holyEATS #54: Operation Risiko – Warum Just Eat Takeaway.com die Grubhub-Übernahme noch schwer im Magen liegen wird

holyEATS #54: Operation Risiko – Warum Just Eat Takeaway.com die Grubhub-Übernahme noch schwer im Magen liegen wird

Foto: Grubhub
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Der Einstieg in den US-Markt ist nicht nur strategisch ziemliches Delivery-Harakiri.

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I. Einmalige Chance – oder Delivery-Harakiri?

Man muss sich das Hauptquartier von Europas expansionshungrigstem Liefervermittler für Restaurantessen als eine Art Todesstern unter den Delivery-Schaltzentralen vorstellen. Bloß kantiger. Und aus Beton. „Takeaway.com“ steht – fast bescheiden – in dritter Zeile am zugigen Eingang des Amsterdamer Neubaufelsens, der sich an die Gleise der daneben gelegenen Centraal Station herangeschoben hat. Und man muss sich schon sehr anstrengen, im Zentrum der holländischen Hauptstadt einen unwirtlicheren Ort zu finden. Aber das ändert nichts daran, dass genau hier, zwischen Mediamarkt und Autovermietung, darüber entschieden wird, wie sich der Markt für digital bestelltes Lieferessen in Zukunft entwickelt. Nicht bloß der in Europa.

In der vergangenen Woche kam aus Amsterdam die Nachricht, dass das von Jitse Groen in dessen Studentenzeit gegründete Unternehmen endgültig zur „weltgrößten Online-Food-Delivery-Company außerhalb Chinas“ aufsteigen werde (PDF). Möglich macht das – wenige Monate nach der Monopolisierung des deutschen Markts und der genehmigten Fusion mit dem britischen Anbieter Just Eat zum 15 Milliarden Euro schweren Lieferriesen Just Eat Takeaway.com – die Übernahme des amerikanischen Diensts Grubhub. Der bringt noch mal zusätzlich 5 Millliarden an Wert mit. Dabei war man sich am Unternehmenssitz in Chicago zuvor eigentlich schon fast mit dem US-Rivalen Uber einig gewesen, künftig gemeinsame Sache zu machen. Mit zusammengerechnet rund 55 Prozent Marktanteil im amerikanischen Delivery-Markt hätte eine Fusion von Uber und Grubhub allerdings bei der kartellrechtlichen Genehmigung Probleme bekommen. Über eine mögliche „breakup fee“ für den Fall, dass das Geschäft deswegen scheitert, konnten sich die Parteien nicht einig werden, berichtete CNBC im Vorfeld.

Jetzt ist Uber raus. (Genau wie Mitbewerber Delivery Hero aus Berlin, dem ebenfalls Interesse an Grubhub nachgesagt worden war.) Stattdessen redet Old Amsterdam künftig ein gewichtiges Wörtchen dabei mit, wie u.a. in New Amsterdam (und darüber hinaus) geliefert wird. Wobei noch zu klären wäre, ob hinter dieser Taktik tatsächlich strategische Brillanz steckt. Oder eher Größenwahn.

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II. Willkommen in der amerikanischen „cutthroat industry“

Betrachten wir die Sache deshalb ganz nüchtern. Und stellen fest, dass sich (Just Eat) Takeaway.com ein ganzes Stück verbiegen muss, um die transatlantische Allianz funktionieren zu lassen. Schließlich folgen vor allem die Niederländer seit jeher eisern dem propagierten „winner takes most“-Prinzip, „where the most popular brand [in one country] will continue to grow through favourable network effects, hence investments in market-leading positions are critical for long-term growth“. So steht’s regelmäßig in den Takeaway.com-Jahresberichten. Von einer solchen Gewinner-Position ist Grubhub in den USA aber weit entfernt. Zwar gibt es sehr unterschiedliche Angaben dazu, wie sich die Marktanteile derzeit auf die konkurrierenden Dienste verteilen; die allermeisten Studien bzw. Umfragen sehen Grubhub aber unter den großen Vier tendenziell auf Platz 3 (nach DoorDash und Uber Eats bzw. vor Postmates). Und der Kampf ist hart: Das „Wall Street Journal“ bezeichnete den US-Delivery-Markt gerade liebevoll als „cutthroat industry“. Um in den USA mit der „winner takes most“-Philosophie erfolgreich zu sein, wären demnach erhebliche Investitionen nötig. Mit Grubhub kauft sich Just Eat Takeaway.com also nochmal den ganzen Schlamassel ein, den man sich in Europe gerade erst erfolgreich wegfusioniert hat. (Womöglich hält sich die Begeisterung an der Börse auch deshalb in Grenzen.)

