Wer mit der Rolltreppe ins Erdgeschoss der Münster-Arkaden fährt, einem modernen Einkaufszentrum mitten in der westfälischen Studentenstadt, kann sich heute vermutlich nicht mehr vorstellen, was das damals für ein Schock gewesen sein muss, als Michael Radau vor 21 Jahren seinen ersten „SuperBioMarkt“ eröffnete.
Es sei ihm darum gegangen, „die Unkompliziertheit des Einkaufens“ auf Bio-Lebensmittel zu übertragen – und nebenbei dem Klischee vom stricksockentragenden Sandalenöko entgegenzuwirken.
Damit waren ein paar Stricksockenträger anfangs aber ganz und gar nicht einverstanden. „Manche Leute haben mit Supermärkten billige Produkte, schmuddelige Läden und fehlende Beratung assoziiert, und das sollte auf keinen Fall auf den Biobereich übertragen werden“, erinnert sich Radau, der für SuperBioMarkt zwei klassische Münsteraner Bioläden zusammengeführt hatte.
„Ich hab damals bitterböse Anrufe gekriegt. Der Untergang des abendländischen Naturkostreichs stand bevor.“
Zwanzig Jahre später erfreut sich das abendländische Naturkostreich glücklicherweise einer größeren Kundenzahl als je zuvor. Und Radau gibt sich immer noch Mühe, Bio klischeefrei ins Regal zu bringen.
Der 2005 eröffnete Vorzeigemarkt im Einkaufscenter ist hell und zeitgemäß eingerichtet, aber kleiner als klassische Supermärkte. Das Fleisch aus der Bedientheke ist nicht nur Bio, sondern richtet sich zu großen Teilen nach den strengeren Regeln der Anbauverbände. Brot und Brötchen aus der Backtheke am Eingang stammen vom lokalen Bio-Bäcker. Gegenüber gibt es mit „Bio to Go“ ein Mini-Bistro mit Salaten, Smoothies und Suppen. Im Laden selbst werden ausschließlich Produkte unabhängiger Bio-Hersteller verkauft. Eigenmarken gibt es keine. Lediglich einzelne Kooperationen, zum Beispiel mit der örtlichen Kaffeerösterei oder einem Winzer, bei dem Radau selbst auf dem Weinberg mitgeerntet hat.
„Der Biomarkt wächst natürlich, aber auf überschaubarem Niveau. Daher muss es unsere Aufgabe sein, die Bekanntheit der existierenden Naturkostmarken bei den Kunden zu stärken“, erklärt Radau, warum er auf Eigenmarken verzichtet. (So richtig lohnen würde sich das bei derzeit 21 Läden vermutlich auch nicht.)
Grundprodukte zum Einstiegspreis gibt es trotzdem, aber von klassischen Naturkostmarken, die Radau mit Mengenrabatt einkauft.
Abgesehen davon glaubt er nicht daran, dass sich die Leute immer nur mit günstigen Preisen ködern lassen:
„Wieso muss ich zwingend billiger sein, um mehr Kunden davon zu überzeugen, dass Bioprodukte eine sinnvolle Alternative sind? Wieso soll sinnvolles Handel immer nur über den Preis funktionieren? Mercedes und BMW sind auch nicht damit erfolgreich geworden, dass sie gesagt haben: Kauft unsere Autos, die sind die billigsten!“
Radau setzt darauf, seiner Kundschaft zu erklären, wie die im Laden verkauften Lebensmittel produziert werden und wo sie herkommen: „Ich glaube, wenn man den Menschen Alternativen erklärt, dann sind sie auch bereit, dafür zu zahlen.“ Das ist ein großer Optimismus. Vor allem aber ist es Radaus Möglichkeit, sich von der stärker werdenden Konkurrenz abzuheben:
„Wir setzen auf den Faktor Mensch und qualifiziertes Personal. Dafür akzeptieren wir eine Personalkostenquote von bis zu 18 Prozent – im Gegensatz zum Discounter mit 6 bis 7 und Supermärkten zwischen 10 und 12 Prozent.“
Und wie passt es dann dazu, dass die Angestellten im Biomarkt zum Teil weniger verdienen als bei Lidl, wo Bewereber explizit mit Stundenlöhnen von über 10 Euro gelockt werden?
