Tescos Rekordverlust und die Wandlungsfähigkeit großer Supermarktketten

Tescos Rekordverlust und die Wandlungsfähigkeit großer Supermarktketten

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Die britische Supermarktkette Tesco hat einen Verlust in Milliardenhöhe bekannt gegeben. Die Discounter Aldi und Lidl setzen dem Marktführer zu. Das wird auch im deutschen Markt Konsequenzen haben.

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Die britische Supermarktkette Tesco hat heute bekannt gegeben, im vergangenen Geschäftsjahr 8,9 Milliarden Euro Miese gemacht zu haben – ja, Sie haben richtig gelesen: Milliarden. Das ist einer der größten Verluste, die jemals von einem britischen Unternehmen gemeldet wurden. (Platz 6, um genau zu sein.) In der britischen Presse wird bereits über das „Ende der Ära Tesco“ geschrieben, zumal der Marktführer von den beiden stark expandierenden deutschen Discountern Aldi und Lidl zunehmend unter Druck gesetzt wird.

Außerdem hat Tesco in den vergangenen Monaten einen Skandal nach dem nächsten produziert. Der alte Geschäftsführer, Philip Clarke, wurde im Sommer rausgeschmissen, sein Nachfolger hat anschließend bekannt geben müssen, dass über Jahre die Bücher geschönt worden sind. Kürzlich wurde bekannt, dass 50 geplante Eröffnungen neuer Läden abgesagt, sehr viele Leute in der Zentrale entlassen und ein ganzer Schwung unrentabler Märkte geschlossen werden.

Tesco ist einfach zu schnell gewachsen, sagen die Experten. („Over-Expansion“ lautet der Ausdruck dafür, also quasi: Über-Expansion.)

Dabei liegt der jetzt gemeldete Rekordverlust vor allem daran, dass viele Immobilien, die Tesco besitzt, an Wert verloren haben. Trotz des Konkurrenzdrucks sind die Verkäufe gar nicht so schlecht gelaufen, urteilen Analysten und meinen, der neue Chef David Lewis hole jetzt einfach eine Leiche nach der nächsten aus dem Keller, damit das ganze Elend bekannt ist – und er dann mit dem Aufräumen beginnen kann, damit jeder noch so kleine Schritt als Erfolg gewertet werden kann.

Dass Tesco überhaupt so schwächelt, ist vor allem deshalb kurios, weil der Konzern zu denen gehört, die nicht darauf gewartet haben, von der Zukunft eingeholt zu werden.

Lieferfahrzeug der britsichen Supermarktkette Tesco

Tesco ist ungefähr das Gegenteil des deutschen Marktführers Edeka. (Nicht nur organisatorisch.) Das Unternehmen hat sich früh mit der Lieferung online bestellter Lebensmittel auseinandergesetzt und macht damit einen ordentlichen Gewinn. Das Management hat verstanden, dass Supermärkte anders funktionieren müssen, wenn die Läden auf der grünen Wiese an Attraktivität verlieren. Tesco testet neue Techniken, die uns das Einkaufen erleichtern sollen. Und investiert in Gastro-Start-ups und neue Geschäftsfelder investiert.

Damit ist die Kette immer wieder auf die Nase gefallen. Aber die Strategie war richtig: Neues ausprobieren, offen für Änderungen sein, Handel neu definieren. Das Problem ist, dass die Manager darüber versäumt haben, ihr Kerngeschäft im Auge zu behalten. Sie waren so sehr mit dem Wandel beschäftigt, dass Aldi und Lidl ihnen komfortabel die Kunden abnehmen konnten, indem sie ihre Geschäftsmodelle mit niedrigen Preisen und guter Qualität beständig an britische Bedürfnisse angepasst haben.

Das heißt keineswegs, dass ganz Großbritannien künftig im Discount untergehen wird. Im Gegensatz zu Deutschland sind die Marktanteile der Herausforderer auf der Insel noch überschaubar: zusammen kommen Aldi und Lidl auf unter 10 Prozent. Im deutschen Markt macht der Discount insgesamt (laut GfK, inkl. aller Ketten) 43 Prozent aus.

Im vergangenen Jahr haben die Billigketten sogar Marktanteile eingebüßt, was vor allem Edeka und Rewe zugute kam, die sich mit mehr Vielfalt und Service von den Wettbewerbern abheben.

Das deutsche Problem ist eher, dass sich die Experimentierfähigkeit arg in Grenzen hält. Rewe ist da noch die Ausnahme, Konzernchef Alain Caparros hat verstanden, dass er ausprobieren muss, wenn Rewe in Zukunft gegen neue Konkurrenten (die nicht bloß aus dem Lebensmittelhandel kommen) bestehen will. Edeka hingegen ist immer noch voll damit beschäftigt, klassisch zu expandieren. (So wie mit der gerade am Veto des Kartellamts gescheiterten Übernahme von Kaiser’s Tengelmann.)

