Amazon Freshs Europa-Start – in Zahlen erklärt

Amazon Freshs Europa-Start – in Zahlen erklärt

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Seit Donnerstag liefert Amazon mit seinem Dienst „Fresh“ Lebensmittel in London an die Wohnungstüren. Wie funktioniert das, wie reagiert die Konkurrenz und was hat das für den deutschen Markt zu bedeuten?

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Seit Donnerstag liefert Amazon mit seinem Dienst „Fresh“ Lebensmittel in London an die Wohnungstüren, vorerst ohne eigene Lieferfahrzeuge (wie oben auf dem Foto in den USA). Der Europa-Start in Großbritannien könnte eine Blaupause für Deutschland sein: Den Briten lieferte Amazon auch erst Lebensmittel in der Paketbox („Pantry“) und schob dann die schnelle Zwei-Stunden-Lieferung beliebter Produkte inklusive Lebensmitteln nach („Prime Now“). Beide Dienste gibt es inzwischen auch hierzulande.

Wie funktioniert Fresh in London, wie reagiert die Konkurrenz und was hat das für den deutschen Markt zu bedeuten?


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Nicht in der ganzen Stadt, sondern zunächst im Norden und Osten liefert Amazon Fresh derzeit nachhause. Wer bis 13 Uhr (1 pm) bestellt, bekommt die Lieferung noch am selben Tag heimgebracht. Amazon setzt – wie bei Prime Now – von Anfang an auf Schnelligkeit, um sich gegen die Konkurrenz zu etablieren.

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So viele Produkte hat der neue Lieferdienst nach eigenen Angaben im Sortiment, irre viel Zeug. Dazu gehören nicht nur bekannte Markenartikel. Amazon hat außerdem einen Deal mit der britischen Supermarktkette Morrisons, die ihre Eigenmarken zur Verfügung stellt. (Und damit die eigenen Online-Bemühungen ad absurdum führt.)

Um als vollwertiger Lieferdienst wahrgenommen zu werden, bietet Fresh im großen Umfang frisches Obst und Gemüse, Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Backwaren – all das, was sich bislang also nicht so einfach per Box liefern ließ, weil für eine durchgehende Kühlung gesorgt werden muss. Die dazu gehörige „Frische-Garantie“ fällt beim Bestellen direkt ins Auge.

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Der eigentliche Knackpunkt ist: der Preis. Der „Guardian“ berichtet, Amazon wolle Markenprodukte etwas günstiger als die vier großen Supermarktketten des Landes anbieten. Auf Liefergebühren mag der Konzern aber nicht verzichten. Zunächst einmal können nur Prime-Abonnenten das Angebot nutzen, wofür Amazon UK jährlich 79 Pfund verlangt (rund 100 Euro). Für Fresh kommen monatlich 6,99 Pfund dazu, um kostenlos beliefert zu werden – sofern der Mindestbestellwert von 40 Pfund eingehalten wird. (30 Tage testen kostet nix.)

Das heißt: Wer sich regelmäßig Butter, Brokkoli und Brombeeren von Amazon vorbeibringen lässt, muss dafür jährlich über 200 Euro investieren. Ein ganz schönes Sümmchen – vor allem, da Aldi und Lidl die Kunden auf der Insel gerade daran gewöhnen, immer billiger einzukaufen. (In den USA sind es 299 Dollar.)

Zum Vergleich: Rewe arbeitet in Deutschland mit seinem Lieferservice bislang ohne Grundgebühr. In Berlin ist eine Lieferung zu vernünftigen Zeiten (Zwei-Stunden-Fenster, morgens oder abends) aktuell für 3,90 Euro möglich. Wer zweimal im Monat bestellt, kommt auf knapp 94 Euro im Jahr. Wer sich einen Großeinkauf liefern lässt, zahlt effektiv gar nichts: ab 100 Euro fallen die Lieferkosten weg (ggf. kommt aber ein Getränke-Aufschlag hinzu, damit Sie beim Kopfrechnen nicht einrosten.)

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lieferpass01Das verlangt Billa (in Euro) für seinen neuen „Lieferpass“. Mit dem kopiert die österreichische Rewe-Tochter quasi das Amazon-Modell für Lebensmittel-Lieferungen. Wer die monatliche Gebühr bezahlt, kann dafür (zumindest vorerst) bestellen so oft er will. (Zur Einführung schenkt Billa die doppelte Laufzeit dazu.)

Der Deal gilt nur für Mitglieder im Billa-eigenen „Vorteils-Club“. Damit kann die Supermarktkette ausprobieren, wie die Bestell-Flatrate bei den Kunden ankommt – und ob sich Amazon vielleicht ein Stück weit mit den eigenen Waffen schlagen lässt.

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Der Trumpf, mit dem Amazon Fresh in London aufwarten kann, sind 50 lokale Produzenten und Läden, deren individuelle Produkte ebenfalls nachhause geliefert werden (wie schon in den USA; siehe Supermarktblog). Dabei sind u.a. der Edel-Bäcker Gail’s Artisan Bakery, die Käse-Spezialisten Paxton & Whitfield und Händler vom Borough Market.

