holyEATS #5: Spreegold verändert die Hauptstadt-Gastronomie – mit Breakfast Salads, Paleo-Smoothies und systematischer Flexibilität

holyEATS #5: Spreegold verändert die Hauptstadt-Gastronomie – mit Breakfast Salads, Paleo-Smoothies und systematischer Flexibilität

Inhalt:

Morgens Coffeeshop, abends Restaurant und Bar – geht nicht? Geht doch!

Partner:

Gründer Ralf Steinacker über die Entstehung von Spreegold in Berlin

Wenn man Ralf Steinacker fragt, wie er eigentlich auf die Idee gekommen ist, ein Mittagslokal aufzumachen, das morgens als Coffeeshop öffnet, sich später als Abendrestaurant entpuppt und gleichzeitig als Bar empfiehlt, antwortet er: Ist einfach so passiert. Gut, genau genommen antwortet Steinacker: „Ich kann wirklich nicht so genau sagen, wer das in Deutschland so ähnlich macht wie wir.“ Aber wahrscheinlich ist genau das das Erfolgsgeheimnis der Spreegold-Restaurants, die Steinacker mit seinem Geschäftspartner Mirko Zarnojanczyk in Berlin führt. Alleine schon, weil es sich nicht so leicht nachmachen lässt.

In jedem Fall hätte das Konzept mit Superfood Paleo Smoothies, Breakfast Salads und Stack Breads durchaus das Zeug, auch viele andere deutsche Städte im Sturm zu erobern. Das System dafür steht ja schon. Und widersetzt sich ziemlich vielen Gesetzen, die in der Gastronomie sonst als unverrückbar gelten. (So lange bis es doch jemand versucht.)

Das erste Spreegold eröffnete 2009 im Berliner Osten, damals noch auf überschaubarer Fläche und ziemlich klar als Café mit erweitertem Gastro-Angebot angelegt. Steinacker und Zarnojanczyk hatten sich zuvor bei ihrer Arbeit für eine Hamburger Coffeeshop-Kette kennengelernt. Und schnell gemerkt, dass es sie beide reizen würde, aus den Läden ein bisschen mehr zu machen als Verkaufsstellen für Heißgetränke mit überschaubarer Kuchenauswahl.

Das war den damaligen Eigentümern ein bisschen zuviel konzeptionelle Ambition. Und für Steinacker und Zarnojanczyk der Grund, Spreegold zu starten: „Unser Plan war von Anfang an, ein sehr viel breiteres Mittagsangebot zu etablieren als damals üblich: Pasta, Pizza, Suppen – aber alles weiterhin mit der gewohnten Geschwindigkeit eines Coffeeshops und im Ambiente eines Wohnzimmers.“

Dabei ist es nicht geblieben. Vor ziemlich genau einem Jahr startete Spreegold Nummer vier, das erste im Berliner Westen, an der Budapester Straße im Bikini Center, wo Berlin sich fast so etwas wie eine Skyline zutraut. Mit klassischem Café hat das nicht mehr viel zu tun: Es gibt drei Etagen, eine eigene Bar („Darwin’s Lab“), eine riesige Außenterrasse – und einen hervorragenden Ausblick auf die Gedächtniskirche und den Hochhausneubau Upper West. Auf insgesamt 1.600 Quadratmetern ist Platz für viele hundert Gäste, eine ziemliche Herausforderung. Die Vorgänger haben mit ihren Konzepten allesamt die Segel gestrichen. Und Steinacker muss beweisen, dass die Spreegold-Idee auch im anders tickenden Berliner Westen funktioniert.

Das Konzept dafür passt in keins der üblichen Raster. Weil es sich einerseits an Grundprinzipien der Systemgastronomie orientiert, andererseits aber genügend Wandlungsfähigkeit bewahrt hat, um sich permanent weiterzuentwickeln.

Man merkt den modern gestalteten Restaurants an, dass sie nicht am Reißbrett für die schnelle Expansion entworfen wurden. Sondern für die Leute aus der Nachbarschaft, inspiriert von Designs aus Cafés und Restaurants, die sich Steinacker und Zarnojanczyk regelmäßig bei ihren Reisen im europäischen Ausland und den USA ansehen.

Die allermeisten der dort erfolgreichen Franchise-Konzepte meiden deutsche Großstädte wie Berlin bei ihrer Expansion bislang von sich aus. Vermutlich auch, weil zumindest die Hauptstädter lange nicht gerade im Ruf standen, viel mehr als unbedingt nötig für ihr Lunch ausgeben zu wollen. Offensichtlich hat vielen aber bloß ein passendes Angebot zwischen Billigdöner und Borchardt gefehlt.

