Grünes Licht für neue Lebensmittel-Kennzeichnung: Macht Tesco uns was vor?

Grünes Licht für neue Lebensmittel-Kennzeichnung: Macht Tesco uns was vor?

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Wahrscheinlich haben Sie’s immer geahnt: Kekse machen gar nicht schlank; Chips gehören doch nicht zu einer vollwertigen Ernährung dazu; und die Extraportion Milch verwirkt ihren Vorteil, wenn man dafür erst eine dicke Schokoladenschicht abnagen muss.

Weil es aber haufenweise Lebensmittel gibt, die noch viel ungesünder sind als ihr Ruf, fordern Verbraucherschützer seit Jahren eine „Ampelkennzeichnung“ auf Verpackungen. In den Ampelfarben Rot, Gelb und Grün soll dort angegeben sein, wieviel Fett, Zucker und Salz pro 100 Gramm drinsteckt (rot ist viel, grün ist wenig), damit die Käufer gleich im Markt sehen, was sie da kaufen.

Wie’s derzeit aussieht, wird es diese Ampel in Deutschland erstmal nicht geben. Die EU hat eine verpflichtende Einführung in ihrer „Lebensmittelinformationsverordnung“ abgelehnt; die Industrie ist sowieso strikt dagegen; und – so ein Zufall – auch die deutsche Regierung konnte sich nicht dazu durchringen, eine eigenständige Regelung aufzusetzen. Dafür haben wir ja unser GDA-System! Kennen Sie nicht? Doch, doch, das sind die bunten Noppen mit den vielen Zahlen drin, die auf vielen Packungen stehen und die Sie nie lesen:

GDA steht für „General Daily Amount“, zu deutsch: „Richtwerte der empfohlenen Tagesmenge“. Die „Tagesmenge“ sind die Kalorien, die eine Person pro Tag durchschnittlich zu sich nehmen sollte. Die Industrie sagt: Das ist doch viel genauer als so ein plumpes Rumgeampel! Und die Verbraucherschützer sagen: Es bringt aber nix, wenn die Angabe für Kinder genau dieselbe ist wie für erwachsene Männer – und wenn ihr die Prozentwerte oft für völlig unrealistische Portiönchen angebt, weil eben kein Mensch bloß 30 Gramm Müsli isst.

Jetzt ist in Großbritannien etwas Erstaunliches passiert. Die dortige Regierung verlegte Weihnachten kurzerhand in den Spätsommer und wünschte sich eine einheitliche Nährwert-Kennzeichnung in britischen Supermärkten.

Anfang des Monats erklärte Tesco, Großbritanniens größte Supermarktkette und jahrelang erbitterter Gegner der Rot-Gelb-Grün-Kennzeichnung, sie werde ihre Produkte künftig beampeln. Kurz darauf folgte die britische Aldi-Tochter mit einer ebensolchen Zusage. Und dann Lidl Großbritannien.

Für den wichtigsten Tesco-Konkurrenten Sainsbury’s ist das eine hervorragende Gelegenheit gewesen, sich ein bisschen selbst zu feiern. Sainsbury’s hat nämlich bereits vor sieben Jahren auf freiwilliger Basis ein Ampelsystem für seine Eigenmarken eingeführt, und zwar in Kombination mit den klassischen GDA-Werten. Genau diese Kombination soll es bald auch bei Tesco geben. Derzeit werde die Kennzeichnung auf über 9000 Sainsbury’s-Produkten verwendet, heißt es bei der Handelskette. Und so sieht das aus:

Interessant sind vor allem die Konsequenzen der Kennzeichnung, die Sainsbury’s kommuniziert: Anfangs seien viele Kunden überrascht gewesen, wie viel Salz in Cornflakes stecke und wie viel Zucker im Joghurt. Tatsächlich hätten viele auch ihr Kaufverhalten geändert. Ein Lachs-Fertiggericht der Eigenmarke „Be Good To Yourself“, dessen Nährwertangaben allesamt im grünen Bereich liegen, habe seinen Umsatz um 46 Prozent gesteigert; der des Mousaka-Auflaufs „Taste the Difference“ mit vielen Rotwerten sei hingegen um 24 Prozent gesunken. Ähnlich sah’s bei den Sandwichs aus: Das grüne „Be Good To Yourself“ mit Lachs und Gurke sei öfter im Einkaufswagen gelandet (plus 5,8 Prozent); eins mit lauter roten Angaben („All Day Breakfast“) hingegen kaum noch (minus 44,3 Prozent).

