Die besten Paprika, die frischesten Auberginen, die schönsten Pastinaken und der knackigste Spinat kommen – direkt vom Berliner Gendarmenmarkt. Nee, das ist kein Wochenmarkt für Schutzbeamte, nicht mal ein richtiger Markt. Sondern eine Mischung aus Touristentreffpunkt und Firmensitzangeberei. Und seit sechs Monaten die offizielle Herkunft großer Teile des Obst und Gemüses, mit dem Amazon die Kunden seines Lebensmittel-Lieferdiensts Fresh (siehe Supermarktblog) versorgt.
So steht es zumindest auf Schildern und Verpackungen.
Die meisten Produkte sind tatsächlich: sehr frisch. Und nach ein paar Tagen angemessener Kühlschranklagerung immer noch. Das müssen sie auch sein, um Kunden davon zu überzeugen, den Online-Händler als Supermarkt zu nutzen und dafür einen monatlichen Aufschlag von 9,99 Euro zu zahlen.
Für sein Frische-Sortiment bezieht Amazon Ware unterschiedlicher Lieferanten, u.a. Pilzland (z.B. Champignons, Kräuterseitlinge), San Lucar (z.B. Tomaten, Trauben, Äpfel) und Biofruit (z.B. Gurken).
Bei einem großen Teil der Produkte gibt es allerdings keinen unmittelbaren Hinweis auf den Erzeuger oder Lieferanten. Erst beim Auspacken auf dem Küchentisch wird der Absender sichtbar: „Friends of Freshness“.
Der Name klingt fast so, als würde sich Amazon nebenberuflich auch noch als Gemüse-Großhändler versuchen. Eine direkte Verbindung gibt es auf den ersten Blick aber nicht. Nicht einmal im Online-Shop taucht der Name bislang auf. Dabei lohnt es sich, einmal genauer hinzusehen.
Firmenfrischling oder Gemüseprofi?
Die Friends of Freshness GmbH wurde vor nicht mal einem Jahr gegründet, am 23. November 2016, und einen Monat später (27. Dezember 2016) ins Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Geschäfts ist: „Produktion, Großhandel und Handel mit sowie Im- und Export von Obst, Gemüse und Südfrüchten“. Als Geschäftsführer agiert André Eggert, die Adresse des Unternehmens ist identisch mit der der Kanzlei, in der er als Rechtsanwalt arbeitet – am Berliner Gendarmenmarkt.
Mitten in Berlin wird natürlich kein grüner Spargel angebaut, und der Eichblattsalat wächst da auch eher schlecht. Höchstwahrscheinlich ist der Firmenfrischling also mit einem Partner angefreundet, der sich mit der Beschaffung von Obst und Gemüse ganz gut auskennt.
Und das ist in diesem Fall: Gemüsering Stuttgart.
Das Unternehmen ist nach eigner Auskunft „einer der größten Gewächshaus-Produzenten in Deutschland“, beschäftigt mehr als 1.000 Mitarbeiter und produziert auf mehreren hundert Hektar schwerpunktmäßig Gemüse (Tomaten, Möhren, Salate, Paprika, Blumenkohl, Brokkoli, Lauch, Zucchini). Zu den Produktionsstandorten zählen außer Deutschland auch Italien, Portugal, die Niederlande und Rumänien. Darüber hinaus ist Gemüsering mit den internationalen Fruchtvermarktern Fyffes und Capespan in einer „strategischen Allianz“ verbunden (für Zitrusfrüchte, Bananen, Ananas).
Die „Lebensmittel Zeitung“ nennt die Stuttgarter ein „Schwergewicht der deutschen Fruchtbranche“ – das zuletzt wegen zahlreicher Zukäufe noch ein bisschen schwergewichtiger geworden ist (alleine fünf in diesem Jahr) und inzwischen nicht nur den Handel, sondern auch die Gastronomie mit Ware beliefert (Paywall).
Nur ein Kohl statt 15 Kilo
Für Amazon wäre das im europäischen Markt ein idealer Partner, um die Kompetenz zu erwerben, die nötig ist, um als Anbieter frischer Lebensmittel ernst genommen zu werden.
