Was für eine Zusammenlegung von Prime Now und Amazon Fresh spricht – und was dagegen

Was für eine Zusammenlegung von Prime Now und Amazon Fresh spricht – und was dagegen

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In Berlin und München versorgt Amazon seine Kunden über zwei verschiedene Lieferdienste mit frischen Lebensmitteln. Das ist unnötig kompliziert und wenig praktisch. Hilft eine Zusammenlegung?

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Zu den größten Leistungen des Amazon-Gründers Jeff Bezos gehört es, Öffentlichkeit und Medien erfolgreich eingeredet zu haben, der Erfolg seines Unternehmens beruhe wesentlich darauf, dass es bei allen Entscheidungen die Bedürfnisse seiner Kunden in den Mittelpunkt rücke. Auf Konferenzen berichten Amazon-Führungskräfte auch freimütig, wie das funktioniert: Indem sie vom Kunden „rückwärts“ arbeiten.

Ein neues Produkt oder ein neuer Service geht nicht direkt in die Entwicklung. Stattdessen sind Amazon-Mitarbeiter dazu angehalten, eine interne Pressemitteilung zu verfassen, in der das fertige Produkt bzw. der fertige Service zunächst mal imaginiert wird und (ausgedachte) Kunden erklären, wie ihnen besagte Neuerung das Leben erleichtert.

Dahinter steckt die Absicht, sich beim Verfassen einer solchen Mitteilung klar darüber zu werden, welche Schwachstellen eine Idee hat, und welchen konkreten Nutzen Kunden davon haben. Wenn die Mitteilung nicht überzeugen kann, wird es dem Produkt höchstwahrscheinlich genauso gehen – und das Konzept wird überarbeitet oder nicht weiterverfolgt.

Das klingt schlau. So schlau, dass man Bezos empfehlen würde, seine Mitarbeiter interne Pressemitteilungen regelmäßig auch für bereits eingeführte Services verfassen zu lassen. Um zu testen, ob sie den Ansprüchen der Kunden noch gerecht werden. Ungefähr so:


Amazon Fresh und Prime Now machen den Wocheneinkauf über Amazon zum Bestellabenteuer

  • Prime-Mitglieder kriegen frische Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs in wenigen Großstädten bequem und schnell zu sich nachhause geliefert – wenn Sie durchschauen, wann sie dafür bei welchem Dienst bestellen müssen, um in den Genuss sämtlicher Vorteile zu kommen.
  • Die Sortimente von Amazon Fresh und Prime Now überschneiden sich in großen Teilen, aber in der Regel kann keiner der beiden Dienste alles liefern, was Kunden für den täglichen Bedarf benötigen.
  • Zuzahlungsstrukturen und Nutzungsbedingungen unterscheiden sich maßgeblich voneinander, sind für Kunden aber nur schwer nachvollziehbar.
  • Wenn wir ehrlich sind, kann das eigentlich unmöglich so bleiben.

München/Berlin, 28. Mai 2018 – Amazon.de liefert Kunden in Berlin und München schon ein mehreren Monaten nicht nur ihren Wocheneinkauf bequem nachhause, sondern auch ultraschnell sämtliche Dinge des täglichen Bedarfs im Ein- oder Zwei-Stunden-Zeitfenster. Mitglieder des beliebten Amazon Prime-Programms müssen dafür lediglich Amazon Fresh und Prime Now auf unterschiedlichen Plattformen nutzen und zwei parallele Zuzahlungsstrukturen im Kopf haben.

Amazon Fresh kostet Prime-Mitglieder monatlich 9,99 Euro, die zusätzlich zur jährlichen Prime-Gebühr gezahlt werden und unbegrenzte kostenlose Lieferungen ab einem Bestellwert in Höhe von 40 € (in Berlin) bzw. 50 € (in München) ermöglichen, in der Regel noch am selben Tag; unterhalb dieses Werts werden pro Bestellung 5,99 € Liefergebühr berechnet. Prime Now liefert ebenfalls am selben Tag, allerdings ohne jegliche Zuzahlung, ebenfalls ab einem Bestellwert von 40 €; Lieferungen mit geringerem Warenwert kosten 3,99 € innerhalb eines Zwei-Stunden-Zeitfensters. Wer seine Bestellung innerhalb einer Stunde schneller erhalten will, zahlt dafür 7,99 €.

Amazon Fresh ist direkt über die Amazon.de-Website oder über die Amazon-Apps für Android und iOS buch- und nutzbar, nicht aber über die Amazon-App für iPads. Das direkt in Prime integrierte Prime Now ist nicht über Amazon.de nutzbar, sondern über eine separat aufzurufende Website und eine eigene Smartphone-App; je nach Liefergebiet innerhalb der Stadt werden dort unterschiedliche Sortimente, Lieferpartner und Zeitoptionen angezeigt.

