In 5 Schritten zum Aldi-Lunch

In 5 Schritten zum Aldi-Lunch

Partner:

I. Machen Sie heute im Büro mal ein bisschen früher Mittagspause als sonst, so gegen 11 Uhr. (Also jetzt gleich.) Sie können den Kollegen ja sagen, dass Sie „noch was erledigen“ müssen.

II. Fahren Sie an den nächstgelegenen Flughafen, um dort ein Ticket nach London zu kaufen. Ja, für sofort. Stellen Sie sich nicht so an. Stansted ist günstiger. Aber Heathrow geht schneller. Und Sie haben doch Hunger!

III. Angekommen? Gut.

Von der Oxford Street, Ecke Marble Arch in der Innenstadt fährt die Buslinie 98 nördlich über die Edgware Road in den Stadtteil Kilburn (gehört u.a. zum Verwaltungsbezirk Camden). Steigen Sie Kilburn High Road aus. 100 Meter vor Ihnen befindet sich ein britischer Aldi.

"Do your fresh shop here": Aldi in London

IV. Bevor Sie reingehen: Ziehen Sie sich was drüber! Drinnen ist es immer zehn Grad kälter als draußen. Das liegt daran, dass der Laden keine Wände hat, sondern komplett kühlthekenverkleidet ist. (Bis auf die Fensterfront natürlich.) Suchen Sie sich in ebendiesen Theken ein Lunch raus: ein Sandwich, Obst in Plastik, was zu trinken. Stellen Sie sich in die sehr, sehr lange Schlange, die – typisch britisch –  einmal durch den halben Laden geleitet wird. Wenn eine Automatenstimme sagt: „Next customer to till 4 please“ – folgen Sie der Anweisung. (Und lächeln Sie beim Bezahlen, das irritiert die Kassierer.)

Guten Appetit!

V. Fahren Sie heim. (Ihr Chef wird sich schon brennend dafür interessieren, wo Sie so lange waren.)

* * *

Was das alles soll?

Ganz einfach: Vor zwei Monaten hat das britische Supermarkt-Branchenblatt „The Grocer“ Aldi in Großbritannien zum „Grocer of the Year“ gewählt. Das muss ein ziemlicher Schock für die großen Handelsketten gewesen sein, die den Titel sonst Jahr für Jahr unter sich tauschen, ohne dass ihnen ein dahergelaufener Discounter dazwischen funkt. Vielleicht hat die „Grocer“-Jury mit ihrem Urteil provozieren wollen. Vielleicht ist die Auszeichnung auch berechtigt, weil Aldi bei den Briten gerade immer beliebter wird. (Wenn auch auf verhältnismäßig geringem Niveau, wie hier schon mal erwähnt.)

Auf jeden Fall ist der Discounter im Ausland mit einer Taktik erfolgreich, die in Deutschland bisher unvorstellbar wäre: Anpassungsfähigkeit.

Wie weit die reicht und zu Lasten des ursprünglichen Konzepts geht, lässt sich in eben dieser im April eröffneten Stadtfiliale im Londoner Stadtteil Kilburn besichtigen, in der Sie gerade waren. Dort hat das britische Aldi-Management so ziemlich alle Prinzipien gekillt, die hierzulande immer noch heilig sind. Mit einer Ausnahme: den Preisen. Die sind so niedrig wie es zum Image passt, mit dem der Herausforderer um neue Kunden wirbt.

Der Rest ist für Aldi-Verhältnisse geradezu radikal verkehrt.

Geöffnet ist von 7 bis 22 Uhr, sonntags bis 16 Uhr.

In den Regalen stehen massig Markenprodukte. Solche aus Deutschland (Nutella), vor allem aber viele, die den Briten lieb und teuer sind, vom Kingsmill-Brot bis zum Stella-Artois-Bier. Dagegen geraten die bekannten Aldi-Eigenmarken – zum Beispiel Choceur für Schokolade, Rio D’Oro für Säfte – fast ins Hintertreffen. Was allerdings auch daran liegt, dass Aldi in Großbritannien ein übergreifendes Label für seine Discount-Produkte eingeführt hat, wie es die Kunden von Tesco & Co. gewohnt sind: „everyday essentials“.

Aldi-Eigenmarke aus Großbritannien: "everyday essentials"

(Die Produkte sind weiß verpackt, einheitlich designt – und dass Tescos neue Discount-Range ausgerechnet „everyday value“ heißt, ist – wenn überhaupt – ein sehr, sehr dummer Zufall.)

Unter der Marke „Has No“ führt Aldi UK derzeit nach einem Bericht des „Grocer“ außerdem glutenfreie Produkte ein.

Lunch-Angebot im Londoner Test-Aldi

Der gravierendste Unterschied des Hauptstraßenladens ist aber die klare Ausrichtung auf Stadtkundschaft. Dafür braucht es Kühltruhen – um Sandwiches, fertige Salate, Säfte und gekühlte alkoholische Getränke wie Bier, Wein und Champagner unterzubringen („fresh-to-go“). Auf der gegenüberliegenden Seite werden Obst sowie aufgebackene Brötchen, Brote, Donuts und Kuchen verkauft, die in Körben lagern. Von seinem monströsen Backautomat, wie er in deutschen Filialen üblich ist (siehe Supermarktblog), verschont Aldi die Briten.

