Das Ende der Paketwagenpolonaise: UPS will die Zustellung in der Innenstadt neu erfinden

Das Ende der Paketwagenpolonaise: UPS will die Zustellung in der Innenstadt neu erfinden

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Die Zahl der Pakete steigt, der Lieferverkehr nimmt zu und verstopft die Straßen. Das kann nicht so bleiben: In Hamburg hat UPS erfolgreich die Paketzustellung per Lastenrad getestet. Und will das Modell nun in immer mehr deutsche Städte bringen.

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Mehr als 3,1 Milliarden (Paket-)Sendungen sind im vergangenen Jahr an Privathaushalte, Firmen und Ladengeschäfte zugestellt worden, schätzt der Bundesverband Paket & Express Logistik (BIEK). Alleine im Weihnachtsgeschäft waren Zusteller vermutlich mit bis zu 15 Millionen Sendungen unterwegs – pro Tag.

Der Fachbegriff dafür heißt: Paketwagenpolonaise. Stadtbewohner kennen diesen Tanz in- und auswendig.

Wir ziehen los mit ganz vielen Wagen / Und einer parkt dem andern von hinten an die Rampe / Das hebt die Stimmung, ja, da kommt Freude auf.

Nee, die kommt natürlich nicht. Im Gegenteil: Immer mehr Paketdienste fahren immer mehr Touren, um die vielen Sendungen zu ihren Empfängern zu kriegen, blockieren während der Stopps mit den großen Fahrzeugen zwangsläufig die Straßen, verursachen Staus, Stress und schlechte Laune bei allen Beteiligten und provozieren Parkaufpasser zur Knöllchendauerproduktion.

In der Hamburger Innenstadt war das Maß vor ein paar Jahren endgültig voll.

„2012 hat sich die Situation für unsere Zusteller am Neuen Wall drastisch verschlechtert, es gab kaum noch Möglichkeiten, zu halten – es war schlicht und einfach erforderlich, dass wir uns nach neuen Lösungen umsehen“,

sagt Rainer Kiehl, Projektmanager City Logistik bei United Parcel Service (UPS) in Deutschland. Gemeinsam mit der Stadt Hamburg hat UPS deshalb einen ungewöhnlichen Versuch gestartet, um die Zustellung in der Innenstadt zu entstressen – und in einer Seitenstraße einen großen Container aufgestellt, randvoll mit Paketsendungen für die umliegenden Geschäfte.

2015 kamen drei weitere Container dazu: am Hopfenmarkt, Raboisen und in der Welckerstraße (Karte). Jeder wird morgens von einem UPS-LKW angeliefert, abends wieder abgeholt und funktioniert dazwischen als Paket-Zwischenlager.

Das Wichtigste ist aber: Die Zustellung erfolgt größtenteils mit elektronisch angetriebenen Lastenfahrrädern, so genannten „Cargo Cruisern“, die mit 2,2 Kubikmetern Ladevolumen genügend Platz für die allermeisten Pakete bieten. (Größere Sendungen werden mit einem E-Truck an ihr Ziel gebracht.)

Die verursachen keine Abgase und verstopfen keine Straßen, können auch mal schnell auf dem Gehweg geparkt werden und sind seltener im Weg.

Der Deal mit der Stadt lautet (vereinfacht gesagt): UPS bekommt die Genehmigung, seine Container im öffentlichen Raum aufzustellen und zahlt eine Nutzungsgebühr. Die Hamburg School of Business Administration (HSBA) untersucht, wie sich die schadstoffarme Zustellung im Projektzeitraum auf Verkehrsfluss und Emissionen in der Innenstadt auswirken. In wenigen Wochen sollen die Ergebnisse vorliegen.

