Von wegen „ultraschnell“: Amazon schränkt den Prime-Now-Service in Berlin ein (und baut Tegel als Logistik-Hub aus)

Von wegen „ultraschnell“: Amazon schränkt den Prime-Now-Service in Berlin ein (und baut Tegel als Logistik-Hub aus)

Inhalt:

Weil Amazon sein Prime-Now-Lager an den Stadtrand verlegt hat, kann inzwischen die Mehrheit der Berliner die versprochene 1-Stunden-Lieferung nicht (mehr) nutzen.

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„Ultraschnell“ ist das Schmuckwörtchen, mit dem Amazon vor zwei Jahren seinen neuen Lieferservice Prime Now in Berlin und München eingeführt hat. Der Konzern versprach die „ultraschnelle Zustellung innerhalb einer Stunde“ für „Artikel des täglichen Bedarfs“ und „regionale Spezialitäten“. In der Praxis wurde das 1-Stunden-Versprechen in Berlin von Anfang an aber nur für Kunden eingehalten, die in einem festgelegten Radius um das Prime-Now-Lager im Westen der Stadt wohnten (siehe Supermarktblog).

Jetzt hat Amazon die Kundengruppe, die die beworbene 1-Stunden-Lieferung nutzen kann, noch einmal drastisch verkleinert.

Weil der Komplex am Ku’damm, in dem Amazon eine zweistöckige Fläche für Prime Now angemietet hatte, grundlegend umgebaut wird, ist das bisherige Lager dichtgemacht worden. Prime-Now-Bestellungen werden seit dieser Woche am Amazon-Logistics-Standort in Berlin-Tegel bearbeitet.

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Auf Supermarktblog-Anfrage bestätigt ein Amazon-Sprecher:

„Nach Ablauf des Mietvertrages am Kudamm-Karree liefert Prime Now ab Juni 2018 vom Borsigturm – dem Standort des AmazonFresh-Depots und Amazon Logistics. Der Umzug bietet uns die Möglichkeit, die Vorteile des gemeinsamen Logistik-Standorts am Borsigturm für alle drei Services zu nutzen.“

Für Kunden hat der Umzug allerdings vor allem Nachteile. Denn durch die Verlagerung der Lieferbasis an der Stadtrand verschiebt sich auch der Radius für 1-Stunden-Bestellungen. In den vergangenen Wochen wurden Prime-Now-Nutzer darüber informiert, dass die ihnen bekannte Schnelllieferung „nicht mehr zur Verfügung steht“.

Am KaDeWe ist Schluss mit „ultraschnell“

Die Frage, wieviele Berliner PLZ-Bereiche davon betroffen sind und wo die Grenze für die 1-Stunden-Belieferung verläuft, mag Amazon nicht beantworten, erklärt lediglich:

„Kunden in Berlin können weiterhin über primenow.amazon.de ihre Postleitzahl eingeben und die Verfügbarkeit prüfen.“


Screenshot: Amazon.de/Smb

Okay, kein Problem: Nach Supermarktblog-Stichproben ist die Schnelllieferoption nicht nur in Berlin-Mitte, sondern auch in großen Teilen der City West weggefallen. Für den oberen Kurfürstendamm steht die 1-Stunden-Lieferung noch zur Verfügung. Schon auf KaDeWe-Höhe am Tauentzien (10789 – nur wenige hundert Meter vom bisherigen Prime-Now-Lager) ist aber Schluss. Richtung Osten scheint der Tiergarten die Grenze zu sein (nicht mehr verfügbar in 10787), und im Süden schaut auch Schöneberg in die Röhre (nicht mehr verfügbar in 10825).

Anders formuliert: In Berlin betreibt Amazon gerade einen „ultraschnellen Lieferservice“ für Kunden in Haselhorst, Siemenstadt, Reinickendorf, Borsigwalde und Teile von Charlottenburg.