„Das liegt auch daran, dass ich auf vergleichbarer Fläche 20 Mitarbeiter beschäftige und der Discounter vielleicht sechs. Die Preise würden so sehr steigen, dass die Kunden es nicht mehr akzeptieren würden. Oder ich müsste Stellen kürzen und damit die Beratungsqualität zurückschrauben.“
Es sei ihm wichtig, dass alle Mitarbeiter von ihrem Gehalt leben können, aber genauso, dass sie das Gefühl haben, in ihrem Job eine Wertschätzung zu erfahren. „Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er auf beides Wert legt – oder alleine auf den höheren Stundenlohn abzielt.“
Und dann ist da die Sache mit der Expansion. Obwohl Radau das schnelle Wachstum der Bio-Mitbewerber kritisiert, eröffnet auch SuperBioMarkt stetig neue Filialen – allein 2013 waren es drei, Anfang April schon wieder einer, und dieses Jahr kommen noch zwei weitere hinzu. In elf Städten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ist das Unternehmen inzwischen vertreten. Wo soll da der Unterschied zum Expansionsdrang der Konkurrenz liegen?
„SuperBioMarkt wächst unter Beachtung von Werteparametern, die meiner Ansicht nach im Biofachhandel besondere Gewichtung haben, also: Qualifikation von Mitarbeitern, Produktqualität und eine Wohlfühlatmosphäre. Wenn all das erfüllt ist, ist auch Wachstum möglich.“
Um für die Kunden glaubwürdig zu bleiben, müsse notfalls auch auf schnellen Umsatz verzichtet werden, meint Radau:
„Als der Dioxinskandal durch die Presse ging und Bio-Eier oft sehr schnell ausverkauft waren, haben wir bewusst keine Eier aus uns unbekannten Quellen wie Großbetrieben oder Handelsagenturen aus Ostdeutschland bezogen. Wir haben unseren Kunden jahrelang erklärt, dass die Eier von einem bestimmten Biolandhof aus der Region kommen: Die kennen den Namen des Bauern, seine Familie, den Hof. Das kann ich nicht mehr kommunizieren, wenn ich aus anonymen Quellen einkaufe.“
Radau ist der Ansicht, dass die Kunden eine solche Konsequenz wertschätzen. Im Grunde genommen geht es darum, Bio nicht denselben Mechanismen und demselben Druck auszusetzen, der schon die klassische Landwirtschaft beherrscht.
Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass der Anteil von Bio-Lebensmitteln nicht so einfach erhöht werden kann – und die Massenversorgung weiter mit konventionellen Lebensmitteln geschieht. Ganz schön knifflig: Je mehr Leute Bio-Lebensmittel kaufen, desto besser wär’s eigentlich für Umwelt und Produzenten. Wenn Bio aber zu schnell wächst, besteht die womöglich Gefahr, die hohen Standards durch Kompromisslösungen zu verwässern.
Abgesehen davon ist es keine ganz unbequeme Situation, aus der heraus Radau die größeren Mitbewerber kritisiert. Der Spieß ließe sich aber auch umdrehen. Mit 20 Filialen ist SuperBioMarkt aus Sicht vieler unabhängiger Biokaufleute nämlich selbst: der Große. Noch dazu übernimmt Radau regelmäßig kleinere Konkurrenten, im vergangenen Herbst etwa den unabhängigen Düsseldorfer Bioladen Kleeblatt, der seitdem als SuperBioMarkt firmiert.
An feindlichen Übernahmen habe er kein Interesse, entgegnet Radau. Es gebe in den kommenden Jahren bei einigen Märkten eine Nachfolgeproblematik, und er habe seinen Kollegen signalisiert: Wer Interesse hat, mit dem unterhalte er sich gerne. Wenn es zur Übernahme kommt, sei „wichtig, dass der Wertekanon, für den der Vorbesitzer gestanden hat, weiterhin gilt“.
