Von einem Fest der Nächstenliebe (St. Martin) bis zum nächsten (Weihnachten) sind es nur noch wenige Wochen, aber im Kampf der Lebensmittel-Lieferdienste um die Gunst der Kund:innen hat das Teilen gerade einen eher schweren Stand: Seit ungefähr vergangener Woche lassen sich bei Uber Eats und Wolt keine Bananen, Milch und Chips mehr vom Lieferdienst in Pink bestellen.
Der Quick-Commerce-Anbieter Flink, der bislang seine Lebensmittel über möglichst viele Plattformen an die Kundschaft bringen wollte, scheint die Verbindungen zu seinen bisherigen Partnern gekappt zu haben (Uber-Eats-Suchergebnis: „Wir konnten keine Treffer finden“) – und stattdessen voll auf die orange Konkurrenz setzen zu wollen.
Auf diese Weise würde Lieferando zur einzigen Plattform für Kund:innen, die ihre Lebensmittel nicht über die Flink-App bestellen wollen.
Gutscheine und Lock-Angebote
Offiziell hat man eine solche Partnerschaft bislang nicht kommuniziert. Auf Social-Media-Plattformen wirbt Lieferando aber mit dem Versprechen: „Jetzt exklusiv und nur bei Lieferando“ – über dem Logo von Flink (via Matthias Schu, der via LinkedIn sein „E-Grocery Spotlight“ verschickt). In Berlin promoten derzeit zudem Plakate in Orange-Gelb-Pink die Kooperation, die Neu-Besteller:innen einen „12 € Gutschein Nur bei uns“ verspricht.
Auf Supermarktblog-Anfrage erklärt ein Flink-Sprecher:
„Aktuell fokussieren wir die Zusammenarbeit in Deutschland auf Lieferando (Just Eat Takeaway).“
Von Lieferando heißt es:
„Flink setzt präferiert auf Lieferando als zusätzlichen Vertriebskanal (…). Zumal Flink aktuell auf keiner anderen Bestellplatform verfügbar ist, bewirbt Lieferando das Angebot aktuell entsprechend.“
Aus Sicht des Marktführers erscheint eine potenzielle Exklusivkooperation durchaus schlüssig: Gegenüber Analyst:innen hatte die Lieferando-Mutter Just Eat Takeaway.com erst im Oktober (wieder) dargelegt, dass man das Wachstum des „grocery and retail business“ als eine wichtige strategische Säulen für weiteres Wachstum sieht (PDF).
Über viele Jahre hatte JET-Gründer Jitse Groen strategisch das exakte Gegenteil verfolgt: Lieferando wurde konsequent als Bestellplattform für Restaurantessen gebrandet und dementsprechend beworben. Als Rivalen wie Uber Eats und Wolt zu Alleslieferanten wurden, folgte die Kehrtwende: Nun sollen sich auch Lieferando und die anderen JET-Ländermarken breiter aufstellen.
Vielen deutschen Stammkund:innen scheint das bislang nur schwer vermittelbar gewesen zu sein. Die ersten Versuche, Partner für Lebensmitteleinkäufe auf die Plattform zu holen, scheiterten. Auch das eigene Darkstore-Format „Lieferando express“ ist bislang nicht über das Teststadium hinausgekommen.
Lieferando forciert Lebensmittel-Einkäufe
Seit einem Jahr ist nun Flink bei Lieferando gelistet. Und vor wenigen Wochen verkündete die JET-Tochter stolz eine „strategische“ Partnerschaft mit Rewe (im Englischen war aufschlussreicher von „preferred partnership“ die Rede), das seitdem als „Rewe express“ auf der Plattform in Orange vertreten ist. Einkäufe werden aber nicht etwa in Rewe-Supermärkten gepickt, sondern in den Lagern von Flink, das auch für die Auslieferung zuständig ist (siehe Supermarktblog).
Das dürfte der Versuch seitens Lieferando sein, die Zurückhaltung seiner selbst so erzogenen Stammkundschaft zu ändern, und mittels einer starken Marke aus dem klassischen Lebensmittelhandel auch Einkäufe des täglichen Bedarfs zu forcieren. Denn die versprechen eine höhere Frequenz und zahlen auf die Loyalität der Nutzer:innen ein.
Unklar ist, warum es dazu eine exklusive Partnerschaft mit Flink gebraucht hat, das in der Lieferando-App in der Regel neben oder unter Rewe express auftaucht. (In meinem Büro-Umfeld ist das derzeit nicht der Fall – zum Zeitpunkt der Recherche war nicht erkennbar, ob es sich dabei um einen gezielten Test oder einen technischen Fehler handelt.)
Gleichwohl gibt es ein sichtbares Bemühen, den Begriff der „Exklusivität“ in Bezug auf die Kooperation möglichst zu vermeiden – wahrscheinlich, um nicht das Bundeskartellamt auf den Plan zu rufen, das prüfen könnte, ob ein solcher Deal für Lieferando als – auf Landesebene – führendem deutschen Lieferdienst überhaupt zulässig wäre.
(Flink dürfte nicht umsonst von einer „Fokussierung“ der Zusammenarbeit sprechen.)
Nur ein Kanal außerhalb der eigenen App
Auch in anderer Hinsicht wirft der Strategiewechsel Fragen auf. Bisher galt die Präsenz auf möglichst vielen Plattformen als zentraler Vorteil für Quick-Commerce-Dienste: Je mehr potenzielle Berührungspunkte mit der Kundschaft, desto besser die Chancen auf Bestellungen.