Genaue Angaben zu seiner Untersuchung mach Sainsbury’s nicht, und die plakativen Ergebnisse werden von unabhängigen Marktforschern angezweifelt, weil es nur schwer möglich sei, in einer solchen Untersuchung rauszukriegen, ob die Änderungen im Kaufverhalten tatsächlich nur durch die Kennzeichnung motiviert waren.

(Oder zum Beispiel durch einen plötzlichen Beliebtheitszuwachs der irren Kombination Lachs und Gurke.)

Sainsbury’s kann’s egal sein: Dem Unternehmen ist es schließlich nicht nur gelungen, sich mit der vermeintlich konsumentenfreundlicheren Kennzeichnung einen Imagevorteil zu verschaffen. Jetzt steht man auch noch als Sieger da, dessen Argumenten sich sogar der größte Rivale beugt. (Mit einem nicht zu unterschätzenden Anschub durch die Politik.)

Tescos Entschluss, den Kampf gegen die Ampel aufzugeben, haben sich wiederum die britischen Dependancen von Aldi und Lidl angeschlossen, um nicht auf verlorenem Posten zu stehen. In Deutschland wäre das angesichts der Marktmacht der beiden Discounter kaum vorstellbar. Hier sagen Aldi und Lidl, wo’s langgeht. Es sei denn…

Ja, es sei denn, Edeka, Rewe und Real entdecken irgendwann, dass sie einander alle Sammebildaktionen wegkopiert, alle möglichen Nischen-Eigenmarken ins Regal gebracht haben und ganz dringend etwas Neues brauchen, um sich von den Wettbewerbern abzuheben. Zum Beispiel größtmögliche Transparenz gegenüber ihren Kunden und ein schonungsloser Einsatz für deren Gesundheit. Eine freiwillige Ampelkennzeichnung der Eigenmarken wäre perfekt dafür. Zumindest wenn das jeweilige Unternehmen bereit ist, sich auf ein paar Veränderungen einzulassen.

Justin King, CEO von Sainsbury’s, erklärt, wie das in seinem Unternehmen funktioniert hat:

„Als wir gesehen haben, wie sich die [Ampel-]Kennzeichnung auf die Verkäufe auswirkt, haben wir unsere Produktentwickler beauftragt, unsere Eigenmarken so zu verändern, dass sie gesünder werden und weniger rote Kennzeichnungen haben.“

Für Supermärkte ist eine solche Änderung machbar, weil sie mit ihrem kompletten Eigenmarken-Sortiment punkten, das sich immer wieder an die Kundenwünsche anpassen lässt.

Für jeden Markenhersteller, der Millionen in das Image, die Werbung und den typischen Geschmack seines (vielleicht nicht besonders gesunden) Produkts investiert hat, ist es hingegen ein Alptraum.

Fotos: Supermarktblog, Sainsbury’s

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2 Kommentare
  • Ich faende ja weiterhin eine gebildete Gesellschaft toll, in der Prozentrechnung so weit verbreitet waere, dass die normalen Naehrwertangaben ausreichten.

    Wer aber den muendigen Verbraucher nicht mag, sollte sich nicht mit Ampeln aufhalten. Schlichte Anweisungen wie „50+: Dieses Produkt bitte an jedem ersten Donnerstag im Monat verzehren.“ waeren doch noch viel einfacher fuer den Konsumenten zu umzusetzen und eine medizinisch ausgewogene Ernaehrung sogleich sichergestellt. Extravagante Marken koennten ja mit Aufdrucken wie „Dieser Schokoriegel (alle sechs Monate) koennen Sie in Ihrem Ernaehrungsplan durch unseren Schokotraum Sahnejoghurt (jeden zweiten Sonntag) ersetzen.“ glaenzen. Auf Wunsch bieten die grossen Einzelhaendler dann auch einen Nachhausewohlfuehldienst, der Sie mit einer woechentlichen Ration ausgewogen zusammengestellter Produkte und einer Essanleitung versorgt.

    Eigenverantwortung ist ja so ein Servicekiller.

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