Es ist kurz nach zehn Uhr an einem sonnigen Tag Anfang Juni in Zehdenick, Ortsteil Bergsdorf, einem 400-Seelen-Dorf im Norden Brandenburgs. Christoph Lehmann läuft über den Hof seines Betriebs, vorbei an Ställen und Lagerflächen aus LPG-Zeiten, die er in den vergangenen 20 Jahren Stück für Stück umgebaut hat. Unter den teilweise überdachten Plätzen stehen rund 200 Kühe vor ihren Futtertrögen, die Bullen separiert, dahinter Grünland – ingesamt 900 Hektar.
Nur wenige Schritte entfernt, in der hofeigenen Fleischerei, wird selbst geschlachtet. Um Produkte herzustellen, die es so nirgendwo anders gibt. Leberwurst mit Sahne statt mit Schweinefett zum Beispiel. „Normalerweise verwendet man Schweinefett, um bei Rindfleisch die richtige Konsistenz hinzubekommen“, erklärt Lehmann, während er eine Kiste mit vakuumverpackten Würsten aus der Kühlung holt.
Aber: Kein Schwein zu sehen hier. Also wird es auch nicht verarbeitet. Und die Sahne als Komponente? „Eine Eigenkreation.“
Kein Phosphat, keine Zusatzstoffe
Lehmanns Betrieb Bergsdorfer Wiesenrind verkörpert das Prinzip des geschlossenen Kreislaufs in seiner reinsten Form. Von der Geburt in der Mutterkuhhaltung über die Aufzucht auf den weitläufigen Weiden bis zur Schlachtung und Verarbeitung in der hofeigenen Fleischerei – alles passiert in einem Radius von wenigen hundert Metern. „Bei uns verlässt kein Gramm Fleisch oder Tier den Hof“, betont Lehmann den Verzicht auf Transporte. „Alle Tiere, die hier geboren werden, dürfen hier auch sterben.“

Die Rinder leben in Herden zusammen in der sogenannten Mutterkuhhaltung. Gemolken wird nicht – die Milch ist nur für die Kälber da. Von April bis November sind die Tiere auf den Sommerweiden, den Winter verbringen sie auf Koppeln mit Windschatten und Strohmatten. Die Fütterung erfolgt ohne gentechnisch veränderte Futtermittel.
Bei der Herstellung der Produkte wird auf künstliche Zusatzstoffe verzichtet. „Wir nehmen auch keine Gewürzmischungen, weil dort Komponenten drin sind, die man zwar nicht deklarieren muss, aber die halt drin sind – Rieselhilfen, Antioxidantien“, erklärt Lehmann. „Ich will es nicht nur nicht auf dem Etikett stehen haben, ich will es einfach nicht drin haben.“
Besonders wichtig ist Lehmann, auf „das Zauberpulver‘ der Fleischer“ zu verzichten: Phosphat. „Damit kann man bis zu 40 Prozent Wasser einkuttern. Das funktioniert bei uns nicht. Wir nehmen stattdessen Zitronensäure. Weil wir Fleisch verkaufen und kein gebundenes Wasser.“ Dazu kommt der Anspruch, das gesamte Tier zu verwerten – nicht nur einzelne Teilstücke.

Ein Lieferdienst als Regio-Partner?
Der Betrieb ist ein klassischer LPG-Nachfolgebetrieb, der sich über Jahre zur Direktvermarktung entwickelt hat. „Die ganzen Geschichten über Tiertransporte und was dort so passiert – das wollten wir für unsere Tiere nicht“, erzählt Lehmann. 2017 entschied er: „Wir machen es jetzt entweder allein und richtig oder lassen es bleiben.“ Also hat er’s allein hingekriegt.
Mit rund 170 Schlachttieren pro Jahr bei insgesamt 600 Tieren am Hof setzt Lehmann bewusst auf Qualität statt Quantität. „Wir haben 200 Kühe. Punkt“, stellt er klar. „Im nächsten Jahr haben wir 215 Kühe durch die eigene Reproduktion. Aber viel mehr geht nicht – die Fläche ist endlich.“
Diese Konsequenz macht Bergsdorfer Wiesenrind zu einem der besonderen Partner für Knuspr – den Online-Supermarkt, der seit vergangenem Jahr nach München und Frankfurt am Main auch in Berlin Lebensmittel innerhalb von drei Stunden an die Haustür liefert. Und der mit seinem Misch-Ansatz aus Supermarkt und Hofladen ein Stück weit die Gepflogenheiten des Lebensmitteleinzelhandels auf den Kopf zu stellen versucht.