UPS-Planer Kiehl hat aber auch selbst schon mal nachgerechnet:

„Wir haben allein mit dem Container-Projekt in der Innenstadt den Schadstoffausstoß um 37 Tonnen CO2 reduzieren können. Zusätzlich sind wir 112.000 Kilometer mit Elektro-LKWs gefahren und haben 21.000 Liter Diesel deshalb nicht verbrannt.“

Je nach Paketmenge arbeiten zwei bis drei Mitarbeiter an jedem Container-Standort und liefern in einem Umkreis von rund 800 Metern aus.

Parkhäuser als Paket-Depots?

Das Projekt hat in den vergangenen beiden Jahren weit über die Stadtgrenzen hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt, ist mit Preisen ausgezeichnet worden, und Kiehl erzählt stolz, wie sich sogar Vertreter von General Motors aus den USA haben zeigen lassen, was da in Hamburg passiert. Die Zusteller wiederum sind es gewohnt, bei ihrer Arbeit angesprochen zu werden und kurz mit Passanten über das Experiment zu kommen, dessen Ziel auf Bannern an der Absperrung erklärt ist.

Ein Beitrag zur Verschönerung der Hamburger Innenstadt sind die mit Gittern umzäunten Flächen freilich nicht.

Aber sie sind auch nicht als Dauerlösung gedacht. „Mittelfristig wollen wir die Container aus der Stadt rausholen“, sagt UPS-Koordinator Kiehl.

„Ziel des Projekts war ja vor allem, zu zeigen, dass die Paketzustellung mit Lastenfahrrädern im urbanen Bereich möglich ist, wenn wir über ausreichend Mini-Depots verfügen – und zwar an den Orten, wo auch unsere Kunden sind. Wir arbeiten jetzt schon an einer neuen Lösung.“

Wie genau die aussieht, kann er noch nicht sagen, deutet aber an:

„Viele Städte bemühen sich ja, den motorisierten Verkehr in der Innenstadt zu reduzieren. In Hamburg liegt die Auslastung der Parkhäuser zum Beispiel bei 70 bis 75 Prozent. Da tun sich für uns neue Möglichkeiten auf.“

Pakete parken statt Autos – wieso eigentlich nicht? Bislang ist das noch schwierig: Die Feuerwehr hat Bedenken angemeldet. Und weil Parkhäuser mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden, sind sie eigentlich zweckgebunden; Kiehl ist aber optimistisch, dass diese Probleme gelöst werden können.

Warum mietet UPS stattdessen nicht einfach einen Laden in der City? Viel zu teuer, sagt Kiehl. Zumindest in einer Stadt wie Hamburg, wo die Mieten auf Flagshipstore-Niveau sind und die Logistikunternehmen kaum mithalten können.

(Es sei denn, sie leisten sich ganz bewusst eine Art Markenrepräsentanz wie Wettbewerber DHL um die Ecke vom Amsterdamer Museumsplein.)

Das gilt aber längst nicht für alle Städte. In Essen hat das Einkaufszentrum am Limbecker Platz viele Kunden aus dem Stadtkern gezogen; in der Fußgängerzone rundherum herrscht Leerstand. Kiehl sagt:

„Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir dort einen Lagerraum anmieten.“

Es gibt aber noch mehr Lösungen. In drei weiteren deutschen Städte hat UPS sein Logistik-Projekt bereits umgesetzt: In Oldenburg und Offenbach dient ein Anhänger als Paketlager, der morgens in der City abgestellt wird. Und im nordrhein-westfälischen Herne hat UPS einen nicht mehr genutzten Kiosk angemietet, der ebenfalls mit dem Lastenfahrrad angesteuert wird.

Die Läden gehen, die Logistiker kommen

Es ist ein kurioser Kreislauf: Viele Ladengeschäfte in den Innenstädten geben auf, weil die Kunden zunehmend im Netz bestellen; um all die Waren zu ihren Empfängern zu bringen, werden dieselben Plätze aber nun für Logistiker interessant, die sich Lösungen einfallen lassen müssen, um in der Sendungsflut nicht unterzugehen. Und um möglichen Regulierungen der Städte vorzugreifen, die einen befürchteten Verkehrsinfarkt abwenden wollen. Das macht neuartiuge Kooperationen notwendig.