Auf Supermarktblog-Anfrage bestätigt Thorsten Beckmann, Geschäftsführer bei Gemüsering Stuttgart, die Kooperation:
„Friends of Freshness ist eine Tochter von Gemüsering, die mit modernem Namen ihren Sitz dort hat, wo der E-Commerce sich am schnellsten entwickelt und viele Start-ups zuhause sind: in Berlin.“
Das neue Geschäftsfeld ist zugleich eine Herausforderung für den erfahrenen Gemüseproduzenten. Beckmann:
„Üblicherweise liefern wir unseren Handelspartnern ganze Paletten, den Kohl zum Beispiel kistenweise mit 15 Kilo.“
Bei Amazon Fresh bestellen die Kunden aber natürlich nicht kistenweise fürs Ladenregal. Sondern zwei Auberginen, einen Brokkoli oder drei Paprika fürs Abendessen. Dafür müssen Waren ganz anders verpackt werden, bevor sie im Fresh-Verteillager komissioniert werden können.
Bloß: Wozu dann die Geheimniskrämerei? Bislang tritt Gemüsering bei Friends of Freshness nämlich nicht direkt in Erscheinung. Im Handelsregister ist als Gesellschafter bzw. Eigentümer die Triotor Beteiligungs GmbH angegeben, bei der ebenfalls Rechtsanwalt Eggert die Geschäfte führt (der auch als Berater in der Berliner Start-up-Szene engagiert ist und Gemüsering „anwaltlich betreut“).
Sortimente wie im Supermarkt
Gemüsering-Chef Beckmann erklärt:
„Mit Friends of Freshness bewegen wir uns in einer anderen, hochtechnisierten Welt, die wenig mit der traditionellen Gemüsevermarktung zu tun hat. Deshalb war es unser Ziel, das klar von unserem Kerngeschäft abzutrennen.“
Bei der aktuellen Geschäftsführung handele es sich um eine „vorübergehende Lösung“ für die Gründungsphase.
Möglich wäre auch, dass Gemüsering eine direkte Verbindung zu Friends of Freshness vermeiden wollte, um nicht bei seinen Hauptauftraggebern für Irritationen zu sorgen. Das sind „nahezu alle Filialisten des Deutschen Lebensmitteleinzelhandels“ (heißt es z.B. bei einer der zahlreichen regionalen Töchter).
Die finden es unter Umständen nicht so toll, wenn einer ihrer besten Lieferanten einem neuen Wettbewerber wie Amazon dabei hilft, ein Obst- und Gemüse-Sortiment aufzubauen, dass dem vieler Supermärkte und Discounter mindestens gleichwertig ist – unter Umständen sogar mit einem leichten Frischevorsprung, weil die Kunden direkt beliefert werden (ohne dass Ware im Laden zwischengeparkt wird).
„Offen für neue Geschäftsfelder“
Beckmann widerspricht. Die Herkunft der an Amazon gelieferten Ware sei transparent und rückverfolgbar, es gebe nichts geheimzuhalten. Vielmehr gehe es darum, neue Wege zu finden, um die Kompetenzen aus zwei so unterschiedlichen Branchen miteinander zu verbinden. Bei Friends of Freshness kümmerten sich derzeit vorrangig Mitarbeiter ums Geschäft, die sich mit den Anforderungen des E-Commerce auskennen.
„Wir müssen dieselbe Sprache sprechen wie unsere Auftraggeber. Um erfolgreich zu sein, brauchen wir aber gleichzeitig die Expertise unserer Fachleute aus der Produktion und Vermarktung, die sich seit Jahrzehnten mit dem Handel von Obst und Gemüse auskennen.“
Dass sich Gemüsering in einen neuen Markt vorwagt, passt durchaus zur Firmenstrategie und der Expansion der vergangenen Monate, zumal die Stuttgarter auch mit Start-up-Beteiligungen engagiert sind. (Über „Kraut Capital“ hält Gemüsering laut „Gründerszene“ 4 Prozent am Berliner Salat-Lieferrestaurant Green Gurus).
Beckmann sagt:
„Gemüsering war schon immer offen für neue Geschäftsfelder: Wir kommen aus der Vermarktung, sind selbst in die Produktion eingestiegen und beliefern inzwischen nicht mehr nur den Handel, sondern auch die Gastronomie. Wir wollen unsere Ware dort hinbringen, wo die Kunden sind.“
Und das bedeutet nunmal: auch zu Amazon Fresh.
