Tüten adé: Darf’s ein bisschen weniger (Plastik) sein?

Tüten adé: Darf’s ein bisschen weniger (Plastik) sein?

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EU-Umweltkommissar Janez Potocnik hat gerade in Brüssel über Plastiktüten geschimpft:

„Sie bestehen aus Material, das Hunderte Jahre hält – aber wir nutzen sie nur für ein paar Minuten.“

Das ist ein bisschen irreführend, wie Supermarktkunden wissen, die schon einmal den Fehler begangen haben, an der Kasse keine Tüte mit Schlaufen, sondern eine gewöhnliche aus Plastik zu kaufen, die in der Mitte des Heimwegs plötzlich den halben Einkauf auf dem Gehweg präsentiert hat, weil die Henkel gerissen sind. Aber das meinte Potocnik nicht. Er meinte: das Material, das nicht verrottet, aber oftmals dort landet, wo es nicht hingehört. Im Meer zum Beispiel, und wegen ein paar neugieriger Fische irgendwann sogar in unserer Nahrungskette.

Deshalb will der Umweltkommissar EU-Ländern künftig erlauben, besonders dünne Tüten mit einer Stärke von 0,05 Millimetern zu verbieten. (Mehr zum Thema steht z.B. bei tagesschau.de.)

Im Vergleich zu den europäischen Nachbarn verbrauchen die Deutschen schon mal gar nicht so viele Tüten. Damit es aber noch weniger werden, hat sich der Düsseldorfer Edeka-Händler Rüdiger Zurheide eine Alternative einfallen lassen: eine Box aus Wellpappe, die sich besonders für den Heimtransport der Lebensmittel im Auto eignet und – bestenfalls nach mehrfacher Nutzung – im Altpapier entsorgt werden kann. Im Gespräch mit dem – ähm: Fachorgan „Wellpappe Report“ erklärt Zurheide:

„Die Resonanz unserer Kunden ist bisher durchweg positiv. Wir wissen ja, dass Verbraucher umweltverträgliche Verpackungen auf Papierbasis bevorzugen.“

(Wobei die scheinbar einfachste Lösung gar nicht immer die richtigste ist, wie Supermarktblog-Leser wissen.)

Auch ein „Komplettverzicht“ auf Plastiktüten sei „langfristig“ gesehen möglich, meint der Edeka-Händler.

Die Britin Catherine Conway ist in dieser Hinsicht schon ein paar Schritte weiter. Vor sieben Jahren eröffnete sie in London ihren Lebensmittelladen „Unpackaged“, in dem Nudeln, Nüsse, Mehl, Linsen, Reis, Öle, Säfte und Wein verkauft werden – und zwar ohne jegliche Verpackung.

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Die Kunden müssen eigene Transportboxen mitbringen, zum Beispiel Tupperdosen und Flaschen. Wer zum ersten Mal im Laden ist und noch nichts dabei hat, kriegt ausnahmsweise auch mal eine Papiertüte. Die meisten Nahrungsmittel lagern in durchsichtigen Containern, die Tupperdose wird drunter gehalten, um die gewünschte Menge abzufüllen. Und weil die Transportbehältnisse vorher gewogen werden, lässt sich das Gewicht nachher von der Einkaufsmenge abziehen.

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Wer es nicht eilig hat und ein bisschen Zeit mitbringt, kann im Laden-Café eine Kleinigkeit zu Mittag essen oder einen Kaffee trinken.

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Für Großeinkäufer und Sparfüchse eignet sich Unpackaged eher nicht, weil die Preise nicht mit denen der Discountern mithalten können und es auch ein bisschen doof ist, den halben Tupperdosenhausrat regelmäßig durch die Stadt zu tragen. Aber als Referenz an frühere Tante-Emma-Läden und vor allem als Statement gegen aufgeblasene Produktverpackungen, die mehr Inhalt suggerieren als tatsächlich drin steckt, ist Unpackaged eine schöne Einkaufsalternative.

Und weil gute Ideen auch über Landesgrenzen hinweg funktionieren sollen, probiert das Team von Original Unverpackt bald mal in Berlin, ob das verpackungsfreie Einkaufen auch was für Deutschland ist. jetzt.de hat gerade ausführlich darüber geschrieben.