Backautomaten? No, my dear! Aufgebackenes kommt bei Aldi London aus dem Körbchen

Kassen mit Förderbändern gibt’s auch keine, sondern nur kleine Tresen.

Der Laden in London scheint derzeit, was das Sofortessen-Angebot angeht, eine Ausnahme zu sein. Vor allem ist er ein Test, ob das erfolgreiche Discount-Prinzip mit der Leidenschaft der Briten für Convenience-Lebensmittel kompatibel ist.

"Open Daily": Werbung von Aldi in London

Ob das im Erfolgsfall zurück nach Deutschland schwappen könnte? Einen Versuch wär’s wert, zumal die  Supermärkte dann gezwungen wären, ihr müdes Angebot für die Unterwegsverpflegung deutlich zu verbessern. Zumindest für einen Test wäre die Auslgangslage gar nicht übel: In Frankfurt am Main hat vor einiger Zeit ein Aldi ganz in der Nähe der Zeil eröffnet. (Mit einem bisher eher mickrigen Sofortessen-Angebot; siehe Supermarktblog – oder hat sich da was verändert? Dann bitte kommentieren!) Und in Düsseldorf will der Discounter auf die Kö ziehen.

Das wären schon mal sehr zentrale Orte, um den Erfolg eines Mittagessen-Angebots aus dem Discounter zu testen.

In London jedenfalls scheinen die Kunden das Prinzip verstanden zu haben. Gleich am Eingang steht die Erklärung:

„Aldi simplicity: No gimmicks, no deals, just a great lunch at a great price.“

Und wenn Sie sich jetzt schon so gut auskennen: Nehmen Sie morgen in der Mittagspause doch einfach mal die Kollegen mit!

Fotos: Supermarktblog

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12 Kommentare
  • „…zumal die Supermärkte dann gezwungen wären, ihr müdes Angebot für die Unterwegsverpflegung deutlich zu verbessern“

    Das wäre wirklich genial. So während einer Mittagspause mal, wie in London, in den Supermarkt gehen und knackige (!) Salate oder frisch zubereitetes (!) Gemüse oder Obst fertig zubereitet zu kaufen.
    Oder vielleicht sogar richtig leckere Fertiggerichte für die Mikrowelle. Doch, das gibt“s!
    Auch wenn sich hiesige Supermarktkunden das kaum vorstellen können.

  • ‚fresh-to-go‘ ist nur ein Wort mehr als gemeinhin üblich, dem liegen aber tektonische Verständnis-Verschiebungen zu Grunde. Grossartig! Das möchte ich mir gerne leihen. (Einweg ohne Rücknahme)

  • Aldi ist inzwischen ja auch in vielen Shopping Malls präsent, zB Potsdamer Platz Arcaden im Berlin. Auch dort sicher optimale Bedingungen, das Konzept auch in DE zu testen.

    • Die sind dort aber schon seit der Eröffnung, also seit bald zehn Jahren vertreten. Und das seitdem konsequent mit Brauntönen aller Art und unbarmherzigen Neonröhren (die Fliesen erinnern mich immer an das, ähem, lebensbejahende Interieur der WC-Anlage im Braunschweiger Hauptbahnhof, damals Mitte der 80er bis 90er; allerdings hat der ALDI keine dieser vergitterten Drehtüren).

      Zumindest ALDI Nord traue ich in den nächsten 20 Jahren die Umsetzung solch innovativer Ideen einfach nicht zu.

  • Also kopiert Aldi in GB Sainsbury’s und Tesco Express, die schon lange mit ähnlichen Konzepten an jedem Eck das Mittagsgeschäft bedienen?
    Es stimmt natürlich, dass hier (wie bei fast allem) in Deutschlands Supermarktlandschaft viel Entwicklungspotenzial brach liegt.

  • Besonders interessant finde ich aber, dass die Aldi Filialen Im Ausland auf anständige Typografie setzen. Ich kenne ohnehin kein europäisches Land, in dem es so wenig Gespür für Schöne Schriftarten und ein konsequentes Textdesign gibt wie Deutschland. Das hat noch nicht einmal etwas mit teuer oder billig zu tun, die große Mehrheit in Deutschland scheint miese Typografie einfach überhaupt nicht zu stören. Mir bereitet das regelmäßig körperliche Schmerzen.

  • Auf der Kasseler Kö (Top Lage) gab es mal einen Aldi Nord. Ist aber lange her und Aldi am liebsten nur noch in der Vorstadt mit Autobahnanbindung. Stellt sich die Frage, wieviel Convenience Food der Mensch braucht.

  • Ja, klar. In meiner Mittagspause (halbe Stunde „lang“) blase ich mal eben Kerosin in die Luft, um mir mein in Plastik eingepacktes Obst aus London ’schmecken‘ zu lassen.
    Gut, es soll wohl ein humoristischer Aufhänger sein, aber nötig war der auch nicht.

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