Wie qualifiziert man sich am besten für die Geschäftsführung eines Unternehmens, das in seinen Läden großen Wert auf Bio-Produkte legt und Eigenmarken ohne Geschmacksverstärker verkauft?
Thomas Gutberlet hat gedacht, es ist eine gute Idee, erstmal Dosen-Ravioli zu verkaufen.
Nicht im Kittel an der Kasse oder beim Regaleinräumen. (Das kannte er schon vom Ferienjobben während der Schulzeit in der örtlichen Tegut-Filiale.) Sondern nach dem Studium, als Gutberlet beim Nahrungsmittelriesen Nestlé anfing, erst im Vertrieb für Maggi-Fertiggerichte und später als Produktmanager. Wie passt so ein Job denn bitte schön zu Tegut, das seinen Kunden permanent die Vorteile von biologisch hergestellten Lebensmitteln erklärt und sie ständig zum Selberkochen auffordert? Kleiner Karriere-Irrtum?
Nein, sagt Gutberlet, im Gegenteil: „Ich hab in dieser Zeit sehr viel über Marketing gelernt und über die Art und Weise, wie man professionell Marken in Szene setzt. Von diesem Wissen hab ich profitiert, als wir die Tegut-Eigenmarke gegründet haben.“
2002 ist der heute 42-Jährige nach Fulda gekommen, um ins Unternehmen einzusteigen, das von seinem Großvater Theo gegründet (deshalb auch der Name: The-Gut, später Tegut) und zu dieser Zeit noch von seinem Vater geführt wurde.
„Dass ich irgendwann bei Tegut arbeiten wollte, war mir immer klar“, sagt Gutberlet. „Für mich war aber wichtig, dann die Qualifikation zu haben, tatsächlich eine verantwortungsvolle Position übernehmen zu können. Wenn man dasselbe macht wie der eigene Vater, stellt man sich auch dem Vergleich – und möchte dabei natürlich nicht zu schlecht abschneiden.“ Deshalb der Ausflug in die Welt der Tüten und Dosen. Und das vorherige BA-Studium beim Drogerie-Unternehmen dm.
Bei Tegut startete der Enkel des Gründers dann passenderweise mit der Zuständigkeit für Sortiment und Marketing. Die Position war gerade frei geworden und der Einstiegszeitpunkt ideal, weil das dann nicht so aussah, als dränge sich der Junior in die Firma. Im September 2009 übergab ihm der Vater schließlich die Geschäftsführung, genau so wie es schon eine Generation zuvor gelaufen ist. Klingt fast nach einer klassischen Familienbetriebsgeschichte. Bloß dass es die heute eigentlich kaum mehr gibt. Thomas Gutberlet vermittelt aber nicht den Eindruck als habe man ihn breitschlagen müssen, um von Fulda aus den großen Handelsketten Konkurrenz zu machen.
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Supermarktblog: Keine Burn-Out-Angst? Haben doch jetzt alle.
Thomas Gutberlet: Nein. Ich glaube, bei Burn-Out ist das Problem, dass die Leute viel arbeiten – aber nicht sehen, dass sich was verändert. Dieses Gefühl hab ich nicht, im Gegenteil.
Sie wohnen auf einem Biobauernhof in der Rhön. Wie sieht’s mit der landwirtschaftlichen Begabung aus?
Gutberlet: Ich hab als Kind tatsächlich viel auf dem Hof geholfen, kann melken und Trekker fahren. Das verlernt man aber auch nicht so schnell, alleine schon, weil die Kinder so gerne mitfahren wollen. Für die Bewirtschaftung hab ich heute leider keine Zeit mehr, ein Teil des Hofs ist vermietet.
Welchen Teil lesen Sie morgens in der Zeitung zuerst?
Gutberlet: Zuhause lese ich morgens gar keine Zeitung, weil ich mit meiner Familie frühstücke. Im Büro schau ich mir zuerst die Anzeigen der Wettbewerber an. Am Wochenende blättere ich am liebsten in Feuilleton und Wirtschaft. Und unter der Woche im Technik-Teil der F.A.Z.
Arbeiten Sie, wenn Sie Geburtstag haben?
Gutberlet: Na klar. Die Kinder gehen doch auch zur Schule, wenn sie Geburtstag haben.
Was lernt man, wenn man als Schüler im Dorfladen aushilft?
Gutberlet: Ich bin sehr gut im Etikettieren. Der Trick ist: wenn man das Gerät hochzieht, muss man eigentlich schon wieder die nächste Etikette nachdrücken. Aber wahrscheinlich kann ich damit nicht mehr lange punkten, es gibt ja immer mehr elektronische Preisschilder am Regal.
