Des Kaiser’s alte Kleider – oder: Das Märchen von der Nichtsanierbarkeit

Des Kaiser’s alte Kleider – oder: Das Märchen von der Nichtsanierbarkeit

Inhalt:

Hat Kaiser’s Tengelmann in den vergangenen Jahren die Modernisierung seiner Märkte verpennt und muss deshalb verkauft werden? Aus der Perspektive des Eigentümers klang das lange anders. Das hat sich schlagartig geändert.

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Das unwürdige Theater gegenseitiger Schuldzuweisungen im Falle der gestoppten Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka hat in dieser Woche seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub und Rewe-Chef Alain Caparros machen sich in Interviews gegenseitig dafür verantwortlich, dass die versuchte gütliche Einigung nicht zustande gekommen ist. Aktuell sondiert Haub, ob ihm jemand die Läden in Nordrhein-Westfalen abkaufen will. Dann wird die Kette wohl zerschlagen.

(Lange Bewerberlisten wird es für die wenig attraktiven Kleinläden eher nicht geben, das lässt sich nachher ideal öffentlich beklagen.)

Weil es zwischendurch eigentlich nicht viel Neues gibt, die Medien aber weiter atemlos berichten wollen, schreiben sie derweil auf, wie es zum „Tengelmann-Desaster“ („Wirtschaftwoche“) kommen konnte. In einem sonst ganz guten Überblickstext meint die „Wiwo“:

„Tengelmann-Chef Haub und seine Manager haben es über Jahre versäumt, die Läden zu sanieren.“

Die „Süddeutsche“ (Mittwochsausgabe) formuliert’s noch drastischer und spricht Kaiser’s Tengelmann jegliches Reformbemühen für die vergangenen Jahre ab:

„Das Unternehmen hatte bereits Risse, bevor die Geschichte um den Verkauf anfing. Es schreibt seit fast 16 Jahren Verluste und zerfällt von allein. (…) Seit Jahren hat Tengelmann – im Gegensatz zur Konkurrenz – kaum noch in die Modernisierung der Märkte investiert; den Kunden blieb das nicht verborgen. In seinem [sic!] jetzigen Zustand ist die Kette schon lange nicht mehr wettbewerbsfähig.“

Das ist, mit Verlaub, Quatsch.

11 Millionen für „Schwarz-Rot-Gold“

Kaiser’s Tengelmann hat in den vergangenen Jahren sehr wohl in die Modernisierung der Märkte investiert. Es gab sogar ein eigenes Konzept dafür (unter dem etwas dämlichen Namen „Schwarz-Rot-Gold“, wegen der verwendeten Farben). Ältere Filialen wurden umgebaut, Obst- und Gemüseabteilungen neu gestaltet. In Berlin eröffnete Kaiser’s kontinuierlich neue Filialen, die den Standard-Märkten von Edeka oder Rewe bei Aussehen und Auswahl in nichts nachstehen und sich in attraktiven Innenstadtlagen befinden, die von den Wettbewerbern lange systematisch vernachlässigt wurden.

Vor drei Jahren nannte Haub sogar eine konkrete Zahl: 11 Millionen Euro habe man allein in 2013 für die Modernisierungen in die Hand genommen.

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Kaisers Tengelmann zerfällt also keineswegs „von allein“. Das ist bloß das Märchen, das in die Welt gesetzt wurde, um den Verkauf zu rechtfertigen.


