Alnatura und die Wucht der höflichen Expansion

Alnatura und die Wucht der höflichen Expansion

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„Haben Sie unsere Pralinen probiert? Hier, die sind aus Brüssel“, sagt Götz Rehn mitten im Gespräch. „Oder die Dinkel-Doppelkekse? Vergleichen Sie die mal mit denen, die Sie im normalen Supermarkt kaufen können. Das ist eine ganz andere Rezeptur!“

Naschtechnisch hat sich der Ausflug an die hessische Bergstraße also schon einmal gelohnt. Oben im zweiten Stock der aus allen Nähten platzenden Bickenbacher Alnatura-Firmenzentrale sitzt Firmengründer Rehn im Konferenzraum, aber nicht nur zur Keksverteilung. Sondern um zu erklären, warum es ihn als Geschäftsführer von Deutschlands am schnellsten wachsender Bioladenkette gar nicht so sehr stört, dass es Bio inzwischen ganz selbstverständlich auch bei Aldi zu kaufen gibt. Rehn meint:

„Es geht immer auch um die Frage der Rezeptur, der Komposition eines Produktes! Und nicht nur darum, ob das EU-Biosiegel draufgedruckt werden darf, weil die Rohstoffe Bio sind.“

Es ist eine sehr – sagen wir: diplomatische Art, auf die Frage zu antworten, ob ihm die Bio-Konkurrenz der großen Handelsketten nicht zu schaffen macht.

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Die weniger diplomatische ist: „Wir wollen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass es Bio nicht zum gleichen Preis wie die Produkte der Agrarindustrie gibt.“ Und dabei störe das Niedrigpreis-Bio dann doch. Supermärkte und Discounter nutzten die Produkte bloß als Profilierung ihres Gesamtsortiments, ist der 63-Jährige überzeugt. Bei Alnatura sei Bio eine generelle Haltung. In einer Branche, die sonst um jeden Cent Marge feilscht, wirkt die erst einmal kurios: „Sinnvolles für Mensch und Erde“ soll die Handelskette leisten.

In Zeitungsinterviews sagt Rehn, sein Ziel sei es, „den Menschen in seiner Entwicklung zu fördern“, der Wert seines Unternehmens werde „durch die Wertschätzung der Kunden“ bestimmt, Ziel sei nicht „Gewinn-Maximierung“, sondern „Sinn-Maximerung“.

In den Alnatura-Läden gibt es ausschließlich biologisch erzeugte Lebensmittel, ohne Ausnahme. Milch wird mit einem Preisaufschlag verkauft, der direkt den Bauern zugute kommt. Gentechnik ist tabu. In einem „Arbeitskreis Qualität“ prüfen sieben (vom Unternehmen nicht näher benannte) Fachleute Produktideen und Rezepte und entscheiden, ob sie in Produktion gehen. Die Belieferung durch regionale Erzeuger war für Alnatura schon ein Thema, als die Marketingabteilungen der klassischen Supermärkte daran keinen Gedanken verschwendeten. Und die Märkte werden nach ökologischen Baukonzepten eingerichtet, mit Photovoltaik- und Geothermie-Anlagen.

„Wir orientieren uns nicht primär an der Ökonomie, sondern stellen den Kunden in den Mittelpunkt. Damit besitzt Alnatura eine andere Qualitätsphilosophie als viele Unternehmen, die im Markt agieren“, sagt Rehn, der aus einer Freiburger Arztfamilie stammt und als Manager bei Nestlé „Yes-Torty“ auf den Markt brachte, bevor er sich mit Alternativen zur etablierten Lebensmittelindustrie beschäftigte.

Heute lässt Rehn über 1000 Produkte unter dem Namen Alnatura herstellen. Viele werden bei Partnern wie der Drogeriemarktkette dm, Tegut, Budnikowsky, Hit und Globus verkauft – eine Tradition aus dem Gründungsjahr 1984:

„Ich wollte mit eigenen Filialen anfangen, musste aber feststellen, dass das, was es damals an Bioprodukten zur Auswahl gab, nicht meinem Anspruch genügte. Deshalb stand ich vor der Entscheidung: aufhören – oder einen ganz neuen Weg finden.“

Er entschied sich für die Alternative, ließ selbst produzieren. Und verkaufte die Produkte bei dm und Tegut, deren Gründer Rehns anthroposophischer Weltanschauung mit ihren Handelsunternehmen eng verbunden waren. Erst 1987 eröffnete der erste eigene Alnatura-Laden in Mannheim. Heute stammen immer noch rund 50 Prozent des Umsatzes aus dem Verkauf in den „Depots“.

Eine konkrete Renditevorgabe diktiert der Gründer seinem Unternehmen nicht. Zumindest keine, die bisher öffentlich kommuniziert wurde. Gewinn ist für ihn „Saatgut“. Er sagt:

„Alnatura soll natürlich ein Ergebnis erwirtschaften, das uns Investitionen in der Zukunft ermöglicht.“

„In der Zukunft“ bedeutet: jetzt.