Fotos: Supermarktblog

Nachtrag, 29. Dezember: Schlechte Nachrichten aus London, Unpackaged wird schon im Januar 2014 geschlossen. Im Blog berichtet die Gründerin, das integrierte Café habe vom eigentlichen Laden abgelenkt. (Eine etwas seltsame Begründung.)  Offensichtlich soll nach Alternativen für eine Neueröffnung gesucht werden.

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24 Kommentare
  • Ich kann mir schon vorstellen wie toll das wird im Laden angeraunzt zu werden das man keine Tupperdosen dabei hat, das wird ein voller Erfolg! Bei meinem Gemuesestand in der Markthalle gebe ich einfach den Jute-Beutel ab und alles wird da reinverpackt, oder es gibt Plastiktueten die dann als Muellbeutel dienen.

  • Die Box aus Wellpappe ist an sich (für mit_auto-Einkäufer) eine gute Idee – aber das könnte man auch einfacher haben:
    Indem man nämlich einen Teil der eh anfallenden Warenkartons ganz offiziell als Tütenersatz bereitstellt, so dass die Kunden sie sich nicht aus dem Rollcontainer angeln müssen, wie (nicht nur) ich das bei Kaufland, LIDl und Aldi schon jetzt praktiziere…

    Macht nicht mehr Müll, als eh schon entsteht – der Karton wird halt dann erst zuhause beim Kunden (hoffentlich) ins Altpapier geworfen und nicht schon im Laden.

    • Auch nicht ganz optimal, weil Karton in den Läden inzwischen meist getrennt vom Papier gesammelt wird und so besser verwertet werden kann als über die übliche gemischte Haussammlung (teilweise sammeln Wertstoffhöfe Kartons getrennt, aber mit dem Auto extra hinfahren rentiert natürlich auch nicht). Wobei die direkte Zweitverwendung sicher besser ist als eine Extraverpackung (wenn sie nicht oft wiederverwendet wird), die letztlich auch in der normalen Haussammlung endet.

      Insgesamt halt ich aber in Deutschland auch nicht die Transportverpackungen vom Laden nachhause für das Hauptproblem, sondern viele Produktverpackungen. Insbesondere bei Wurst ist das in den letzten jahren noch viel schlimmer geworden; da steht oft die Verpackung in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum Inhalt. Das Trockensortiment, das man sich leicht selber abfüllen könnte, ist da eher das kleinste Problem.

      Übrigens verkauft Lidl neuerdings geröstete Mandeln und Pistazien völlig offen (aber wohl nicht zur Abfüllung in mitgebrachte Behältnisse). Da bin ich gespannt, wie lang es dauert, bis das von deutschen Behörden gestoppt wird.

  • Mir ist immer etwas schleierhaft, wieso die öffentliche Dikussion sich immer so auf Einkaufstüten einschiesst. Denn wie im Artikel ja erwähnt, ist Deutschland diesbezüglich schon recht vorbildlich. 1. Gibt es Tüten im Supermarkt allgemein nicht gratis und 2. sind es meistens recht dickwandige Tüten, die zur Mehrfachverwendung einladen.
    Die in der Einkaufstüte transportierten Verpackungen sind vom Müllaufkommen doch vermutlich um den Faktor Hundert höher als die Tüte selbst. Wieso diskutiert man also nicht lieber EU-Strafgebühren für Einweglebensmittelverpackungen? Oder auch für Eingwegverpackungen allgemein?

  • Klingt erst mal ganz spannend – und eigentlich für die deutsche Mülltrennungsseele die richtige Idee.
    Aaaber, ich stimme meinen Vorrednern zu, dass die Plastiktüten kaum das Problem sind. Eher schon die Lebensmittelverpackungen bei naturverpacktem Obst – muss man eine Kokosnuss z.B. wirklich noch Plastik verschweißen!?
    Oder, wenn ich mal in meinem Laden schaue. Muss wirklich jedes Fotoalbum, jeder Bilderrahmen in Folie verschweißt sein?
    Und könnte man SD-Speicherkarten, USB-Sticks oder Kabel nicht auch anders verpacken als in 10x so großen Plastikbombern, die definitiv im Müll landen.
    Da gäbe es noch eine Menge Potential ehe man an die Tüten ranmüsste.

    • Bei Speicherkarten, Sticks und ähnlichen Artikeln ist das Hauptargument der Verpackungsgestaltung glaube ich der Diebstahlschutz. Diese Waren sind klein und eher hochpreisig – eine verführerische Kombination; daher werden sie großformatig und formstabil so verpackt, dass man sie nicht mal eben in die Hosen- oder Jackentasche stopfen kann.