Dazu kommt ein weiterer Punkt: Takeaway.com-Gründer Groen müht sich zwar, Grubhub-CEO Matt Maloney als Gründungsbruder im Geiste zu umarmen („Matt and I are the two remaining food delivery veterans in the sector, having started our respective businesses at the turn of the century“). Im Laufe der Jahre haben sich die Plattformen der beiden Gründer aber deutlich auseinander entwickelt. In Amsterdam wird Jahr für Jahr betont, man verstehe sich in erster Linie als Vermittler und wolle das auch bleiben: „Takeaway.com’s core business model relies on participating restaurants delivering food themselves, with the Takeaway.com marketplace serving as a source of orders for restaurants.“ Auf die Auslieferung von Essen mit eigenen Fahrer:innen hat man sich nur notgedrungen eingelassen: um Restaurants und größere Ketten ohne eigene Lieferlogistik auf die Plattform zu holen und mehr Kund:innen zu gewinnen. Das ist ein kostspieliges Unterfangen, das man in Amsterdam lieber heute als morgen wieder sein lassen würde. Geht bloß gerade nicht, weil das Geschäft (das unter dem Namen Scoober firmiert) weiter drastisch wächst.

Grubhub wiederum ist bereits in großem Stil in die Lieferung mit eigenen Fahrer:innen investiert. Wieviele Kuriere aktuell beschäftigt werden, kommunizieren die Amerikaner derzeit nicht. Die teure Logistik ist jedoch längst zum Grundpfeiler des derzeitigen Geschäftsmodells geworden (gleich mehr zu den Gründen) – während Just Eat Takeaway.com immer noch hauptsächlich mit klassischen Vermittlungen Umsatz macht.

Das ist auch deshalb interessant, weil Just Eat gerade bei der britischen Competition and Markets Authority (CMA) ziemlich gegen den Wettbewerber Deliveroo gestänkert hat. Zur Erinnerung: Dieser sicherte sich im vergangenen Jahr ein 450-Millionen-Pfund-Investment von Amazon (siehe holyEATS #34). Wettbewerbshüter prüfen die Allianz seitdem auf ihre mögliche Marktbeeinträchtigung. In der Corona-Krise hatte Deliveroo gegenüber der CMA jedoch plötzlich erklärt, wenn diese den Deal nicht freigebe, sehe man sich aufgrund der finanziellen Herausforderungen dazu gezwungen, den Markt möglicherweise zu verlassen. Um die heimische Gastronomie nicht noch weiter unter Druck zu setzen, reagierte die CMA darauf einerseits mit einer provisorischen Freigabe; und andererseits mit einer Verlängerung der Prüfung (aktuell bis Anfang August). Zuvor hatte Wettbewerber Just Eat in einer Anhörung argumentiert, die von Deliveroo behaupteten Herausforderungen könnten weniger durch Corona verursacht als vielmehr in der (zweifelhaften) „Qualität des Geschäftsmodells“ begründet sein (nämlich: Lieferessen vor allem mit eigenem Personal auszufahren). Dass der niederländsvch-britische Anbieter Takeaway gleichzeitig bereit ist, jenseits des Atlantiks 7,3 Milliarden US-Dollar in ein ziemlich ähnliches Modell zu investieren, ist – sagen wir: bemerkenswert.


III. Gebühren-Wucher, Erpressung, Undercover-Provisionen

Konzeptionelle Unstimmigkeiten beiseite gelassen, lohnt sich vor allem ein genauerer Blick auf die Methoden, mit denen Grubhub sein Wachstum in den USA forciert. Zumal die mit „zweifelhaft“ noch freundlich umschrieben sind. Richtig ist, dass alle großen Wettbewerber im amerikanischen Delivery-Markt vor fast nichts zurückschrecken, um den Kampf um Kund:innen und Marktanteile zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Mit seinem Gruselkabinett an Zumutungen stand Grubhub zuletzt aber besonders oft im öffentlichen Fokus.

