geht der Preis automatisch runter. Die klebt auch besser.

Die „Apple bomb“ ist zu groß? Dann wird eben der Teig dünner, das spart auch wieder Geld, und der Kunde merkt’s bestimmt nicht.

Es wird gepampt, zugesetzt und abgezwackt, bis nichts mehr geht, und man mag sich gar nicht vorstellen, dass das all unseren Lebensmitteln so geht, weil dadurch ursprüngliche Rezepturen (und Geschmäcker) zu Gunsten äußerer Merkmale so lange verändert werden, bis sie nicht mehr wiederzuerkennen sind. Aber dafür alles schön ins Regal passt.

Erst im Finale, wenn die Sieger der neun Folgen noch einmal gegeneinander antreten, entscheidet sich übrigens, welches Produkt  verzehrbar serienproduziert wird und in den Laden kommt. Sollte es dort liegen bleiben, wäre das für die beteiligte Supermarktkette A&P aber auch verschmerzbar. Der erhoffte Image-Effekt hat sich dann längst eingestellt: Mehrmals pro Folge ist das Logo der Kette zu sehen, die zuletzt insolvent war, knapp vor der Schließung bewahrt wurde und jetzt wirklich jede Art von Werbung dringend gebrauchen kann.

Bis vor zwei Jahren war übrigens die deutsche Tengelmann-Gruppe an A&P beteiligt. Es ist es also kein Zufall, dass das Logo dasselbe ist wie das der in Kaiser’s- und Tengelmann-Filialen immer noch erhältlichen Discount-Marke, von der deutsche Kunden erzählt bekommen, sie sei „Attraktiv & Preiswert“ (siehe auch Supermarktblog). Im Original steht A&P für „Great Atlantic & Pacific Tea Company“.

Sehen Sie: Wieder was gelernt. Trotz Fernsehen.

Screenshot: Lifetime

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