    • Diebstalschutz: Genau, deshalb funktioniert das bei kleinen Dingen wie SD-Karten ohne riesige Verpackung nur im Versandhandel (‚Amazon frustfreie Verpackung‘) oder in Läden, wo man solchen Krempel an der Theke abholt (Computerläden wie Arlt).
      In den Fällen hat das auch finanzielle Vorteile für den Verkäufer, Akkus z.B. sind lose im großen Karton (bulk) günstiger einzukaufen als einzeln in aufwändiger Blister-Verpackung.

  • Mir ist die Sache immer noch nicht klar:
    Ich kaufe 6 Äpfel. Wie soll ich die verpacken, um sie zu wiegen und zur Kasse zu bringen? Papiertüten wären möglich, aber a) sind diese Papiertüten meines Wissens auch nicht der letzte Umweltschrei und b) sieht die Kassiererin nicht, ob wirklich das drin ist, was außen draufsteht.
    Wie also soll das dünne Obst-Plastiksackerl ersetzt werden? (Ich rede nicht von der Tüte, die an der Kasse ausliegt.)

    • Ähm – ganz einfach: Äpfel lose abwiegen, Aufkleber auf einen draufpappen, in den Wagen legen, aufs Kassenband legen, fertig. Bei sechs Äpfeln dürfte das wohl noch zumutbar sein.

  • Wenn es um Tütenverbote geht, denkt jeder immer zuerst an den Supermarkt. Klar, da werden viele Tüten verkauft. Aber man sollte vielleicht auch mal an die vielen anderen Geschäfte denken, wo man die Tüten kostenlos bekommt bei jedem Einkauf. Und das oft ungefragt und wenn man sagt „ich brauche keine Tüte, dass passt hier noch rein“ wird man böse angeguckt.

    Und die Aufregung ist mal wieder groß, vielleicht schon reflexartig, weil die böse EU mal wieder was verbieten will. In Deutschland werden zwar relativ wenig Tüten verbraucht, aber wenn man sich unsere Nachbarn anschaut, dann ist so eine EU-weite Regelung zur Reduzierung des Tütenverbrauchs sicher sinnvoll.

  • In San Francisco sind Plastiktüten seit 2010 verboten.Warum ist das bei uns ein Problem?

    Die Klamottenläden drucken Ihre Werbung auf z. B. Jutetaschen und wenn man eine braucht, muss man sie für z. B. € 15,- kaufen. Die werden dann garantiert wiederverwendet.

    • Einer unserer Kunden lagert auf einer Bühne Plastiktüten, man denkt ja die wiegen nicht viel, aber in der Masse kommt da ganz schön was zusammen

  • Wenn ich keine Tüte möchte, sage ich das! Gerade wenn man in der Innenstadt unterwegs ist, hier und da was kauft, bekommt man Tüten, Tüten, Tüten…
    und meist bekommt man immer noch etwas in die Tüte, die man bereits hat! Im letzten Jahr hatte ich bei Karstadt mal das Erlebnis, beim Kauf eines Deo Sets, wollte mir die Dame am Tresen dringend eine übergroße Tüte geben mit dem Hinweis, da bekommen sie die Kaufhof und Rossmann Tasche mit rein! Ganz einfach Antwort:“ich bekomme das Deo auch in die Kaufhof Tasche! “ 😉
    Zum Einkaufen nutzen wir Transportboxen und Hartplastik Tragetaschen! Meiner Meinung nach sollte man bereits bei Lebensmittel anfangen Verpackungen zu sparen und wenn es nur 1cm an der einen oder anderen Kellogspackung ist! Bei einigen Produkten mache ich mir nichts vor, die Packung ist extra grössere als der Inhalt an Platz braucht, einfach nur um aufzufallen!

  • Ich sehe auch nicht, was gegen einen vermehrten Einsatz von Pappe/Papier-Tüten spricht. Mode-Geschäfte handhaben das oft eh schon so und im Supermarkt darf die Papier-Tüte auch ruhig ein paar Cent kosten.
    Wer ein bisschen mitdenkt, kann sich stets ganz einfach einen Beutel oder eine Tüte von zu Hause mit zum Einkaufen nehmen!