Als der Berliner Knuspr-Einkauf nach dem Kennenlernen auf der Grünen Woche erstmals im März 2024 nach Bergsdorf kam, waren beide Seiten schnell begeistert. Die Zusammenarbeit war schnell beschlossen: Innerhalb weniger Wochen wurden die Artikel definiert, die ins Knuspr-Sortiment integriert werden sollten, die technischen Details geklärt und eine erste Probelieferung organisiert.
Volle Konzentration auf die Produktion
„Manche anderen Partner sind Überzeugungstäter, die für ihre Konzepte leben – aber vielleicht nicht so strukturiert, wie man sich das als Lieferant wünschen würde“, sagt Lehmann. Und dann kommt eben Mitte der Woche noch schnell der Anruf: Ups, wir haben vergessen zu bestellen, können wir noch?
Bei Knuspr läuft das anders. Die Bestellungen sind regelmäßig und zuverlässig, die Bezahlung läuft wie vereinbart. „Wir fahren mit einem Transporter mit gekühlter Ware zum Knuspr-Lager. Knuspr ist der Experte in Vermarktung und Verteilung. Wir können uns auf das konzentrieren, was wir wirklich machen“, erklärt Lehmann. Schon nach wenigen Monaten ist der Lieferdienst einer der wichtigsten Vertriebswege für Bergsdorfer Wiesenrind geworden – neben dem Verkaufsstand auf dem eigenen Hof.

Was die deutsche Tochter der tschechischen Rohlik-Gruppe von anderen Online-Lebensmittelhändlern unterscheidet, ist im Shop nicht zu übersehen. Der umfasst bis zu 19.000 Produkte. Entscheidend ist aber nicht die Größe, sondern die Zusammensetzung: Während klassische Supermärkte auf einer breiten Basis von Standardprodukten eine schmale Spitze aus Premium- und Nischenartikeln aufbauen, versucht Knuspr den gegenteiligen Ansatz.
„Wir kehren die klassische Sortimentspyramide im Lebensmittelhandel um“, erklärt Stephan Lüger, Commercial Director bei Knuspr, im Supermarktblog-Gespräch während des Lieferantenbesuchs in Bergsdorf, zu dem auch zwei Einkäufer:innen aus seinem Team mitgekommen sind.
Wertschätzung auch für kleine Lieferant:innen
Mit 150 bis 200 regionalen Partnern pro Standort und einem regionalen Sortimentsanteil von 30 bis 50 Prozent – deutlich mehr als in klassischen Supermärkten – hat das Unternehmen ein System geschaffen, das kleine Produzenten wie Christoph Lehmann systematisch unterstützt. Ohne dass diese ihre Arbeitsweise grundlegend ändern müssen.

Herzstück ist das sogenannte „Genuss-Helden-Programm“, das Knuspr 2022 eingeführt hat. „Dafür gibt es kein Bewerbungsverfahren im traditionellen Sinne“, betont Lüger. „Wir bieten ausgewählten kleinen Lieferant:innen die Vorteile direkt an: verkürzte Zahlungsziele, kostenlosen Digitalisierungssupport, Entbürokratisierung, flexible Abnahme.“ Während große Handelsketten kleine Partner:innen oft mit komplexen Anforderungen überfordern, passt sich Knuspr an deren Möglichkeiten an.
Für manchen ist das entscheidend, um sich auf die Kooperation einzulassen. Das Zahlungsziel wird von 30 auf 14 Tage halbiert – für Betriebe mit begrenzten finanziellen Ressourcen ein Riesenvorteil. Statt der oft komplexen und umfangreichen Vertragswerke traditioneller Handelsketten gibt es die Vereinbarungen auf vier Seiten. Und kostenlosen Zugang zu Werkzeugen, um die komplette Lieferkette zu digitalisieren – was normalerweise nur größeren Unternehmen vorbehalten ist.
