Wutrede deluxe zur Genussgaukelei im Discount: Tiefgefriert euch doch selbst!

Wutrede deluxe zur Genussgaukelei im Discount: Tiefgefriert euch doch selbst!

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Regelmäßig vor den Feiertagen fluten die Discounter Kühltheken und Aktionsregale mit Artikeln, die als „Deluxe“ und „Gourmet“ verkleidet besondere Genüsse versprechen – und die niemand vermisst, sobald endlich alle Restposten abverkauft sind.

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Weihnachten ist, wenn deutsche Discounter wieder verzehrfertig Tiere tiefgefrieren, die der Stammkundschaft den Rest des Jahres über eher im Tierpark oder im Doku-TV begegnen, und dazu ein Schleifchen auf die Verpackung drucken.

Auch in diesem Jahr warten mundgerecht zu Gulasch verarbeitete Hirschpopulationen wieder darauf, über die Feiertage aufgetaut zu werden; Ziegenkäsehäppchen, Datteln und Spargel hüllen sich schlotternd in ihre alten Speckmäntel; Vati, sag: wie frisieren sich eigentlich Kammmuscheln?; und Lidl führt endlich gegarte Oktopusarme, die „den Gaumen durch ihren zarten Geschmack verwöhnen“ („Top-Hammer“).

Es ist mittlerweile zu einer vor allem von den Lebensmittel-Discountern lieb gewonnenen Tradition geworden, rechtzeitig zum Ende des Jahres sämtliche zur Verfügung stehenden Tiefkühltruhen, Kühltheken und Sonderpostenregale mit vermeintlichen Leckereien zu verfüllen, die außerhalb der Ausnahmesaison keine Kundin und kein Kunde anrühren würde.

Und die den Händlern kurz vor Schluss noch die Erträge retten sollen, die sie sich in den Monaten zuvor durch lautstarkes Gebrülle im Aktionsgeschäft vermasselt haben, weil das Niedrigpreisgeschacher so tief in ihrem Selbstverständnis verwurzelt ist, dass kein Echo der Vernunft dorthin zu dringen vermag.

Das Geldverdienen mit Artikeln, für die plötzlich auch der größte Sparfuchs ein bisschen mehr ausgibt als sonst, ginge auch voll in Ordnung – wenn es nicht so einfallslos und vorgestrig wäre, wie Aldi, Lidl & Co. das Geschäft mit ihren Premium-Eigenmarken betreiben. Ich weiß nicht, wie’s Ihnen geht, aber in diesem Jahr hab ich die bis zum Letzten ausgeschlachtete Tiefgefrierolympiade endgültig satt. Und zwar aus mehreren Gründen:

1. Sieht alles gleich aus

Selbst als treuer Aldi-Nord-Kundin bzw. als treuem Aldi-Nord-Kunden ist Ihnen das womöglich nicht aufgefallen, aber: Der Discounter Ihres Vertrauens hat in diesem Jahr seine bisherige Premium-Eigenmarke mit dem erfunden adelig klingenden Fantasienamen „Freihofer Gourmet“ freigegeben, um sie durch „Gourmet Finest Cuisine“ zu ersetzen – die „neue Marke für festlichen Genuss“, wie die Handelskette auf Plakaten wirbt. Wobei es sich eigentlich bloß um die alte Marke für festlichen Genuss handelt, nämlich von der Discountschwester Aldi Süd, mit der bekanntlich seit einiger Zeit an der Eigenmarkenvereinheitlichung gearbeitet wird (siehe Supermarktblog), und die ihre bisherige Eigenmarke „Gourmet“ in die Premium-Ehe einbrachte.

Die Gelegenheit, sich zumindest ein Stück weit von den klassischen Designvorgaben zu lösen, haben sowohl Nord als auch Süd ungenutzt verstreichen lassen: Unter geschwungener güldener Schrift gähnen einem die Serviervorschlagsabbildungen wie eh und je von schwarzen Verpackungen entgegen.

Lidl versucht denselben Effekt für sein „Deluxe“-Sortiment mit silberner Schrift auf schwarzem Grund und weißen Verpackungspendants zu erzielen („Dein Fest wird Deluxe“), diesmal mit grünem Truhenhintergrund:

Im Laden allerdings sind die Konkurrenzmarken beide schwarz verkartoniert in die Regale geschoben, und das führt nicht nur dazu, dass sonst farbig strahlende Aktionskühltheken wirken als trügen sie Trauer (womöglich wegen des Verlusts eines nahestehenden Wilds).

Sondern auch dazu, dass die beiden Discount-Marktführer, die sich doch sonst so lustvoll voneinander abzugrenzen versuchen, aussehen als seien sie zusammengelegt worden. Oder würden Sie spontan erkennen, welche Premium-Eigenmarkenhortung zu Aldi und welche zu Lidl gehört?

