Neues Discount-Format: „Aldi Local“ erobert die britischen High Streets – während Aldi Nord in Deutschland kleine Flächen lieber aussortiert

Neues Discount-Format: „Aldi Local“ erobert die britischen High Streets – während Aldi Nord in Deutschland kleine Flächen lieber aussortiert

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Kleinere Flächen in der Stadt? Kein Problem, findet Aldi in London – und tauft City-Filialen zur besseren Unterscheidbarkeit „Aldi Local“. In Deutschland macht der Discounter derweil sein Stammhaus lieber dicht – weil es ihm zu klein geworden ist.

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Um „100 Jahre ALDI Stammhaus“ zu feiern, berichtete Aldi Süd vor wenigen Wochen in seinem Blog:

„Jedes Unternehmen hat einen Anfang und eine Geschichte zu erzählen. Die Wurzeln von ALDI liegen in Essen-Schonnebeck. Und dort wo alles begann, steht auch heute noch eine ALDI Filiale.“

Aber: nicht mehr lange.

Kurz darauf bestätigte das Schwesterunternehmen Aldi Nord gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa), besagte Filiale im Stammhaus der Gründer an der Huestraße in Schonnebeck aufgeben zu wollen. Die Fläche genügt den heutigen Ansprüchen des Discounters nicht mehr. Sie ist – zu klein. Man prüfe „derzeit zahlreiche Möglichkeiten mit Interessenten“ für eine anderweitige Nutzung des Ladens, zitiert die dpa aus einer Unternehmensauskunft und hat sich von einem Handelsexperten sagen lassen, dieser Schritt komme einer „Abnabelung von den manchmal übermächtigen Übervätern des Discounts“ gleich, einer „konzeptionelle[n] Befreiung“.

Ähm: nee. Die Entscheidung ist eher ein Beleg dafür, wie wenig Aldi Nord selbst unter seiner neuen Führung in der Handelswirklichkeit des Jahres 2019 angekommen ist. In der gehört es dazu, Handelskonzepte unterschiedlichen Standorten anzupassen, um Kund:innen mit verschiedenen Bedürfnissen zu erreichen – anstatt, wie in den vergangenen rund 100 Jahren, andersherum.

Die Discount-Konkurrenz denkt kleiner

Das vermeintliche „Stammhaus“ ist natürlich nur ein Symbol – und vielleicht nicht mal ein besonders gutes: Die Albrecht-Eltern hatten Anfang des 20. Jahrhunderts bereits im Haus nebenan eine Bäckerei eröffnet und zogen erst 1919 mit einem erweiterten Sortiment eine Nummer weiter – lustigerweise, um sich zu dort vergrößern.

2013 zierte der Laden noch die Handzettelbeilage, die Aldi Nord stolz seinem Wochenprospekt beilegte, um „100 Jahre ALDI-Kaufmannsgeschichte“ zu feiern.

Und trotzdem scheint man in Essen nun lieber das Symbol des selbst gepflegten Gründungsmythos aufgeben zu wollen, anstatt sich ein vom Standard abweichendes Konzept zu überlegen, mit dem der Laden weiter genutzt werden könnte. Ein Aldi Nord im Mini-Format, dessen Konzept auch für andere Stadtlagen und Kleinflächen in Frage käme, wie sie für zahlreiche Lebensmitteleinzelhändler an Bedeutung gewinnen.

Die Konkurrenz macht es längst genauso:

  • Penny positioniert sich mit stadtnahen Filialen als Nachbarschafts-Discounter und Grundversorger für alle, die auf dem Weg von der Arbeit, zur Kita oder in der Mittagspause schnell ein paar Besorgungen machen wollen.
  • Lidl hat in München eine Innenstadtfiliale auf nur 500 Quadratmetern eröffnet (Foto), über die unzählige Medien berichteten; weitere Mini-Standorte sollen folgen (siehe Supermarktblog). Erst kürzlich eröffnete eine weitere Filiale auf überschaubaren 700 Quadratmeter an der Düsseldorfer Kö – halb so groß wie neue Läden, die Lidl sonst baut.

  • Schräg gegenüber an der Kö hat sich schon 2014 Aldi Süd angesiedelt (Foto); in Frankfurt-Bockenheim kommt der Discounter in einem erst aus Platzgründen geschlossenen und Anfang 2018 modernisiert wiedereröffneten Laden sogar mit nur 500 Quadratmetern aus.

  • Und in Wien ist die Aldi-Tochter Hofer Meister der Anpassungsfähigkeit, um Flächen in Wohnvierteln zu belegen, deren Grundrisse maximal voneinander abweichen, aber die zukünftige Kundschaft schon obendrüber wohnen haben (siehe Supermarktblog).