Handel und Konsum verändern sich
Den großen Handelsketten muss das nicht gefallen. Aber dass Amazon etablierte Unternehmen aus Lebensmittelproduktion und -vertrieb von einer Zusammenarbeit überzeugen kann, ist ein Beleg mehr dafür, wie sehr die Ambitionen des Konzerns in der Branche ernst genommen werden. Daran dürften auch Strafaktionen nichts ändern, mit denen klassische Handelsunternehmen ihren Lieferanten drohen, falls die sich mit Amazon einlassen. (Wie es Lidl laut „Lebensmittel Zeitung“ schon getan hat.)
Viele scheinen – besser als manche Supermarktkette – verstanden zu haben, dass Handel und Konsum von (frischen) Lebensmitteln sich in den kommenden Jahren grundlegend ändern könnten, längst nicht nur durch Anbieter wie Amazon, sondern auch wegen neuen Angeboten wie Kochboxen und Restaurant-Lieferdiensten.
Unternehmen, die es sich leisten wollen, das zu ignorieren, kriegen irgendwann vermutlich den eigenen Kopfsalat gewaschen. Dafür muss der nicht mal vom Berliner Gendarmenmarkt kommen.
Fotos: Supermarktblog
Etwas ketzerisch: ein weiterer Großhändler, der an ein Unternehmen Obst und Gemüse verkauft, das zwar gut aussieht, aber null Geschmnack hat. Typisch Gewächshaus eben. Und?! Ich denke nicht, dass deswegen nun das große Zittern unter den Filialisten beginnt. Abgesehen von Lidl, womöglich. Aber deren Aktion, die dankenswerterweise im Artikel verlinkt ist, ist dämlich.
Etwas ketzerisch nachgefragt: Haben Sie schon von allem gekostet, um zu dieser Schlussfolgerung kommen zu können?
Asche auf mein Haupt: nein, habe ich nicht. Dafür habe ich jahrelang Gewächshausware aus Holland, Spanien und Co. im Supermarkt verkauft (tu es dann und wann auch jetzt noch) und diese probiert – die spanische Salatgurke, die niederländische Fleischtomate oder die portugisische Erdbeere werden auf dem Weg ins Fresh-Lager nicht plötzlich zu Geschmacksgranaten mutieren. Wobei Ausnahmen natürlich die Regel bestätigen.
Ihre Alternative: Balkonzucht? (Abgesehen davon arbeitet GR offensichtlich vorrangig mit deutschen Partnern zusammen; lässt sich leider nicht verlinken, aber auf der Website leicht nachsehen.)
[…] Gefunden im Supermarkt-Blog. Hier gehts zum Artikel. […]
Ich kaufe mein Obst und Gemüse weiter auf dem Wochenmarkt. Mühsam aber schön.
Mal ein ketzerischer Nachsatz: E-Kommerz (Zitat aus „Börsenboom in Stenkelfeld“: E-Kommerz mit Bio. Da kannst Du fast nichts falsch machen.“), also E-Kommerz ist das Gebot der Stunde im Handel. Nun erzeugt E-Kommerz aber jede Menge Verkehr, nämlich Lieferungen und Retouren. Zur gleichen Zeit diskutieren wir, nein: andere, Fahrverbote wg. Feinstaub. Sehe da nur ich einen Widespruch oder bin ich da nicht alleine auf der Welt?
Ja, kompliziert. Kommt (speziell für Lebensmittel) drauf an, ob ein Online-Besteller vorher mit dem SUV zum Bio-Markt gefahren ist oder zum Einkauf gelaufen. Kommt auch drauf an, ob die Direktlieferung aus dem zentralen Verteillager nicht Vorteile gegenüber der Zwischenlieferung in den Markt hat. Müsste man mal an einem konkreten Bsp. ausrechnen. (Und könnte dann vermutlich immer noch keine Allgemeinheiten ableiten.)
Wenn man auf pure Natürlichkeit und intensiven ursprünglichen Geschmack steht bzw. das noch nie probiert hat, dann sollte man versuchen an moldawisches Obst und Gemüse ranzukommen. Bin mir sicher, dass die wenigsten davon gehört haben bzw. sowas geschmeckt haben. Das würde ich gerne mal etablieren. 15 Cent pro Kilo Pfirsiche. Ohne jeglichen Mist. Vom Baum ohne jegliche Chemikalien oder sonst was. Wer noch Fragen hat – melden^^