Den Tiefkühlmarkt verstehen – in nur 3 Minuten

Den Tiefkühlmarkt verstehen – in nur 3 Minuten

Inhalt:

Weil die Umsätze im Handel nicht mehr wachsen, versuchen Tiefkühlhersteller, der Konkurrenz mit immer neuen Produkten Marktanteile abzujagen. Vor allem für kleinere Produzenten wird das zur Herausforderung.

Partner:

„For the First Time Anywhere, The most revolutionary idea in the history of food will be revealed in Springfield today“,

stand am 6. März 1930 auf Seite 3 in einer ganzseitigen Anzeige im „Springfield Daily Republican“, die die von Clarence Birdseye gegründete General Foods Corp. dort geschaltet hatte. Und tatsächlich: Erstmals konnten Kunden in zehn Läden Tiefkühlkost für den Heimgebrauch kaufen, vom Spinat bis zum Porterhouse Steak. 86 Jahre später ist die Revolution ein bisschen ins Stocken geraten, zumindest was die Beliebtheit der tiefgeforenen Lebensmittel im Supermarkt angeht.

Sabine Eichner vom Deutschen Tiefkühlinstitut (dti) sieht das freilich ein bisschen anders:

„Tiefkühl kauft jeder. Die Käuferreichweite für TK-Produkte beträgt 98 Prozent. Bei den jüngeren ist die Pizza der Klassiker, Familien kaufen eher Gemüse, weil sie nicht täglich in den Supermarkt gehen können, wenn die Zeit knapp ist.“

Umsätze

Sobald’s draußen aber wärmer wird, gehen auch die Umsätze mit Tiefkühlkost zurück. Zumindest meldete die GfK im vergangenen Sommer ein Umsatzminus von fast 4 Prozent für Juli (Speiseeis nicht eingerechnet) und erklärte dazu:

„(…) in der heißen Jahreszeit greifen die Haushalte eben seltener zu Fertiggerichten und Pommes Frites. Auch beim rohen Gemüse gab es im Juli einen deutlichen Einbruch. Der Tiefkühlkost geht es aber schon das gesamte bisherige Jahr über nicht gut.“ (PDF)

Die Hauptursache seien eine rückläufige Einkaufshäufigkeit und damit reduzierte Ausgaben pro Haushalt. Das dti sah den Markt im September 2015 dagegen „deutlich im Plus“. Das liegt u.a. daran, dass das dti – anders als die GfK – auf die Absatzzahlen schaut, die ihm von den eigenen Mitgliedsunternehmen gemeldet werden. Außerdem werden die Mengen von Lieferdiensten wie Bofrost und Umsätze im „Außer-Haus-Markt“ eingerechnet (also Tiefkühlkost, die z.B. in Kantinen und Schnellimbissen verwendet wird).

Im Lebensmittelhandel ging die Absatzmenge zuletzt aber ganz klar zurück. Kein Wunder, dass die Abteilungen in den Läden wohlfühliger werden sollen.

Die „Lebensmittel Zeitung“ schätzt den Umsatz der TK-Branche auf 6 Milliarden Euro. Schon jetzt gehen im Handel über 50 Prozent aufs Konto der Eigenmarken von Supermärkten und Discountern. Für die Hersteller klassischer Marken wird es schwerer, einen Platz in den Truhen zu ergattern. Wenn dann auch noch die Umsätze rückläufig sind, müssen sich die Unternehmen, wenn sie trotzdem wachsen wollen, Marktanteile von der Konkurrenz holen.

Das hat Einfluss auf die Entwicklung im Markt:

Produkte

  • Frosta z.B. verkauft seit 2014 MSC-zertifizierte Fischstäbchen und Schlemmerfilets, um dem Mitbewerber Iglo das Feld nicht alleine zu überlassen.
  • Iglo verlässt sich längst nicht mehr nur auf Fisch, sondern produziert z.B. auch Geflügel-Produkte, mit orthografisch zweifelhaften Namen wie „Käpt’ns Chicken Burger“. Seit einiger Zeit wird spekuliert, dass es bald auch Tiefkühl-Croissants geben könnte. (Hat das Unternehmen bislang aber meines Wissens noch nicht gebacken bekommen.)
  • Dr. Oetker ist mit dem „Pizzaburger“ (und ordentlichem Werbeaufwand) ein Erfolg gelungen: zwei tiefgekühlte Brötchenhälften mit Pizzabelag, die getrennt aufgebacken und dann zusammengepappt werden (in den Geschmacksrichtungen: Salami, Thunfisch, BBQ Chicken und Alien-Mousse; [eins davon ist gelogen]).
  • Nestlè Wagner hat überbackene Ofenbrote unter dem Namen „Wagner Rustipani“ auf den Markt gebracht, die den Pizzabaguettes der Konkurrenz gefährlich werden sollen.
  • Alle großen Hersteller springen gerade auf den Trend zu vegetarischen und veganen Produkten auf und holen „Veggie“-Linien ihrer TK-Produkte in die Truhen, nachdem sie das lange verpennt haben: Vegetarische TK-Pizza ist in vielen Discountern immer noch eher die Ausnahme.