Währenddessen verpennt Aldi Nord die Gelegenheit, an Standorten, die nicht dem Formatideal entsprechen, nachbarschaftsrelevant zu bleiben – obwohl zwischenzeitlich kurz Hoffnung bestand, dass sich das ändern könnte. So wie in Leipzig, zum Beispiel (siehe Supermarktblog).

„Aldi Local“ ohne „Aisle of Wonder“

In die entgegengesetzte Richtung steuert Aldi (Süd) derweil in Großbritannien. Seit einigen Jahren rückt der Discounter, der über eine wachsende Zahl an Filialen verfügt und sich zunehmend Marktanteile sichert, immer stärker in die Städte hinein, vor allem in London. Berichte dazu erscheinen regelmäßig hier im Blog.

Die Neueröffnungen liegen oftmals direkt an den Hauptstraßen der jeweiligen Stadtviertel. Sie verfügen über weniger Platz und verzichten auf Parkplätze. Anfang des Jahres hat Aldi erkannt, dass es an der Zeit ist, das auch den Kund:innen besser kenntlich zu machen – und dafür ein neues Format erfunden. Im März eröffnete im Südwesten Londons der erste „Aldi Local“ auf 600 Quadratmetern, etwa zwei Dritteln bis der Hälfte der üblichen Fläche.

Der Laden liegt mitten im Zentrum von Balham im Stadtbezirk Wandsworth, empfängt seine Kundschaft mit einem Union Jack am Eingang, äußerst großzügigen Öffnungszeiten (7 bis 23 Uhr) und einigen Konzeptanpassungen, die vom Aldi-Standard abweichen. Aber nicht zu sehr.

In erster Linie wurde das Sortiment reduziert – von 1.800 auf 1.500 Produkte (bzw. SKU, Stock Keeping Units). Es werden weniger „special packs“ und XXL-Varianten verkauft, weil die meisten Kund:innen zu Fuß zum Einkaufen kommen. Vor allem aber verzichtet der Laden – undenkbar in Deutschland – auf die wöchentlich wechselnden Non-Food-Aktionsprodukte im Mittelgang, der von den Briten liebevoll „Aisle of wonder“ (bzw. weniger liebevoll „Aisle of Shit“) getauft wurde. Es gibt keine Spannbettlaken, Elektrorasierer, Solarwandleuchter, Tapeziertische und Dekofrösche. Sondern bloß: Lebensmittel. Aber die in einem Umfang, der auch den Wocheneinkauf problemlos möglich macht.

Ready-Meal-Vielfalt & Drogerie-Erleuchtung

Der Laden ist klar strukturiert und besteht aus mehreren Längsregalreihen; drei sind direkt hinterm Eingang komplett für Kühlartikel reserviert, getrennt bloß durch eine Reihe für Obst und Gemüse.

Das Tiefkühlsortiment ist eher überschaubar geraten und bietet am Ladenende neben der Aufbäckerei TK-Kartoffelprodukte und Pizza, Fisch und Fleisch.

Deutlich prominenter platziert ist auf fast derselben Fläche die Auswahl an typisch britischen Fertigmahlzeiten: Bombay Potatoe, Spinach & Ricotta Canneloni, Lamb Hot Pot, Stew and Dumplings, Chicken Arrabiata usw.

Die Bier- und Weinauswahl ist nicht nur verhältnismäßig üppig, sondern wirkt auch ziemlich aufgeräumt, weil die Flaschen nicht kartonweise ins Regal geschoben, sondern einzeln eingestellt wurden.

Die Gänge sind breit, kommen fast ohne Stolperfallen und Aufsteller aus. Und das Drogeriesortiment strahlt in den Markt hinein, als habe es gerade eine discountgöttliche Erleuchtung erfahren.

Nur die „Bakery“, deren offene schwarze Krümelwannen nebeneinander in den hölzernen Rahmen geschoben sind, wirkt, als sei sie beim Konkurrenten Lidl schlecht abgeguckt worden und fällt im Gesamteindruck ziemlich gegen den Rest ab. (Damit steht sie aber durchaus in der Tradition eher mittelmäßiger Aufbackwarenpräsentation in britischen Supermärkten und Discountern.)

Fast die komplette Ladenfront ist mit Kassen belegt: sechs regulären mit Bedienung, dazu kommt an der Seite ein halbes Dutzend SB-Kassen für den Self-Checkout (wo ausschließlich mit der Karte bzw. mit dem Smartphone bezahlt werden kann).

Bei seinem Testeinkauf war bereits das britische Fachmagazin „The Grocer“ ganz hin und weg und lobte die „overall (…) pleasant shopping experience“:

„Products are well merchandised, with good lighting, colourful header boards and excellent display standards. Navigational signage is clear, making it easy for shoppers to quickly find and choose.“

Und die Preise?