„Es ist völlig ausgeschlossen, dass wir mit diesem Lieferirrgarten den etablierten Lebensmittelhändlern und Nahversorgern wirklich dauerhaft gefährlich werden können“, sagt Alexa Azos, Vice President Amazon Maze. „Aber derzeit halten wir dennoch daran fest.“ Amazon-Kunde Peer Schrader sagt: „Nach langen Recherchetagen im Supermarkt lasse ich mir meine frischen Lebensmittel gerne unkompliziert nachhause liefern und verbringe nur wenige Stunden in der Woche damit, um herauszufinden, ob ich die bei Fresh nicht mehr verfügbaren Produkte stattdessen per Prime Now ordern kann, um morgen nicht doch noch im Laden Schlange stehen zu müssen.“

Kunden, die Prime, Prime Now und Amazon Fresh noch nicht kennen, können den vollständigen Irrgarten 30 Tage lang kostenlos testen.


Potzblitz, dieser Interne-Pressemitteilungen-Zaubertrick funktioniert ja tatsächlich!

Wenn Amazon seine selbst proklamierten Ansprüche ernst nähme, müsste das Unternehmen die beiden Lieferdienste wegen eklatanter Unperfektheit eigentlich direkt suspendieren und in die Neukonzeption schicken. Kein Wunder, dass schon länger darüber spekuliert wird, ob der Konzern vorhaben könnte, Prime Now und Fresh zu fusionieren.

Exciting Commerce fragte bereits im November: „Ist Prime Now auf Dauer nicht das bessere Amazon Fresh?“ Im vergangenen Jahr hatte Amazon seinen Fresh-Dienst in Teilen der USA wieder eingestellt (Recode zufolge, weil man mit der Zustellung durch den beauftragten Partner nicht zufrieden war). In dieser Woche beendet Amazon in den USA den Verkauf von Produkten lokaler Händler über Fresh. Dafür integrierte der Konzern Lebensmittel-Lieferungen aus Whole-Food-Supermärkten kürzlich in sein Prime-Now-Programm.

All das spräche dafür, dass Fresh künftig in Prime Now aufgehen könnte. Auch hierzulande gebe es gute Gründe dafür – und ein paar ähnlich gute dagegen.

Die Logistik

Im Juni löst Amazon sein erst 2016 bezogenes Stadtlager für Prime Now im Berliner Westen auf, weil das Ku’damm-Karree, wo der Dienst bislang beheimatet war (siehe Supermarktblog) grundlegend umgebaut wird. Nach Supermarktblog-Informationen zieht der Dienst nach Berlin-Tegel um, von wo aus auch Amazon Fresh gesteuert wird. Selbst wenn Bestellungen vorerst weiter getrennt voneinander laufen, bestünde durch den Umzug bald eine unmittelbare räumliche Nähe für eine mögliche Zusammenführung.

Dazu kommt, dass sich Amazon bislang zwei verschiedene Lieferstrukturen leistet, um Fresh- und Prime-Now-Kunden zu bedienen. Bei Prime Now sind von Amazon direkt beauftragte Kuriere auf die schnelle Zustellung in der Stadt spezialisiert; die oft umfangreicheren Fresh-Bestellungen wuchtet derweil der Partner DHL notfalls auch mit zwei Mann in Berliner Dachgeschosse. Sonderlich effizient dürfte diese Trennung auf Dauer nicht sein.

Die Sortimente

Regelmäßig sind Artikel, die in Berlin über Fresh bestellt werden konnten, plötzlich „Nicht bei Fresh erhältlich“ (das heißt: nicht mehr). Dafür aber problemlos bei Prime Now: Orangen- bzw. Apfel-Direktsaft von Tegut, Beck’s-Bier in der Dose, Bio-Fairtrade-Bananen, Staubsaugerbeutel, Schnittbrot. In manchen Sortimenten (z.B. bei Getränken) bietet Prime Now sogar eine größere Auswahl als der Lebensmittel-Lieferdienst Fresh.

Wer als Fresh-Kunde darauf nicht verzichten will, kann sich umgewöhnen – oder seinen Einkauf aufsplitten: die eine Hälfte auf Fresh, die andere auf Prime Now, um bei beiden den Mindestbestellwert für kostenlose Lieferungen zu erreichen. Und verursacht Amazon damit doppelt Logistikkosten. Das ist weder nachvollziehbar noch besonders wirtschaftlich – und ließe sich mit einer Zusammenführung der Sortimente ändern.

Der Mindestbestellwert

Ist seit der Anhebung bei Prime Now schon vereinheitlicht und liegt – zumindest in Berlin – in beiden Fällen bei 40 Euro. (Wie oben angedeutet allerdings mit unterschiedlichen Zuzahlungsbedingungen.)

