holyEATS #26: Food Courts vs Food Halls – Warum sich Shopping Center mit ihrer Gastro-Euphorie verkalkulieren

holyEATS #26: Food Courts vs Food Halls – Warum sich Shopping Center mit ihrer Gastro-Euphorie verkalkulieren

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Retten Restaurants Einkaufszentren vor dem Offline-Exodus? Nee.

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Retten Restaurants Shopping Center vor dem Offline-Exodus?

Vor einem Jahr waren sich die Branchenexperten beim 3. Gastro-Immobilien-Kongress in Berlin noch weitgehend einig: Die (Fast-Casual-)Gastronomie hat das Zeug dazu, die großen Einkaufszentren vor der fiesen Internetbestellerei zu retten! Jedenfalls wenn sich die Betreiber anstrengen, ihre gemeinhin eher unwirtliche Anderreihung standardisierter Modeketten und zutapezierter Leerstandsflächen zu „Destinationen“ umzubauen, die Kunden damit locken, es sich dort für ein paar Stunden so richtig gut gehen zu lassen.

„F&B [Food & Beverage] und Leisure werden in zehn Jahren immer mehr Platz in Shopping Centern einnehmen“, prognostizierte Bill Kistler, Executive Vice President des International Council of Shopping Centers (ICSC) – und war sich sicher: Gastronomie sei die „perfekte Ergänzung“ zum Handel. Zwar könnten die Anbieter in der Regel deutlich weniger Miete zahlen als zum Beispiel die großen Handelsmarken; dafür ließen sich satte und zufriedene Kunden leichter zum Einkaufen animieren. Anders gehe es auch gar nicht mehr, „um mit Netflix, Ihrer Couch und der Bequemlichkeit des Online-Shoppings zu konkurrieren“. (Und Deliveroo, natürlich.) Eine ICSC-Studie zur Integration von F&B-Anbietern in Einkaufszentren war zuvor zu dem Schluss gekommen, Gastronomie werde eine „entscheidende Rolle“ dabei spielen, die Center „zukunftssicher“ zu gestalten (PDF).

Wie das funktioniert, erläuterte u.a. Rachel Belam, Head of Food & Beverage Leasing beim australischen Shopping-Center-Giganten Westfield. Der musste nach dem Food-Umbau seiner beiden Londoner Mega-Malls zwar erst „taffe zwölf Monate“ durchstehen, um den Kunden die neue Strategie beizubringen. Seitdem habe man laut Belam aber einen Anstieg der F&B-Umsätze um fast 50 Prozent registriert. Mehr als ein Viertel der Gastro-Kunden komme zudem in den Abendstunden. Davon träumen auch die Betreiber deutscher Zentren. Das portugiesische Unternehmen Sonae Sierra kündigte an, den Food Court in seinem Flagship-Center am Berliner Alexanderplatz massiv aufzuwerten; die Otto-Tochter ECE („We love Food“) hat sich nicht nur den europaweit anerkannten Food-Spezialisten Jonathan Doughty als Berater eingekauft, sondern will in diesem Frühjahr das ganz unbescheiden betitelte „Foodtopia“ in der Frankfurter Innenstadt eröffnen, eine Art Gastro-Schlaraffenland in der 4. Etage des aufwändig umgebauten MyZeil-Komplexes.

Das kommt vielleicht alles ein bisschen spät. Zumindest veröffentlichte Bloomberg gerade eine aufschlussreiche Analyse, die die Begeisterung der Center-Betreiber mit der Realität abgleicht. Das Ergebnis bietet wenig Anlass zum Jubeln. Zentrale These ist, dass der Sättigungsgrad für die F&B-Schmuserei – mindestens im Vorbildmarkt Großbritannien – schon längst erreicht sein könnte („Now Even Great Food Can’t Save the Mall From Extinction“). Zum einen, weil sich viele britische Fast-Casual-Konzepte mit dem Geld von Wagniskapital-Investoren bei der Expansion verhoben haben; zum anderen, weil es den Gästen zunehmend schwerer fehlt, die vielen Anbieter überhaupt noch voneinander zu unterscheiden.

Bloomberg listet auf, dass im vergangenen Jahr lediglich 13 Prozent der neu vermieteten Flächen in britischen Einkaufszentren auf Gastro-Anbieter entfiel – so wenig wie seit sechs Jahren nicht mehr. (2017 waren es 20 Prozent.) Manch ein Betreiber, der noch vor wenigen Jahren große Hoffnungen in die Gastro-Aufwertung setzte, belege freie Flächen inzwischen eher mit Hotels, verwandele sie in Apartments oder schaffe andere Freizeit-Angebote.