Allen Anpassungen zum Trotz ist Aldi seinem Grundprinzip treu geblieben, gute Qualität zu niedrigen Preisen anzubieten; einige davon seien zwar höher als in manchen Stadtrandfilialen, hat „The Grocer“ verglichen. Dem fast direkt daneben gelegenen Sainsbury’s dürfte der neue Konkurrent, der sich zum Teil in völlig anderen preislichen Dimensionen bewegt, dennoch ziemliche Kopfschmerzen bereiten. Was der Herausforderer in seinem Laden auch genüsslich auskostet, wenn er an Regalen wirbt:

„Quality ist never compromised by price.“
„Amazing quality. Amazing prices. Everyday.“

In der Produktauswahl hat sich Aldi nicht nur den Vorlieben der Britinnen und Briten angepasst (wie die üppige Auswahl an Ready Meals belegt), sondern führt auch die alte Tradition der Markenkopien fort, deren Verpackungen zum Teil schon unverschämt die der jeweiligen Originale kopieren – britische und deutsche. Darf’s heute Abend vielleicht mal ein feinperliges Krom… äh: „Rheinbacher Pilsner“ zum Essen sein?

Gleichzeitig hat Aldi erkannt, dass in der Stadt auch ein den Zeiten angepasstes Sortiment nicht schaden kann. Unter der Eigenmarke „the deli“ werden deshalb zahlreiche vegetarische Snacks verkauft, bei denen deutsche Aldi-Kund:innen vor Neid erblassen.

Die edle Verpackung der „Specially Selected“-Nachtischvariationen (Melt in the Middle Belgian Chocolate bzw. Salted Caramel & Toffee Apple Puddings) muss sich vor den Alternativen der großen Supermärkte nicht verstecken.

Natürlich ist der „Local“-Zusatz, der gut sichtbar draußen am Laden neben dem auf den Schriftzug reduzierten Aldi-Logo steht, auch bloß abgeguckt: von der britischen Nummer zwei im Lebensmitteleinzelhandel, die zahlreiche Convenience-Store unter dem Namen „Sainsbury’s Local“ betreibt.

Aldi tauft weitere Läden um

Noch kompakter und Convenience-hafter wolle man aber nicht werden, hat ein Aldi-UK-Sprecher dem „Griocer“ verraten. Aldi will auch „Local“ klassischer Discounter mit breitem Sortiment bleiben. Der neue Name solle Kund:innen in erster Linie „helfen, zwischen kleineren City-Märkten in London und normalgroßen Aldi-Filialen zu unterscheiden“.

Das Konzept wirkt durchdacht und passt zumindest in Balsam hervorragend in die geschäftige Gegend. Im Sommer hat im Stadtteil Camden bereits ein zweiter „Aldi Local“ eröffnet. Dazu überlegt das Unternehmen, existierende Filialen innerhalb Londons (in Archway, Eastcote, Kingston, Kilburn, Tooting und Romford) umzutaufen.

Vielleicht wäre das mal eine schöne Gelegenheit für das Essener Management, einen Betriebsausflug in die britische Hauptstadt zu unternehmen. Um sich bei der Auslandsschwester abzugucken, wie man sein Konzept so anpasst, dass es auch an Standorte passt, die nicht dem bisherigen Formatideal von 1.300 Quadratmetern plus Parkplatz entsprechen. Und dabei trotzdem unverkennbar Aldi bleibt.

Fotos: Supermarktblog"

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9 Kommentare
  • Die Lage von dem Uraldi schaut halt auch nicht so aus wie eine, wo wer irgendwie in Betracht ziehen würde, einen Innenstadtladen neueren Typs hinzustellen. Norma würd die vielleicht noch nehmen. Penny ist zwar in der Größe variabel, aber was nicht läuft, machen die auch zu. Vor einiger Zeit hat übrigens hier ein nicht ganz kleiner Penny Non-Food rausgeschmissen und verkauft auf der Fläche seither hauptsächlich die Foodaktionen der letzten Monate in Ruhe ab. Die meisten haben schon lang keine Non-Food-Aktionsware mehr.

    Der Aldi local wird den Zusatz vorallem dafür brauchen, um sich nicht das Preisimage für die restlichen Läden kaputtzumachen. In Deutschland wird man da nach den Erfahrungen von Plus (und mit »mein Laden«) eher noch vorsichtiger sein. dm macht das zwar auch, aber die werben auch nicht so offensiv mit ihren Preisen.