Dass es so schwer ist, Nachfolger zu finden, wenn die Gründer unabhängiger Bioläden sich zur Ruhe setzen, liegt aber natürlich auch an der Entwicklung der Branche, die Radau mit vorantreibt. Sich als einzelner Kaufmann gegen die Filialisierung der Bioläden behaupten zu müssen, ist jedenfalls keine allzu verlockende Zukunftsaussicht. Auch wenn der SuperBioMarkt-Gründer meint:
„Ich kenne viele Händler, die mit ihrem Markt sehr erfolgreich sind. Es ist eine Frage, wie konsequent und wie früh man sich gegenüber den Mitbewerbern profiliert.“
Es ist gerade eine ziemlich spannende Zeit, weil noch nicht klar ist, wohin sich der Markt für Bio-Lebensmittel in Deutschland entwickelt. Und vor allem: wer nachher als Gewinner dasteht. „Die nächsten Jahre sind wichtig“, ist Radau überzeugt. „Der klassische Handel suggeriert uns seit Jahren: Der Preis kann ganz weit unten sein, und die Qualität eines Produkts trotzdem ganz weit oben. Diese Einstellung hat sich leider verfestigt.“
Umso wichtiger sei es, bei allen Unterschieden zwischen den Mitbewerbern, den Kunden zu erklären, dass Bio wirklich einen Unterschied macht.
Falls Sie weiterlesen wollen: Im SuperBioBlog veröffentlicht SuperBioMarkt regelmäßig Hintergründe zur Bio-Lebensmittel-Branche.
Fotos: SuperBIoMarkt (2,3) Supermarktblog (1, 4, 5, 6)
Scheint aber allgemein gut zu laufen. Die planen die Verlagerung der Zentrale an Münsters Nobelmeile Hafenkai:
http://www.wn.de/Muenster/Neue-Firmenzentrale-geplant-Superbiomarkt-zieht-an-den-Hafen
aber von klassischen Naturkostmarken, die Radau mit Mengenrabatt einkauft
Na ja und drunter im Bild ist dann eine Soße der Marke ‚EDEN‘ zu sehen … die wohl eher genau das Gegenteil einer ‚klassischen‘ Naturkostmarke ist :D.
Wieso? (bzw.: Kann das sein, falls Sie hierauf anspielen, dass Sie „klassisch“ mit „traditionell“ verwechseln?)
Eden kommt aus dem Reformhaus-Bereich. Das ist aus meiner Sicht eine ganz eigene Richtung und hatte zunächst mal nichts mit BIO oder Naturkost zu tun. Umgekehrt hat sich ja auch der Reformbereich sehr lange von BIO abgegrenzt. Das Eden ausschließlich auf Bio setzt, ist wie lange her? Vier Jahre oder so? Bis dato musste man bei Eden schauen, was drin war … BIO … konventionell … oder gemischt.
Das die nach der Übernahme von Bruno Fischer/Martin Evers zwei jahrzehntelang eingeführte und sehr bekannte Marken von heute auf morgen einfach so einstampfen und zwar zugunsten einer Marke, die im Naturkostbereich eher erklärungsbedürftig ist, kann ich nicht nachvollziehen. Das ist wie wenn VW die Marke SKODA einstellt … ist ja eh alle VW :D.
Mal sehen was aus Eden wird – interessanterweise sehe ich beim Laden bei mir um die Ecke, wie Edenprodukte peu à peu gegen echte klassische Marken umgelistet werden. Die Händler scheinen von Eden nicht so begeistert zu sein ..
Verstehe. Danke für die interessante Ergänzung.
Hallo oliver,
du hast Recht, die Marke „Eden“ war bisher eine reine Reformhausmarke. Im Naturkostfachhandel gab es aber die traditionellen Marken „Bruno Fischer“ und „Evers Naturkost“. Alle drei Marken gehören inzwischen der Firma PrimaVita GmbH. Diese hat im letzen Jahr entschieden aus den drei Marken eine Ein-Marken-Strategie unter dem Namen „Eden“ zu machen.
Die Produkte sind deswegen aber nicht schlechter oder anders hergestellt. Meiner Einschätzung nach, ist es weiterhin eine Marke (ein Unternehmen), die Bio aus Überzeugung macht. Unsere Fachbereichsleiter beobachten natürlich die Qualität, die Herstellungsweisen und die Firmenphilosophie und werden gegebenenfalls reagieren.