Allein in den vergangenen vier Jahren wurden 30 neue Alnatura-Läden eröffnet, im laufenden Jahr sollen noch einmal zehn bis zwölf hinzu kommen: in Stuttgart, Hamburg, Berlin, Hannover, München, Aachen, Ravensburg. Ende des Jahres könnte die Zahl der Filialen auf 80 gewachsen sein. Die Läden sind sehr unterschiedlich: vom großen Filialneubau in städtischen Randbezirken bis zum kleinen kleinen City-Markt. Es sei doch „auch ökologisch, mit einem Laden genau dort hinzugehen, wo die Menschen wohnen und zu Fuß oder mit dem Fahrrad hinkommen können“, meint Rehn.

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Wie genau er die Orte für neue Märkte auswählt, verrät der Chef nicht. Wer sich das Neueröffnungsmuster ansieht, könnte auf die Idee kommen, dass eine hohe Kaufkraft im Einzugsbereich nicht ganz unwichtig sei. „Wir suchen Standorte, an denen Menschen leben, die Interesse an Alnatura haben. Das korreliert nicht nur mit dem Einkommen“, antwortet Rehn.

Es ist auch gar nicht so, dass man ihm das nicht glauben würde: dass er das Wachstum seines Unternehmens nutzen will, um tatsächlich eine „Mission“ zu erfüllen, nämlich eine nachhaltigere Produktion von Lebensmitteln.

Aber am Ende läuft die Expansion auch für Alnatura nach marktwirtschaftlichen Regeln. Und einer der  Wachstumsbeschleuniger ist es, schneller zu sein als die Konkurrenz. Die heißt Dennree, sitzt im bayerischen Töpen, drängt mit ihrer Ladenkette Denn’s in dieselben Städte wie Alnatura und zielt auch auf die gleiche Kundschaft. Derzeit gibt es 90 Denn’s-Filialen in Deutschland, der Umsatz im Geschäftsjahr 2012 lag bei 535 Millionen (inkl. Großhandel). Alnatura kam auf 516 Millionen.

Die Rivalität ist unübersehbar. Sie passt nur nicht in Rehns von Freundlichkeiten gelenkte Wachstumsvergleiche. Alnatura entwickele Produkte „für Kunden“ und nicht „gegen Wettbewerber“ ist das einzige, was er im Gespräch zu dem Thema sagt.

Dabei ist schon seit Jahren klar, wie sehr sich Alnatura und Denn’s in die Quere kommen würden. Zwei Jahrzehnte ließ Alnatura seine Läden vom Großhändler Dennree beliefern, 2007 erfolgte schließlich die Trennung und der Aufbau einer eigenen Logistik in Kooperation mit regionalen Bio-Großhändlern. Dennree war zum Wettbewerber geworden. Wie verbissen die Unternehmen um Kundschaft kämpfen, zeigte sich im vergangenen Jahr, als beide zum gleichen Zeitpunkt dem Bonusprogramm Payback beitraten. In den Broschüren zum Bonusprogramm ignorieren sich die Ketten gegenseitig, der Abdruck des Wettbewerberlogos wird vermieden.

Das passt schon eher zu den Gepflogenheiten der Handelsbranche.

Alnatura muss jetzt beweisen, dass die sich selbst auferlegten Regeln auch dann einhalten lassen, wenn wegen der zahlreichen Neueröffnungen plötzlich der Lieferbedarf wächst. Irgendwoher müssen die Bio-Produkte ja kommen. Zwingt Alnatura die Hersteller seiner Eigenmarken mitzuwachsen? Nein, sagt Rehn:

„Das lässt sich vorausschauend organisieren. Nämlich indem wir über unsere Hersteller Landwirte finden, die für uns auf ihren Flächen zum Beispiel Getreide anbauen.“

Die Milch stammte anfangs von 40 Bauern, heute seien es 140. Bei Erzeugern wie dem Brandenburger Ökodorf Brodowin oder dem Frankfurter Luisenhof ginge inzwischen ein Großteil der Produktion an Alnatura. Rehn nennt das „einen sehr gesunden Prozess“ – „wie ein Baum, der immer mehr Ringe kriegt, wenn er wächst“.

Manchmal müsse aber auch nach ganz neuen Lösungen gesucht werden. Der italienische Tomatensoßenproduzent könne nicht einfach so sein Werk vergrößern, weil Alnatura gerne ein zusätzliches Produkt hätte. Weil die Auslastung das ganze Jahr über stimmen muss, und nicht nur zur Erntesaison. Rehn sagt:

„Wir wissen, dass wir mit Herstellern langfristig zusammen planen müssen. Ab einer gewissen Menge suchen wir uns aber tatsächlich einen zweiten oder dritten Produzenten.“

Wo Alnatura den eigenen Ansprüchen hinterherhinkt und welche Rolle der Preis im Bioladen spielt, steht im nächsten Blogeintrag.

Fotos: Alnatura (1), Supermarktblog

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