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So hoch schätzen laut Fachmagazin The „Grocer“ (Paywall) britische Analysten den Marktanteil, den Amazon Fresh in den kommenden Jahren in Großbritannien erreichen könnte. Dann wäre die ganze Aufregung aber schön umsonst gewesen. (Und wenn nicht, haben bis dahin bestimmt alle vergessen, was die Analysten damals für einen Quatsch geredet haben.)

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„Frühestens im Herbst“: Über dieses Startdatum für Amazon Fresh in Deutschland spekuliert das „Manager Magazin“. Auch die „Süddeutsche Zeitung“ will „aus Unternehmenskreisen erfahren“ haben, dass es im September losgeht – und zwar in Berlin, wo sich Amazon derzeit im Norden der Stadt, nicht weit vom Tegeler Flughafen, in einem Industriegebiet breitmacht. Auf einem Gelände der ehemaligen Borsigwerke (einem großen Dampflokomotiven-Hersteller) ist hinter historischen Ruinen, in denen die Bäume an die kaputten Dächer wachsen, ein neues Verteilzentrum hochgezogen worden.

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Wer genau hinsieht, entdeckt auf einem notdürftig angeklebten Papierschild, wer hier das Sagen hat: Amazon.

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Aktuell wird das Zentrum als Basis für Amazons eigenen Berlin-Paketdienst genutzt: Seit Mitte April werden von Tegel aus Bestellungen mit eigenen Kurierpartnern ausgefahren (statt mit DHL oder Hermes). 90 Fahrzeuge seien aktuell unterwegs, vornehmlich in den Bezirken Charlottenburg-Wilmersorf und Mitte, berichtet die „Deutsche Verkehrs-Zeitung“ (DVZ, Paywall). Seit Wochen wird aber auch schon in den Prenzlauer Berg im Osten der Stadt geliefert.

Als Standort für Frischelogistik sei Tegel nicht eingeplant, erklärt Amazon laut „DVZ“. Platz wäre allerdings reichlich, mehr noch als Rewes Lieferdienst mit seinem Verteillager in Berlin-Pankow hat.

Zunächst einmal stößt Amazon jetzt bei der klassischen Paketzustellung auf Probleme, die auch die Wettbewerber haben: Ist ein Empfänger nicht da, klebt der Kurier einen Benachrichtigungszettel an die Tür und gibt das Paket beim Nachbarn ab.

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Das könnte sich erledigen, wenn es gelänge, den Fresh-Service mit der Lieferung von Artikeln aus dem klassischen Sortiment zu kombinieren, wie es Amazons (schon öfter erklärtes) Ziel ist. Dafür wäre eine räumliche Verknüpfung wichtig. Warum sollen das bestellte Buch, der Kopfhörer und das neue Smartphone nicht zusammen mit den Lebensmitteln fürs Wochenende an die Tür gebracht werden? Zumal die Kunden dann ganz bestimmt zuhause sind, damit die Milch kaltgestellt werden kann.

Aufmacherfoto: Amazon Fresh truck on Capitol Hill (USA): SounderBruce, CC BY-SA 2.0 via Flickr

Fotos: Supermarktblog

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3 Kommentare
  • Wieder ein sehr schöner Artikel mit vielen tollen Informationen.
    Nur eines hätte ich:
    „Um als vollwertiger Lieferdienst wahrgenommen zu werden, bietet Fresh im großen Umfang frisches Obst und Gemüse, Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Backwaren – all das, was sich bislang also nicht so einfach per Box liefern ließ, weil für eine durchgehende Kühlung gesorgt werden muss.“
    Bei Backwaren könnte man m.E. auf eine durchgehende Kühlung verzichten, oder?

  • „Der eigentliche Knackpunkt ist: der Preis“. Eben. Ich bin aus Prinzip kein Prime-Kunde, ich sammle meine Amazon-Bestellungen so lange, bis ich über 29 Euro Bestellwert komme, und dann soll ich 200 Ocken im Jahr für etwas hinblättern, was ich bei Rewe für lau kriege, wenn ich genügend Vorräte ordere? Sorry, das sehe ich nicht.

    Dabei geht es mir nicht darum, dass ich nicht grundsätzlich bereit wäre, für die Haustürlieferung von Lebensmitteln zur Wunschzeit Geld zu bezahlen (und wenn es in Form von Trinkgeld für den Zusteller ist). Aber ich schließe grundsätzlich keine Abos ab (einzige Ausnahme: das Titanic-Abo). Weiß ich heute, ob ich das in drei Monaten noch nutze? Und dann muss ich’s erst wieder kündigen und es gibt Restlaufzeiten… nee, mach ich nicht.

    • Ist zwar ein schöner Vorsatz. Allerdings sollten Sie sich mal mit den aktuellen Gegebenheiten auf dem Internetmarkt auseinandersetzen.

      Mittlerweile ist eine sofortige Kündigung (bzw. zum Ende des aktuellen Monats) ja eher die Regel denn die Ausnahme, ob bei Amazon, Netflix, Google oder sonstigen Internetgrößen.

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