Die Schnelligkeit

Ein zentrales Versprechen von Prime Now ist es, Bestellungen innerhalb kürzester Zeit auszuliefern. Das gilt in Berlin schon jetzt nur für die Hälfte der Stadt, die zeitnah vom Ku’damm aus bedient werden kann; mit dem Umzug an den Stadtrand nach Tegel dürfte die Zahl der in einer Stunde erreichbaren Haushalte noch weiter sinken. Zum Vergleich: In London hat Amazon mehrere Lagerstandorte für Prime Now eröffnet.

Das Wocheneinkauf-Versprechen

Die Fresh-Zusage, den kompletten Wocheneinkauf nachhause zu liefern, ist für Amazon von entscheidender Bedeutung, um sich bei Kunden nachhaltig als Lebensmittelversorger zu etablieren. Und gleichzeitig das größte Hindernis für eine mögliche Integration von Fresh in Prime Now, weil (derzeit) vermutlich selbst die effizienteste Lieferlogistik keinen vollständigen Wocheneinkauf im Zwei-Stunden-Zeitfenster kommissioniert und aus einem zentralen Lager ausgeliefert kriegt. Innerhalb eines zusammengelegten Diensts müssen dann jedoch unterschiedliche Sortimente für einzelne Lieferoptionen angezeigt werden, was nicht gerade zur Übersichtlichkeit beitragen dürfte. (Schon jetzt liefern die Prime-Now-Partner Basic, Rossmann und Kochhaus in der Hauptstadt z.B. nicht in die Ostbezirke.)

Die Preisstruktur

Derzeit verlangt Amazon für ein und dasselbe Produkt Preise, die zum Teil wesentlich voneinander abweichen – je nachdem, worüber bestellt wird (klicken zum Vegrößern):


Screenshots: Amazon.de/Smb

Das ist durchaus schlüssig: Prime Now funktioniert quasi als Späti- bzw. Tankstellen-Ersatz für Kunden, die jetzt sofort beliefert werden wollen und bereit sind, dafür Aufpreise in Kauf zu nehmen. Fresh-Besteller zahlen im Voraus eine Monatsgebühr, die die Lieferung abdeckt, kaufen dafür aber zu vergleichbaren Preisen wie im Laden. Nach einer Fusion der beiden Dienste müsste Amazon die Preise im Zweifel vereinheitlichen – was gar nicht so leicht ist.

Bleiben sie auf Prime-Now-Niveau oder knapp darunter, könnte das abschreckend auf Fresh-Kunden wirken; sinken sie auf Fresh-Niveau, verzichtet Amazon auf Marge. Die Alternative wäre: zwei Preise neben jedem Produkt anzuzeigen, einen für Direktbesteller, einen für Wocheneinkäufer. Mit unabsehbaren Konsequenzen für das Kaufverhalten.


Zusammengefasst heißt das:

Es wäre keine kleine Herausforderung, Prime Now und Fresh so zusammenzuführen, dass beide Zielgruppen in gleicher Weise weiter bedient werden können. Aber womöglich notwendig – vor allem für ein Unternehmen, das von sich behauptet, seine Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn sich dieser Mittelpunkt nicht weiter in einem Lieferirrgarten befinden soll, in dem die Hecken so hoch gewachsen sind, dass man schon länger keinen Durchblick mehr hat.

Fotos: Supermarktblog

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7 Kommentare
  • Ich finde ehrlich gesagt schon die Kombination aus Monatsbetrag und Mindestbestellwert für Prime Kunden zu kompliziert. Gerade bei einer montatlichen Abbuchung fragt man sich da doch permanent ob sich das jetzt lohnt und/oder ärgert sich wenn man trotzdem Versand zahlen muss.

  • Ich würde hier gerne mal was über „Amigos“ lesen, ein Belieferungskonzept für Kunden der Schweizer Migros. Das unterscheidet sich ja doch sehr von dem, was Amazon, Rewe und andere hier in Deutschland versuchen. Ich habe das zunächst für einen Scherz gehalten, ist aber wohl wirklich ernst gemeint. Sollte hier im Supermarktblog schon darüber geschrieben worden sein, würde ich gern wissen, wo.

  • Amazon hat informiert, dass Berlin-Mitte ab Mitte Juni nicht mehr mit 1h Zeitfenstern bei Prime Now beliefert wird. Vermutlich eine Folge der Verlagerung des Lagers nach Tegel.

  • Amazon hat zurzeit wohl noch kein Interesse daran, beide Linien zusammenzuführen. Das Unternehmen bewirbt momentan so wohl „fresh“, als auch „now“ mit einer Rabattaktion, um so neue Kunden zu generieren. Und zwar per Brief. Analog!!! Da habe ich nicht schlecht gestaunt. Zumal nichts auf dem Umschlag auf Amazon hin deutete.

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