Iceland holt die Rezeptclip-Hits von Instagram und Facebook an die Tiefkühltruhe

Iceland holt die Rezeptclip-Hits von Instagram und Facebook an die Tiefkühltruhe

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Videos im Supermarkt sind bislang noch die Ausnahme. Wenn die britische Tiefkühlkette Iceland mit ihrer Bildschirm-Initiative Erfolg hat, könnte sich das aber schnell ändern.

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Das „Wall Street Journal“ hat sie „Daumenstopper“ getauft, das „New York Magazine“ als Montaglaunensretter geadelt und Buzzfeed ein eigenes Portal dafür gegründet: quadratische Rezeptvideos, in denen unsichtbare Köche zack-zack im Zeitraffer ein unverschämt lecker aussehendes Abendessen, ein verführerisches Dessert oder eine supereinfach zuzubereitende Zwischenmahlzeit vor die Kamera zaubern.

Hmmm…

Aufgenommen sind die Videos immerzu aus der Vogelperspektive, zwei Hände wirbeln knackfrische Zutaten durch eine rudimentäre Kochanleitung, nach weniger als einer Minute steht das Ergebnis auf dem Tisch – und man möchte am liebsten direkt ins Display beißen.

In sozialen Medien sind die in Apps oft automatisch startenden Clips längst ein Phänomen. Keine zwei Jahre nach seiner Gründung hat alleine der Facebook-Account der Buzzfeeds Kochvideofabrik „Tasty“ 84 Millionen Fans (ja, Millionen). Durchschnittlich würden 14 neue „Tasty“-Videos pro Woche produziert, hat sich das „Wall Street Journal“ Ende 2015 sagen lassen. Und dass Buzzfeed mit dieser Art „food hacks“ 2 Milliarden Facebook-Views pro Monat generiere (ja, Milliarden).

Ist klar, dass der Trend inzwischen zahlreiche Nachahmer gefunden hat, auch unter deutschen Medien.

Die britische Tiefkühlsupermarktkette Iceland hat sich noch einen Schritt weiter vorgewagt – und die Rezeptvideos aus ihrem Social-Media-Zuhause in den Laden geholt. Dorthin, wo die Leute die Zutaten für die Mahlzeit im zeitgerafften Handumdrehen gleich in den Einkaufskorb legen können.

Heute! Wird! Gekocht!

Der Tiefkühltruhen-Rezeptclip gehört zu den Elementen eines neuen Ladendesigns, das Iceland seit dem vergangenem Oktober im Südwesten der britischen Hauptstadt testet. Und ist eine ziemlich konsequente Möglichkeit, Kunden das Einkaufen im klassischen Supermarkt wieder schmackhafter zu machen. Zum Beispiel, indem man sie auf Kochideen bringt.

Wie wär’s heute Abend zum Beispiel mit einem „Tex Mex Chicken Wrap“ – ganz bestimmt auch „perfect for feeding a crowd“, wie Iceland daneben empfiehlt: ideal, um die komplette Familie satt zu kriegen.

Das an der Truhe laufende Dauerschleifenvideo ist zwar nicht quadratisch. Aber den Rest scheint sich die verantwortliche Kreativagentur Whippet fast eins zu eins im Web abgeguckt zu haben: Ein unsichtbarer Koch schiebt zack-zack im Zeitraffer das Hähnchen in den Ofen, schnippelt Salat und rührt aus leckeren Zutaten ein Sößchen an. Die Zutaten werden sicherheitshalber dazu geschrieben und müssen bloß noch aus der Truhe bzw. dem Gemüseregal gegriffen werden. (Das sich der Tiefkühlsupermarkt dazu leistet.)

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Freilich ist die Idee, Kunden beim Einkaufen kochinspirieren zu wollen, ein alter Hut. Seit Jahren versuchen sich die Supermärkte an solchen Initiativen – und scheitern in schöner Regelmäßigkeit.