Foto: holyEATS

Gebühren-Wucher: Als ein Foodtruck-Pizzabäcker aus Chicago kürzlich seine März-Abrechnung für 46 Bestellungen auf Facebook postete, verbreitete die sich im Netz rasend schnell: Von rund 1.100 $ Umsatz zahlte Grubhub abzüglich „Commission“, „Delivery Commission“, „Processing Fee“ und „Promotions“ nicht einmal 400 $ aus. „It is almost enough to pay for the food”, notierte Besitzer Guiseppe Badalementi dazu. (Und stellte sein Liefergeschäft wieder ein.)

Undercover-Provisonen: Um ihrem Lieblingsrestaurant solche Wucher-Gebühren externer Vermittler zu ersparen, geben manche Gäste ihre Bestellung lieber weiter per Telefon auf. Grubhub kassiert im Zweifel trotzdem: wenn nämlich unbewusst die Telefonnummer gewählt wird, die das Unternehmen selbst registriert und im Netz verbreitet hat, und die Anrufer:innen (ohne weitere Serviceleistung) auf den tatsächlichen Anschluss des Restaurants weiterleitet. Weil damit eine Vermittlungsleistung zustande kommt, müssen Gastronom:innen zahlen, erklärt Buzzfeed News. (Im Zweifel auch, wenn durch den Anruf gar keine Bestellung generiert wurde.)

Erpressung: Ist ja niemand gezwungen, mit solchen Unternehmen zu kooperieren? Falsch gedacht. Im vergangenen Jahr kündigte Grubhub-Gründer Maloney an, das so genannte „non-partnered model“ massiv auszubauen: Gastronom:innen werden erst gar nicht mehr gefragt, ob sie mit ihrem Restaurant auf der Plattform vertreten sein wollen. Grubhub listet sie so oder so, stellt eigenmächtig Menüs ein und lässt das eigene Personal Bestellungen direkt im Restaurant aufgeben (und als Take-away abholen). Gastronom:innen erfahren davon im Zweifel erst, wenn Kund:innen sich bei ihnen beschweren, weil etwas mit der Lieferung schief gelaufen sit (die sie weder anbieten noch zu verantworten haben).

Dieses Vorgehen sei einerseits „teuer“ und „suboptimal“, räumte Maloney in einem Brief an seine Gesellschafter ein („not the best solution“). Gleichzeitig sei es aber auch extrem effizient, um die Auswahl auf der Plattform zu vergrößern und darüber neue Kund:innen zu gewinnen. Außerdem würden viele Wettbewerber genau so verfahren. Gastronom:innen müssten mit der Zeit erkennen, dass es besser für sie sei, offizieller Partner zu werden: „[W]e will be investing aggressively in our independent restaurant sales organization to support converting as many of these non-partnered restaurants to partnered relationships as quickly as possible.“ Bislang hatte Grubhub von 300.000 auf der eigenen Plattform verfügbaren Restaurants (indirekt) ein Drittel als „non-partnered“ ausgewiesen. In einer Pressemitteilung vom März hieß es zuletzt: „Grubhub features over 350,000 restaurants and is proud to partner with more than 165,000 of these restaurants (…).“

Sabotage: Und wenn selbst das nicht ausreicht? Dann hilft vielleicht eine kleine Erinnerung, wer am längeren Hebel sitzt. Wie die „New York Times“ berichtet, soll Grubhub Restaurant-Websites ohne Zustimmung der jeweiligen Eigentümer:innen registriert und diese als geschlossen („closed“) bzw. mit dem Hinweis „nimmt keine Online-Bestellungen an” versehen haben – offensichtlich, um sie zu den eigenen Partnern umzuleiten. (Obwohl die betroffenen Restaurants geöffnet waren und sehr wohl Online-Order annahmen.)

Wie gesagt: Viele dieser Methoden sind nicht alleine Werk und Sünde von Grubhub. Aber vielleicht lohnt es sich, Takeaway.com-Gründer Groen bald mal zu fragen, wie sich all das mit den „Core Values“ vereinbaren lässt, die sein Unternehmen kommuniziert: „We care for our customers and restaurants by understanding their needs“. (Womöglich gilt das auch nur für Märkte, in denen man sich seines Monopols schon weitgehend sicher sein kann.)


