Im nächsten Leben werd’ ich Supermarkt: Recycling-Einkauf bei Marqt Gelderlandplein

Im nächsten Leben werd’ ich Supermarkt: Recycling-Einkauf bei Marqt Gelderlandplein

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Die niederländische Quasi-Biokette Marqt baut sich reinkarnierte Gewächshäuser und Schiffscontainer mit Kaffeeausschank in ihre Läden mit Industriehallen-Design. Notfalls auch, wenn die in einem hochglanzpolierten Einkaufszentrum liegen.

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Es gibt zwei Sorten von Supermärkten in Einkaufszentren: Die einen werfen ihr Schachbrettregalmuster über der (Neubau-)Fläche ab und fangen augenblicklich an, ihre Kunden zu heatmappen, um im bestmöglich optimierten Sortiment auf Bückhöhe auch ja die richtige Mittelmarke stehen zu haben und bloß keinen Umsatz-Cent zu verschenken.

Die anderen glauben daran, dass moderne Läden vor allem dann funktionieren, wenn sich Kunden darin nicht fühlen als würden sie von unsichtbarer Hand bis zur Kasse ferngesteuert. Selbst wenn das bedeutet, nicht jede Abbiegung genauestens vorausberechnen zu können.

Die vor anderthalb Jahren in Amsterdam Zuid eröffnete Einkaufszentren-Filiale der niederländischen Quasi-Biokette Marqt gehört zur zweiten Kategorie.

Zumindest lässt sich dem aufwändig gestalteten Laden keine unnötige Schachbrett-Regalmusterfixierung unterstellen, obwohl das Eckplätzchen im Shopping Center Gelderlandplein hervorragend geeignet gewesen wäre, dort möglichst wenig Aufwand zu betreiben.

Stattdessen steht die Kundschaft direkt hinterm Eingang erstmal vor einem alten Schiffscontainer mit Bedienklappe und muss überlegen: Lust auf ein Broodje Haring für die Mittagspause? Käffchen zum Mitnehmen? Ein Stückchen Kuchen dazu? Oder doch erstmal ein Rundgang durch den Laden, der sich allergrößte Mühe gibt, nicht nach Supermarkt auszusehen (warum das zum Marqt-Prinzip gehört, stand bereits vor zwei Jahren im Supermarktblog).

Wer sich für letzteres entscheidet, ist herzlich dazu eingeladen, die Obst- und Gemüse-Abteilung zu suchen, denn die ist – erstmal nicht da.

„Tägliche Besorgungen zu einem ehrlichen Preis für alle – gut für Mensch, Tier und Umwelt“,

steht (frei übersetzt) auf der Waschbetonwand über der Theke, hinter der Marqt-Mitarbeiter Sofortessen zum Wegtragen zubereiten, Säfte pressen und frische Pasta walzen, um all das anschließend an mehreren Stationen im (relativ überschaubaren) Laden zu platzieren. Zum Beispiel gleich um die Ecke im Kühlhippo, über dem das Versprechen schwebt:

„Aus unserer eigenen Küche, mit Zutaten aus unserem Geschäft, ohne Zusatzstoffe.“

Direkt daneben führt der Weg durch eine der ungewöhnlichsten Obst- und Gemüse-Abteilungen, die man sich als Lebensmittelhändler in seinen Laden bauen kann: ein altes Gewächshaus, in dem die Luft kontinuierlich bei 14 Grad Celcius zirkuliert, damit sich Tomaten, Gurken, Paprika, Äpfel und Birnen dort auch unverpackt dauerhaft wohlfühlen.

Die Idee ist genial: Anstatt die Ware jeden Morgen aus dem Kühl- bzw. Lagerraum neu in die Auslage zu wuchten und abends wieder zurück, führt Marqt die Kundschaft einfach direkt durch das angenehm temperierte Gemüsehaus, an dessen Seitenwänden noch einmal separate Kühltheken stehen für alles, das es gern etwas kühler hätte.

Recycling statt Hochglanz

Im Gegensatz zu den unberührten Endlos-Kühlregallandschaften in größeren SB-Warenhäusern besteht während des Aufenthalts im reinkarnierten Gewächshaus auch keine sonderlich große Erkältungsgefahr. Zumal eh nur ein paar Quadratmeter Platz ist und Einkaufswagenstaus durch nachdrängelnde Kunden automatisch aufgelöst werden.

Dass der gläserne Gemüseschrank bei Marqt bereits sein zweites Leben genießt, gehört zum Wiederverwertungsprinzip, das sich die Ladendesigner von Standard Studio für die Filiale ausgedacht haben, die zu 75 Prozent aus recycelten Materialien gebaut worden sein soll (inklusive Beleuchtung und Möbeln).

Das ist ein schöner Kontrast zur Hochglanzoptik vieler klassischer Supermärkte und erst recht zu den Kitschkulissen, mit denen viele Händler ihren Kunden Nähe zum Bauern um die Ecke suggerieren wollen (siehe Supermarktblog), obwohl hinten auf der Laderampe doch bloß die Ware aus dem Zentrallager einrollt.

Wobei der hipsterige Industriehallen-Charme ausgerechnet in einem Einkaufscenter-Neubau natürlich auch nur eine andere Art der Kitschkulisse ist. (Eine, der sicher ein Bart gut stehen würde.)