Spreegold hilft, diese Lücke zu füllen. Nicht nur für Kiezbewohner, sondern auch für Geschäftsleute, die ihr Business-Meeting kurzerhand ins Café verlegen; Touristen, die glücklich frisch gestapelte Burger an ihren Tisch tragen; Künstler, die zum Kaffee Aquarellmalen. Berlin halt.

Warum er die Vorsicht vieler etablierter Gastro-Spezialisten nicht teilen mochte, erklärt Steinacker so: „Berlin war der Markt, in dem ich mich seit jeher bewegt habe, mit dem ich deshalb ganz automatisch klar kommen und auf den ich mich einstellen musste.“ Das hat einen kuriosen Effekt: Während in der klassischen Systemgastronomie in Deutschland derzeit vor allem Konzepte erfolgreich sind, die sich klar auf Pasta, Burger oder Sushi konzentrieren, wechselt die Spezialisierung bei Spreegold mit den Tafeln über dem Bartresen je nach Tageszeit. Steinacker: „Auf unserer Abendkarte stehen bewusst mehr Steaks und Hamburger, während wir tagsüber eher Pasta und Salat in den Vordergrund rücken.“ Weil das schneller geht und besser für die Mittagspause geeignet ist.

„Die Grundidee war von vornherein, mit hoher Qualität und Produktvielfalt zu überzeugen und mittags schon Essen anzubieten, das viele Restaurants erst am Abend auf den Tisch stellen würden.“ Ein klassisches Abendgeschäft stand anfangs gar nicht groß zur Debatte, auf der Karte nicht mal Wein. Um 22 Uhr war Schluss. Bis Steinacker und Zarnojanczyk wissen wollten, ob ihre Idee auch nach Feierabend funktioniert. (Nicht zuletzt, weil sich dann in der Gastronomie mehr Geld verdienen lässt als mittags.)

„Wir haben eine ganze Zeit gebraucht, um den Kunden in unserem ersten Restaurant zu vermitteln: Wenn ihr mittags hier gewesen seid, bedeutet das nicht, dass ihr nicht auch abends zu uns kommen könnt – gar nicht mal am selben Tag, aber grundsätzlich“, erinnert sich Steinacker. Und: „So richtig ist uns das erst hier im Bikini gelungen.“ Da kommen Gäste in der Pause aus dem Büro. Und auch mal zum Dinner mit Freunden oder der Familie.

Dafür hat das Gründer-Duo quasi im laufenden Betrieb ein System entwickelt, das Spreegold an höchst unterschiedlichen Standorten (und auf unmöglich zu vergleichenden Flächen) funktionieren lässt – mit fast identischem Angebot. Eine Art gastronomischer Zaubertrick.

Der Trick geht so:

Grundzutaten-Kombis: „Viele Produkte, die wir mittags verwenden, eignen sich genauso, um daraus Abendgerichte zuzubereiten – und andersherum“, erklärt Steinacker den Transfer vom Mittags- zum Abendgeschäft, bei dem im Prenzlauer Berg und am Alexanderplatz von Selbstbedienung auf Tischservice gewechselt wird. (Im Bikini wird im 1. OG durchgehend bedient, im Erdgeschoss ist Selbstbedienung.) „Der Salat mit Rindfleischstreifen funktioniert im Tagesgeschäft, abends passt zum Steak ein knackiger Salat als Beilage.“

Preise: „Wir achten sehr darauf, dass du bei uns für unter 10 Euro zu Mittag essen kannst, inklusive Getränk. Natürlich kannst du auch 25 ausgeben, musst das aber nicht. Die Kunden sind auch gar nicht bereit, viel mehr zu zahlen, wenn sie aus dem Büro kommen und ohnehin nur eine halbe Stunde Zeit haben.“

Keine Fertigprodukte: Das Essen (auch das zum Mitnehmen) ist trotzdem teurer als bei klassischen Fastfood-Anbietern, dafür aber frisch zubereitet: „Es gibt keine Convenience-Produkte. Das hat einen riesigen Vorteil: Wir haben selbst im Griff, wie unsere Gerichte schmecken und können ganz konkret sagen, was drin ist“, sagt Steinacker. Aus der großen Produktionsküche im Bikini werden auch die drei anderen Restaurants versorgt („Eine kleine Produktionseinheit ist bei uns 100 Kilo“). „Bis auf Teigwaren stellen wir hier quasi alles selbst her: Kuchen, Dressings, Soßen, vegetarische Patties für unsere Burger. Und um 16 Uhr läuft das frische Fleisch für abends durch den Wolf.“ Die Pasta ist handgemacht – und der Klassiker auf der Karte, weil sie von Anfang an draufstand.