Rewe lädt zum Showkochen, Edeka druckt Rezeptbons, die verblichene Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann sortierte Zutaten in eigens aufgestellte Rezeptständer (siehe Supermarktblog) und selbst Aldi lockt mit dem „Rezept der Woche“ (Foto). Hilft aber oft nix, weil niemandem das Wasser im Munde zusammenläuft, wenn er einen auf Thermopapier geratterten Kochbefehl in die Hand gedrückt bekommt.

Die vom Smartphone an die Tiefkühltruhe gebrachten Rezeptclip-Hits könnten das ändern: Weil das im Video nicht nur alles so lecker, sondern auch so ungeheuer leicht nachzumachen aussieht.

Noch ist nicht klar, ob Iceland sein Truhenfernsehen tatsächlich in Serie gehen lässt. Geschäftsführer Malcolm Tucker erklärte gegenüber britischen Fachmedien, man habe einfach sämtliche Gimmicks, die der Agentur eingefallen seien, in den Londoner Test-Laden gestopft und wolle auswerten, was davon funktioniert.

Auch so werden wir uns aber vermutlich schon mal daran gewöhnen können, dass uns der Supermarkt unseres Vertrauens in Zukunft öfter mal ein mit einem freundlichen Bewegtbild zur Einkaufszettelverlängerung auffordert. Ausprobierfreudige Edeka-Kaufleute nutzen schon heute die Displays der Waagen an der Bedientere, um Kunden Empfehlungen für die Zubereitung des Wochenendemahls über den Spucksschutz zu beamen, während der Mitarbeiter dahinter gerade das Dry-Aged-Beef zurecht portioniert.

Guckst du Preis

Die Iceland-Initiative ist aber auch deshalb interessant, weil sie auf ein Kundenklientel zielt, das sich bislang gerne damit zufrieden gibt, die Folie von der Plastikschale des Ready Meals abzuziehen, um den restlichen Kochprozess der Mikrowelle zu überlassen.

Und weil sich damit ein Ladenformat aufwerten lässt, für das Modernität bislang eher nicht zu den Top-Prioritäten gehörte (mehr dazu in den kommenden Tagen im Ladenrundgang).

Muss ja nicht immer gleich ein Rezepttipp sein. Auf drei Displays, die über den Tiefkühltruhen an den Flurenden installiert wurden, bewirbt Iceland in Clapham einmal ganz klassisch seine „Big Deals“, die Tiefkühlsonderangebote der Woche und sensibilisiert geübte Tütenaufreißer nebendran für „More ways to eat well“, gesündere Ernährung also.

Dafür braucht es keine flackernden Bilder. Schon die Kombination aus großer Produkabbildung, hervorgehobenem Preis und Aktionslabel schafft sehr viel angenehmer Aufmerksamkeit als das aus deutschen Discountern bekannte neonrote Preisschildinferno.

Beim Tiefkühlfernsehen wird es vermutlich nicht bleiben: Die – ebenfalls britische – Supermarktkette Waitrose, deren Zielkundschaft sich von der bei Iceland deutlich unterscheidet (siehe Supermarktblog), experimentiert derzeit ebenfalls mit Displays im Laden: in der Preisleiste direkt am Regal, wo außer dem Pfundbetrag auch ganz praktisch angezeigt werden kann, was den darüber stehenden Gin geschmacklich von seinem Nachbarn unterscheidet.

(Und im Zweifel ein Aktionspreis.)

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Waitrose will laut „The Drinks Business“ testen, ob sich damit das Kaufverhalten der Kundschaft beeinflussen lasse.

Von Icelands Rezeptfernsehen ist das natürlich ein ganzes Stück weit weg, aber durchaus ein denkbarer Zwischenschritt bei einer möglichen Bewegtbildverminung der Supermärkte. Auf den die deutsche SB-Warenhauskette Real schon vor Jahren gekommen ist.