Supermarktdesigner, die auf die Theke mit der glutenfreien Bio-Tiefkühlware „Hergestellt von Edith, der Mutter von Lisa, weil sie das Beste für ihre Tochter möchte“ schreiben würden, wären hierzulande vermutlich in Windeseile für verrückt erklärt. (Mindestens hier im Blog.)

Mit der ganzen lockeren Hollandhaftigkeit gelingt Marqt aber durchaus das Kunststück, Kunden beim Einkauf das gute Gefühl zu geben, Lebensmittel zu kriegen, über deren Herstellung sich vorher tatsächlich jemand Gedanken gemacht hat.

Über den Laden (Video ansehen) ja auch! Alleine schon den, auf einen schnurgeraden Kundenlauf zu verzichten, damit jeder bitteschön seinen eigenen Weg zur Kasse wählt. Zumindest aus der Vogelperspektive sieht die erste Marqthälfte (rechts unten) eher nach Irrgarten aus.


Skizze: Marqt/Standard Studio

(Ursprünglich gab’s wohl auch einen festen Platz für wechselnde Foodtrucks – bei meinem Besuch im vergangenen Jahr musste die Filiale allerdings ohne rollenden Lunch-Support auskommen.)

Satésaus mit eigenem Look

Seit dem letzten Blogeintrag im März 2015 hat Marqt die Zahl seiner Filialen verdoppelt, ist mit landesweit gerade einmal 18 Läden in den Niederlanden aber natürlich immer noch ein Winzling gegen die zwischenzeitlich fusionierte Großkonkurrenz. Und kann sich vielleicht deswegen erlauben, neue Märkte eben nicht nach universell anwendbaren Standards einzurichten; sondern so, dass jede Filiale eine eigene Identität behält.

Ähnlich wie die Eigenmarken, die gar keine richtigen Eigenmarken sind …

… sondern „hergestellt im Auftrag von und in Zusammenarbeit mit Marqt“ von Produzenten, die ihren Produkten einen eigenen Look verpassen dürfen, als Absender erkennbar bleiben, Marqt einfach als Partner auf die Packung drucken – und im Zweifel auch die Rezeptur zum Nachmachen daneben.

Trotzdem: Kaufen Sie besser gleich zwei Flaschen von Walter Abma’s Tomaten-Ketchup, wenn Sie mal hinkommen. Sie werden es mir danken, wenn Sie zuhause zum ersten Mal die selbstgeschnittenen Kartoffelwedges reingetunkt haben.

Danke an Bert für die Übersetzungsunterstützung!


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Fotos: Supermarktblog

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5 Kommentare
  • Hui, was für eine Ehre! Der Supermarktblogger in „meinem“ Supermarkt! Ich kaufe da sehr gerne ein, auch wenn man es an der Kasse dann meistens bereut. Marqt ist einer der wenigen Supermarktketten, denen ich vertraue, dem Motto „gut für Mensch, Tier und Umwelt“ gerecht zu werden. Auch bekommt man da „richtiges“ Brot (die werden von BBROOD beliefert und backen zusätzlich selbst), nicht die 100 verschiedenen Sorten Toast wie in den anderen Supermärkten hier üblich. Der Sitzbereich des Schiffscontainers wurde inzwischen umgestaltet und bietet deutlich mehr Sitzgelegenheiten, anstatt belegten Brötchen gibt es jetzt belegte Brote.

    Leider wurden die Öffnungszeiten in dem Laden inzwischen eingeschränkt (aber immer noch länger als ich es von Bayern gewohnt bin); ich hoffe, das ist kein Zeichen dafür, dass es schlecht läuft, so richtig gut besucht ist er nämlich auch nicht. 🙁

    In dem Gelderlandpleinkaufhaus (das ich an sich auch sehr interessant finde) hat vor Kurzen auch der japanisch/koreanische Supermarkt (Shilla) den Standort gewechselt und einen neuen, größeren und hübscheren Supermarkt aufgemacht, der Dich interessieren könnte, wenn Du das nächste Mal hier bist. Gegenüber kannst Du Dir zur Erholung dann ein paar Kibbeling holen. 😉 Auch „Le Pain Quotidien“ für Kaffee&Kuchen und Tijn’s für die „typisch niederländische“ surinamische Küche sind einen Besuch wert!

    Falls wer noch Fragen hat oder ich noch Fotos machen soll, her damit!

  • Die Idee mit der Gemüseabteilung im „Kühlhaus“ ist interessant.

    Nur wie verträgt sich das mit frierenden Kunden (vor allem Frauen, ernstgemeinte Frage)? Die dürften den Bereich doch eher meiden oder nur schnell durchgehen. Im Gemüsebereich verweilt man ja doch länger, um sich die frische Ware genauer anzuschauen.

    Denke vor allem im Sommer dürfte das für Probleme sorgen, weil die Kälte dann noch stärker wahrgenommen wird.

    • 14°C ist zwar frisch, aber noch erträglich, würde ich sagen. Gerade im Sommer könnte ich mir sogar vorstellen, dass einige Kunden etwas länger beim Obst verweilen, bevor sie wieder raus in die Hitze müssen.

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