Viele junge Leute wollen von Beruf Superstar werden – was ist spannend am Handel?
Gutberlet: Man muss unglaublich flexibel reagieren können. In den meisten Situationen kann man keinen Arbeitskreis einrichten und in drei Tagen entscheiden. Das muss jetzt passieren. Sofort. Sie brauchen aber gleichzeitig eine langfristige Perspektive. Vor allem müssen Sie sich immer mit Ihren Kunden auseinandersetzen, es gibt ständig ein direktes Feedback. Das macht riesig Spaß.
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Wenn in den Zeitungen über Tegut berichtet wird, steht da immer, das Unternehmen sei „ungewöhnlich“. Passender wäre: untypisch. Weil es bei Tegut zwar um wirtschaftliches Arbeiten geht, aber nicht nur um Leistungsziele und Gewinnmaximierung. Zumindest ist das Unternehmen offen, um Ideen auszuprobieren. So wie die „Lädchen für alles“ auf dem Land. Oder die Saisongärten, bei denen Tegut Parzellen an Pächter vermietet, die bestimmen dürfen, welches Bio-Gemüse darauf angebaut wird und, wenn sie möchten, auch selbst anpflanzen oder ernten. Um den Rest kümmert sich Tegut.
Die Lieblingsanekdote der Journalisten ist allerdings, dass die Wurst in der eigenen Wurstwarenfabrik mit klassischer Musik bespielt wird, um ihre Reifung zu verbessern – und zwar live, vom örtlichen Orchester. Komischer Laden? Kann sein, aber Hauptsache die Wurst schmeckt, sagt Gutberlet.
Manchmal hört es sich so als hätte die komplette Familie neben der kaufmännischen auch noch eine theologische Ausbildung genossen. Zum Beispiel, wenn Thomas Gutberlet vom Leitbild erzählt, das der Großvater ausgegeben hat: „Das Unternehmen soll der Familie nicht ihren Lebensstil bezahlen, es ist dazu da, die Gesellschaft ein Stück weit mitzugestalten.“ Oder wenn er sagt: „Für mich ist es spannend, in der Welt wirksam zu werden.“ Montagmorgens wird in der Geschäftsführerrunde das „Gedicht der Woche“ vorgelesen. Die drei Punkte in der Firmenschreibweise „tegut…“ stehen für „Kopf, Herz und Hand“. Und die Familie macht kein Geheimnis daraus, dass sie anthroposophisch orientiert ist.
Vielleicht kommt einem das nur deshalb merkwürdig vor, weil der Einzelhandel als solches sonst vor allem dann in den Schlagzeilen landet, wenn es um Preisdrückereien, miese Arbeitsbedingungen für Angestellte und haltbarkeitsverlängertes Gammelessen geht. Alles andere sind wir einfach nicht gewöhnt. Dabei hätte sicher niemand was dagegen, wenn öfter über Klassikkonzerte für Wurst geschrieben werden könnte.
Gutberlet redet viel über Vernunft und Verantwortung, und das ist prima. Aber manches davon klingt ein bisschen zu idealtypisch, um wirklich funktionieren zu können. Höchste Zeit also, noch mal übers Geschäft zu reden.
[Vorher noch den ersten Teil des Gesprächs lesen?]
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Supermarktblog: Tegut eröffnet neue Läden nur, wenn die Standorte im 150-Kilometer-Radius um das Zentrallager in Fulda herum liegen. Warum bauen Sie kein neues?
Thomas Gutberlet: Zum einen braucht man für ein Lager eine gewisse Anzahl an Filialen, die daraus beliefert werden. Sonst lohnt es sich nicht. Sicher könnte man sowas auch langsam aufbauen. Aber Tegut steht für eine regionale Lieferantenstruktur bis in die Landwirtschaft hinein. Das kann ich nicht so einfach woanders herbeizaubern, das müsste wachsen. Unser Unternehmen zeichnet sich auch dadurch aus, dass alle Mitarbeiter schnell in die Zentrale kommen können, und alle aus der Zentrale schnell mal in einem der Märkte sind. Man kennt sich gegenseitig. Und das würde verloren gehen, wenn wir jetzt plötzlich Läden in Berlin aufmachen.
Wenn Tegut aber außerhalb des bisherigen Gebiets wachsen würde, hätten Sie auch eine bessere Verhandlungsposition bei Lieferanten.
