5 bemerkenswerte Details zum kassenlosen Supermarkt Amazon Go

5 bemerkenswerte Details zum kassenlosen Supermarkt Amazon Go

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Amazon will den Traum so ziemlich jedes Supermarkt-Kunden wahr werden lassen: einen Laden, in dem man einkaufen kann, ohne anstehen zu müssen. Und der auch Fastfood-Anbieter ins Schwitzen bringen könnte.

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Amazon hat angekündigt, nächstes Jahr den Traum so ziemlich jedes Supermarkt-Kunden wahr werden zu lassen: einen Laden, in dem man einkaufen kann, ohne jemals anstehen zu müssen. Weil es dort keine Kassen mehr gibt.

In einem Video checken gut gelaunte Großstädter mit ihrem Smartphone im „Amazon Go“-Markt in Seattle ein, packen einen Salat oder ein Sandwich in ihre Tasche – und gehen einfach wieder raus. Der Konzern verspricht, dass eine selbst entwickelte Technologie die Produkte automatisch erkennt und den Gesamtbetrag beim Verlassen des Ladens vom Konto abbucht. Details sind bislang nicht bekannt. Deswegen lohnt sich’s, genauer hinzusehen:

1. Die neuen Kassen sind Registrierschleusen

Damit der Amazon-Algorithmus die aus den Regalen gegriffenen Artikel tatsächlich dem Kunden zuordnen kann, der sie später verspeist, checken Go-Nutzer mit einem persönlichen QR-Code ein, der sich per App abrufen lässt. (Das wäre dann die gefühlt vierzigste, die Amazon für seine zahlreichen Dienste zur Verfügung stellt.)

Der Scanner ist in einer weißen Registrierschleuse integriert, die es nicht bis zur Flughafenkarriere gebracht hat (Foto oben). Die Schleusen sind beidseitig passierbar, sowohl Eingang als auch Ausgang und verzichten scheinbar auf separate Flügel, die sich nochmal öffnen müssen. Zumindest ist das im Video nicht erkennbar.

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Vermutlich stellt der Algorithmus Kunden, die vergessen, ihren elektronischen Passierschein vorzuzeigen, im Laden dann öffentlich per Lautsprecher zur Rede, um den Check-In nachholen zu lassen. Ein sanfter Stromschlag am Regal täte es freilich auch.

2. Der Computer weiß, welchen Pudding du letzten Sommer gefuttert hast

amazongo10Daran, dass im Supermarkt überall Kameras hängen, haben wir uns gewöhnt und geben uns größte Mühe, beim Einkaufen immer wie aus dem Ei gepellt auszusehen. (Mindestens mit einer frisch gebügelten Jogginghose.) Amazon Go dürfte noch ein paar Kameras mehr aufhängen – und einen Schwung Sensoren zur Party dazu einladen. Damit die zusammen protokollieren können, was wir aus den Regalen grabbeln, um es auf unseren virtuellen Kassenzettel zu setzen.

Im Video sieht es so aus, als sei die entsprechende Technik in den Regalköpfen angebracht. Sie soll auch Zurückleger verstehen, die sich umentscheiden und einen Artikel wieder zurücktragen. Mal abwarten, ob sie auch mit Verteilern fertig werden, die Artikel an beliebigen Orten im Laden fallen lassen, wenn sie sich spontan gegen den Kauf entscheiden.

3. Ein neuer Snackladen ist in der Stadt!

amazongo06In der Ankündigung lässt Amazon seine gutaussehenden Kundendarsteller durch eine üppig ausgestattete Abteilung mit Sofortessen laufen, in der Aufwärm-Mahlzeiten, Salate, Sandwiches und Getränke im Kühlregal stehen. „Good Food Fast“ heißt es darüber; an einer Stelle ist das Sandwich-Versprechen „made here daily“ zu lesen (also die täglich frische Produktion direkt im Laden); am Eingang steht: „no-line lunch, go ahead“.

Damit träte Amazon nicht nur in Konkurrenz mit klassischen Supermärkten, sondern würde auch Snack-Ketten und Fastfood-Läden wie Pret-A-Manger in Großbritannien, Chipotle in den USA und natürlich McDonald’s Konkurrenz machen. In Deutschland wären nicht mal mehr Bäcker sicher vor den Ambitionen des Konzerns. Noch dazu ist der Name des ersten Amazon-Supermarktkonzepts ist ein vergifteter Gruß an Convenience-Konkurrenten wie Rewe to Go.