Rezepttreue: Bei einem entscheidenden Prinzip hat sich Spreegold doch von den großen Franchise-Konzepten inspirieren lassen: „Wir achten sehr genau auf die Einhaltung unserer Rezepturen. Das Zwiebel-Chutney auf dem Burger ist grammgenau festgelegt, und in der Küche gibt es verschiedenfarbige Zangen, mit denen genau portioniert werden kann.“ Damit die Kalkulation stimmt und die Kunden sich darauf verlassen können, dass ihr Lieblingsessen immer gleich (gut) schmeckt. Experimentieren dürfen die Köche bei den monatlich wechselnden Specials.

Breite Zielgruppe: Für gastronomische Traditionalisten sind die Spreegold-Restaurants vermutlich nicht allererste Wahl. Steinacker will dennoch das Kunststück fertig kriegen, für alle und jeden was auf der Karte zu haben: „Wir öffnen uns gerne für Nischenküchen, aber insgesamt wollen wir den Gästen ein möglichst breites Angebot machen.“ Lange Zeit standen Paleo-Gerichte im Vordergrund, im Moment kündigen „Coming Soon“-Plakate neue „Super Food Drinks“ mit hipsterigen Namen an. Erklärtes Ziel ist es, „alle miteinander an einen Tisch zu bringen – auch die, die kein Gluten vertragen oder sich vegan ernähren“. Das bedeutet aber auch, dass sich Gäste im Zweifel von Zeit zu Zeit umgewöhnen müssen, wenn die Speisekarte alle paar Monate die Gerichte durchwechselt. (Jenseits der festen Stammplätze für Nudeln und Burger.)

Ein Stück weit hat sich das Konzept mit den Flächen gewandelt, die es belegt – und nicht, wie sonst so oft in der Branche üblich, andersherum. Das hat auch Nachteile, wenn sich zum Beispiel erst im Laufe der Zeit herausstellt, dass an einem neuen Standort nicht alles so läuft wie sich die Gründer das vorgestellt haben.

„Die ursprüngliche Idee für das Erdgeschoss hier im Bikini war ein sehr viel schnelleres Geschäft als jetzt“, sagt Steinacker. „Die Leute sollten zur Vitrine gehen, sich etwas aussuchen, vielleicht noch aufwärmen lassen und mitnehmen – aber das hat nicht funktioniert. Viele haben sich einen Kaffee geholt und sind direkt wieder gegangen. Das wollen wir ändern, bieten jetzt auch Burger und schnelle Wok-Gerichte an, stellen mehr Tische und Stühle auf.“ Weil, wenn unten genug Leute im Laden sind, sich auch das Restaurant im ersten Obergeschoss leichter füllt.

Vor ein paar Wochen hat am gegenüberliegenden Ende des Centers der neue Food-Markt „Kantini“ eröffnet. Steinacker begrüßt die Konkurrenz: Weil das die Chance erhöht, dass sich das Bikini noch stärker als Gastronomie-Standort in den Köpfen der Berliner festsetzt und davon im Idealfall alle Anbieter profitieren.

Wie viele Gastrokonzepte hat auch Spreegold mit Stoßzeiten zu kämpfen: Wenn besonders viel los ist, steht man manchmal arg lange am Bestelltresen an, während in der Schlange davor noch die Klappbrettkarte durchgearbeitet wird; die Arbeitsabläufe im Team wirken manchmal unnötig verschachtelt; der einfache Kaffee verzögert sich auf unbestimmte Zeit, weil der Barista gleichzeitig für die Superfood-Smoothie-Zubereitung eingeteilt ist. Und dass die fertigen Getränke von der Bar zur Abholung durch den ganzen Laden gerufen werden, trägt eher nicht zu einer entspannten Atmosphäre bei.

Die Mehrheit der Kunden scheint aber bereit zu sein, das in Kauf zu nehmen, wenn sie dafür Wild Maine Berry Pancakes, ein Grilled Steak & Blue Cheese Stack oder Rumpsteak mit Trüffelgnocchi und Kräutersalat zubereitet kriegen. Manche posten empörte Kritiken auf Facebook, wenn der Service mal wackelt und das Essen nicht so aussieht wie erhofft. (Die gastronomische Realität liegt, wie in so vielen Fällen, wohl irgendwo dazwischen.)

