Lidls „Metropolkonzept“ in Wien: LED-Sonnenaufgang überm Aktionsregalmassiv

Lidls „Metropolkonzept“ in Wien: LED-Sonnenaufgang überm Aktionsregalmassiv

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In Wien demonstriert Lidl mit seiner neu eröffneten „Metropolfiliale“ eindrucksvoll, wie man ein modernes Ladenbild dem Discount-typischen Aktions-Chaos opfern kann.

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Am Sonntag wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Mit Ausnahme des Wahltermins haben die Nachbarn uns aber schon jetzt einiges voraus.

Die CSU ist neidisch auf das Burka-Verbot, das die ÖVP in ihrer Noch-Koalition durchgesetzt hat – jetzt braucht sich der Andi Scheuer sowas immerhin nicht mehr selbst auszudenken.

Andrea Nahles ist neidisch auf die SPÖ, weil die der Konkurrenz auf Facebook so richtig was „in die Fresse“ gegeben hat. (Nächstes Mal darf sie sich halt nur nicht dabei erwischen lassen.)

Die Privatsender sind neidisch, dass ihre österreichischen Geschwister hervorragende Zuschauerzahlen mit Politduellen erreichen, zu denen alle Spitzenkandidaten inklusive Kanzler mehrfach freiwillig kommen.

Sogar die Discounter sind neidisch auf die viel flippiger aussehenden Mär… – Moment mal! Dieses Lidl kommt doch ursprünglich aus Deutschland! Und eröffnet seine neuen „Metropolfilialen“ trotzdem zuerst im europäischen Ausland?

Mit dem Rollband ins 1. OG

Ganz genau: Barcelona und Madrid haben schon eine, im zurückliegenden Juli war schließlich Wien dran. Mit dem Kleinflächenkonzept will Lidl – wie angekündigt – künftig stärker in Innenstädten expandieren: überall dort, wo sonst zu wenig Platz für einen klassischen Discounter-Neubau wäre (siehe Supermarktblog).

„Bei der fertiggestellten Filiale in Wien Meidling mit 1.280 Quadratmeter Nutzfläche wurde der ebenerdige Parkplatz mit dem Supermarkt überbaut, dadurch war nur die Hälfte der normalerweise für einen Lidl-Standort benötigten Fläche notwendig“,

erklärt die österreichische Nachrichtenagentur APA. Was für eine großartige Idee – das sein könnte, wenn das Parkhaus unterm Laden im 12. Wiener Gemeindebezirk („1 Stunde gratis parken“) an gewöhnlichen Werktagen nicht die meiste Zeit so aussähe: leer wie ein Brötchenknast kurz vor Feierabend.

Die mit dem Auto ankommende Kundschaft parkt nämlich viel lieber weniger umständlich auf dem Parkplatz vor dem Markt, der eigentlich gar nicht da sein dürfte, um konsequent belegen zu können, wie praktisch Lidls Metropol-Design ist.

In direkter Autobahnnähe (und weit weg von der Wiener Innenstadt) war’s in Meidling für den Discounter aber offensichtlich gar nicht so einfach, ein Grundstück zu finden, das angemessen klein für den beabsichtigten Neubau gewesen wäre. Als Beispiel für die Praxistauglichkeit des Innenstadt-Konzepts scheidet die vermeintliche „Metropolfiliale“ in der maximal ungassigen Sagedergasse also schon mal galant aus. (Zumal obendrüber auch keine Büros oder Wohnungen gebaut wurden.)

Trotzdem lässt sich drinnen ganz gut betrachten, wie Lidl glaubt, dass wir künftig Innenstadteinkaufen. Per Rollband geht’s ins Obergeschoss …

… direkt vor den Kaffeeautomaten, der vor der Riesenleuchtreklame ein bisschen verloren aussieht. (Wenn er nicht gerade repariert wird.)

Einen offenen Marktzugang wollte sich Lidl bei aller Anpassungsbereitschaft lieber doch nicht leisten. Deshalb muss erst die metallen verschürzte Lichtschranke passiert werden, um im kleinen Jausen- und Frischeparadies zu landen, dem gelungensten Fleckchen im ganzen Markt.

Fast schon platzverschwenderisch sind der 90-Grad-Brötchenknast, die Obst- und Gemüse-Abteilung und die Kühltheke mit Getränken am Markteingang miteinander kombiniert. „Echt backfrisch“, steht auf hellem Holz über den „Mehlspeisen“, „Echt praktisch“ über der Getränketheke daneben.

Gegenüber schleckt eine Regalzunge mit Brechbohnen und Paprika zum Aktionspreis die staunenden Kunden in die Ladenmitte hinein. Das alles ist so hell, modern und ansprechend gestaltet, dass sich mancher klassische Supermarkt davon einiges abgucken könnte.

Leider lässt sich das für den Rest des Markts nicht behaupten.

Hell ist’s da auch, kein Zweifel. Unter den hohen Decken mit den schrägen Holzbalken erinnert wirklich nichts mehr an die einengende Atmosphäre vieler alter Märkte.