Gutberlet: Selbst wenn wir unseren Umsatz verdoppeln würden, wäre das noch ein Riesenunterschied zu Rewe oder Edeka. Wir wissen, dass wir nicht mit Macht agieren können. Wir können aber aus anderen Gründen interessant sein – zum Beispiel, weil die Kunden den Hersteller sonst fragen: Warum kriegen wir eure Produkte nicht bei Tegut? Klein zu sein bringt außerdem eine gewisse Flexibilität in der Warenbeschaffung. Die Discounter sorgen beim Produzenten für die Hauptlast – und wir können sagen: Ihr habt doch noch eine kleine Maschine, wollt ihr da nicht für uns Nudeln nach alter Rezeptur herstellen?
Über Jahre hinweg hat Tegut viele neue Filialen im Stammgebiet eröffnet. Inzwischen liest man aber immer öfter von Schließungen: im nordhessischen Sontra, in Bad Hersfeld, Gelnhausen.
Gutberlet: Das ist ein normaler Prozess. Zum Teil liegt das daran, dass in manchen Gegenden immer weniger Leute wohnen – so wie in Sontra. In Bad Hersfeld renovieren wir einen Laden, machen aber dafür den alten zu, der schlechter gelegen ist.
Lohnen sich die Läden in mittelgroßen Städten nicht mehr?
Gutberlet: In Gemeinden, die mehrere Supermärkte und Discounter haben, ist es meistens so, dass sich einer der Läden irgendwann nicht mehr rentiert. Manchmal trifft das uns, manchmal einen Konkurrenten. In Sontra kann jetzt der örtliche Edeka-Händler unseren früheren Umsatz mitmachen. Das heißt aber nicht, dass dort grundsätzlich Handelssubstanz verloren geht. Manche Gemeinden sind auch selbst schuld, wenn sie einen Discounter nach dem nächsten zu sich holen. Denn jeder neue Laden nimmt Potenzial aus dem Gesamtmarkt heraus.
Im vergangenen Jahr hat Tegut 20 Märkte von Tengelmann im Rhein-Main-Gebiet übernommen. Wie hat die Umstellung funktioniert?
Gutberlet: Es ist nicht leicht, im Rhein-Main-Gebiet neue Lagen zu erschließen. Deshalb haben wir uns in diesem Fall für die Übernahme entschieden. Wir hatten vorher um die 6000 Mitarbeiter und haben auf einen Schlag 500 dazu bekommen. Das hat schon für einigen Wirbel gesorgt. Es war für viele ehemalige Tengelmann-Mitarbeiter schwierig, sich umzugewöhnen. Mit einem Mal gab es eine neue Technik, eine ganz andere Kundenansprache, drei Qualitätsniveaus beim Fleisch – das muss man erstmal alles für sich verarbeiten und im nächsten Schritt auch den Kunden erklären können. Einige Mitarbeiter waren sehr skeptisch, manche arbeiten nicht mehr für uns. Aber mit den meisten klappt es mittlerweile gut.
Jahrelang sind am Stadtrand Märkte gebaut worden, die so groß wie Flugzeughangars waren. Jetzt drängen die Händler zurück in die Städte. Woher kommt das?
Gutberlet: Die großen Märkte sind entstanden, als es sich gelohnt hat, auf Vorrat einzukaufen, vor allem für große Familien. Heute gibt es viele Singles, die Leute wohnen maximal zu zweit. Und die wenigsten wissen, was sie morgen zu Abend essen wollen, geschweige denn mit wem. Man überlegt sich auf der Arbeit, was man kochen will, und kauft schnell um die Ecke ganz gezielt ein. Wir leben alle viel kurzfristiger. Deshalb verliert der Wochenendeinkauf an Wichtigkeit.
Letzte Frage und ein Blick in die Glaskugel: Wie verändert sich unser Einkaufsverhalten in nächster Zeit?
Gutberlet: Ich glaube, dass es in Zukunft – mit ein, zwei Ausnahmen – keine Großflächen mehr geben wird. Es werden eher kleinere, überschaubare, menschenfreundliche Läden entstehen. Dazu kommt, dass viele unpraktische Sortimente künftig übers Internet bezogen werden könnten. Ich weiß heute noch nicht, wie genau das umgesetzt werden kann, damit es sich finanziell trägt. Aber es ist doch so, dass niemand gerne Toilettenpapier oder Getränke einkauft. Das ist sperrig und lästig. Für den frischen Salat und die Eier gilt das natürlich nicht. Genau deshalb könnte es interessante Mischformen aus Internet und stationärem Handel geben.
Fotos: Tegut, Supermarktblog