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  • Auch Lizenzen bekannter Marken sollen beim Verkaufen helfen: z.B. liegen unter dem Namen der Steakhauskette Blockhouse tiefgefrorene Rindfleisch-Patties für Burger in den Truhen.

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  • Im Ausland (und vermutlich bald auch bei uns) kurbeln Smoothie-Pads die Umsätze an: gefrorene Früchte, die man sich zuhause nicht mehr selbst pürieren muss, sondern einfach ins Glas reintauen und mit anderen Geschmacksrichtungen mischen kann.

„Die Lebenswelten der Kunden verändern sich: Convenience-Produkte werden stärker, Snacks sind beliebt, es sind weniger große Packungen gefragt – also statt der riesigen Geburtstagstorte eher ein kleinerer Kuchen. Deshalb verändert sich das Angebot“, sagt Sabine Eichner.

Hersteller

Das bedeutet auch: Unternehmen, die sich bloß auf das verlassen, was sie schon immer schockgefrostet haben, werden auf Dauer Probleme kriegen, weil die Konkurrenz größer wird. Kleinere Firmen, die nicht die notwendigen Investitionen aufbringen können, um sich z.B. eine nagelneue Pizzaburger-Anlage anzuschaffen, werden leichter zu Übernahmekandidaten.

Ohnehin nimmt die Konzentration im Tiefkühlmarkt derzeit massiv zu, ohne dass die Kunden davon etwas mitbekämen. Die bekannten Marken gibt’s weiterhin im Laden. Aber die Struktur der Eigentümer verändert sich.

Zum Beispiel Coppenrath & Wiese:

  • Seit Mitte 2015 gehört der Tiefkühltorten-Hersteller zu Dr. Oetker. Nach dem Tod des Gründers Aloys Coppenrath im März 2013 soll es in der Familie Streit über die Weiterführung des Unternehmens gegeben haben.
  • Nach langer Hängepartie einigten sich die Erben auf einen Verkauf. Dr. Oetker hat zugesagt, keine Stellen zu streichen und bringt die Coppenrath-Produkte jetzt auch ins Ausland, um dort zu wachsen.

Zum Beispiel Pickenpack:

  • Kennen Sie vielleicht nicht, ist aber bislang einer der größten deutschen Fischverarbeiter Deutschlands, der TK-Fisch für Discounter liefert.
  • Ende des vergangenen Jahres meldete das Unternehmen überraschend Insolvenz an; die „Lebensmittel Zeitung“ schreibt von juristischen Auseinandersetzungen der asiatischen Muttergesellschaft Pacific Andes. Es habe aber auch Klagen über niedrige Preise für Fischstäbchen und steigende Rohstoffkosten gegeben. (Das ist die Kehrseite davon, dass die Fischstäbchen im Discounter so selten teurer werden.)

Zum Beispiel Iglo:

  • Die Marke ist Tiefkühlmarktführer in Deutschland, Österreich, Italien (Findus) und Großbritannien (Birds Eye) und wurde im vergangenen Jahr vom Beteiligungsunternehmen Permira für 2,6 Milliarden Euro verkauft – deutlich mehr, als Permira 2006 an den Lebensmittelkonzern Unilever gezahlt hat, der die Marke loswerden wollte.
  • (In den USA gehört die Marke Birds Eye einem anderen Unternehmen: Pinnacle Foods.)
  • Permira wiederum wollte Iglo verkaufen, weil die Umsätze seit 2011 rückläufig waren. Nestlé war als Käufer im Gespräch, konnte sich aber mit Permira nicht auf einen Preis einigen. Zugeschlagen hat schließlich der US-Finanzinvestor Nomad Foods, den es überhaupt erst seit 2014 gibt (gegründet von den Investoren Noam Gottesman und Martin E. Franklin).
  • Nomad hat bekannt gegeben, weitere Firmen übernehmen zu wollen. Der Investor baut sich ein kleines Tiefkühlimperium, will durch die Zusammenlegung der Unternehmen Kosten sparen (35 bis 40 Millionen bei der Findus-Übernahme) und den Iglo-Umsatz bis zum Jahr 2020 auf 3,2 Milliarden verdoppeln.

