holyEATS #23: Takeaway.com kauft Delivery Hero Deutschland – was die Übernahme für den Markt bedeutet

holyEATS #23: Takeaway.com kauft Delivery Hero Deutschland – was die Übernahme für den Markt bedeutet

Foto: Takeaway.com
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Inhalt:

Die Niederländer werden endgültig zur Nummer 1 in Europa.

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I. Lieferheld, Pizza.de und Foodora werden Orange

Es wird schwierig, dass alle Marktteilnehmer überleben“, hat Delivery-Hero-CEO Niklas Östberg vor zehn Monaten im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters gesagt und ergänzt: „Wir begreifen das als Marathon.“ An diesem Donnerstag ist Östberg aus dem Rennen ausgestiegen – zumindest im Heimatmarkt des von ihm gegründeten Unternehmens. Der niederländische Konkurrent Takeaway.com übernimmt das Deutschlandgeschäft von Delivery Hero und damit die Marken (bzw. Plattformen) Lieferheld, Pizza.de und Foodora.

Das ist – ein Riesendeal. Nicht nur, weil sich die Niederländer das Geschäft fast eine Milliarde Euro kosten lassen (508 Millionen Euro in bar, 422 Millionen Euro in Aktien; PDF). Sondern auch, weil Takeaway.com die Zahl seiner Bestellungen in Deutschland mit einem Schlag von 23 auf 46 Millionen pro Jahr verdoppelt. Und damit quasi den kompletten Lieferessen-Markt beherrscht – auf allen Ebenen.

Übrig bleibt (vorerst) der britische Konkurrent Deliveroo, der sich zuletzt aus zehn deutschen Städten wieder zurückgezogen hatte (siehe holyEATS #13), um sich auf Metropolen zu konzentrieren. (Oder in weiser Vorausahnung, dass das Geschäft hierzulande bald sehr viel schwerer werden würde.)

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Mit dem Verkauf gesteht Östberg ein, dass Delivery Hero keine funktionierende Strategie dafür hatte, selbst Marktführer in Deutschland zu werden – obwohl genau das über viele Jahre der Plan war, zunächst vor allem durch schnelles Wachstum mittels Zukäufen. Konkurrent Pizza.de wurde 2014 übernommen, nachdem die Berliner sich wenige Monate zuvor Lieferando von Takeaway.com hatten wegschnappen lassen. Foodora bekam man 2015 von Rocket Internet zugeschoben.

Nach dem Start an der Börse im vergangenen Jahr ging in Berlin schließlich das große Aussortieren los. Märkte, in denen man nicht Nummer eins werden könne, würden konsequent abgestoßen, sagte Östberg. Und äußerte sich immer wieder kritisch über das Potenzial im deutschen Markt: „Die Deutschen bestellen seltener, und wenn, dann weniger teure Gerichte. Sie lieben Gutscheine und Rabatte. Außerdem benutzen sie kaum Kreditkarten, sondern zahlen immer noch am liebsten mit Bargeld“, klagte er der „Wirtschaftswoche“ schon 2016. Reuters erklärte Östberg in diesem Jahr, der Markt hierzulande sei nicht so groß, wie viele erwarteten. „Wir haben die gleiche Zahl an Bestellungen in Kuwait, wo vier Millionen Menschen leben, wie in Deutschland.“


II. Takeaway.com wird endgültig zum europäischen Marktführer

Bei Takeaway.com hört sich das völlig anders an. Im Spätsommer erklärten die Niederländer, die ihr Europageschäft aus einem grauen Zementblock am Amsterdamer Hauptbahnhof steuern, warum man lieber weiter in den Aufbau der Lieferstrukturen investiere anstatt auf schwarze Zahlen zuzusteuern (siehe holyEATS #12): „Given that Germany is likely to become Europe’s largest food delivery market, management has decided to capture this significant growth opportunity.“

Man sehe für den deutschen Markt trotz der Übernahme immer noch „ausreichend Wachstum“, erklärt Takeaway.com-CEO Jitse Groen jetzt – vor allem angesichts der Tatsache, dass die Lieferquote in Deutschland bislang noch zu den niedrigsten in ganz Europa gehöre. (Dass mit dem Deal auch die bestehende Exklusiv-Kooperation von Foodora mit McDonald’s Deutschland auf Takeaway.com übergehen dürfte, ist sicher kein ganz unpraktischer Nebeneffekt.)