Im Jahr 2010 hieß es bei der Bekanntgabe der aktuellen Zahlen aus 2009 („Unternehmensgruppe Tengelmann zieht positive Bilanz“) noch:

„Die Supermärkte der Kaiser’s Tengelmann GmbH erwirtschafteten mit 20.959 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 660 Filialen einen Umsatz von 2,58 Mrd. Euro und konnten damit das Vorjahresniveau halten. Die sukzessive Filialumstellung auf das Konzept ‚Schwarz-Rot-Gold‘ wurde verstärkt fortgeführt. So setzt Kaiser’s Tengelmann weiter konsequent auf Frische, Service und besondere Kundenorientierung.“

Die bevorstehende Abgabe der Filialen im Rhein-Main-Gebiet sollte die Kette „wieder auf ein solides Fundament“ stellen. Haub sagte damals:

„In diesem Markt kommt es vor allem darauf an, in seinen angestammten Märkten eine sehr gute Marktposition zu haben. In Berlin und München sind wir mit Kaiser’s und Tengelmann jeweils Marktführer.“

„Sehr gute Zukunftsperspektiven“

2011 klang das – nach Abgabe der Rhein-Main-Märkte – nicht minder optimistisch („Unternehmensgruppe Tengelmann blickt auf ein erfolgreiches 144. Geschäftsjahr zurück“):

„Mit 17.975 Mitarbeitern in 531 Filialen erwirtschaftete die Supermarktsparte Kaiser’s Tengelmann einen Filialumsatz von 2,16 Mrd. Euro und damit auf bereinigter Basis 0,1 Prozent mehr als im Vorjahr.“

Das Filialnetz in den drei verbliebenen Regionen sei verdichtet worden. Außerdem habe der Online-Lieferservice von Kaiser’s Tengelmann in Berlin und München „ein zweistelliges Umsatzplus“ erzielt. Haub erklärte:

„Allein schon aus demographischen Gründen hat der klassische Supermarkt sehr gute Zukunftsperspektiven.“

Sie ahnen vielleicht, wie’s 2012 weiterging („Auch im 145. Geschäftsjahr erfolgreich“):

„Mit 17.882 Mitarbeitenden und 513 Filialen erzielte die Kaiser’s Tengelmann GmbH im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Bruttoumsatz von 2,16 Mrd. Euro.“

(Denselben wie im Jahr zuvor, aber mit weniger Märkten.) Haub lobte die Sortimentsneugestaltung, die Vorreiterrolle von Kaiser’s Tengelmann mit der früh eingeführten Biomarke Naturkind und bezeichnete die Kette als „Qualitäts- und Frischesupermarkt“:

„Das Unternehmen setzt damit Maßstäbe in Sachen Qualität, Umfang des Frischesortiments und Einkaufsatmosphäre.“

Halten Sie durch!

2013 („Unternehmensgruppe Tengelmann zieht erneut positive Bilanz“) attestierte man der Supermarktkette erneut „besondere Einkaufsatmosphäre, Qualität, Frische und Service“:

„Die Supermärkte der Kaiser’s Tengelmann GmbH erwirtschafteten mit 17.089 Mitarbeitenden einen stabilen Umsatz von 2,13 Mrd. Euro. Das Standortnetz in den drei Kernregionen Berlin, München/Oberbayern und Nordrhein umfasst 512 Filialen, von denen inzwischen 300 auf das erfolgreiche ‚Schwarz-Rot-Gold‘-Konzept umgestellt wurden.“

Halten Sie durch, Sie haben’s gleich geschafft! Jetzt kommt 2014 („Auch im 147. Geschäftsjahr erfolgreich“):

„Im Geschäftsjahr 2013 beschäftigte das Supermarktunternehmen Kaiser’s Tengelmann 17.368 Mitarbeitende und erwirtschaftete mit ihnen einen Nettoumsatz von 1,94 Mrd. Euro [erstmals ohne Franchisepartner-Anteile ausgewiesen, Anm. SMB]. Das bewährte Frischekonzept ‚Schwarz-Rot-Gold‘ wurde 2013 in 42 weiteren Filialen umgesetzt.“

Mittlerweile liefen „rund 70 Prozent“ aller Märkte mit dem neuen Konzept.

Eine entscheidende Änderung gab es jedoch: Plötzlich war Kaiser’s Tengelmann für Haub „seit mehreren Jahren ein Geschäftsfeld mit besonderen Herausforderungen“, das „auf seine zukünftige Ausrichtung hin analysiert“ werde. Nur drei Monate später gab er bekannt, die Kette an Edeka verkaufen zu wollen.