Für Firmen, die in nächster Zeit nicht vorhaben, Weltmarktführer zu werden, ist der Branchenwandel derzeit also ganz gewiss kein Eisschlecken.

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Und dann pfuschen auch noch die Verbraucher dazwischen, die sich daran gewöhnt haben, dass Supermärkte und Discounter sie mit immer größeren Frischeabteilungen locken: gekühlten fertigen Nudeln, gekühlten Snacks, gekühlten Veggie-Schnitzeln, gekühlten Minikarotten, gekühlten Fertiggerichten. Das meiste, was es früher ausschließlich in der TK-Truhe gab oder vor dem Verzehr noch aufwendig geschält oder zubereitet werden musste, gibt es inzwischen auch in alternativen Kühlzuständen. Und wir haben uns daran gewöhnt, das frischer zu finden.

Tiefkühlinstitut-Geschäftsführerin Sabine Eichner ärgert das:

„Bei Fertiggerichten verstehe ich nicht ganz, warum es für Konsumenten interessant ist, gekühlte Ware zu kaufen. Eingefrorene Gerichte behalten ihre Frische. Gekühlte haben im Frischebereich ein Mindesthaltbarkeitsdatum von 28 Tagen. Wenn Sie zuhause was frisch zubereitet haben: Würden Sie das 28 Tage in den Kühlschrank stellen und dann noch ‚frisch‘ finden?“

Klingt überzeugend. Hilft aber nix: Viele Verbraucher wissen zwar, dass Tiefkühlgemüse durch die Schockfrostung nach der Ernte seine Nährstoffe behält.

Dass Tiefkühlessen trotzdem nicht das Frische-Image hat, das sich die Hersteller wünschen, ist ihre eigene Schuld. Weil ein Großteil des Umsatzes vor allem auf Fertigessen entfällt (und wir als Kunden Pferdefleischskandal und Analogkäse-Aufregung schon längst wieder vergessen haben).

Es ist ja kein Zufall, dass die Tiefkühlrevolution nicht von einer völlig neuen Brokkolisorte angeführt wird. Sondern vom Pizzaburger mit 1000 Kalorien pro Portion. Das ist, wenn’s den Leuten schmeckt, nicht weiter schlimm. (Obwohl: doch – was kommt sonst als nächstes? Die Fischstäbchentorte?) Aber halt ein Problem, wenn sich die Branche gleichzeitig ein grünes Gemüsemäntelchen umhängt, um uns weiszumachen, wie gesund ihre Produkte sind.

So. Und wer gründet jetzt mit mir ein Tiefkühlimperium?


Bisher erschienen:

Fotos (3): Supermarktblog

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6 Kommentare
  • Werte Tiefkühlinstitut-Geschäftsführerin Sabine Eichner, eine „frische“ gekühlte Pizza schmeckt m.E. einfach besser als ihr TK-Pendant, das ist doch wohl das maßgebliche Kriterium. Und wer Fertiggerichte für den sofortigen Verzehr kauft, weiß den Entfall lästiger Auftauzeiten zu schätzen.

  • Bin dabei. Wir sollten uns zunächst auf die Produkte Limettenkaviar, Kaktusfeigensaft und Schildkrötensuppe (von Flußschildkröten) beschränken. Langfristig sollte es unser Ziel sein, ein Frostpatent zum optimalen Einfrieren von Tomaten zu entwickeln.

    Danke aber für den Link zu diesen Fruchtpaketen – tollerweise haben die ja auch Fruchtmus von Früchten, die man bei uns ansonsten gar nicht so leicht bekommt (Borojo, Lulo, Erdbeere, Feijoa…).

  • Die Konzentration auf dem Lebensmittelmarkt kann weder für die Verbraucher noch für den Handel gut sein. Darum kaufe ich gerne Artikel, die nicht von Nestle, Unilever, Mondelez, usw. kommen.

  • […] Eis: Im Super­markt­blog gehen die Tief­kühl­wo­chen wei­ter — dies­mal mit einer span­nen­den Abhand­lung über „Den Tief­kühl­markt ver­ste­hen — in nur 3 Minu­ten“. Was frei­lich auch nach der Lek­türe auf Unver­ständ­nis stößt: Wie kann ein Pro­dukt wie der Piz­zabur­ger nur zum Erfolg wer­den? Super­markt­blog […]

  • Der Grund, warum viele Verbraucher (also jedenfalls solche wie ich) lieber gekühltes Convenience kaufen als tiefgekühltes, ist nicht, weil sie es „frischer“ fänden, sondern weil es bei Convenience eben um das geht: um Faulheit. Ein Pastagericht aus der Kühltheke braucht in der Mikrowelle 2 Minuten, das aus der Tiefkühltruhe 14, also sieben Mal so lange.

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