Zugleich haben die Niederländer angekündigt, durch die Zusammenführung der Geschäfte in Deutschland bis 2020 rund 60 Millionen Euro sparen zu wollen – vor allem für Marketing. Kein Wunder: Teure Werbe- und Rabattschlachten, wie sie sich die Kontrahenten in den vergangenen Jahren wiederholt geliefert hatten, dürften künftig ausbleiben. Zugleich stellt sich die Frage, welche Plattformen aus dem Markensammelsurium, das Takeaway.com innerhalb der ersten Jahreshälfte 2019 sein eigen nennen will, überleben werden. Ein umfassendes Nebeneinander von vier Liefermarken im selben Markt ergibt keinen Sinn. Vor allem für Pizza.de und Lieferheld dürften das schlechte Nachrichten sein. Foodora verfügt zwar über ein separates Liefernetzwerk, das Takeaway.com aber sicher mit der eigenen Logistik zusammenführen will, die seit einiger Zeit unter dem Namen Scoober aufgebaut wird. (Und die ironischerweise aus dem Berliner Logistik-Start-up Food Express hervorgegangen ist, das Takeaway.com aus der Insolvenz fischte, nachdem ausgerechnet Delivery Hero als bis dahin größter Gesellschafter kein Geld mehr geben wollte; siehe holyEATS #10.)

Der Deal ist aber auch deshalb von entscheidender Bedeutung, weil er nicht nur einen Markt betrifft – sondern quasi eine weitere Aufteilung vorweg nimmt. Delivery Hero wird künftig mit 18 Prozent am bisherigen Konkurrenten Takeaway.com beteiligt sein und hat das Recht, ein Mitglied in den Aufsichtsrat zu entsenden. Den Berlinern wird also künftig sehr daran gelegen sein, dass die Geschäfte von Takeaway.com gut laufen. Das wird Auswirkungen auf die verbliebenen Länder haben, in denen sich die beiden Unternehmen bislang noch als Wettbewerber gegenüberstehen (hauptsächlich Österreich, Tschechien und Osteuropa; sein Schweizer Geschäft hatte Delivery Hero zuletzt bereits an Takeaway.com verkauft).


III. Steigt jetzt der Übernahmedruck auf Deliveroo?

All das wird zudem spürbare Auswirkungen auf Deliveroo haben. In London wird man sich fragen müssen, ob es weiter Sinn ergibt, in Ländern zu investieren, deren Markt fast ausschließlich von einem übermächtigen Konkurrenten beherrscht wird. Für Deutschland, wo Deliveroo zuletzt ohnehin eher Rückschritte machte, sieht die Prognose da vermutlich düster aus.

Es sei denn, der Deal in Deutschland sorgt dafür, dass auch der Übernahmedruck auf die Briten noch einmal wächst. Bloomberg hatte vor einigen Wochen gemeldet, der amerikanische Lieferessendienst Uber Eats sei daran interessiert, Deliveroo zu schlucken. Gut möglich, dass das noch nicht vom Tisch ist – auch wenn sich Deliveroo zuletzt beharrlich dagegen sträubte (siehe holyEATS #15). Eine weitere Konsolidierung des Lieferessenmarkts scheint angesichts der derzeitigen Entwicklungen unabwendbar. Gerade hat sich Amazon mit seinem eigenen Dienst Amazon Restaurants überraschend aus London zurückgezogen. Das ließe sich durchaus als Indiz dafür werten, dass es auch dort bald noch zu Veränderungen kommen wird.

In Deutschland wiederum müssen sich die Restaurantpartner, die auf den Plattformen von Takeaway.com und Delivery Hero vertreten sind, darauf einstellen, es künftig mit einem Unternehmen zu tun zu haben, das ihnen die Konditionen für die Zusammenarbeit durch seine herausgehobene Position – und die Unverzichtbarkeit des Liefergeschäfts – quasi diktieren kann.

Für Kunden bedeutet das im Zweifel: höhere Preise. Aber auch, dass sie bald sehr viel weniger Apps auf ihren Smartphones installiert haben müssen, um Essen nachhause zu bestellen – jedenfalls wenn Takeaway.com der bisherigen Maxime treu bleibt. Sein Erfolgsmodell beschreibt das Unternehmen mit den Worten: „One Company, One Brand and One IT Platform.“

Und Östberg? Kann sich in aller Ruhe überlegen, ob er mit Delivery Hero nicht auch Skandinavien an die neuen Lieferkumpel abgeben will, um sich endgültig auf das Geschäft in Schwellenländern zu konzentrieren, in denen die Berliner Nummer 1 im Markt sind. Und natürlich, ob sich’s eigentlich rentiert, weiter eine riesige Zentrale in der Hauptstadt eines Landes zu unterhalten, in dem man selbst künftig nur noch dabei zusehen kann, wie die Bestellungen für Lieferessen durch die Decke gehen.

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