Ein neuer Tonfall

Danach änderten sich Tonfall und Bilanz drastisch, nämlich 2015 („Unternehmensgruppe Tengelmann: Auch im 148. Geschäftsjahr erfolgreich“):

„Mit 15.710 Mitarbeitenden und 471 Filialen erzielte die Kaiser’s Tengelmann GmbH im Geschäftsjahr 2014 einen Nettoumsatz von 1,86 Mrd. Euro (-4,0 Prozent).“

Der Tengelmann-Finanz-Geschäftsführer Alfried Bührdel erklärte:

„Kaiser’s Tengelmann belastet die Unternehmensgruppe Tengelmann bereits seit mehr als 15 Jahren erheblich. Die Aufgabe des Geschäftsfeldes ist deshalb unausweichlich.“

Diese Unausweichlichkeit hat der Konzern zuvor über viele Jahre hervorragend vor den (mittelmäßig interessierten) Journalisten verstecken können.

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Im Juli 2016 tauchte Kaiser’s Tengelmann erstmals nicht mehr als eigener Posten in der Bilanz-Pressemitteilung auf. Im Standardwerk mit dem Titel „Auch im 149. Geschäftsjahr erfolgreich“ erklärte Haub:

„2015 wäre für Tengelmann ein sehr gutes Jahr gewesen, wenn es nicht durch den sich immer noch hinziehenden Abgabeprozess unserer Supermarktgeschäfte getrübt worden wäre.“


Nun lässt sich nicht bestreiten, dass es Kaiser’s Tengelmann als eigenständige Supermarktkette gegen sehr viel größere Konkurrenten in Zukunft eher schwerer gehabt hätte, sich durchzusetzen. (Wobei sich einige Nachteile über in der Branche übliche Einkaufskooperationen hätten ausgleichen lassen, wie sie auch Kaiser’s Tengelmann schon seit Jahren pflegt.)

Richtig ist auch, dass Kaiser’s teurer als die Konkurrenz ist. Das hat viele Kunden aber über viele Jahre nicht davon abgehalten, weiter dort einzukaufen und für stabile Umsätze zu sorgen. (Vielleicht weil sie die regionalen Produkte im Sortiment schätzen, die schnelle Einkaufsmöglichkeit mitten in der Stadt, die Kooperationen mit Bio-Anbietern wie Basic.)

In der Dauerrenovierschleife

Das Problem der Kette war explizit nicht, wie die SZ glaubt, dass „kaum noch in die Modernisierung der Märkte investiert“ wurde. (Gespart hat das Unternehmen ja wohl vor allem an neuen Überschriften für seine Bilanz-Pressemitteilungen.) Das Gegenteil ist der Fall. Es hat nur viel zu lange gedauert. 2013 berichtete „Horizont“:

„Bis Ende des Jahres sollen 80 Prozent der Läden auf das ‚Schwarz-Rot-Gold‘-Konzept umgestellt sein, das Tengelmann seit 2005 suksessive [sic] einführt.“

Seit 2005!

Kaiser’s Tengelmann hat sich also acht Jahre Zeit gelassen, in Dreiviertel der Filialen ein Konzept umzusetzen, von dem relativ klar war, dass es längst schon wieder hätte überarbeitet werden müssen. Noch dazu war es zu diesem Zeitpunkt im hochkonzentrierten deutschen Lebensmittelhandel schon üblich, ältere Läden nicht notdürftig aufzuhübschen – sondern im Zweifel abzureißen und komplett neu zu bauen. Dafür fehlten Tengelmann in der Tat die Mittel. Vermutlich, weil Haub – wie die „Wiwo“ richtig ausführt – lieber in Obi, Kik und neue E-Commerce-Beteiligungen investierten wollte.

Das ist sein gutes Recht als Eigentümer. Anstatt das aber so zu kommunizieren, hat Haub sich seine Supermarktsparte schlecht geredet, um für ihren Verkauf argumentieren zu können. Und die Medien glauben’s, weil es so schön einfach ist.