IV. Rechtsstreits und Regulierung

Die Herausforderung für Just Eat Takeaway.com, Grubhub zum Erfolg zu führen, darf nicht unterschätzt werden. Zumal Grubhub inzwischen selbst mit den Großen der Branche im Clinch liegt. Wie CNBC berichtet, hat der Pizza-Hut- und Taco-Bell-Eigentümer Yum Brands in den USA gerade Klage eingereicht, weil Grubhub eine gemeinsame Vereinbarung von 2018 verletzt habe. Yum hatte sich damals mit 3 Prozent an dem Lieferanbeter beteiligt und bekam u.a. niedrigere Kommissionsgebühren für seine Franchise-Nehmer:innen zugesichert. Dies sei von Grubhub rechtswidrig aufgekündigt worden, weil man später auch mit anderen Lieferdiensten kooperiert habe. Die ganze Fast-Food-Branche dürfte aufmerksam beobachten, zu wessen Gunsten dieser Streit entschieden wird.

Derweil fühlen sich die allermeisten Besitzer:innen unabhängiger Restaurants den Delivery-Verteilkämpfen hilflos ausgeliefert. Auch wenn manche von ihnen kreative Möglichkeiten finden, die Dienste auszutricksen. Einem New Yorker Pizzabäcker ist es kürzlich geklungen, sich über DoorDash – das sein Restaurant eigenmächtig auf der Plattform gelistet und Preise falsch eingelesen hatte – massenhaft selbst Pizzen abzukaufen und damit Gewinn zu machen. (Der ganze Ablauf des tragikomischen Schauspiels lässt sich hier nachlesen.)

Inzwischen sieht sich auch die Politik dazu gezwungen, regulierend einzugreifen – insbesondere nachdem sich die Abhängigkeit von den Delivery-Diensten in der Corona-Krise bei vielen Gastronom:innen drastisch verschärft hat. In Chicago – der Heimat von Grubhub – müssen Lieferdienste einem Bericht der „Chicago Tribune“ zufolge derzeit auf der Abrechnung gegenüber Kund:innen exakt ausweisen, welche Kommissionen und Zusatzgebühren für die jeweilige Bestellung angefallen sind (und nicht beim Restaurant landen). Damit solle die Transparenz erhöht und ein fairer Wettbewerb gefördert werden. Zudem haben zahlreiche Großstädte – außer Chicago u.a. New York City und Los Angeles – Grenzen für die Gebühren eingeführt, die Lieferdienste für ihre Leistungen verlangen dürfen. „Why should restaurants, and their customers, be put in a position to subsidize delivery app companies? We need to level the playing field“, zitiert die „Los Angeles Times“ Stadtrat Mitch O’Farrell.

Obwohl die Begrenzungen in der Regel an die Ausnahmesituation während der Corona-Krise gekoppelt sind (und damit zunächst einmal vorübergehend), hat das Lobbying dagegen längst begonnen. An vorderster Front mit dabei: Grubhub, das seine Kund:innen per Mail dazu auffordert, bei lokalen Politikern zu protestieren – zum Wohle der Gastro-„Community“, versteht sich.

Es wird hochinteressant zu beobachten sein, wie sich der neue Eigentümer aus Europa zu alldem verhält. Im aktuellen Takeaway.com-Jahresbericht für 2019 (noch vor der offiziellen Verschmelzung mit Just Eat) heißt es: „Caring for people and the world around us is an essential part of what we do every day. Whatever decisions we make, we always strive to make a positive impact and a meaningful contribution to the world we live in.“ Nach der Grubhub-Integration wird sich zügig zeigen, was diese Worte tatsächlich wert sind. Gleichzeitig wird es auch für Politiker in Europa allerhöchste Zeit, aus ihrem Tiefschlaf aufzuwachen, um den rasant wachsenden Delivery-Kolossen Grenzen zu setzen – damit die ihre Marktmacht nicht langfristig zu Ungunsten derer ausspielen, die sie eigentlich als „Partner“ begreifen sollten.

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