Bei der Herbsttagung des Wissensnetzwerks Stadt + Handel in Cottbus mahnte UPS-Projektleiter Kiehl im vergangenen Dezember deshalb bereits:

„Wir werden mit unseren Dieselstinkern irgendwann nicht mehr in die Stadt kommen, da müssen wir uns drauf einstellen.“

Die Städte tun es langsam auch. Noch im ersten Halbjahr plant UPS, als Teil des City2Share-Projekts die Zustellung im Münchner Glockenbachviertel auf Lastenfahrräder umzustellen. Allen bisherigen Erfahrungen zum Trotz wird das eine Herausforderung. Planer Kiehl erklärt:

„Der große Unterschied zum Hamburger Projekt ist: In München stellen wir zu 80 Prozent an Privatkunden zu. In Hamburg sind es zu 90 Prozent Ladenlokale und Firmen. Die Voraussetzungen sind auch völlig andere: Es gibt im Glockenbachviertel viel mehr Spielstraßen und Plätze. Aber wir fangen einfach mal an. Es bringt ja nichts, noch einen neuen Arbeitskreis zu gründen und abzuwarten.“

Eine Verteilstation für alle

Auch die Stadt Berlin arbeitet an einer Lösung, den Zustellverkehr besser zu gestalten. Zwischen den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg soll in den kommenden Monaten ein so genannter „Hub“ – eine Verteilstation – eingerichtet werden, der von mehreren KEP-Diensten (KEP steht für Kurier, Express, Paket) gleichzeitig genutzt werden kann.

Nach jetzigem Stand sind alle großen deutschen KEP-Unternehmen dabei. Obwohl sie bei der Auftragsakquise eigentlich scharfe Konkurrenten sind, setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass es so wie jetzt nicht mehr weitergehen kann. UPS habe kein Problem zu teilen, meint Kiehl:

„Es muss nur sichergestellt sein, dass jedes Unternehmen freien Zugang und seinen eigenen Slot hat, damit keine Wartezeiten entstehen.“

Vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Inzwischen seien aber fast alle Logistikunternehmen aufgeschlossen.

Dieselbe Aufgeschlossenheit müssen freilich auch die Kommunen demonstrieren. Denn ohne ihre Unterstützung wird es schwierig, Lösungen zu finden. Auf der Tagung in Cottbus berichtete Kiehl von jahrelanger Planungsarbeit für das erste City-Logistik-Projekt, Genehmigungen von insgesamt sieben Behörden und Ämtern hätten eingeholt werden mussten. Kiehl wünscht sich von den Städten mehr Flexibilität:

„Die Bürgermeister reagieren oft sehr aufgeschlossen. Vor allem in den unteren Verwaltungsebenen gibt es aber häufig Bedenken.“

(Vielleicht müssen die Mitarbeiter aber einfach auch mal gesammelt zum Cargo-Cruiser-Probefahren eingeladen werden; zumindest dem Herner Oberbürgermeister Frank Dudda scheint’s gefallen zu haben.)


Foto: Thomas Schmidt/UPS

Manchmal kommen auch Kommunalwahlen dazwischen. Wegen Veränderungen im Rathaus fangen die Verhandlungen dann wieder bei null an, weil neue Zuständige überzeugt werden müssen. Dabei würden die Städte in den seltensten Fällen große Opfer bringen müssen, erklärt Kiehl und versucht sich als Partner der Kommunen zu etablieren: „Wir wollen die Städte dabei unterstützen, eine nachhaltige City-Logistik im urbanen Bereich aufzubauen.“

Rein in die Fußgängerzone

Wenn UPS – wie in Essen angedacht – Ladenlokale in der Stadt anmiete, brauche man dafür zum Beispiel keine finanzielle Unterstützung von der Stadt.