Im damaligen „Future Store“ in Tönisvorst (der inzwischen in einen normalen Real zurückverwandelt wurde) installierte das Unternehmen bereits 2012 LCD-Bildschirme am Kühlregal, taufte das etwas umständlich „Shelf Vision“ und holte sich Technikunternehmen und große Markenhersteller als Partner ins Boot: Danone, Arla Foods, Ferrero, Unilever. Ziel war eine „emotionalere Kundenansprache“ am Kühlregal, das zwar nicht im Dauerfeuermodus blinken sollte, aber eben wechselnde Informationen bzw. Werbung anzeigen (oder wie es in der dazu gehörigen Presseinformation hieß: „aufmerksamkeitsfördernde Bewegtbildinhalte“). Preise, Aktionen, Produktdetails sowie

„bewegte Bilder, wie Werbespots oder andere animierte Produkt- und Marketinginhalte“.


Foto: Real

Offensichtlich war Real damit der Zeit etwas voraus. Eine sonderlich große Karriere war „Shelf Vision“ nämlich nicht vergönnt. Auf Anfrage erklärt das Unternehmen, das Projekt sei

„nach Beendigung des Future Store-Projektes im real,- Markt Tönisvorst ebenfalls beendet und [wird] seitdem nicht in dieser wie auch nicht in anderer Form weiterverfolgt.“

Was vor allem für Real schade ist, das sich mit seiner hohen Affinität für neuartige Handelstechniken in den vergangenen Jahren ideal von Konkurrenten hätte abheben können, wenn die Muttergesellschaft Metro die dafür notwendigen Mittel freigegeben hätte (siehe Supermarktblog).


Foto: Real

Aus Kundensicht ist das Regalfernsehen freilich eine zweischneidige Angelegenheit: Der Aktionsrummel, den alleine ein Kundenausspionier-Programm wie Payback dort veranstalten könnte, ist lebhaft vorstellbar.

Eigenmarken-TV am Regal?

Dass übermorgen in deutschen Supermärkten sämtliche Regale blinken, ist aber ohnehin unrealistisch. Erstmal müssen sich ja die elektronischen Regaletiketten amortisieren, zu deren Installation sich die großen Supermarktketten gerade durchgerungen haben.

Auch Markenhersteller könnten womöglich froh sein, dass der Bewegtbildkelch bislang an ihnen vorüber gegangen ist: Immerhin verzichten die Händler dadurch auf ein höchst effektives Druckmittel, mit dem ein lässiger Eigenmarken-Clip ihrem gut sichtbar im Regal positionierten die Schau stehlen könnte, wenn sie nicht bereit sind, dort selbst zu werben (und dafür zu zahlen).

Vielleicht werden wir uns eines Tages aber auch in die fantastischen Zeiten zurücksehnen, als überm Tiefkühlregal bloß harmlose bunte Rezeptvideos liefen. Spätestens dann, wenn im übernächsten Schritt die Virtual-Reality-Supermarkthölle wahr geworden ist, die sich Keiichi Matsuda für seinen Clip „Hyper Reality“ ausgedacht hat (unbedingt bis zur Hacking-Sequenz am Kühlregal ansehen).

Fotos: Supermarktblog"

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3 Kommentare
    • Exakt an diese seltsamen Videos aus dem Baumarkt musste ich auch denken! Dann noch diese befremdlichen deutschen Übersetzungen bzw. Synchronstimmen, bei der man aber im Hintergrund das amerikanische Original hören kann.

    • Und ich freue mich schon auf die Zeiten, wo mir auf 0,7 m³ fünf dieser unseligen Videos gleichzeitig ins Ohr plärren („Surround-Sound“ reloaded), das „Einkaufsradio“ gleichzeitig die neuesten Nachrichten aus dem Nudelregal meldet und die Infotante „23 bitte 17, 23 bitte 17“ ausruft.

      Alles beim Einkaufen schreit mich an, optisch wie akustisch. Ich persönlich merke bei mir, wie ich genervt bin, „dicht“ mache und mich dieser optischen Werbeflut bewusst entziehe.

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