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Vorausgesetzt, der Laden im Video ist identisch mit dem echten, sortiert Amazon sein Sofortessen wohl nach Mahlzeiten, Gängen bzw. Zutaten. An einem Regal sind die Zuordnungen „Entrees“ bzw. „Salads & Bowls“ sowie die Zutaten-Wahlmöglickeiten „Beef“, „Chicken“ und „Tofu“ zu lesen. (Interessanterweise mit scheinbar fest drangepinselten Preisen.)

4. PVI – Plastikverpackungsinferno

Jede. Mahlzeit. Ist. Extra. Eingepackt. Selbst in der „Bäckerei“ scheint jede Backware separat in einen Karton geschubst worden zu sein – vermutlich, weil Amazons Computer-Technologie vom Chaos in einem durchschnittlichen Lidl-Brötchenknast heillos überfordert wäre. Das hieße aber, dass das ach so fortschrittliche Amazon-Go-Konzept aus Umweltsicht hoffnungslos rückständig wäre. Und einen Haufen Plastikmüll für jeden Einzelartikel produzieren würde.

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(Das kriegen die klassischen Supermärkte freilich auch hin. Schauen Sie mal hier: das Halbe-Hähnchen-Angebot im neuen Real-Konzept „Markthalle Krefeld“.)

amazongo08Die Behältnisse, mit denen sich das Plastikverpackungsinferno aus dem Laden transportieren lässt, bessern die Ökobilanz womöglich etwas auf. An Regalen sind Fächer mit Papiertüten angebracht, und im Markt scheinen Kunden gleich mehrfach stabilere Mehrwegtaschen in Amazon-Orange aufgedrängt zu kriegen.

5. Das Preis-Rätsel

Preisetiketten lassen sich zwar erahnen, im Video sind sie aber allesamt so schön unscharf abgefilmt, dass darauf nichts zu erkennen ist. Die Frage ist: Bringt Amazon seine Preispolitik aus dem Netz auch in den Supermarkt? Und zahlt jemand, der zur Stoßzeit Mittag macht, für seinen Quinoa-Salat dann 20 Cent mehr als jemand, der später eintrudelt? Also genau das, was die klassischen Supermärkte bislang beteuern, mit ihren elektronischen Preisetiketten nicht umsetzen zu wollen, um Kunden nicht zu verärgern?

Das potenzielle Ende des Schlangestehens klingt zwar fantastisch. Aber womöglich verleitet der kassenlose Supermarkt bloß dazu, künftig weniger genau auf das zu gucken, was wir für die gewonnene Simplizität in Rechnung gestellt kriegen.


Auch darüber hinaus wirft Amazons Technik einen ganzen Haufen Fragen auf: Dürfen Kunden, wenn ihr Handy zu alt ist oder die App nicht Betriebssystem-kompatibel, künftig nicht mehr einkaufen gehen? Wird die Prime-Mitgliedschaft, die dafür ganz sicher notwendig ist, endgültig als Religion anerkannt? Hängen wir künftig in der Telefon-Hotline, wenn uns der falsche Pudding abgerechnet wurde? Und wollen wir wirklich, dass Amazon nicht nur weiß, was wir online alles anklicken, sondern auch, wo wir im Laden zu lange rumstehen, um auf ein Dessert zu schielen?

Die Supermärkte können sich derweil fragen, ob sie mit dem Lebensmittel-Lieferdienst Amazon Fresh bislang den falschen Dienst bezittert haben – und viel mehr fürchten müssen, dass ihnen der Alleshändler aus Seattle das traditionelle Ladengeschäft durcheinander wirbelt.

Angesichts vieler tausend Supermärkte und Discounter im ganzen Land: vielleicht nicht sofort. Aber mit der Kasseneliminierung demonstriert Amazon endgültig, sich nicht mehr auf den virtuellen Raum beschränken zu wollen.

Das EHI Retail Institute hat erst vor wenigen Wochen die Ergebnisse einer Kundenbefragung (PDF) veröffentlicht, in der vor allem die jüngeren Befragten angaben, sehr häufig Systeme zu nutzen, mit denen sie ihre Artikel im Supermarkt im Laden während des Einkaufs selbst scannen können, bevor sie den Endbetrag zahlen.

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94 Prozent gaben an, damit Wartezeiten an der Kasse vermeiden zu wollen; 98 Prozent erklärten, es sei ein Vorteil, den ganzen Kram später nicht nochmal aufs Kassenband packen zu müssen. Die Supermärkte können mit dem System die klassische Kassenzone entlasten.