Ansonsten konzentriert man sich in Hamburg auf das, was schon seit Jahren funktioniert: solide Händlerarbeit. Wenn’s unbedingt sein muss, sollen die Kunden halt an der Kasse auch mit dem Handy bezahlen. Die restliche Modernisierung überlässt man den selbstständigen Kaufleuten.

Edeka mag sich das leisten können, weil mit der vor zehn Jahren dazu gekauften Tochter Netto (ohne Hund) gleichzeitig der Druck aus dem Discountmarkt abgefedert werden kann. Dabei befindet genau der sich gerade in einem grundlegenden Wandel. Das liegt vor allem an Lidl, wo man mit vielfältigerem Angebot, größeren Märkten und Image-Werbung selbst in Richtung Supermarkt drängt – und deutlich experimentierfreudiger ist als der behäbige Genossenschaftsklotz Edeka. Selbst Aldi bewegt sich zunehmend.

Im Grunde setzen die beiden großen deutschen Discounter in ihrem Stammland jetzt das um, womit sie in Großbritannien schon Erfolg haben. Wenn das klappt, werden sich Rewe und Edeka nicht auf dem ausruhen können, was bislang (für sie) funktioniert hat.

Wer einfach stur auf Wachstum setzt, ohne sich mit dem Wandel zu beschäftigen, der wird irgendwann Probleme bekommen. Auch ohne Rekordverlust in Milliardenhöhe.

Fotos: Supermarktblog

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8 Kommentare
  • Das Interessante ist, dass der britischen Wikipedia zufolge Tesco mit einem Konzept groß wurde, dass auch von Lidl stammen könnte: „pile ‚em high, sell ‚em cheap“. Erst in den Neunzigern habe Tesco Uptrading betrieben, so wie Lidl es in den letzten Jahren tut. Also müssten sie den Deutschen eigentlich mehrere Nasenlängen voraus sein?

  • Hat in Deutschland auch mehrere Jahrzehnte gedauert bis die Leute ALDI voll verstanden haben, dieser Punkt ist jetzt auch in GB erreicht.

    Für ALDI und Lidl kommt nun der einfache Teil, man muss nur noch „ausführen“, insbesondere Tesco kann nicht wirklich reagieren, weil man eine ganz andere Kostenstruktur hat als die Deutschen.

    Auch die nächste Wirtschaftskrise in GB wird ALDI und Lidl helfen ihre Marktanteile mindestens zu verdoppeln.

  • „Im Grunde setzen die beiden großen deutschen Discounter in ihrem Stammland jetzt das um, womit sie in Großbritannien schon Erfolg haben. Wenn das klappt, werden sich Rewe und Edeka nicht auf dem ausruhen können, was bislang (für sie) funktioniert hat.“

    Sind Aldi und Lidl denn in Großbritannien innovativer als in Deutschland? So wie ich das verstanden habe, haben die Tesco doch Kunden abgejagt, in dem sie dem Kunden das klassische Discounter-Prinzip angeboten haben: Verzichte auf die Finanzierung von Innovationen, die ggf. dein Leben verbessern können, wähle den kurzfristigen Geiz.

  • „Nach dem Nächsten“ geht nicht, da das Nächste nach dem zuerst genannten kommt. „Nach dem Anderen“ müsste es heißen. Auch falsch (kommt nicht in diesem Artikel vor, ich bin aber grad in der Stimmung): Mund-zu-Mund-Propaganda.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • „Verzichte auf die Finanzierung von Innovationen, die ggf. dein Leben verbessern können, wähle den kurzfristigen Geiz.“

    Und welche Innovation von Edeka oder Rewe genau verbessert mein Leben?
    Mein Leben muss furchtbar sein, da ich den Salat aus der Region bei Aldi kaufe, anstatt dreimal so viel für Importware bei Edeka zu bezahlen.

  • Die Zukunft wird im Versand der Lebensmittel liegen. Wenn man sich da an der rasanten Entwicklung der letzten Jahre in den Bereichen Bekleidung und Bücher/Elektronik orientiert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Lieferung zum größten Teil von mäßig zentralen Lagerstellen „bequem nach hause“ erfolgt.

  • „Die Zukunft wird im Versand der Lebensmittel liegen. Wenn man sich da an der rasanten Entwicklung der letzten Jahre in den Bereichen Bekleidung und Bücher/Elektronik orientiert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Lieferung zum größten Teil von mäßig zentralen Lagerstellen „bequem nach hause“ erfolgt.“
    Dazu benötigt man aber eine komfortable Struktur. Wenn ich mir mein Lebensmittelpaket, weil ich ja arbeite, erst am nächsten Tag von ´ner Postfiliale oder einer Packstation abholen muss, bringt das gar nichts. Hinzu kommt noch ein Haufen Verpackungsmüll. Viel interessanter fände ich die Methode, wo ich mir die bestellten Einkäufe einfach auf dem Nachhauseweg im Supermarkt abhole.

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