Aber nicht für Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Schöneberg, Tiergarten und Mitte – wo vermutlich ein nicht geringer Teil der Zielgruppe sitzen dürfte, die bereit wäre, für das schnell vorbeigebrachte Ersatzkabel üppige 8 Euro Lieferkosten zu blechen.

(Wobei ich ausdrücklich darauf hinweisen möchte, nichts Fundiertes zur Ersatkabelzahlereitschaft der Haselhorster sagen zu können.)

Wie ernst ist es Amazon mit Prime Now?

Das alles ist natürlich halb so tragisch. Weil die Schnelllieferei ohnehin eine reine Amazon-Erfindung ist. Und weil Prime Now in festen 2-Stunden-Fenstern ja weiterhin die ganze Stadt versorgt, noch dazu ohne zusätzliche Versandkosten. Allerdings provozieren die Änderungen durchaus die Frage, wie ernst es Amazon mit Prime Now ist. (Vor allem, da Prime gerade international als unabhängige Marke positioniert wird.)

Fakt ist, dass Amazon in Berlin von Anfang an klar gewesen sein muss, dass das Lager am Ku’damm nur zeitlich begrenzt zur Verfügung stehen würde. Über zwei Jahre blieb Zeit, einen innenstadtnahen Ersatzstandort zu suchen, den man rechtzeitig zum Ablauf des Mietvertrags hätte in Betrieb nehmen können. (Also: jetzt.)

Dass das nicht geschehen ist, lässt mehrere Spekulationen zu: Entweder plant Amazon, mittelfristig ein zweites Prime-Now-Lager im Osten der Stadt zu eröffnen, um tatsächlich flächendeckend 1-Stunden-Lieferungen anbieten zu können. (Statement aus München: „Dazu hat Amazon keine Ankündigung gemacht.“)

Oder die 1-Stunden-Lieferung per Prime Now ist in Berlin ein ziemlicher Flop und wird von den Kunden so selten genutzt, dass es sich schlicht und einfach nicht lohnt, dafür weitere Innenstadtlager zu erschließen.

An der Auslastungsgrenze

Vielleicht ist die Eingliederung in die bestehende Amazon-Logistikstruktur auch eine Möglichkeit, Prime Now weiterzuführen, ohne unnötig viel drauf zu zahlen. Selbst Amazon schaut inzwischen stärker auf die Kosten. Ende des vergangenen Jahres hatte der Konzern bereits die Versandkosten für 1-Stunden-Zustellungen und den Mindestbestellwert für die Kostenlos-Lieferung angehoben (von 6,99 auf 7,99 Euro bzw. von 20 auf 40 Euro).

Zuletzt wurde in der Branche öfter darüber spekuliert, ob Prime Now mit Amazon Fresh zusammengelegt werden könnte (was dafür und was dagegen spricht, steht hier im Blog).

„Die Vorteile des gemeinsamen Logistik-Standorts am Borsigturm“, die Amazon nun als Vorteil des Prime-Now-Umzugs nennt, sind aber allenfalls ein Teil der Wahrheit. Zeitweise scheint sich der Standort schon jetzt an der Auslastungsgrenze zu bewegen.

Vormittags bilden sich an der Zufahrt im Tegeler Gewerbegebiet in regelmäßigen Abständen lange Schlangen aus Fahrzeugen, die entweder Ware anliefern oder Pakete abholen sollen, um sie zu den Kunden zu fahren. LKWs stehen Kleintransportern im Weg. Auf dem Gelände lotsen Mitarbeiter die Fahrzeuge in die richtige Parkschlange; dazwischen verknoten sich diverse Lieferkuriere ineinander und veranstalten muntere Hupkonzerte.

(Von den umweltschonenden E-Bikes, die die Pressefotos zu Prime Now schmücken, hab ich in Tegel keins mehr gesehen.)