  • […] Hül­len­lo­ses Geschäft: Drei Ber­li­ne­rin­nen sagen dem Ver­pa­ckungs­müll im Super­markt den Kampf an: Sie wol­len kom­men­des Jahr „Ori­gi­nal Unver­packt“ eröff­nen — einen Lebens­mit­tel­la­den, der fast kom­plett auf Ein­zel­ver­pa­ckun­gen ver­zich­tet. Kun­den sol­len dort Glä­ser, Tup­per­do­sen und Tüten selbst mit­brin­gen und so viel abfül­len, wie sie brau­chen. Jetzt und Qiez berich­ten über die Idee der drei Ber­li­ne­rin­nen; der Super­markt­blog blickt über die Lan­des­grenze, wie andern­orts Ver­pa­ckungs­müll ein­ge­spart wird. Jetzt (Ori­gi­nal Unver­packt), Qiez (Ori­gi­nal Unver­packt), Super­markt­blog […]

  • @Gerald Fix: Viele Supermärkte wiegen doch inzwischen direkt an der Kasse ab.

    In dem Fall kann man doch Gruppen von Obst und Gemüse ohne Tüte in den Einkaufswagen legen und die Kassiererin schiebt die einfach auf die Wiegefläche.

    Bei mir kommen nur noch besonders empflindliche Früchte in eine Tüte, alles andere darf so im Wagen fahren.

  • Ich finde das „Tütenproblem“ wird in Deutschland übertrieben. In den USA und vielen anderen Ländern, in denen man inflationär die dünnen Fitzeltüten bekommt, verstehe ich die Debatte. Hierher wurde die „Plastiktüten sind schlimm“-Debatte – auch über EU-Vorstöße – importiert, aber ich finde sie nicht passend.

    Einkaufstüten stellen vielleicht 1% meines Gesamt-Kunststoff-Verbrauches. Ich verbrauche wahrscheinlich mehr Mülltüten als Einkaufstüten. Warum sprechen alle über meine zwei Plastiktüten pro Woche – die dann auch als Mülltüten enden – aber kaum jemand über Mülltüten? Oder Joghurtbecher? Oder Kaffeekapseln (okay, das kommt immer mal wieder)? Oder diese nervige, eingeschweißte Werbezeitung von der Deutschen Post mit Millionenauflage?

    Ich finde den gesellschaftlichen Plastikverbrauch diskutierenswert. Aber warum immer nur die Einkaufstüten? Ich vertraue darauf, dass die hier in Deutschland entsorgt und ggf. zur Energiegewinnung verbrannt werden. Wir haben größere Probleme und davon lenken solche „Trenddiskussionen“ immer wieder ab…

    (Dennoch: Natürlich ein interessanter Beitrag hier, auf den habe ich mit meinem Rant nicht gezielt!)

  • Am Schönsten fand ich letztes Jahr in Kuala Lumpur den Plastiktüten freien Sonntag 🙂 Leider durfte ich den Aufkleber in zwei Läden, in denen ich war nicht fotografieren.
    Jetzt da ich kaum noch Tüten beim Einkaufen einfordere, sondern mit einer grossen Tasche habe ich ein neues Problem: das Fehlen von Mülltüten – muss ich jetzt Müllbeutel kaufen?

    • Es gibt auch Abfalleimer, die so dicht sind, dass man sie direkt benutzen kann. Muss man dann halt eventuell einmal im Jahr auswaschen, aber nachdem Kompostierbares heute normalerweise wieder getrennt gesammelt wird, ist das meistens bloß da ein Problem. Die paar Sachen, die sonst den Abfalleimer stärker versauen könnten, kann man auch in kleinere Plastikverpackungen tun, die in der Regel eh reichlich anfallen.

  • Gestern habe ich mir einen kleinen Stadtrucksack gekauft … Ich sitze gerade damit im Café und schreibe was vor mich hin und mache Recherche zum Thema „unverpackt“.

    Also gestern. An der Kasse.

    Die Kassiererin fragte mich:
    „geht das so oder soll ich ihnen den in eine Tüte packen?

    ich meinte dann humorvoll.
    „ich soll also ein Tagedings in ein Tragedings einpacken?“

    Die Schlange teilte meine humorvolle Bemerkung dazu,

    Sie meinte es nicht böse, das war natürlich ein Fragereflex, aber lustig (und ja … eine typische Situation) war es schon 🙂

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