Discounterdämmerung – Drama in fünf Akten

Discounterdämmerung – Drama in fünf Akten

Inhalt:

Ein zwiegespaltener König, ein machthungriger Modernisierer, ein wendiger Außenseiter – das ist der Stoff, aus dem große Geschichten gemacht sind. Ganz besonders im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel. Im Supermarktblog steht das ganze Drama.

Partner:

Vorwort

Im September war bei Penny „große Nachbarschaftswahl“: Anderthalb Wochen konnten die Kunden beeinflussen, wie „ihr“ Laden künftig heißen soll. Für jede Filiale gab es drei ortsbezogene Vorschläge zur Auswahl, über die mit Klebepunkten abgestimmt wurde. Seit Anfang Oktober hängen die finalen Namen aus, bevor sie demnächst im Internet und auf den Ladenschildern leuchten sollen.

pennywahl01a

Und der Sozialmedienbeauftragte der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz twitterte nach einem Besuch im „Penny an der Schaubühne“ unentschieden-euphorisch:

Kurz darauf informierte die Schaubühne per Aushang (in der Schaubühne), ihren Namen ebenfalls geändert zu haben:

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Zumindest in der Berliner Theaterszene ist die „Nachbar“-Aktion der Penny-Marketingabteilung demnach als Erfolg zu werten. Womöglich will das Ensemble der Schaubühne noch ein bisschen länger am Thema dranbleiben: Die aktuelle Discounterdämmerung, in deren Kontext die Penny-Kampagne zu sehen ist, eignet sich schließlich hervorragend, auf die Bühne gebracht zu werden. Als Drama, natürlich.

* * *

Discounterdämmerung

Erarbeitet und herausgegeben von Supermarktblog, Berlin

Dramatis Discountae

ALBRECHT (ALDI), zwiegespaltener König
LIDL, machthungriger Modernisierer
NETTO (OHNE HUND), Tochter der Edeka
PENNY, Außenseiter
EDEKA, REWE et al., stille Beobachter

Kunden, Gefolge, eine Druckschrift

* * *

Akt 1 (Zusammenf.)

Ein freies, billiges Land.

Seit über 50 Jahren kämpft Albrecht, König von Discountdeutschland, mit einer gespaltenen Persönlichkeit: Nord und Süd. Albrecht ist lahm, geizig und ignorant – aber das war es, was ihm über so viele Jahre die Herrschaft über sein treues Volks sicherte. Die Zeiten haben sich geändert. Die Kundschaft ist anspruchsvoller geworden. Albrecht, lange blind für den schleichenden Verlust seiner Macht, weiß, dass er seinen Thron an den Herausforderer Lidl verlieren könnte, sofern er nicht bereit ist, sich zu verändern. Veränderung aber ist nicht Albrechts Stärke.

Im Süden spricht der König deshalb erstmals zu seinem Volk und verkündet: „Einfach ist mehr“.

Aldi (Süd).
„Uns kommt es nicht darauf an, Ihnen die Entscheidung mit einem Überfluss an Auswahlmöglichkeiten zu erschweren; uns kommt es darauf an, Ihnen stets die besten Produkte und Angebote für Ihr Leben zu bieten.“

Geht ab.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Während der König aber Einfachheit predigt, praktiziert er Komplikation: Fast monatlich verbündet er sich mit neuen Markenherstellern und verschärft mit deren Produkten den Überfluss, um jungem Gefolge zu gefallen. Ohne dies zugeben zu können, gleicht Albrecht immer stärker seinem ärgsten Widersacher, dem aufstrebenden Edeldiscounter Lidl.

* * *

Akt 2 (Zusammenf.)