Hier die Info aus dem Oktober 2010 aus dem Branchenportal bio-markt.info:
http://www.bio-markt.info/web/Aktuelle_Kurzmeldungen/Hersteller/Primavita/15/23/0/15552.html
Viele Grüße
Tim vom SuperBioMarkt
Ich sehe auf dem Foto vor allem Tomatensauce (in meinem Haushalt ein viel gekaufter Basisartikel) für 2,69 bzw. 3,19 das Glas, die ich bei Alnatura oder dm für 1,99 bekomme. Zwar unter dem Label Alnatura, aber in exakt gleicher Qualität / Geschmack – ich möchte darauf wetten, dass das vom gleichen Hersteller stammt. Und warum ich 1,20 Aufpreis für nichts bezahlen sollte, ist für mich nicht nachvollziehbar. Zumal mir Bruno Fischer als Marke eh unsympathisch ist, weil die vor Jahren mal mit irgendwelchen Bibelzitaten auf dem Glas warben. Ich möchte aber von meinem Essen nicht religiös belehrt werden.
Hallo Aufrechtgehn,
es ist natürlich eine Geschmacksfrage, aber die Produkte unterscheiden sich schon deutlich. Die Tomatensauce von Alnatura besteht (laut der Herstellerseite) zu 94% aus Tomaten, dann kommen 5,5% diverse Gemüse und ein paar Gewürze. Ich tippe jetzt mal sie schmeckt dann sehr tomatig.
Die von Bruno Fischer (bald auch Eden) ist eine abgeschmeckte Tomatensauce mit 68% Tomaten und mit deutlich mehr Gemüsestückchen und Gewürzen. Die „Napoli“ von Zwergenwiese besteht zu 48% aus Tomaten und vielen Gemüsesorten und Gewürzen. Natürlich sind gerade Gewürze teurer als Tomaten. Bei den unterschiedlichen Rezepturen vermute ich auch einen deutlich unterschiedlichen Geschmack.
Und es gibt natürlich bei uns im SuperBioMarkt weitere Hersteller. Auch für den Preiseinstieg. Nicht im Bild ist die Bioladen* Tomatensauce Classico – die kostet pro Glas 1,99 € (sic!).
Und wie ist die dann am Regal gekennzeichnet?
@ Tim:
Moment – der Einstiegspreis ist 1,99? Ist das ein Kilogebinde?
@Eule:
Ein Glas bioladen* Tomatensauce 340g kostet 1,99 €. Das ist für gutes Bio, wie es im Artikel beschrieben wird, der Preiseinstieg.
@Peer Schader:
Ich verstehe die Frage nicht ganz. Alle Produkte sind am Regal, wie auf dem Bild zu erkennen, mit einem Preis gekennzeichnet. In jeder Warengruppe haben wir 1-3 Preiseinstiegsangebote die zusätzlichlich ein „SuperBioPreis“ Ettiket tragen.
Falls es um die Rezepturen giebt: Das ein höherer Preis auf eine andere Rezeptur oder Qualität hinweist, ist denke ich für viele Kunden nachvollziehbar. Die unterschiedlichen Tomaten-, Gewürz- und Gemüseanteile sind auf dem Produkt angegeben.
Das bedeutet, der „SuperBioPreis“ kennzeichnet nicht immer den Artikel mit dem niedrigsten Preis am Regal (so hatte ich es ursprünglich verstanden), sondern – was genau?
@Tim: herzlichen Dank für die detaillierte und nachvollziehbare Antwort! Ich werde mal verstärkt ein Auge auf die Zutatenlisten werfen und vielleicht sogar ein paar Vergleichskäufe machen.
Doch, die Preiseinstiegsprodukte tragen den SuperBioPreis. Im Fall Tomatensaucen ist das in der Tat die bioladen* Tomatensauce für 1,99 €. Zusätzlich ist auch die vegetarische Bolognesesauce (die im Bild zu sehen ist) im SuperBioPreis. Es ist ja schon ein anderes Produkt.
Die SuperBioPreise sind dafür da, dass man quasi einen Grundeinkauf mit den Produkten machen kann: Eine Milch, ein Brot, aber immerhin sechs Sorten Nudeln, eine Sorte Jogurt, drei Tees, eine Sorte Reis, ein Olivenöl, ein Bratöl, ein Mehl, ein Kaffee und auch zwei Sorten Schokolade… und so weiter…
Das hätte eine Antwort sein sollen – vielleicht kann man es noch im Nachhinein verschieben und dann diese Antwort löschen? Sorry!