2. Essen, das sonst keiner isst

Eine Festtags-Gewürzbox. Forellenkaviar im Creme-Döschen. Honig-Variationen in der Holzbox. Gefrorenes Sorbet im Plastiksektglas. Eine Mini-Ziegenkäse-Pyramide. Schottische Muscheln. Mousse au Chocolat im 440-Gramm-Eimerchen. Herrjeh, Winterkabeljauschlemmerfilet. Und ein Tannenbaum aus Sushi?

Die wenigsten „Köstlichkeiten“, die Discounter vor dem Fest anbieten, gehören sonst zum Standardsortiment – und sind wir doch mal ehrlich: aus gutem Grund. Weil das meiste davon Essen ist, das sonst keiner isst. Das heißt ja nicht, dass es den Discountern nicht gelingen könnte, sich mit Produkten zu profilieren, die Kund:innen einen besonderen Genuss oder einen außergewöhnlichen Geschmack versprechen.

Dafür allerdings wäre eine gewisse Glaubwürdigkeit notwendig; und die geht nur schwer mit einem Sortiment, das wirkt, als sei ausnahmslos alles premiumetikettiert worden, was nicht bei drei in der Truhe war.

Laut „Lebensmittel Zeitung“ haben sich inzwischen alleine bei Lidl 320 Artikel unter der Premium-Eigenmarke angesammelt. Manches davon mag bloß ein bisschen hübscher verpackt oder sparsamer portioniert worden sein, um Deluxe zu wirken. Aber das meiste wird bis zur nächsten Discount-Genussgaukelei niemand vermissen, sobald die Restposten abverkauft sind.

(Oder, wie’s bei Lidl heißt: „Geschenkkörbe“.)

Und das Pastetensortiment bei Aldi steht da doch auch bloß, weil vor zehn Jahren irgendein Hersteller zu viele Plastikschälchen bestellt hat die jetzt noch verbraucht werden müssen!?

3. Passt nicht? Passt schon!

Um im Verwöhntheater zumindest ein Nebenröllchen (im Speckmantel) abzukriegen, geben sich die Mitbewerber große Mühe. Und ja, zwischen Pennys „Feine Kost – königlich genießen“ von vor einigen Jahren und den silbern geschmückten „Best Moments“-Verpackungen (mit dem Zwischenschritt „Mein Fest“) liegen – zugegeben! – zumindest gestalterisch Welten.

Aber das ist nur ein kleiner Trost, wenn die Produkte nachher ins reguläre Aktionskühlregal verbannt werden, wo sie sich höchst effektiv mit der knallrot-gelben Flatterbandabsperrästhetik beißen.

Währenddessen scheint beim Edeka-Ableger Netto (ohne Hund) jemand eingesehen zu haben, dass man sich mit der arg unscheinbaren Premium-Eigenmarke „Genusswelt“ so sehr der Verwechselbarkeit ausgeliefert hat, dass noch irgendwas anderes her muss, um ein bisschen zu glitzern: die neue Premium-Zweiteigenmarke „Lieblings“!

Ja, die heißt einfach so, mit geschwungener Schreibschrift im Herzchen, das mit goldenem Schleifchen im Nichts festgebunden ist. Drunter steht jeweils, was denn für ein „Lieblings“-Dings gemeint ist: z.B. Himbeeren, Thunfisch-Filets, Kloßteig. Wo genau der Unterschied zwischen „Genusswelt“ und „Lieblings“ liegt, überlässt das Unternehmen seinen ratlos rätselnden Kund:innen. Laut Netto (ohne Hund) sind das eine „kulinarische Highlights zum Weihnachtsfest“ und das andere, ähm, „weitere Premium Köstlichkeiten“ (mit Bindestrich-Aversion).

Markendifferenzierung abgeschlossen!


Während der deutsche Discount die meiste Zeit des Jahres also angestrengt versucht, sich selbst ein möglichst modernes Image zu verpassen, indem er mehr und besseres Bio verkauft, Plastikverpackungen schrumpft oder weglässt, vegane Burger ins Sortiment aufnimmt und immer aufwändigere Snacks in seine Brötchenknasts schiebt, …

… setzt ausgerechnet vor Weihnachten der alte Sortimentsreflex ein, möglichst viel möglichst absurdes in Sichtfensterverpackungen verschweißtes Essen in Wochenprospekte zu drucken, und vorzugaukeln, es handele sich dabei um besondere Genüsse. Das mag (noch) ein gutes Geschäft sein – aber weder besonders Deluxe, noch Gourmet.

Sondern in erster Linie ein Grund, mal wieder entspannt im Vollsortimenter einzukaufen, der seine Kund:innen nicht für so doof hält, dass sie sich im Einkaufstaumel auch noch den größten Unfug – „Winter-Eis“ und „Weihnachtseier“! – als Festdelikatesse andrehen lassen.

