Die Herausforderungen des Liefergeschäfts
Wenn Sie in den vergangenen Tagen mal draußen waren, ist’s Ihnen sicher auch aufgefallen: Restaurants sind geöffnet. Draußen vor den Cafés sitzen Menschen. An Tischen! Mit Abstand, natürlich. Nur eins hat sich im Vergleich zu den vorangegangenen Wochen nicht geändert: Die Erkenntnis zahlreicher Gastronom:innen, dass ihre Gäste zukünftig sehr viel selbstverständlicher Möglichkeiten erwarten, ihr Lieblingsessen an einem Ort ihrer Wahl verzehren zu können. „Viele Kund:innen, die Take-away und Delivery bislang gar nicht richtig als Option wahrgenommen haben, haben durch die Corona-Krise die Vorzüge entdeckt und neue Gewohnheiten entwickelt“, sagt Björn Wisnewski. „Ich gehe davon aus, dass beide Kanäle in den kommenden Monaten weiter wachsen werden.“ Wisnewksi ist Geschäftsführer von Simply Delivery, das Restaurants eine selbst entwickelte Software-Lösung anbietet, mit der sich Bestellannahme und Auslieferung von Außer-Haus-Bestellungen koordinieren lässt, im Restaurant und (für Fahrer:innen) unterwegs. Anders gesagt: Wisnewksi weiß, was die Branche auf ihrem langen, langen Weg in Richtung Digitalisierung bewegt.
Gestartet ist Simply Delivery vor einigen Jahren mit dem Initialkunden Burgerme, der sein Kassensystem zum Webshop mit Callcenter-Funktion ausbauen wollte, um bundesweit Burger auszuliefern. Längst wird die Lösung von zahlreichen Franchise-Anbietern genutzt. „Inzwischen haben wir in diesem Sektor bereits einen Großteil der relevanten Unternehmen unter Vertrag“, sagt Wisnewski. Zuletzt hat Simply Delivery unter anderem den Pizza- und Pastspezialist:innen von L’Osteria dabei geholfen, eine eigene Plattform für Delivery und Take-away ins Netz zu hieven (siehe holyEATS #52); die Berliner Bowl-Kette Beets & Roots liefert seit kurzem ebenfalls über ihren eigenen Webshop. In der Corona-Krise habe sich das Anfragevolumen noch einmal vervierfacht, sagt Wisnewski. Etwa ein Drittel der Simply-Delivery-Kund:innen stammt aktuell aus der Individual-Gastronomie.
Vielen Restaurantbetreiber:innen ist – beschleunigt durch die Schließungen im März und April – bewusst geworden, dass sie neue Wege erschließen müssen, um den steigenden Bestell-Bedarf ihrer Gäste zu bedienen. Und dafür auch ein Stück weit mehr Kontrolle brauchen. Für Delivery-Einsteiger:innen seien Vermittlungsplattformen natürlich ein niedrigschwelliger Weg, sich mit der Thematik vertraut zu machen, sagt Wisnewski. „Unsere Erfahrung ist aber, dass sich alle, die ein gewisses Umsatzvolumen erreicht haben, verstärkt Gedanken darüber machen, wie sie das Geschäft stärker selbst steuern können.“
Das ist alles andere als trivial – inbesondere für diejenigen, die sich mit der Thematik bislang eher nachrangig beschäftigt haben. Nicht nur, weil plötzlich eine eigene Logistik her muss, um das Bestellessen auch zu den Kund:innen zu bringen (wie es einfache Pizzadienste über viele Jahre vorgemacht haben). Wisnewski erklärt: „Wer eine Delivery-Plattform für sein Restaurant betreiben will, muss sehr viel eigenständiger agieren als er das von den Vermittlungsplattformen gewohnt ist.“ Natürlich gebe es auch im Liefergeschäft Stammkund:innen. „Delivery ist aber vor allem stark durch Werbung geprägt. Als Gastronom:in muss man selbst aktiv werden und die Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt, nutzen – zum Beispiel mit zielgerichtetem Marketing mittels der über Bestellungen generierten Kund:innendaten.“ Ein Rabatt für Stammgäste, Rückholangebote, Menü-Promotion per Newsletter: die digitale Gastfreundschaft unterscheidet sich grundlegend von der im Lokal, ist aber nicht minder wichtig. Allen, die in der Branche ohnehin eher innovationsorientiert seien, falle die Gewöhnung an das neue Geschäftsfeld tendenziell leichter, meint der Simply-Delivery-Chef. „Es ist aber umso schwieriger für Gastronom:innen, die einfach abwarten und darauf hoffen, dass Kund:innen von selbst kommen.“