Es braucht aber nur ein paar Schritte, um im Chaos aus Aktionsregalen und Gittertischen zu stehen, das den aufgeräumten Eindruck vom Eingang direkt wieder revidiert. Den Zugang zu den an die linke Ladenwand verräumten Tiefkühlvorräten hat Lidl sich mit dem bekannten Irrgarten aus Aktionsware verbaut. Der ist nicht nur „Echt aktuell“, sondern auch echt im Weg, wenn man bloß Lebensmittel einkaufen mag.

Das Kühlsortiment auf der gegenüberliegenden Seite ist von der Ladenmitte aus erst gar nicht zu erkennen – weil sich in davor ein Massiv aus neonrot beschilderten Aktionsregalen erhebt, über dem sanft die LED-Sonne aufgeht.

Treue Sonderposten-Fans mögen sich dadurch zu herbstlichen Begeisterungsstürmen hinreißen lassen. Womöglich hilft die Aktionswand (siehe Bildergalerie oben) auch dabei, den Eindruck allzu hoher Wertigkeit zu vermeiden, um die Discounttradition wieder stärker in den Vordergrund zu rücken.

Dafür wäre es aber gewiss nicht nötig gewesen, das Durcheinander auch auf die übrige Ladengestaltung zu übertragen.

Text, überall Text!

Den Gestaltern hat es jedenfalls nicht gereicht, die Sortimente übersichtlich an die Wand zu schreiben. (In der weißen Schraffurschrift, die derzeit von vielen Unternehmen geradezu inflationär eingesetzt wird, u.a. vom Lidl-Wettbewerber Rewe.) Zur Zusatzbeschmückung gibt es kleine Zeichnungen, schief gestellte Fotos, Markenlogos – und kesse Sprüche, wie sie gerade Standard im renovierten Discount zu werden scheinen:

„POMMES – Die kriegst du gebacken!“
„Sooo ein KÄSE.“
„Hier geht’s um die WURST.“

Schöne Grüße vom Hauptkonkurrenten Aldi, der steht jetzt auch auf Plemplem!

Natürlich kann man, wenn’s sein muss, nochmal daran erinnern: „Die Frische von morgen ist schon heute auf dem Weg zu Ihnen.“ Dass Kunden sich auf diese Weise mit Selbstverständlichekeiten zutexten lassen müssen, führt aber dummerweise dazu, dass die eigentlich wichtigen Botschaften leicht untergehen: zum Beispiel, dass zahlreiche Produkte im Lidl-Sortiment österreichischer Herkunft sind.

Um das wirksam in den Vordergrund zu rücken, hätte man freilich auf die Inflation an Albernheiten verzichten müssen.

Mit seinem „Metropolkonzept“ demonstriert Lidl in Wien also nicht nur, wie ein Kleinflächen-Discountkonzept aussieht, wenn dafür zuviel Platz ist. Sondern mindestens genauso eindrucksvoll, dass sich das Discount-typische Aktions-Chaos und ein modernes Ladenbild gegenseitig ganz gut sabotieren können. Oder wie’s Matthias Raßbach, Geschäftsleiter Immobilien bei Lidl Österreich, gegenüber der „Handelszeitung“ formuliert hat:

„Wir werden (…) nach wie vor unsere Standard-Filialen bauen, die Metropolfiliale macht nicht überall Sinn.“

Nur dort, wo Innenstadteinkaufen besonders unübersichtlich sein soll, ne?

Fotos: Supermarktblog"

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5 Kommentare
  • “ Mit dem Kleinflächenkonzept will Lidl künftig stärker in Innenstädtern expandieren“. Also, selbst wenn man, wie ich, über eine gewisse Leibesfülle verfügt – das Sonderposteninferno wird Lidl in mir nicht unterbringen können… 😉

    Spannender Bericht!

  • YAY! Eine „Supermarktdesign-Kochbox“ für Marketingtanten!
    1. Holzimitat aufkleben
    2. Wandtattoos gut durchrühen, bis die Banalität schaumig ist
    3. Gut ausleuchten – fertig.

    Nach Flatrate kommt bestimmt der neueste Trend: Mieten. Was Otto mit der Waschmaschine schon macht, „erfindet“ unsere Marketingtante vielleicht auch bald für den Liter Milch bei Lidl. Oder Amazon schluckt sie alle und wir werden nie wieder „So Muh! wie von der Kuh!“ auf Holzimitat lesen dürfen und müssen zukünftig nur noch Dash Buttons drücken. Oder die viralen Spotbattles mit Edeka sorgen für soviele Likes bei der Kundschaft, dass alles so schön hohl bleibt, wie es ist.

  • In Dublin stehen auch schon seit einiger Zeit 2 solche Filialen. Ein ein der Rathfenham Road und die andere in Swords, Dublin Rd. etwas nördlich der Innenstadt nahe des Flughafens. Über Google gut zu sehen per StreetView.

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