II. Wahn, Wahrheit und Warmhaltebottiche

Die nun einsetzende Ernüchterung könnte aber auch schlicht und einfach der Tatsache geschuldet sein, dass die aufwändig umgebauten Food Courts in Einkaufszentren selten das einhalten, was ihre Befürworter den Kunden versprochen haben – selbst wenn die Grundidee stimmt.

„Try something new at the Great Eastern Market“, lockt Westfield die Besucher seiner 2011 eröffneten 177.000 Quadratmeter großen Shopping Mall im Londoner Olympia-Bezirk Stratford ins Untergeschoss. Dort hat der Konzern ein alternatives Food-Angebot geschaffen, das sich durch seine Marktatmosphäre vom üblichen Gastro-Einerlei abheben soll. Rund um eine Filiale des Supermarkts Waitrose wurden Betreiber unabhängiger Ladenkonzepte, Cafés und Spezialitätenanbieter zur Zweit- bzw. Drittniederlassung überredet. Es gibt frisch belegte Brote vom lokalen Handwerksbäcker, sehr sorgfältig gebrühten Espresso und hervorragenden Kuchen vom Kaffee-Hipster, Bio-Lebensmittel vom kleinen Alternativ-Supermarkt. Auch wenn das eine willkommene Abwechslung zum Standard-Food-Court mit den üblichen Quickservice-Verdächtigen, Kino, Casino und Bowling-Inferno ist: So richtig passen die aus den In-Bezirken Londons herverpflanzten Indie-Anbieter hier nicht hin. Und ob Kunden wirklich herkommen, um an Tischen in Einkaufszentrenfluren Backspezialitäten zu sich zu nehmen, die sie auch in sehr viel urbanerer Atmosphäre genießen könnten, ohne dafür 25 Fußballfelder Handelsfläche zu durchqueren, ist zumindest fraglich. Dabei gehört der „Great Eastern Market“ schon zu den ambitionierteren Konzepten der Center-Branche, weil er Betreiber zusammenbringt, die einander sonst vermutlich wenig zu sagen hätten.

Was passiert, wenn das fehlt, lässt sich hervorragend im Berliner Alexa besichtigen, das seinen Foodcourt im Spätsommer des vergangenen Jahres mit viel Tamtam neu eröffnete. Und obwohl die Fläche für gastronomische Angebote vom Betreiber Sonae Sierra fast verdoppelt wurde, fragt man sich bei der Erstbegutachtung unweigerlich: Meinen die das ernst?

Die Neugestaltung besteht im Wesentlichen daraus, einen Teil der früheren Läden im Obergeschoss aufgefräst und die Abholthekentristesse des bisherigen Angebots mit ein paar neuen Anbietern verdoppelt zu haben. Gäste kommen nun auch in den Genuss vermeintlich indischen Essens aus Warmhaltebottichen, es gibt u.a. Schnitzel, mexikanisch, Döner, noch mehr Burger. (Oder wie’s die Alexa-Verantwortlichen formulieren: „Kulinarische Highlights für den Feinschmecker in dir“.) Irgendwer fand es eine gute Idee, im erweiterten Sitzbereich die Café- direkt neben die Sushi-Theke zu platzieren. (Mal ganz abgesehen davon, dass man dort eingerahmt von Hydrogranulat-Pflanzenbottichen vor goldenen Gittertrennwänden den Einruck hat, in einer Mischung aus Food-Knast und Arztpraxiswartezimmer für Die Geissens zu sitzen.)

Die Rettung dieser Aufpepp-Unfälle könnte sein, dass sie sich maximal zielgruppengerecht an Besucher richten, die auf ihrem Shopping-Feldzug ohnehin jedes Essensangebot begrüßen, das ihnen nach den körbeweise bei Primark erstandenen Klamottenbergen keinen weiteren Ortswechsel mehr abverlangt. Neue Gäste oder andere Zielgruppen werden sich so aber nicht anlocken lassen.

Noch einen Hoffnungsschimmer liefert das ICSC in seiner Studie: Deutschland sei mit F&B-Angeboten in Einkaufszentren so unterversorgt, dass die erweiterten Food Courts die auswärtige Konkurrenz kaum zu fürchten bräuchten (und andersherum). Generell bestehe ab einem gewissen Zeitpunkt aber durchaus die Gefahr einer „Überversorgung“, so die Untersuchung aus dem Jahr 2017. Die hat zumindest laut Bloomberg nicht lange auf sich hat warten lassen.