Lidl, einst selbst Verfechter der Albrecht’schen Philosophie, schert sich kaum noch darum, wie der König sein Reich regiert. Der gefürchtete Neckarsulmer weiß, dass er einen eigenen Weg finden muss, um zu reüssieren – selbst wenn das bedeutet, sich dafür den verteufelten Supermärkte annähern zu müssen, die ihre Kunden mit Komfort verhexen, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Fiebrig spricht er:

Lidl.
„Woran erkennt man eigentlich gutes Fleisch? Woran erkennt man eigentlich gutes Brot? Woran eigentlich gutes Obst und Gemüse? Gute Schokolade? Wein? Und woran erkennt man eigentlich gute Qualität? Hört mich an: Gute Qualität erkennt man an guter Qualität!“

Ab.

lidlgut05a

* * *

Akt 3 (Zusammenf.)

Eingeschüchtert dämmert den Emporkömmlingen Netto (ohne Hund) und Penny, dass ihnen Vielfalt und Modernisierung künftig nicht mehr ausreichen werden, um sich von der herrschenden Zunft abzusetzen.

Netto (ohne Hund), verwöhnte Tochter des verstorbenen Spar, verlässt sich zunehmend auf die Ratschläge ihrer trickreichen Stiefmutter Edeka, ohne zu sehen, dass sie ihr immer ähnlicher wird. Wie Edeka umschmeichelt Netto (ohne Hund) treue Anhänger mit Gutschriften, die in Form von „Punkten“ auf einer so genannten „Deutschland Card“ registriert und gegen nutzlosen Plunder eingetauscht werden können – ein bislang beispielloser Bruch mit den Discountprinzipien.

Netto (ohne Hund).
„Sofort lospunkten; Anmelden und Vorteile genießen; Punkte-Turbo; Punkte einlösen.“

Geht an der Hand von Edeka ab.

Um die Gunst des einfachen Volks, vor allem in den Städten, für sich zu gewinnen, versucht sich Penny an einer List.

Weil der König und sein Widersacher sich immer üppiger ausstatten, ziehen sie sich zwangsläufig aus den engen Gassen der Metropolen zurück und schließen Plätze, an denen sie bislang in regem Austausch mit ihrer zahlenden Anhängerschaft standen.

Auftritt Druckschrift.

Lebensmittel Zeitung.
„Erstmals seit die LZ im Halbjahresrhythmus die Expansionsaktivitäten der Discounter vorstellt, betreiben sämtliche Händler weniger Märkte als noch vor einem halben Jahr. (…) Aldi Nord betreibt heute fast 200 Filialen weniger als vor sechs Jahren. (…) Lidl fährt einen ähnlichen Kurs (…).“

1200 Quadratmeter, 1600 Quadratmeter – das Drängen auf immer größere Verkaufsstätten übersteigt alle bis dahin vorstellbaren Maße. Nicht so für Penny: Mit Ruh und Bedacht sucht die Tochter der Rewe, lange als rückschrittlich gescholten, auch kleine, verwinkelte Läden und gewinnt dort jene für sich, von denen sich Widersacher längst abgewendet haben. Die Innenstädter.

Penny, stammelnd.
„Standortkriterien: Mietflächen ab 800 qm Verkaufsfläche plus ca. 250 qm Nutzfläche für Nebenräume (in hochverdichteten Zentren/Innenstadtlagen der Großstädte: ab 400 qm).“

Um den neuen Bund zu besiegeln, benennt Penny seine Märkte, wie im Discountbezirk Hamburg erprobt, nach den Wünschen des Gesind… – Gefolges und vermag dies auch forsch auszurufen.

Penny.
„Seine Nachbarn kann man sich normalerweise nicht aussuchen. Bei Penny schon!“

Penny ab. Druckschrift ab.

* * *

Akt 4 (Zusammenf.)

Im Kampf um die Macht haben sich König Albrecht und Herausforderer Lidl in eine geradezu ausweglose Situation manövriert. Seine Preisführerschaft will sich der Herrscher keinesfalls nehmen lassen. Drum lässt er seine Mitstreiter neu an den Hof geholte Markenprodukte mit deutlichem Abschlag auf die Preise versehen, die bislang überall im Land gültig waren. Der Erwerb des veredelten Kartoffelprodukts Funny frisch Paprika kostet seinen Erwerber zunächst statt 1,99 nunmehr 1,29 Eurogulden; Lidlreagiert rachlüstig und verlangt 1,19 Eurogulden. Albrecht pariert.