„Bei uns kommt keiner ins Team, der Lebensmittel nicht respektiert“, erklärt Lüger die Knuspr-Philosophie im Einkauf. „Die Lieferant:innen sollen merken, dass wir ihr Produkt verstehen und zu schätzen wissen.“ Diese Haltung zeigt sich auch in der Flexibilität bei der Abnahme: „Wir definieren keine Mengen. Wir nehmen, was wir bekommen.“
Nur sechs Fische gefangen? Kein Problem
Die meisten Partner:innen liefern direkt ins Lager. Viele haben bereits eigene Touren, beliefern Gastronomien oder Märkte – und integrieren Knuspr in ihre Route. Bei speziellen Partnern hole man aber auch selbst ab, sagt Lüger.
Zum Beispiel vom Fischer am Schwielowsee, mit dem Knuspr in Berlin zusammenarbeitet. Der Fisch wird morgens gefangen, direkt verarbeitet und mittags abgeholt. Nachmittags ist er dann im Online-Shop. Nur fünf bis sechs Fische pro Lieferung – das passt in ein, zwei Kisten. Mehr werden halt nicht gefangen.
Diese Art der Beschaffung steht im Gegensatz zu herkömmlichen Handelsstrukturen – und verlangt Flexibilität. Zu Schonzeiten für bestimmte Arten wie den Zander heißt es dann im Shop für Kund:innen: vorübergehend leider nicht verfügbar. (Wer wissen will, wann sich das ändert, kann sich automatisch benachrichtigen lassen.) Und im Hochsommer muss wegen der hohen Wassertemperaturen länger gewartet werden, bis der gefangene Fisch runtergekühlt ist, um ihn ordnungsgemäß transportieren zu können – sonst würde er die Temperaturkontrollen am Wareneingang nicht bestehen.
Über drei Viertel des Vollsortiments bezieht Knuspr direkt von Herstellern und Landwirten, nicht von Groß- oder Zwischenhändlern. Das ermöglicht es, frische Lebensmittel manchmal innerhalb von nur wenigen Stunden nach der Ernte an die Kund:innen zu liefern.
Und es hat mehrere Vorteile: Die Produzent:innen erhalten einen höheren Anteil des Verkaufspreises, Lieferketten werden verkürzt, die Frische der Produkte bleibt länger erhalten.
Bio – oder lieber doch nicht?
Das System funktioniert auch in die andere Richtung: Wenn Kund:innen spezielle Wünsche haben, kann Knuspr diese direkt an die Produzent:innen weiterleiten. „Die Kommunikation mit kleineren Hersteller:innen ist einfacher – der Einkauf sagt, was wir gerne im Sortiment hätten, der Lieferant kann daraufhin entwickeln“, erklärt Lüger. So entstand zum Beispiel ein mageres Rinderhack auf Kund:innenwunsch. Oder der Bergsdorfer „Wiesen Hammer“ – ein Rindfleischstück aus der Wade mit Knochen, das sich besonders gut zum Schmoren und Smoken eignet.

Bloß: warum nicht gleich in Bio – würden das die Bio-affinen Knuspr-Kund:innen nicht noch mehr zu schätzen wissen? Christoph Lehmann von Bergsdorfer Wiesenrind hat sich gegen eine Zertifizierung entschieden: „Viele haben mir gesagt: ‚Mach dir ein Bio-Label dran, dann verkauft sich das von alleine.‘“ Aber das hatte für ihn keine Priorität. Lehmanns Kritik richtet sich vor allem gegen die „Energiebilanz und die Label-Hascherei vieler Bio-Betriebe“. Er argumentiert für seinen eigenen Weg: „Würden wir auf biologisch umstellen, könnten wir nur 20 Prozent der Erträge generieren.“
Stattdessen setzt er auf Transparenz ohne Label: „Im Konventionellen gibt es eine riesige Spannweite. Man kann sein Produkt so herstellen, dass alle profitieren – Böden, Tiere, Menschen, Mitarbeiter:innen. Man kann auch ziemlich Schindluder damit treiben. Im Biologischen gilt das aber leider auch.“
Gut erklärt ist halb überzeugt
Lehmann ist überzeugt: „Wir produzieren in Deutschland die sichersten und gesündesten Lebensmittel, die es auf der Welt gibt.“ Aber: Die Kommunikation seines Konzepts ohne Bio-Label bedeutet auch viel Arbeit, weil es erklärungsbedürftig ist. Weniger gegenüber Mitarbeitenden: „Ich bin wahrscheinlich die einzige Fleischerei, die keine ernsthaften Personalsorgen hat. Das ganze Konzept zieht Kolleg:innen an, die das Handwerk bei uns lernen wollen – den Umgang mit den Tieren und den Job des Fleischers ohne industrielle Verarbeitung.“
Aber natürlich gegenüber Verbraucher:innen: Lehmann macht Führungen mit Einzelpersonen und ganzen Gruppen, bei der Brandenburger Landpartie kommen 100 Leute, die er über den Hof führt. „Die sind Bio-gebrieft, haben auch Fachwissen. Sie kommen her und sagen: ‚Mensch, der hat ja recht, man kann das ja wirklich so machen‘ – und werden dann hier Kund:in.“

Gleichwohl lassen sich nicht alle vor ihrer Auswahl beim Lebensmittelkauf erst aufwändig über Höfe führen, sondern wollen einfach essen, worauf sie Lust haben.