„Es muss allerdings gewährleistet sein, dass wir mit unseren Cargo Cruisern auch in die Fußgängerzone einfahren können – und zwar nicht nur, wie es jetzt oft der Fall ist, bis 10 Uhr mit dem LKW. Wenn wir die Belieferung mit drei unserer LKWs auf sieben bis acht Lastenfahrräder umstellen, muss von vornherein klar sein, dass wir die Fußgängerzone häufiger frequentieren werden.“

Die Stadt Oldenburg hat schon reagiert: Dort darf UPS per Ausnahmegenehmigung länger in die Innenstadt einfahren. Und das Interesse an weiteren Modellversuchen ist groß. „Mit 23 Städten sind wir derzeit ihn sehr intensiven Gesprächen“, bestätigt Kiehl. Außerdem startet am 4. April im irischen Dublin ein Projekt nach dem Hamburger Vorbild, inklusive Lastenfahrrädern und Containern.

Für die Hansestadt überlegt Kiehl derweil schon, ob es nicht möglich wäre, nach dem Projektende Ende Juli einzelne Container auf Fleete zu verlagern, um daraus eine schwimmende Zustellbasis zu machen. Der UPS-Manager ist überzeugt:

„Der Bedarf an Zustellungen wird größer, gleichzeitig wollen wir die Verkehrsbelastung verringern. Dafür brauchen wir Lösungen. Die Mini-Hub-Konzepte in Verbindung mit Lastenrädern und ähnlichen Einheiten haben sich für UPS zu 100 Prozent bewährt.“

Damit die Paketwagenpolonaise in der Innenstadt ein für allemal ein Ende hat.

Fotos: Supermarktblog

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4 Kommentare
  • Und da hieß es doch immer, im Netz bestellen wäre umweltfreundlicher, weil nicht mehr so viele Fahrzeuge bewegt werden müssen. Naja, damals als nur jeder Zwanzigste bestellt hatte, mag das zutreffend gewesen sein.

    Heute, ist mein Eindruck, sind es eher mehr Fahrzeuge als früher.
    Einmal die Bürger an sich, die mit dem Auto zum Einkaufen fahren und jetzt zusätzlich vier, fünf Lieferdienste, welche die Straßen abfahren. Und die inzwischen derart selbstverständlich zum Stadtbild gehören, dass man als Autofahrer entweder mal eben die weiße Linie überfährt oder wartet. Denn morgen könnte in dem Lkw, der da die Spur blockiert, ja ein Päckchen für einen selbst sein…

    • Das ist ein wichtiger Einwand. Der Artikel zeigt, dass in der Logistik jetzt Lösungsansätze gesucht werden müssen, möglicherweise weil der Kostendruck,politische – oder Akzeptanzdruck jetzt erst hoch genug sind, hier Lösungen finden zu müssen. Ich denke, dass auch das Thema Elektromobilität (oder andere abgasfreie Lösungen) bald viel stärker in der Diskussion bei Paketzustellung, aber sicher auch all den anderen Lieferdiensten, wie etwa den auf den Fußwegen rasenden Pizzadiensten, ein Thema werden muß.

      Ich wohne auf dem Land. Für uns ist Onlinehandel ein echter Segen, da die Produktauswahl eng und der Handel engstirnig waren. Zwar gibt es jetzt weniger alteingesessene Händler vor Ort, aber das Angebot an Waren ist breiter geworden und wir fahren jetzt selbst nicht mehr so viel mit dem Auto hin und her, um zu den größeren Läden mit mehr Auswahl zu kommen. Auf dem Land ist also möglicherweise die Umweltbilanz durch Paketlieferung sogar besser geworden.

      Nur mal so als Diskussionsbeitrag. Ich habe diesen Blog übrigens bei 5xr eingetragen, weil es immer mal was frisches zu lesen gibt 🙂

  • Gab es dach nicht schon mal, das es quasi “ Verteilstationen“ vom Zusteller in den Innenstädten gab, sogar in den Dörfern? Nannte sich glaube ich „Postamt“, wurde dann aber irgendwann immer weiter zusammen gestrichen, die Gebäude oft anders genutzt.

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