„Trotz dieser offenbar für beide Seiten entstehenden Vorteile ist das Angebot von derzeit rund 25 Geschäften mit Self-Scanning-Systemen in Deutschland sehr übersichtlich“,

schreiben die EHI-Umfrager. Oder, anders formuliert: Das Potenzial für Amazon, etablierte Anbieter dort zu treffen, wo sie glauben, sich im stationären Geschäft nicht bewegen zu müssen, ist riesig.

Screenshots: Amazon/Youtube; Foto: Supermarktblog

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9 Kommentare
  • Was das „Plastikverpackungsinferno“ angeht, dachte ich ja lange wir Deutschen wären da bestimmt eh schon sehr sparsam und im Vergleich zu anderen Ländern vorbildlich. Aber weit gefehlt, Deutschland produziert europaweit mit Abstand am meisten Verpackungsmüll:
    https://www.welt.de/politik/deutschland/article147664176/Deutsche-sind-Europameister-im-Muell-Produzieren.html

    Das ist also kein Luxusproblem und wird durch die ganzen „To Go“ Artikel nur noch schlimmer.

  • Interessant wäre auch noch die Frage, ob Amazon es vielleicht hinkriegt, das ganze als Warenautomaten zu deklarieren… für diese gelten dann keine Ladenschlußzeiten, da Warenautomaten rund um die Uhr betriebsbereit sein dürfen.

    Ich würde mir eh einen vollautomatischen Supermarkt wünschen, der rund um die Uhr geöffnet hat. Gibt es bislang nur in Spanien, siehe z. B. https://geschaeftsideen.wordpress.com/2009/01/28/top-geschaftsidee-aus-spanien/

    • In NRW dürfen Läden außer Sonntags rund um die Uhr geöffnet haben – macht aber fast keiner. Der Rewe auf dem Düsseldorfer Flughafen kommt recht nah dran (der darf aber auch Sonntags öffnen weil Flughafen), und einige meist südländische Mini-Märkte…

  • Amazon ist in jedem Geschäftsbereich ein guter Schubs um den Wettbewerb zu entfachen und zugleich dafür zu sorgen, dass andere Händler ihre Heuchelei ablegen. Und ich wette, dass die Hälfte der Händler sowieso schon tut was man bei Amazon jetzt befürchtet: Anpassung der Preise an die lokalen Gegebenheiten und Zeiten.

    Man sollte das doch mal andersrum sehen: Die Deutschen (und andere Nationalitäten) sind seit über zehn Jahren gerne bereit für vielleicht einen Cent pro Einkauf ihr komplettes Einkaufsverhalten offen zu legen (Payback & Co) und alle finden das ganz toll. Wieso sollte man jetzt so tun als würde die Hölle losbrechen, nur weil Amazon das mit einem tatsächlichen Mehrwert verbindet?

    In dem Sinne begrüße ich das Konzept und finde es nur noch anödend, dauernd die gleichen Pseudo-Datenschutz-Fragen zu hören, als wenn Amazon der Dämon wäre und alle anderen liebe Engel.

    • Andersrum kann man’s aber auch sehen: Nur weil sich anderswo schon alle dran gewöhnt haben, muss man nicht mit den Schultern zucken, wenn das nächste Unternehmen es noch intensivieren will. Ich finde auch nicht, dass es um „Pseudo-Datenschutz“ geht; sondern um ein (vernachlässigtes) Bewusstsein für Datenvorsicht.

    • „Pseudo-Datenschutz-Fragen“.

      Knapp 60% der Deutschen nutzen laut mir verfügbaren Daten Bonus- und Vorteilsprogramme. Demnach verweigern 40% der Deutschen erfolgreich seit 10 Jahren die zusammenarbeit mit diesen Systemen.

      In der Annahme des „perfekten Handelssystems“ möchte ich die Frage stellen wie wir damit umgehen wollen, dass wir die Big-Data-generierten, persönlichen, dem Händler bekannten und individuellen Preise zahlen müssen.

      Wenn der Händler an der Eingangstür weiß wer du bist, wo du herkommst und welche Kaufkraft du hast, welche Vorlieben dich umtreiben, wer deine Freunde sind, die du beschenkst, welche Suchphrasen du einträgst, etc., Dann wird das „perfekte System“ dir deinen persönlichen Preis nennen – Pseudo-Payback!

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