Auch zwei Jahre nach der Inbetriebnahme wirkt bei Amazon Logistics alles noch erstaunlich improvisiert. Auf der eingegitterten Parkfläche gegenüber des Standorts warten Kurierfahrer in neongelben Warnwesten in Gruppen auf ihren Einsatz. Die alte Halle neben der Geländezufahrt wird gerade zum Ersatzparkplatz umfunktioniert; der Boden ist schon betoniert, eine eigene Zufahrt mit Zufahrtsschranke gebaut – demnächst dürfte Amazon hier über die größte unter Denkmalschutz stehende Parkfläche der Stadt verfügen.

Eine weitere alte Halle an der Ostseite des Geländes scheint inzwischen als Lager für Getränkekisten zu dienen; der DHL-Streetscooter fährt fürs Einladen der Fresh-Bestellungen erst dort vor – und dann nochmal ans andere Ende des Geländes, um dort Frischware aufzunehmen.

Die Zufahrt seines Lieferzusteller-Diensts „Flex“ (siehe dazu Exciting Commerce) hat Amazon auch noch dazu gedrückt.

Und neben dem zentralen Dock-100-Bürogebäude wird derzeit ein weiterer Komplex um- bzw. ausgebaut.

Wie das alles zusammenpasst, kann man den bisherigen Amazon-Logistics-Chef Bernd Schwenger leider nicht mehr fragen. Vor kurzem wurde bekannt, dass Schwenger, der den Standort eingeweiht hatte, im Juli zum Logistikkonzern LGI wechselt.

Hat da jemand „Lager“ gesagt?

Aber den Anwohnern in den umliegenden Straßen dürfte so langsam bewusst werden, dass sie sich das mit der verkehrsruhigen Lage am Tegeler See abschminken können, seitdem Amazon sich dort längerfristig häuslich einrichtet.

Kleiner Tipp vielleicht: Am gegenüberliegenden Stadtende in Berlin-Lichterfelde steht in 25 Kilometern Entfernung ein, sagen wir: ultramodernes Lager für die Kommissionierung frischer Lebensmittel und Getränke leer. Die Anfahrt wuchert gerade ein bisschen zu, aber sonst scheint der Standort, soweit straßenseitig einsehbar, hervorragend in Schuss sein.

Falls jemand von Amazon Interesse hat: einfach melden, ich stelle gerne den Kontakt zum alten Eigentümer her. Der scheint die Fläche auf absehbare Zeit nicht mehr zu brauchen.

Mehr zum Thema:

Fotos: Supermarktblog"

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4 Kommentare
  • „Dass das nicht geschehen ist, lässt mehrere Spekulationen zu“

    dritte möglichkeit könnte auch sein dass sie schlicht keinen adäquaten ersatz gefunden haben. soll ja nicht unbedingt stagnieren dieser immobilienmarkt.

    außerdem kann es durchaus vorkommen, dass man bei vertragsabschluss noch nicht weiss was zwei jahre später sein wird.

  • Die Rechnung geht nicht unbedingt so auf wie Enthusiasten es gerne predigen. In den USA, dem Pilotmarkt, wurde Fresh großteils eingestampft, stattdessen kaufte man Wholefoods und bietet Prime Kunden dort Rabatte an und investiert viel Energie in den Amazon Supermarkt ohne Kassen.

    Vielleicht sind der Autor dieses Blogs, von kassenzone et al mit ihrem Enthusiasmus bzgl „morgen wird alles nur noch online bestellt und geliefert“ über das Ziel hinausgeschossen.

    Amazon meint es ernst mit Wachstum und Erfolg und ganz offensichtlich ist dafür die Nische von adhoc Versand nicht so wichtig.

    • Nur der Vollständigkeit wegen: Ich gehe ganz und gar nicht davon aus, dass morgen oder in fünf Jahren „alles nur noch online bestellt“ wird. Ich glaube nur, dass es im Markt zu so deutlichen Verschiebungen kommen wird, dass das den derzeitigen Status Quo deutlich verändert. Das kann man als Kaufmann versuchen, zu ignorieren. Ob das dem eigenen Geschäft mittelfristig hilft, wage ich allerdings zu bezweifeln.

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