    • Ich glaub jetzt auch nicht unbedingt, dass Schonnebeck der ideale Ort wäre, um ein hippes City-Filialkonzept zu testen. Aber dass so viele (auch überregionale) Medien über die Schließung des „Stammhauses“ berichtet haben, zeigt doch den symbolischen Wert des Ladens. Soll Nord ihn halt zur Nostalgiefiliale umbauen, die Betriebskosten aus dem Marketingbudget bezahlen und sich dafür in Zukunft einen der lästigen Pop-up-Container sparen. Aber einfach schulterzuckend weitervermieten? Hm.

    • Anlass ist halt offensichtlich, dass sie 200 Meter weiter was hinstellen können, was ihren normalen Vorstellungen für so eine Gegend entspricht (Bebauungsplan). Was mit dem alten Laden passiert, wär dann eine andere Frage. Im Prinzip könnten sie vielleicht schon eine Museum-1001-Gelegenheit-Kombi oder so reintun; ein paar Parkplätze in fußläufiger Entfernung hätten sie dann zumindest schon.

  • Non-food Aktionsartikel ausquartieren ist in kleinen Läden ein cleverer Schachzug. Hat der hiesige Netto nach dem Umbau auch gemacht und schafft es seither sauber und aufgeräumt daher zu kommen. Kein Vergleich zur Ramschbude vorher.

    In großen Aldis dürften die Aktionsartikel aber wichtige Kundenbringer sein. Hübsch finde ich die an Harry Potter angelehnte Bezeichnung „aisle of requirement“. Man braucht was und schwupps hat Aldi etwas Passendes im Angebot.

  • Vielleicht zahlen die Deutschen einfach zu wenig für Lebensmittel. So bekommen wir nicht nur die schlechtesten Lebensmittel in der EU sondern auch die schlechtesten Supermärkte?
    Ich bin vor allen Dinge neidisch auf den Nutritionscore der dort auf den Packungen trohnt. Ob die Snacks auch wirklich lecker(er) sind muss man noch testen. Sehen aber in der Tat besser aus als die vegetarischen Pressplatten bei uns.
    Die Biermarke sieht nun aber nicht wirklich unverschämt kopiert von Krombacher aus. Wenn man die gängigsten Pilsnermarken nebeneinander aufstellt hat man das Gefühl, es gäbe einen inoffiziellen Designerleitfaden dafür, so sehr ähneln sich viele.

  • So wie in Leipzig, zum Beispiel (siehe Supermarktblog).
    Da fehlt, glaube ich, der Link?
    Und etwas weiter oben kommt noch ein „Ion der Mittagspause“ vor. Wobei ich es mir durchaus vorstellen kann, dass manche Menschen nach einem stressigen Morgen ziemlich geladen in diese gehen. 😛

  • Ob sich ganze rechnet, wird die Zeit zeigen. Momentan scheint beim Kampf um Marktanteile jedes Mittel recht zu sein. Es hat aber schon seinen Grund, dass in guten Innenstadtlagen bisher eher teure Geschäfte angesiedelt waren. Es sind ja nicht nur die Mieten teurer, auch die Belieferung ist aufwendiger und der Umsatz pro Einkauf ist geringer. Darunter leidet die Effektivität, was früher oder später zu höheren Preisen führen muss. Ich fände es eigentlich ganz gut, wenn ALDI ALDI bleibt, es muss doch nicht jede Kette sämtliche Marktsegmente bedienen.

  • Hmm, Aldi Nord ist tranig mit fehlendem Gespür für das Potential für Historie, und Aldi Süd probiert was Neues; ganz so überraschend ist diese Konstellation ja nicht! Wobei der Aldi (Süd) auf der Düsseldorf Königsallee (im schäbbigen südlichen Block, der so gar nicht „Kö“ ist) nicht gerade eine Mini-Filiale ist, im Gegensatz zum neuen Lidl gegenüber.
    Tatsächlich erleben wir hier ein Gerangel um Präsenz in Düsseldorf, das kaum mit Rentabilität erklärbar ist: demnächst eröffnen die Discounter auch im neuen Kö-Bogen 2 (teuerste Lage) und in der neuen Stadtbibliothek mit Theatermuseum, vermutlich unterhalten vom Marketing-Budget, und ich befürchte ein langweiliges Standardangebot. Und wenn mir da unser Oberbürgermeister nochmal mit „hochwertigen Shopping-Angeboten“ kommt, die die „Innenstadt aufwerten sollen“…
    Prinzipiell ist es aber super, wenn die Ketten ihre unterschiedlichen Angebote auch in entsprechend benamsten Läden anbieten: Mich nervt nichts mehr, als 5 Pennys abklappern zu müssen, bis endlich mal einer das hat, was im Prospekt steht!

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