Tages- und Wochenschriften proclamieren, die Mächtigsten im Discountreich hätten sich den „Preiskrieg“ erklärt.

Noch dazu fühlt sich Kaufland, korpulenter Bruder von Lidl, dazu angeregt, ebenfalls mit neuen Niedrigpreisen in die Schlacht zu ziehen.

Kaufland.
„Preissturz bei Kaufland. Diese Artikel jetzt auf Dauer reduziert!“

Vergisst, abzugehen.

kauflandpreis01a

Die Kundschaft jubelt. Doch in ihrer gegeneinander gerichteten Wut sind die Rivalen blind dafür, welche Unmöglichkeit ihr Vorhaben darstellt: Wie kann ein König, oder auch sein Nebenbuhler?, sein Reich reformieren und dafür das Kapital aufbringen, wenn er im Herzen weiter der Alte zu bleiben wünscht – so günstig, wie es kein anderer vermag.

Es ist wahrlich töricht, zu glauben, mit diesem Widersinn herrschen zu können. Doch scheint diese Zeit den Törichten zu gehören.

* * *

Akt 5 (Zusammenf.)

Schlachtfeld.

Markterschütternde Rufe schallen durch Land und Prospekte.

Aldi (Nord und Süd).
„Einfach ist mehr!“, „Super Frische! Super-Preis!“
Lidl.
„Super-Samstag!“
Penny (in einiger Entfernung).
„Sie haben die Wahl!“
Netto (daneben; ohne Hund).
„Zusatz-Punkte sichern!“

Ein anderer Teil des Schlachtfelds.

Edeka, sich die Hände reibend, zu Rewe.
„Hab ich’s nicht gesagt? Die erledigen sich von alleine.“

Fanfaren. Alle gehen ab.

pennywahl02a

Fotos: Supermarktblog

Kommentieren

Datenschutzhinweis: Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Eine Freischaltung erfolgt nur unter Angabe einer validen E-Mail-Adresse (die nicht veröffentlicht wird). Mehr Informationen.

24 Kommentare
  • Die Hamburger Pennies haben’s ja schon vorgemacht. Bei den Namen weiß man doch sofort, warum bis jetzt kaum ein Supermarkt einen eigenen Namen hatte:

    Penny Drosselstraße. (Ist der Penny an der Drosselstraße)
    Penny Gartenstadt (Ist der Penny in Wandsbek-Gartenstadt)
    usw.

    • Sie müssten bitte nächstes Mal eine gültige Email-Adresse angeben, um hier kommentierten zu können. Danke!

  • mit der Deutschlandcard kann man sich auch Bargeld auszahlen lassen, bzw. es wird von der Rechnung abgezogen, man muss nichts extra kaufen und das lohnt sich, wenn man bei einem Einkauf 5 oder 10 € weniger zahlen muss

  • Wie ist die Einschätzung des Supermarktblogs zum Premium- und Ökotrend bei Aldi? Kann es sein, dass Aldi versucht soetwas wie der Premiumdiscounter zu werden? Ich beobachte bei meinen Einkäufen vermehrt, dass bei Aldi eher hochpreisige Artikel gekauft werden als früher (Bsp: Biojoghurt statt Joghurt, Parmaschinken, Schwarzwälder Schinken statt Kochschinken). Oder handelt es sich dabei um einen allgemeinen Trend?

    • Das ist ein allgemeiner Trend. Die Kundschaft achtet insgesamt mehr auf Qualität (oder auch „Qualität“) als früher.