III. Alles unter einem Dach: Siegeszug der Food Halls

Was den Center-Betreiben in nächster Zeit so richtig Kopfschmerzen bereiten sollte, ist vor allem die Tatsache, dass die von ihnen vereinnahmten Food Courts längst ein Eigenleben entwickelt haben – und zu „Food Halls“ werden, die nicht mehr darauf angewiesen sind, dass jemand Platz für sie macht, um sein überholtes Geschäftskonzept (und sich selbst den Arsch) zu retten.

In London hat ein Zusammenschluss aus Gastronomen und Investoren im vergangenen Jahr die frühere U-Bahn-Eingangshalle im Stadtteil Fulham restauriert und dort einen ganzen Schwung kleiner Gastro- und Café-Betreiber aus der Gegend hingelockt. Gästen verspricht die „Market Hall“ „the best food and drink in London, all under one roof“. (Ohne dass man dafür an den Stadtrand fahren muss.) Am Eingang gibt’s Kaffee und Gebäck; am früheren Ticket-Schalter wird jetzt Craft Beer ausgeschenkt; weiter hinten gibt’s Poké Bowls, Churros und kreativ gefüllte Tacos. Market Hall Nummer 2 ist kurz darauf im Stadtteil Victoria auf zwei Stockwerken in einen früheren Nachtclub eingezogen. Der dritte Ableger folgt im Laufe des Jahres (als größte Food Hall des Landes) auf der Oxford Street im Obergeschoss eines ehemaligen Kaufhauses. Die Market Halls liegen zentral, sie sind gemütlicher eingerichtet als ihre Shopping-Center-Stiefgeschwister und bieten einen zeitgemäßeren Food-Mix bei deutlich geringerer Warmhaltebottichdichte. Das abendliche Bierchen trinkt sich da irgendwie auch viel angenehmer.

Und zwar nicht nur unter Briten: In New York City macht sich Urbanspace mit seinen Indoor-Markets an immer mehr Plätzen in der Stadt breit. Zwei Querstraßen vom Chrysler Building treffen sich in Manhattan hungrige Stadtbewohner und Touristen, um Lobster Rolls aus Red Hook zu bestellen, Dough Donuts zu verspeisen und selbstgerösteten Kaffee aus Brooklyn von Toby’s Estate zu trinken. Und in (Old) Amsterdam hat sich Foodhallen in der ehemaligen Straßenbahnen-Remise niedergelassen, angeschlossen an eine Shopping-Auswahl mit Designer- und Künstlerläden. Vor allem aber gehört Deutschland diesmal von vornherein mit zu den Trendsettern: Die Markthallen in Kreuzberg und Moabit haben längst vorgemacht, welcher Reiz von modernen Food-Hall-Konzepten in historischem Ambiente ausgehen kann.

In den kommenden Jahren werden wir noch sehr viel mehr dieser Food Halls sehen – nicht zuletzt, weil sich etablierte Medienmarken mit eigenen Konzepten ausbreiten: Time Out Market eröffnet (nach dem erfolgreichen Start in Lissabon) dieses Jahr im New Yorker Stadtteil Dumbo und kommt nach Miami, Boston, Prag und (doch noch) London; und in New Jersey macht Vice seine Submarke Munchies ebenfalls zur Food Hall.

Die Gastro-Zusammenschlüsse haben das Potenzial, nicht nur Food Courts in Einkaufszentren, sondern auch klassischen Restaurants gefährlich zu werden – weil sie sich hervorragend eignen, um Freunde zu treffen ohne sich in der Gruppe vorher auf eine spezielle Küche einigen zu müssen. Und das ist in der Tat ein hervorragendes Argument, um erfolgreich mit Netflix, der Couch und der Bequemlichkeit des Online-Orderings zu konkurrieren.


Nachschlag

  • Der Nächste bitte: Das amerikanische Food-Delivery-Start-up Munchery hat dichtgemacht und lässt seine Gastro-Partner hängen – eine Bäckereibesitzerin wehrt sich. (San Francisco Chronicle, Medium)
  • In Deutschland zog sich Deliveroo aus mittelgroßen Städten zurück, um Kosten zu sparen; im Heimatmarkt wanzt man sich nun verstärkt an Besteller außerhalb der großen Städte ran, um neue Kunden zu gewinnen. (Digiday UK)
  • Und Starbucks wächst – vor allem dank kaltem Kaffee, Pardon: Cold Brew. (CNBC)
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