Aldis mieser Ruf ist ein echter Exportschlager

Aldis mieser Ruf ist ein echter Exportschlager

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Aldi überträgt nicht nur sein Einkaufsprinzip erfolgreich ins Ausland. Am Montag widmete sich der britische Channel 4 den „Supermarket Secrets“ des Discounters. Deutschen Kunden wird die Kritik bekannt vorkommen.

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Kleine Rentiere klettern auf Lebkuchenhäuschen, Father Christmas genehmigt sich im Kamin erstmal ein Törtchen, Eisläuferinnen tanzen auf hübsch dekorierten Torten – so fantasievoll und herzig ist Weihnachten. Zumindest im neuen Werbespot von Aldi in Großbritannien.

Jährlich verpulvern britische Supermärkte und Kaufhäuser Millionen Pfund für ihre Weihnachts-Werbekampagnen und versuchen sich gegenseitig in Kitsch und Originalität zu übertrumpfen.

Das kann man sich hierzulande kaum vorstellen. Im aktuellen Edeka-Weihnachtsspot brüllt Kevin allein im Supermarkt den Weihnachtsmann an, weil der zuviel Roastbeef bestellt („Sonst passt du bei uns nie durch den Kamin!“). Und die kreativen Werbefuzzis von Scholz & Friends haben für den aktuellen Kaufhof-Spot einfach hundertmal den von John Lewis aus dem vergangenen Jahr geguckt, wie dem Branchendienst etailment auffiel.

In Großbritannien, wo das Experten-Ranking der besten Händler-Spots eine ernstzunehmende Angelegenheit in Fachmagazinen ist, wäre das kaum vorstellbar. Deshalb hat sich Aldi, das in Deutschland immer noch das Fernsehen meidet wie, ähm, ein Discounter das Weihwasser, angepasst. Um auf der Insel erfolgreich zu sein, haben sich die Deutschen – entgegen sonstiger Gewohnheiten – sehr genau angesehen, wie die Briten einkaufen und sich in vielerlei Hinsicht angepasst (siehe Supermarktblog). Dazu gehört auch die kitschige Weihnachtswerbung.

(Lidl steht dem Wettbewerber in nichts nach und hat dieses Jahr die – deutlich originellere – „School of Christmas“ eröffnet).

Hinter den Kulissen allerdings läuft alles so, wie das aus der Heimat bekannt ist, hat das britische Fernsehen gemerkt. Am gestrigen Montagabend widmete sich die Investigativ-Reihe „Dispatches“ von Channel 4 den „Aldi Supermarket Secrets“ und fragte: Wer zahlt den Preis für unsere Schnäppchen?

Einmal dürfen Sie raten.

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Weil Aldi, um günstige Preise anbieten zu können, zum Beispiel Personalkosten spart, sind die Mitarbeiter im Laden ständig unter Zeitdruck. 1200 Produkte müssen pro Stunde über die Kasse gezogen werden, heißt es im Mitarbeiterbuch, das die Channel-4-Reporter ausgehändigt bekommen haben, als sie verdeckt in zwei Aldi-Filialen arbeiteten. Produkte werden nicht ins Regal gelegt, sondern geworfen – „fuckin‘ chuck ‚em“, rät ein Kollege, ein anderer meint: „you’ve got to drop it, mate!“

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Zum Leiteraufstellen ist keine Zeit, also klettern die Mitarbeiter ungesichert auf Regale, eine Kollegin bricht beim Einräumen durch das Glas der Kühltheke und verletzt sich das Knie. Notausgänge sind mit Paletten und Kisten zugestellt, weil zwar die Läden vergrößert werden, aber nicht die Lager, sagt ein Filialleiter.

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Aldi antwortet auf die Rechercheergebnisse so wie Aldi eben antwortet: Es gebe eindeutige Regeln für Sicherheit, Umgang mit Waren und zum Schutz von Mitarbeitern; geschilderte Probleme seien Einzelfälle; man sei stets bemüht, den bestmöglichen Kundenservice anzubieten.

Dass die einen Regeln kaum einzuhalten sind, wenn die anderen nicht verletzt werden sollen, kümmert trotzdem wenig. Warum sie hier Schlange stehen, fragt der Channel-4-Reporter Kunden vor einer neu eröffneten Aldi-Filiale, und die antworten schon gar nicht mehr in ganzen Sätzen, es reicht einfach: „cheap“ – billig.

Dass die Briten gerade das nachholen, was die deutschen Kunden Jahrzehnte lang vorgemacht haben, ist vor allem deshalb kurios, weil die Discounter in Deutschland gerade gezwungen sind, umzudenken und nicht mehr bloß auf den günstigsten Preis zu achten. Weil sie sonst Kunden verlieren, denen das nicht (mehr) reicht. Das kommt auch daher, dass in Deutschland kaum noch eine räumliche Expansion möglich ist. Anders als in Großbritannien.

Immerhin wissen wir jetzt, dass Aldi nicht nur sein Einkaufsprinzip erfolgreich ins Ausland übertragen kann. Der miese Ruf ist mindestens ein genauso großer Exportschlager.

Mit Dank an Daniel M.!

Fotos: Channel 4

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6 Kommentare
  • Das finde ich jetzt etwas überraschend, denn Aldi ist tatsächlich so ziemlich der einzige Markt, zu dem mir wirklich überhaupt gar nichts negatives eingefallen wäre. Ausser vielleicht, dass ich ein paar ausgelistete Produkte vermisse.

    Aldi Süd, wohlgemerkt. Als ich mal einige Zeit in Aldi-Nord-Land gelebt habe, bin ich dort seeehr schnell zu Lidl umgeschwenkt.

    • @Peer Schader:
      Ich habe weder am Sortiment (naja, bis auf siehe oben), noch an den Preisen, noch an der Freundlichkeit des (zum Teil seit >10 Jahren identischen) Personals, noch an der Sauberkeit der Filialen, noch an deren Übersichtlichkeit, schon gar nicht an der Effizienz des Einkaufens wirklich etwas auszusetzen. Das sind die für mich letztendlich entscheidenden Einkaufskriterien, und das kann ich so tatsächlich von im Grunde keinem anderen Markt behaupten. Am nächsten kommen wohl Lidl oder Netto, bei denen es im Vergleich „nur“ an Sauberkeit und Übersichtlichkeit hapert.

  • Aldi hat keineswegs einen miesen Ruf. Ob zu recht oder zu recht sei dahingestellt, aber de Ruf zB von Lidl (Bespitzelungsskandal) ist in der Öffentlichkeit sicher schlechter.
    Und etwas Differenzierung in der Betrachtung könnte auch nicht schaden. Es ist sicher richtig, dass Aldi kräftig „Personalkosten spart“, aber wer tut das im Einzelhandel denn nicht? Es ist schließlich auch Tatsache, dass Aldi (und auch Lidl) über Tarif bezahlen, die meisten Bio-Läden und Dorf-Edekas drunter.

  • Discounter sind asozial und die Asozialsten sind die Erfolgreichsten.

    Wenn Sie schon DIfferenzieren wollen dann bitte richtig. Sicher bezahlen Discounter Tarif oder drüber, aber sie pressen die Menschen auch aus und beschäftigen sie nur solange die Leistung stimmt – und die nimmt mit dem Alter ab. Bei den Discountern schaffts doch kaum einer bis zum Rentenalter – zumindest nicht im Verkauf. Also ich seh da kaum ältere Menschen arbeiten, Sie ? Die sind dann meistens in ihren abfällig bewerteten Dorf-Edekas oder Bio-Läden zu finden.

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