  • Konsequent ist Penny mit seiner Nachbarschaftsstrategie auch nicht. Diese Woche warf Penny seinen Nachbarn eine Postkarte in den Briefkasten, wo man sich erkundigt, ob „alles frisch?“ sei und man bietet den Nachbarn 5 Euro Nachbarschafts-Rabatt an (ab einem Einkaufswert von 30 Euro.)

    Absender ist aber natürlich nicht mein Nachbar-Penny, sondern die Penny Markt GmbH aus Köln. Und sie fragen mich, ob ich in meinem „Penny: Kandinskystraße 16“ vorbeischaue. Dabei hatten wir ihn „Penny Solln“ getauft… glaub ich.

  • Ich bin seit langem begeisterter Leser dieses Blogs. Seit fast 25 J. beschäftigter bei einem der Top 5 Discounter Deutschlands möchte ich auch mal meinen Senf dazugeben. Einige Konzepte wurden getestet und mit viel Aufwand national umgesetzt, viele Marketingstrategien angeschoben und z.T. schnell wieder verworfen. Natürlich hat jeder neue Vorstand/Geschäftsführer eigene Ideen und setzt sie durch. Über nachhaltigen Erfolg am POS entscheidet aber letztendlich die Qualität der Marktleitung und die der Mitarbeiter/Innen. Da spielt es keine Rolle ob man Qualität an guter Qualität erkennt (was ja eh logisch ist) oder ein Penny in Lummerland „Penny Lummerland“ heißt(wie denn sonst!).

  • Ich hatte jetzt keinen besseren Platz gefunden, daher schreibe ich mal hier hin:

    Passiert mit dieser großartigen Namenswahl bei Penny eigentlich noch was? Man hatte ja groß bekanntgegeben, dass man alle 2200 Märkte umbenennt. Davon gesehen hab ich bisher noch nichts. Versucht man das Ganze vielleicht einfach vergessen zu machen?

    Davon abgesehen noch was: Hier im Rhein-Main-Gebiet hat Aldi ab 01.03. flächendeckend bis 21 Uhr geöffnet. Vorher galt das nur für einzelne Filialen.

  • Auf meinem Kontoauszug steht seit heute „Penny Belvedere“. Das ist dann wohl die offizielle Verkündung. Ansonsten gab es ja keinen weiteren Hinweis darauf. Der Link zur Aktion hat auch nie Informationen bereitgestellt und jetzt gibt es da einen 404.

    • Es hing auch mal ein Plakat, meine ich. Und der an der Schauenburger steht es, meine ich, schon unter dem Penny-Schriftzug auf dem roten Logo-Kasten.

  • Auf meinem Kontoauszug bedankt sich jetzt auch „Penny Auf der Leip“. Mehr Zeichen passen wohl nicht. So richtig durchdacht, persönlich und nachbarschaftlich wirkt das alles irgendwie nicht…

  • Kann bei ‚meinen‘ Pennys auch keine Spur mehr von Individualisierung erkennen. Ist ja auch ein großer Unsinn (gewesen).

    Dass der große Unsinn allerdings Herrn Schader einst zu diesem Artikel inspirierte, macht das alles mehr als wett. Habe die „Discounterdämmerung“ gerade zum dritten Mal gelesen, und muss auch zum dritten Mal sagen: chapeau! Wahnsinnig gut, und als heimlicher Fan griechisch-antiker Dramen kann ich mich jedes Mal wieder wegen „Tochter der Edeka“ wegschmeißen.

    Eins der besten Blogs, die ich kenne, echt jetzt. Danke!

  • @Bea
    Eben nicht. Kein Bargeld. Im Gegensatz zu Payback, wo das geht.
    Klar – verrechnen mit dem Einkauf geht. Aber ich hatte rund 1200 Euro in Punkten und die wären nach 3 Jahren verfallen. Da muss man sich dann schon was anderes einfallen lassen.

Blog-Unterstützer:innen können sich über Steady einloggen, um Support-Hinweise und Werbung im Text auszublenden:

Archiv