Deswegen muss auch Knuspr seine Grundphilosophie ein Stück weit anpassen: „Wir wollen den Supermarkt überflüssig machen. Und je größer wir werden, desto mehr nähern wir uns dem Durchschnittskunden an. Unser Ansatz, manche Lebensmittel ausschließlich dann im Sortiment zur haben, wenn sie saisonal verfügbar sind, ist schwer durchzuhalten“, räumt Lüger ein. „Wir werden unseren Absolutheitsanspruch deshalb ein Stück weit aufweichen.“ Wenn der Einzelhandel im Winter Erdbeeren anbietet, wird Knuspr das künftig auch tun – weil die Kund:innen es so wünschen.
Höfen fehlen verlässliche Partner
Umso wichtiger sind Betriebe wie der von Christoph Lehmann, die weiter für den Knuspr-Ansatz stehen, Hersteller:innen und Lieferant:innen aus der Region sichtbar zu unterstützen. Warum gibt es nicht mehr davon?
Die Antwort liegt womöglich in strukturellen Problemen, die weit über einzelne Höfe hinausreichen. „Viele Kollegen spielen mit dem Gedanken, ein ähnliches Konzept umzusetzen – aber zögern, diesen großen Schritt gehen“, erklärt Lehmann. Der Genehmigungsprozess, die behördlichen Nachweise, die Kontrollen sind aufwändig – dazu kommen zusätzlichen Kosten, z.B. für regelmäßige Produktchecks im Labor. Gleichwohl bedauern alle den Mangel an geeigneten Partnern. Das Grundproblem: Viele kleinere Höfe können nicht selbst schlachten und verarbeiten, sondern sind auf Dienstleister angewiesen – die oft nicht die nötigen Qualitätsstandards erfüllen
Auch das Problem gefälschter Regionalität macht Lehmann zu schaffen: „Am Ende des Tages ist es vielen Kund:innen egal, ob die Story, die sie beim Einkauf erzählt kriegen, auch belastbar ist. Da kann man was Tolles an den Marktstand schreiben – es wird selten hinterfragt.“ Das könne Betrüger:innen Tür und Tor öffnen.
Wenn da auf Berliner Märkten die Marktautos mit „Fleisch und Wurst aus ‚der Region‘“ stünden, stimme das einfach oft nicht: „Die gibt es gar nicht.“
Viele Lieferdienste sind wieder verschwunden
Warum verkauft er dann nicht selbst auf Märkten? „Der Aufwand für Kühltechnik, Transporttechnik, Personal, Kassenelektronik, Infrastruktur ist für uns nicht darstellbar. Wir sind Landwirte, wir sind Fleischer, wir sind Produzenten.“ Sein Hof brauche verlässliche Partner, „die das Konzept wollen, die Story weitertragen“ – und auch den entsprechenden Preis dafür umsetzen können.

Lehmanns Erfahrungen mit der Berliner Gastronomie sind gemischt: „Vielleicht 30 Gastronom:innen waren schon hier, alle spontan in die Produkte verliebt – aber Kooperationen kamen selten zustande.“ Und selbstständige Kaufleute? Müsste es für die nicht von unschätzbarem Wert sein, in ihrem Supermarkt besonderes Fleisch anzubieten? Ja, aber am Ende ging es dann doch vor allem um den Preis, der nicht mit dem aus dem Großhandel mithalten könne.
Knuspr wiederum hat eigene strukturelle Herausforderungen. Am Anfang habe man in Berlin viel Skepsis bei kleinen Lieferant:innen gespürt, erzählt Lüger – zu viele Lieferdienste waren schon da, haben Großes versprochen, um Regionalität zu fördern – und sind dann wieder verschwunden.