Mehr irritierende Texte zur angekündigten, abgesagten, ministergenehmigten und gerichtlich wieder gestoppten Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka stehen hier.

Fotos: Supermarktblog

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8 Kommentare
  • Ich finde bei solchen Geschäftsjahresberichten immer äußerst irritierend, dass vorrangig vom Umsatz aber eher selten vom Gewinn gesprochen wird. Wenn der x Jahre hintereinander totgeschwiegen wird, würden bei mir auch die Alarmglocken schrillen. (Siehe auch Air Berlin, wo angeblich seit Jahren pro Flug und Sitz ein einstelliger Euro-Betrag Verlust gemacht wird.) Dass so etwas aus strategischen Gründen für eine gewisse Zeit akzeptiert werden kann, ist ja noch einsichtig, aber auf Dauer…
    Wie hier im Blog vor einiger Zeit ganz richtig geschrieben wurde, wäre eine Übernahme durch einen kleineren Mitbewerber (Tegut, Globus, oder so) für alle wohl das Beste gewesen…

  • Schade. In unserem Kölner Vorort-Dorf ist Kaiser’s der letzte Vollsortimenter neben ALdi und Lidl. Umgebaut und modernisiert würde er ca. 2009. Größere VK-Fläche, Einkaufswagen mit Lupe, Backshop – alles schick. Preise natürlich etwas höher, aber seit ein Familienmitglied schwer laktoseintolerant wurde, freue ich mich über die konsequente allergikerfreundlichen Preisschilder und die zahlreichen Alternativ-Produkte. Gerade hat der Aldi mit doppelter Verkaufsfläche neu eröffnet – das Sortiment ist schmal wie eh und je.

  • Ich verstehe den vermeintlichen Widerspruch nicht.
    „Es wurde kaum noch investiert“ und „Es wurde viel zu langsam investiert“ ist doch das gleiche in grün. Zu langsam investiert = zu wenig Euro pro Jahr.

    Und es wird doch auch nicht behauptet, die Märkte wären nicht sanierbar, es wurde halt nur zu wenig tatsächlich gemacht. Dem würde (außer vllt. Herrn Haub) wohl keiner widersprechen, oder?

    • Das eine suggeriert, es habe im Unternehmen gar keinen Plan gegeben und deshalb sei der Verkauf unausweichlich gewesen. Das ist (meiner Ansicht nach) aber falsch.
      (Interessant ist natürlich auch der sehr schnelle Übergang bei Tengelmann von „sehr gute Zukunftsperspektiven“ zu „erheblich belastet“.)

  • Fakt ist doch aber, dass Tengelmann seit 15 Jahren Verluste einfährt – das braucht man nicht schlecht reden, das ist schlecht. In den Geschäftsberichten aus den Vorjahren hat man Zweckoptimismus verbreitet (und wohlweislich nur von Umsatz gesprochen statt von Gewinn), in der Hoffnung, dass die Modernisierungen und Filialschließungen die Wende bringen. Haben sie aber nicht und es ist klar, dass Haub dieses Verlustgeschäft nicht ewig weiterführen kann und will. Nach dem Beschluss zum Verkauf an Edeka gab es dann keinen Grund mehr ein Geheimnis drum zu machen.

  • Meiner Meinung nach begann das Dilemma bereits Ende der 70 er Jahre.
    Da wurden die Regionen Berlin, München, Wiesbaden, Hamm und später Viersen so gestärkt, dass kleine Fürstentümer entstanden. Mit eigenem Einkauf, Vertrieb etc. Der Zentraleinkauf und die zentrale Vertriebsleitung hatten kaum Gewicht. Es fehlte einfach die Zange, die alles zusammenhielt.
    So konnte die Industrie wunderbar die eine Region gegen die andere ausspielen.
    Zukunftweisende Ideen, siehe Mustermarkt an der Zentrale Mülheim, waren nur
    Eintagsfliegen. Als ehemaligem E Tianer tut einem das Herz weh.

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