Google macht Food Ordering – aber vorerst nur mit Lieferando
Und was passiert, nachdem der digitale Ruck geschafft ist, die eigene Lieferplattform aktiv und engagierte Kurierfahrer:innen parat stehen, um mit dem fertigen Bestellessen im Dienste des Gasts aufs Rad zu springen? Dann kommt Onkel Google und hat andere Pläne. Ende April kündigte der Internetkonzern an, seine bislang in den USA, Indien und Australien verfügbare Food-Ordering-Funktion auch in Deutschland freigeschaltet zu haben. In der Google-Suche und auf Google Maps erscheint unter Restaurantnamen seitdem eine Schaltfläche mit der Aufforderung: „Online Bestellen“. Der Klick darauf bringt Nutzer:innen direkt zur Speisekarte auf orderfood.google.de und erlaubt die unkomplizierte Bestellung per „Lieferung“ oder „Abholung“. Klingt super? Ja, aber. Ausgeführt wird die Bestellung anschließend nämlich vom (hierzulande bislang einzigen) Partner Lieferando. Auch dann, wenn das ausgewählte Restaurant eigentlich über eine eigene digitale Bestelloption verfügt.
Nach dem US-Start vor einem Jahr sorgte Google Food Ordering in der Branche für Empörung: Gastronom:innen reagierten mit Unverständnis und Ärger darauf, dass der Konzern die prominent platzierte Bestellfunktion – ungefragt – mit den Diensten kooperierender Third-Party-Lieferdiensten verknüpfte, bei denen Gastronom:innen jedes Mal eine Kommission zahlen müssen, was erheblich zur Margenschmälerung beiträgt. Erst nach Monaten erlaubte Google Restauranteigentümer:innen, über ein Opt-out-Formular einen oder mehrere dieser „Partner“ aus dem Google-Profil für ihr Restaurant zu löschen. Diese Möglichkeit existiert auch für deutsche Gastronom:innen. In der Anleitung weist Google jedoch darauf hin: „Wichtig: Wenn es nur einen Anbieter für ein Restaurant gibt und Sie ihn entfernen, wird die Schaltfläche ‚Online bestellen‘ gar nicht mehr angezeigt.“ Heißt soviel wie: Wer seine Kund:innen nicht an Lieferando weiterleiten möchte, sondern lieber auf die eigene Bestellwebsite, der hat halt Pech und kann sehen, wo er bleibt?
Laut Google sollen „weitere“ Partner für die Food-Ordering-Funktion „in Kürze“ folgen. Welche und wann, hat der Konzern auf holyEATS-Anfrage bis zum Redaktionsschluss für diese Ausgabe nicht verraten. Ob Gastronom:innen künftig die Möglichkeit erhalten, selbst zu bestimmen, an welchen Anbieter Nutzer:innen gelenkt werden, wenn sie bei Google auf „Online bestellen“ klicken, ist ebenfalls unklar. (Eine Antwort des Unternehmens wird an dieser Stelle nachgetragen.) Aus Sicht von Google dürfte vor allem die Automatisierbarkeit des Prozesses entscheidend sein, weil sich eine Bestellung nur so nahtlos über die eigene Plattform – inklusive Zahlung per Google Pay – abwickeln lässt. Für Nutzer:innen, die es mit ihrem Hunger besonders eilig haben, mag das praktisch sein; richtig bequem ist die Lösung am Ende aber vor allem: für Google.
Abhol-App Ritual sagt Berlin und Hamburg tschüß
Es war einmal ’ne App, in der konnten Nutzer:innen auf ihrem Smartphone Essen zum Mitnehmen von Restaurants in ihrer Umgebung aussuchen, Bonuspunkte für gesundes Lunch sammeln und Bestellungen mit Arbeitskolleg:innen kombinieren, um sich beim Abholen abzuwechseln. Ritual wurde 2014 in Kanada gegründet, expandierte in den USA, nach Australien und Großbritannien. Und kam im Spätsommer bzw. Herbst des vergangenen Jahres auf dem europäischen Festland an: in Amsterdam, Berlin und Hamburg. Ursprüngliches Ziel der Entwickler war, Besitzer:innen kleinerer Cafés und Restaurants im Zuge der Digitalisierung dieselben Chancen zu geben wie großen Ketten, die über eigene IT-Abteilungen verfügen und selbst Apps entwickeln können. Nachher hat sich herausgestellt, dass es aber auch Systemgastronomie-Konzepte ganz praktisch finden, auf einem virtuellen Lunch-Marktplatz wie bei Ritual dabei zu sein. Und alle was davon haben, wenn die Auswahl möglichst groß ist.