Bei einer Berliner Manufaktur sei der Geschäftsführer sofort kritisch gewesen: Wenn ihr mit einem Riesenvertrag ankommt, den ich unterschreiben muss, könnt ihr gleich wieder gehen. Mittlerweile arbeite man gut zusammen. Und der alteingesessene Metzger aus München? Hat seinen Laden ohnehin immer samstags geschlossen und empfiehlt den Kund:innen deshalb nun, am Wochenende einfach via Knuspr frische Ware von ihm zu kaufen.
Die Konkurrenz angelt Partner
Gleichzeitig wird die Konkurrenz durch große Handelskonzerne intensiver. Alle haben Regionalität als Verkaufsargument für sich entdeckt. Rewe zum Beispiel fährt gerade eine groß Kampagne: „Näher geht’s nicht. Frischer geht’s nicht“, steht auf einem der Motive, auf dem eine gut gelaunte Kundin aus einer Schachtel Himbeeren schaut – „aus deiner Region“. Von welchem Hersteller die Produkte kommen, und was genau diese „Region“ umfasst – steht da nicht.
Genau damit will sich die Rohlik-Tochter von den Wettbewerbern abheben: Die Großen pushen vorrangig ihre eigenen Regio-Labels, Knuspr will Lieferant:innen und Hersteller:innen sichtbar werden lassen und ihre Geschichte erzählen.
Dieser Wettbewerber wird mit gewohnt harten Bandagen ausgetragen: „Die Konkurrent:innen gehen inzwischen auch direkt auf unsere Lieferant:innen zu“, erklärt Lüger. „In Wien haben wir einen potenziellen Produzenten an einen Mitbewerber verloren.“ Aber selbst wenn einige die Seiten wechseln, um später zu merken, dass es im größeren Verbund vielleicht nicht mehr ganz so persönlich zugeht: Viele bleiben auch loyal, weil durch die Zusammenarbeit Vertrauen aufgebaut wurde.
Dass man das auf Seiten der Kund:innen nicht unnötig riskieren sollte, muss Knuspr allerdings noch lernen: „Unser Radius für die Definition von Regionalität liegt bei etwa 100 Kilometern Entfernung von unserem jeweiligen Logistikstandort“, erklärt Lüger – im eigenen Shop wurde das bis zuletzt aber alles andere als optimal präsentiert.
Lokal-Verwirrung im Knuspr-Shop
Unter „Unsere lokalen Helden“ wurden z.B. in Berlin auch Wurstspezialitäten von Herrmannsdorfer Landwerkstätten und der Landmetzgerei Klobeck beworben, beide aus dem Großraum München. Als „Erntefrisch aus der Region“ standen da auch Obst und Gemüse vom Gemüsehof Reinheimer in Südhessen, Eckhoff-Äpfel aus dem Alten Land sowie Beeren von Fehmel Gemüsebau in Baden-Württemberg. Und zu den „besten Bäckern der Stadt“ zählte der Shop dank „Gesponsert“-Anzeige auch Backwaren von Joseph Brot aus Wien. Nicht gerade vertrauenserweckend.
Von Knuspr heißt es dazu, das Problem sei technischer Natur: Systembedingt würden Münchner Produkte teilweise auch in Berlin als „lokale Helden“ angezeigt. Die Software wurde in Tschechien entwickelt, wo die Regionaldefinition nicht so ausdifferenziert sei wie in Deutschland.
Hilft aber ja nichts: Wenn Knuspr den hiesigen Markt mit seinem Ansatz erobern will, müsste die korrekte Darstellung der regionalen Artikel allerhöchste Priorität haben, um nicht unglaubwürdig zu werden. Und es dürfte ja nicht nur technisch machbar sein, sondern wäre vermutlich sogar ein Vorteil im Verkauf, wenn regionale Artikel aus dem Raum München in Berlin einfach als „Münchner Spezialitäten“ gelabelt wären (sowie andersherum).
Das ist nicht der einzige Punkt, an dem sich Knuspr als Herausforderer der etablierten Supermarktketten ein Stück weit selbst im Weg steht (siehe Supermarktblog). Gleichwohl wäre es für den deutschen Handel ein begrüßenswerter Vorteil, wenn es den Neuen gelänge, mit ihrem Konzept zumindest ein Stück weit die Prinzipien der industriellen Lebensmittelproduktion in Frage zu stellen.