Worin soll der Vorteil liegen, dass sich Flink nun bewusst auf einen einzigen Kanal außerhalb der eigenen App beschränkt – und noch dazu einen, der für Lebensmittel-Lieferungen bislang alles andere als etabliert ist? Bei Flink heißt es dazu:
„Lieferando ist als Marktführer in praktisch allen deutschen Städten verfügbar. Dadurch können wir das Wachstum von Flink auch [in] kleineren Städten weiter beschleunigen.“
Diesen Vorteil hätte Flink aber freilich auch ohne „Fokussierung“ weiter nutzen können. (Wobei ein Großteil der Quick-Commerce-Nachfrage ohnehin auf die Metropolen entfallen dürfte.)
Dazu erklärt der Flink-Sprecher weiter: „In anderen Bereichen arbeiten wir weiter mit Uber Eats und Wolt zusammen“ – ohne das zu spezifizieren. Die Bemerkung könnte sich aber darauf beziehen, dass Flink zu bestimmten Zeiten auch auf die Logistik von Wolt und Uber Eats (via Wolt Drive und Uber Direct) zurückgreifen und Bestellungen dann im Zweifel mit deren Fahrer:innen ausliefern lassen könnte.
Anders als Wolt und Uber bietet Lieferando, an das sich Flink nun enger binden will, seine Logistik Partnern bislang nicht unabhängig von der Präsenz auf der eigenen Plattform an.
Neue Investoren wollen „geheim“ bleiben?
Der jetzige Schritt erscheint auch vor dem Hintergrund von Spekulationen interessant, die zuletzt im US-Tech-Magazin TechCrunch kursierten: Dort wurde die Möglichkeit erwähnt, dass sich Just Eat Takeaway (JET) im Rahmen der jüngsten Finanzierungsrunde an Flink beteiligt haben könnte. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es bisher nicht. Als börsennotiertes Unternehmen müsste JET ab bestimmten Schwellenwerten eine Beteiligung öffentlich machen. Eine mögliche Investition könnte also entweder unter diesen Meldepflicht-Schwellen liegen. Alternativ könnte sie erst im nächsten Geschäftsbericht aufgeführt werden.“
Die „Wirtschaftswoche“ hatte im September geschrieben, dass zwei Drittel der eingeworbenen Summe „laut Flink-Sprecher von neuen Investoren [stammen], die allerdings geheim bleiben wollen“.
Vor einigen Monaten soll es Medienberichten zufolge (z.B. im „Handelsblatt“) bereits Interesse seitens Just Eat Takeaway gegeben haben, Flink zu übernehmen. Zuletzt hatte JET die amerikanische Liefertochter Grubhub abgestoßen, um sich wieder stärker auf bestehende Märkte zu konzentrieren.
Flink will eine mögliche JET-Beteiligung auf Supermarktblog-Anfrage derzeit weder bestätigen noch dementieren.
Just Eat Takeaway hat sich bis zum Erscheinen dieses Texts nicht auf eine Anfrage geäußert.
Doordash-Begeisterung merklich abgekühlt
Ende 2021 hatte bereits der US-Lieferriese Doordash, zu dem inzwischen auch der Lieferando-Konkurrent Wolt gehört, in Flink investiert. Zu einer Übernahme, die zu dieser Zeit durchaus nahe gelegen hätte, ist es aber nie gekommen.
Damals war Flink als schnell gewachsene Start-up noch mit mehreren Milliarden US-Dollar bewertet worden; einschlägige Start-up-Datenbanken gehen derzeit von einer Bewertung aus, die tendenziell unter einer Milliarde liegt. Damit wäre Flink der begehrte Unicorn-Status wieder aberkannt.
Doordash-CFO Ravi Inukonda hat das Flink-Investment gegenüber CNBC vor einigen Monaten als „one-time write-off“ bezeichnet; angesichts einer solchen vollständigen Abschreibung scheint Doordash praktisch keine Chance mehr zu sehen, dass sich der Wert der Beteiligung in Zukunft erholen könnte.
Verzicht auf Reichweite
Abgesehen von alldem könnte sich die vermeintliche Exklusiv-Strategie für Flink als riskant erweisen. Der Verzicht auf die Reichweite von Uber Eats und Wolt bedeutet den Wegfall des Zugangs zu deren aktiven Nutzer:innen. Zwar können Kund:innen alternativ weiterhin über die native Flink-App bestellen; doch gerade spontane Lebensmittel-Bestellungen dürften häufig über die großen Plattformen getätigt werden, auf denen Nutzer:innen ohnehin schon aktiv sind.
Strategisch sinnvoller wäre es womöglich gewesen, via Lieferando komplett auf die Marke Rewe express zu setzen – und auf Wolt und Uber Eats als Flink aktiv zu bleiben, um vergleichen zu können, wie sich die Bestellungen über die einzelnen Kanäle entwickeln.
Nach dem Rückzug von Gorillas/Getir aus Deutschland sucht Flink vorerst also weiter nach der richtigen Strategie. Ob die Konzentration auf einen Partner aufgeht, bestimmen nun die Kund:innen.
Das Statement von Lieferando wurde nachträglich in den Text eingefügt.
Irgendwie lustig, wie sich genau die zusammen robben, die längerfristig gesehen gemeinsam die geringste Überlebenschance haben. Was die Wettbewerbsbehörde wohl dazu sagt?
Danke für die starke Recherche!