Fotos: Supermarktblog, Prospektausriss [M]: Lidl/Smb"

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9 Kommentare
  • Für Aldi Süd bringt das aktuelle Design der jetzt gemeinsamen Nord/Süd-Luxusmarke Gourmet immerhin schon das dritte Logo. Auch wenn das kein Vorteil ist, für die Kunden sieht es immer einen Hauch anders aus.

  • Und zusätzlich wird dem unerfahrenen „Gourmet“ irgendwelches Billigzeug untergejubelt, das geschmacklich kaum noch etwas mit dem Original zu tun hat, das ja nicht ohne Grund eben nicht für 2,99 zu bekommen ist. Gefolgt von der Reaktion „schmeckt doch eh nicht“ oder „schmeckt genauso wie (passendes Standard-Lebensmittel)“, denn ist der Ruf erst ruiniert, wird der Kunde auch niemals mehr Geld für den echten Genuss ausgeben. Ist aber vielleicht auch besser so! (Und nein, ich sage nicht, dass teurer immer besser ist, aber echte Gourmet-Lebensmittel sind nie billig!)

  • Naja, ich persönlich nutze die Gelegenheit immer ganz gern, mal was auszuprobieren, das es eben nicht das ganze Jahr gibt (wohl wissend natürlich, dass es sich nach wie vor um Discounterware handelt).

    Die Krux an der Sache ist, dass sich das Konzept einfach abnutzt mit den Jahren. Die Produkte sind mehr oder weniger immer dieselben, und jeder versucht an dem Deluxe-Kuchen mitzuverdienen wie der Artikel ja gut aufzeigt.

    Vielleicht wäre es sinnvoller, die Deluxe-Linie dauerhaft einzuführen und wöchentlich, oder aber zumindest saisonal wechselnde Sortimente anzubieten. So wäre man nicht wie in der Vorweihnachtszeit von der Auswahl erschlagen und könnte übers Jahr immer mal wieder was neues ausprobieren. Man könnte es auch gut mit den etablierten Aktionen kombinieren, z.B. in der Italien-Woche auch einige „Deluxe“-Produkte gleich mit anbieten. Den Margen täte es wohl auch gut….

    Weiß eigentlich noch jemand, wer das ganze angefangen hat? Soweit ich mich erinnere war Lidl damals der erste oder täusche ich mich?

    • Ach, das eigentlich Schöne daran ist doch wenn der Deluxe-Schischi mit so kurzem MHD in die Läden kommt daß teilweise schon am 19. oder 20. Dezember alles in die Resterampe wandert und spätestens in der Woche nach Neujahr die Bestände mit 30%-Aufkleber verramscht werden. Da lacht das Discountkundenherz.

  • Das empfinde ich völlig anders: Die schwarz verpackten Premiumartikel von ALDI-Nord, z.B. die halbe Ente, finde ich ausgesprochen gut fotografiert und präsentiert. Ich steh auf diese Art von Premiumartikeln. Sie geben mir das Gefühl, für wenig Geld etwas Besonderes gekauft zu haben. Und schmecken tut es mir auch.

    Fazit: Ich finds klasse und sehe es bei weitem nicht so zynisch.

    • Da hat die Marketingabteilung ja ganze Arbeit geliefert. Das gleiche Produkt nur anders verpackt und teurer verkauft schmeckt auf einmal dem Kunden. Win-Win für alle? Für den Discounter auf jeden Fall.
      Man muss sich immer vor Augen halten: Die wollen dir nix Gutes tun sondern nur der eigenen Kasse. Daher können all die Gänse-, Enten-, Hirsch- oder Muschelprodukt nicht gut schmecken denn sie wurden irgendwo auf der Welt billigst produziert und ebenso eingekauft. Wenn nicht, war es eh Ramschware.
      Mehr zahlen (nicht beim Discounter), weniger essen aber mehr Genießen sollte das Credo sein.

  • Ich sag dazu nix mehr, der Discount kann es einfach nicht besser. Er hat seine Grenzen erreicht und wird im kommenden Jahrzehnt deutlich Marktanteile verloren haben.
    Habe heute noch die Resterampen von Weihnachten gecheckt, es ist einfach nur schade um die vielen Lebensmittel. Aber das eint die Discounter mit den Vollsortimentern, die Märkte ersaufen in ihrer Vielfalt und man weiß als Kunde und als Fachmann nicht mehr was man in den Wagen legen soll.

  • Als Fachmann weiß man das durchaus, auch als (aufgeklärter) Kunde sollte man wissen das „gourmet“ nicht gleichbedeutend mit qualitativ hochwertiger Ware ist.
    Danke für diesen Artikel. Ich lache seit Jahren schon über die Idiotie des Discounts zu Weihnachten und Ostern sein Faible für Qualität zu entdecken.

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