Eine andere Art des Handelns
Lüger argumentiert, die Zahlen sprächen für sich: Knuspr schreibe nur etwa 0,5 Prozent seiner Waren ab, verglichen mit bis zu 6 Prozent im stationären Handel. Das liege am intelligenten Bestandsmanagement: „Produkte kommen rein, das Mindesthaltbarkeitsdatum wird erfasst. Das System weiß aufgrund der Historie, ob wir das Produkt verkaufen werden.“ Wenn das MHD näher rückt, wird der Preis automatisch reduziert.
Die Supply Chain sei viel unkomplizierter als im stationären Handel: „Keine Umschichtung im Zentrallager, keine manuelle Verräumung in 200 Filialen.“ Gleichzeitig ermögliche die Direktbeschaffung ohne Zwischenhändler sowohl bessere Preise für die Produzent:innen als auch wettbewerbsfähige Preise für die Kund:innen. (Wobei Knuspr gewiss nicht zu den günstigsten Anbietern im Markt gehört, auch wenn man diesem Eindruck mit der wachsenden Eigenmarken-Auswahl entgegen zu steuern versucht.)
Zum Anteil regionaler Produkte am Gesamtumsatz gibt es seitens Knuspr derzeit keine aussagekräftige Kennzahl. Bestellen Kund:innen am Ende im Zweifel eben doch vor allem das, was sie gewohnt sind oder günstig ist?
„Wir haben alle Arten von Kund:innen – solche, die viel Regionales kaufen, andere, die nur Eigenmarken bestellen, ausländische Kund:innen, die vor allem Marks & Spencer kaufen“, sagt Stephan Lüger. Und gibt sich überzeugt: Die regionale Durchdringung des Knuspr-Sortiments sei – selbst wenn Edeka, Rewe & Co. sich anstrengten – nicht so einfach kopierbar. „Wir verkaufen eine Geschichte, eine Zukunftsvision. Das gibt uns einen Vorsprung.“ Knuspr sei zwar nur ein kleiner Fisch im Teich. „Aber der einzige in dieser Branche ohne milliardenschweren Einzelhandelskonzern dahinter. Wir machen alles selbst.“
Alternativen zur Standardware
Exakt so wie Christoph Lehmann bei Bergsdorfer Wiesenrind. Wobei sich die Partner auch der Grenzen ihres Modells bewusst sind. Lehmann sagt, es gebe einen gewissen Prozentsatz an Kapazitäten, die er „dynamisch handhaben“ könne. Grundsätzlich gelte für ihn aber: „Der beste Vertriebsweg möge gewinnen.“

Knuspr arbeitet daran, das Modell zu skalieren, ohne seine Prinzipien aufzugeben. Das Unternehmen plant, die Palette regionaler Obst- und Gemüseprodukte auf 300 Artikel für die Saison auszuweiten – „damit hätten wir eine knapp doppelt so große Vielfalt wie im herkömmlichen Handel“, sagt Stephan Lüger. Und wird noch konkreter: „Wirklich einzigartige, lokale Produkte innerhalb von drei Stunden zu liefern, ist unser Steckenpferd. Auf lange Sicht geht das aber nur, wenn wir unsere Partner:innen auf Augenhöhe unterstützen und gemeinsam mit ihnen wachsen – und nicht auf deren Rücken.“
Die Frage ist, ob sich genügend Betriebe wie der von Christoph Lehmann finden lassen, um das Modell überall erfolgreich umzusetzen.
Vielleicht geht es aber auch gar nicht darum. Sondern eher darum, zu zeigen, dass es tatsächlich Alternativen gibt – für Produzent:innen, die bereit sind, den umständlicheren Weg zu gehen; für Händler:innen, die Geschichten verkaufen wollen statt nur Waren; und für Kund:innen, die die Standardware aus dem Supermarkt ein Stück weit satt haben.
„Vielleicht erlebe ich es noch, dass in Deutschland die Wertschätzung für die eigene Landwirtschaft wieder höheren Stellenwert hat“, hofft Christoph Lehmann. Ist ja schon mal nicht schlecht, wenn man mit Gleichgesinnten daran arbeiten kann, diese Vision Realität werden zu lassen – eine Lieferung nach der anderen.