Ziemlich schnell vorbei mit der konzeptionellen Anpassungsfähigkeit ist’s bei Steinacker, sobald es ums Lieferessen geht, auf das viele Gastronomen schon jetzt nicht mehr verzichten wollen (oder können). Steinacker sieht den Delivery-Boom eher kritisch: „Ich kann doch meine Gäste, die im Restaurant am Tisch sitzen und à la carte bestellen, nicht länger warten lassen, weil in der Küche noch schnell die Lieferbestellungen abgearbeitet werden müssen!“

Die Prozente, die an die Dienstleister abgegeben werden müssen, findet Steinacker „fast schon unverschämt“ hoch: „Das verdiene ich zum Teil nicht mal im Laden.“ Sie einfach auf die Preise für die Gerichte draufzuschlagen, widerstrebt ihm.

Vor allem aber glaubt der Spreegold-Gründer, dass Lieferessen eine völlig andere Zielgruppe bedient: „Leute, die Essen nachhause bestellen, tun das vor allem dann, wenn ich sie an diesem Abend sowieso nicht aus dem Haus gelockt bekäme“, ist Steinacker überzeugt. „Sobald man sich mit Freunden verabredet, ist die Chance, dass man zusammen rausgeht, aber schon größer. Ich glaube, das wird auch noch lange so bleiben. Das Besondere ist für mich gar nicht der Restaurantbesuch an sich, sondern der Luxus, sich an diesem Abend nicht kümmern zu müssen – zum Beispiel als Belohnung am Ende einer anstrengenden Woche.“

Vorbestellungen per App hat Steinacker schon vor Monaten getestet – und wieder abgeschafft. Weil die Abholung „nur ein verschwindend geringer Anteil unserer Gäste“ nutzen wollte. Was nicht bedeutet, dass das so bleiben muss. Zum Beispiel, wenn der nächste Spreegold-Standort deutlich abholaffiner gelegen wäre?

Steinacker: „Wir sind so ausgerichtet, dass wir jederzeit multiplizieren können. Es war auch vom ersten Tag an klar, dass wir ein zweites Restaurant aufmachen wollten. Aber wir sind nicht dazu gezwungen, weiter zu expandieren.“ Bislang kommt das Gründer-Duo ohne externe Investoren aus. „Ich kann noch gar nicht sagen, ob wir uns in der Zukunft dafür entscheiden werden, das Konzept als Joint-Venture, Franchise oder in einer anderen Form auf weitere Standorte zu erweitern. Unsere Ambition ist es aber nicht, Vapiano oder L’Osteria nachzueifern“, sagt Steinacker – und schiebt mit einem Grinsen nach: „Alleine schon, weil mich jede Neueröffnung vermutlich zwei Jahre meines Lebens kostet.“

Dass es sich gelohnt hat, mit Spreegeold ins Risiko zu gehen und sich breiter zu positionieren, steht für ihn aber außer Frage. Zumal sich das klassische Coffeeshop-Konzept in Deutschland langfristig überlebt haben könnte: „Viele Bäcker können das inzwischen auch gut – oder sogar besser.“

Die Kette, bei der Steinacker und Zarnojanczyk sich kennengelernt haben, ist im vergangenen Jahr an ein schwedisches Unternehmen verkauft worden. Der US-Platzhirsch Starbucks macht hierzulande seit der Lizenzübernahme durch die polnische AmRest keinen erkennbaren Schritt nach vorne. Lediglich Coffee Fellows aus München expandiert stetig. „In hochfrequentierten Top-Lagen wird es solche Läden vermutlich immer geben“, ist Steinacker überzeugt, „aber nur dort können sie sich auch noch rechnen.“ In der Nebenstraße müsse der Cappuccino für drei Euro sehr, sehr oft am Tag verkauft werden, damit davon die hohe Mieten und die Mitarbeiter bezahlt werden könnten.

Die Konkurrenz durch etablierte Anbieter gilt aber umgekehrt auch für Spreegold, oder? „Natürlich sind Bäcker eine große Konkurrenz im Mittagsgeschäft – weil es dort ganz einfach ein belegtes Brötchen gibt, die Pasta und der Auflauf günstiger sein werden als bei uns und der Kaffee schnell aus dem Vollautomaten läuft“, sagt der Spreegold-Gründer. „Wenn es um Qualität und Ambiente geht, haben wir dafür glaube ich einen klaren Vorsprung.“


Nachschlag

  • Passt zum Thema: In China ist die Delivery-Apokalypse ausgebrochen. Quartz informiert über den aktuellen Stand im Krieg der Lieferessenanbieter und zeigt dazu dieses Foto.
  • Gibt’s noch Fleckchen, an denen Vapiano-Restaurants fehlen könnten? Klar, an „hoch frequentierten Travelhubs“. Aber nicht mehr lange, informiert die Pastakette.
  • „The Only Kitchen Knife in Your Airbnb“ – und es kann sprechen! Zumindest im „New Yorker“.
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