Der Deutschland-Start erfolgte ohne großes Werbegetöse. Trotzdem war der Neuling in den Innenstädten zunehmend präsent: Auf Plakaten und Aufstellern wurden Nutzer:innen mit Deal-Angeboten zum App-Ausprobieren gelockt. Restaurantbetreiber:innen begrüßten die Chance, auf digitalem Weg neue Gäste in ihre Stores zu locken. Der Plan war, zuerst in den Stadtzentren zu starten, um regelmäßigen Nutzer:innen eine möglichst vielfältige Auswahl im Umkreis zu bieten, und sich langsam weiter vorzuarbeiten. Etwa 300 Partner hatte Ritual bis zum Frühjahr in Berlin und Hamburg gewonnen. Corona hat den Expansionsplänen im nicht-englischsprachigen Ausland nun ein jähes Ende bereitet. Anfang April gaben die Gründer über LinkedIn bekannt, dass Ritual sein weltweites Team aufgrund der Pandemie-Auswirkungen auf die Gastronomie um die Hälfte verkleinern und die Geschäfte in Deutschland und den Niederlanden stoppen werde.
In Hamburg wurden die den Gastro-Partner:innen zur Verfügung gestellten Geräte zur Bestellannahme bereits wieder eingesammelt; in Berlin soll Ritual Ende Juni abgeschaltet werden. Das ist zum einen deshalb bitter, weil die App mit ihrer Marktplatz-Idee und der Ausprobierlaunigkeit zumindest eine kleine Alternative zum orangefarbenen Innovationsallergiker gewesen wäre. Und zum anderen, weil auch das Feedback vieler Gastronom:innen dem Vernehmen nach ziemlich positiv ausfiel. Ein digitales Abholangebot, das sowohl für Gäste als auch für Restraurants unkompliziert nutzbar ist, passt schließlich ideal in die aktuelle Zeit, in der kaum jemand gerne lange anstehen möchte, um Essen mitzunehmen. (Auch Ritual verdient an der Lunch-Vermittlung zwar anteilig mit; wer sich als Neukund:in direkt im Restaurant seiner Wahl registrierte, blieb für Gastronom:innen als Stammgast aber dauerhaft kommissionsfrei.)
Ob Wettbewerber Pickpack, der ebenfalls auf die Abhol-Vorbestellung per Smartphone setzt, die Lücke füllen kann, muss sich noch zeigen: Bislang verteilen sich die Partner-Restaurants zumindest in Berlin arg großzügig übers gesamte Stadtgebiet. Damit dürfte es die App bei allen, die sich eine größere Auswahl in ihrem direkten Umfeld wünschen, eher schwer haben.
Nachschlag
- Die österreichischen Vegan-Burgerkette Swing Kitchen testet in Graz Mehrwegtassen und ein Nachfüllsystem für Getränke (Newsletter).
- Schlecht steht’s derweil um die Cafés der belgischen Frühstückskette Le Pain Quotidien in Großbritannien und den USA (Retaildetail.eu, Bloomberg).
- „Verschwörungstheorien haben doch nichts mit Veganismus zu tun!“, wehrt sich Vincent Vegan aus Hamburg gegen den Attila-Hildmann-Irrsinn (Mopo).
- Die Delivery-Anbieter-Konsolidierung nimmt auch in Nordamerika Fahrt auf: Uber will Grubhub kaufen (Eater).
- Was ist besser als Trennwände? „Serres Sépparées“! In einem Amsterdamer Restaurant essen Gäste in Mini-Gewächshäusern, um Social Distancing zu praktizieren (Insider).
- Und Black Sheep Restaurants aus Hong Kong findet in seinem „Playbook“ für den Corona-Betrieb sehr klare Worte zum Umgang mit Problemgästen: konsequent wegschicken und Filialen im Umkreis vorwarnen (blacksheeprestaurants.com; PDF, S. 6).
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