Neue Lieferdienste (2): Oda und die Idee vom rollenden Frische-Discounter

Neue Lieferdienste (2): Oda und die Idee vom rollenden Frische-Discounter

Foto: Oda.com
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In Norwegen verspricht Oda seinen Lieferkund:innen frische Lebensmittel zum Niedrigpreis effizient nachhause geliefert. Der angekündigte Deutschland-Start ist ein Affront gegen die stationären Discounter. Dabei bräuchte man einen von denen wohl als Partner.

Partner:

Der skandinavische Einfluss auf die Möblierung deutscher Wohn-, Ess- und Schlafzimmer ist seit Jahrzehnten unbestritten. Der Siegeszug skandinavischer Backwaren manifestiert sich seit einiger Zeit in der zunehmenden Verbreitung schmackhafter Hefeteigzimtschnecken in Cafés und Bäckereien.

Und eigentlich kann es dann ja auch nicht mehr so schwer sein, die Deutschen davon zu überzeugen, dass man in Skandinavien auch rausgekriegt hat, wie man Lebensmittel am besten einkauft, ohne selbst dafür losziehen zu müssen.

So hofft’s zumindest der Lebensmittel-Lieferneuling Oda, dem noch in diesem Jahr den Sprung aus Norwegen nach (Finnland und) Deutschland gelingen will – und der es ganz ähnlich macht wie die Kolleg:innen aus Tschechien (siehe Supermarktblog): mit einer sorgsam ausgewählten Spezialisierung und der ausgeprägten Bereitschaft, den etablierten Lebensmittelhandel ein Stück weit in Frage zu stellen.

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Zumindest geht Oda – das 2013 gegründet wurde und bis zum vergangenen Jahr unter dem wenig Expansionseuphorie versprühenden Namen Kolonial.no firmierte – in seiner Heimat so vor.

Der Fehdehandschuh ist hingeworfen

Dort verspricht „Norwegens führender Online-Lebensmittel-Lieferdienst“ (Eigenbezeichnung) nicht nur eine „große Sortimentsbreite an hochqualitativen, leistbaren frischen Lebensmitteln“, sondern gibt auch selbstüberzeugt damit an, „den Code geknackt“ zu haben – dafür nämlich, wie man Wocheneinkäufe mit Hilfe ausgeklügelter Datenauswertung für die Tourenplanung so effizient wie möglich zustellt.

(Dass die orangenen Oda-Transporter auf offiziellen Fotos meist durch grüne Landschaften am Stadtrand gurken, in denen nur sehr vereinzelt Häuser mit potenziellen Kund:innen stehen, ist als Beleg dafür aber nur bedingt geeignet.)

Rumgekurvt am norwegischen Stadtrand: Für eine effiziente Tourenplanung wird sich Oda in deutschen Städten ziemlich ins Zeug legen müssen; Foto: Oda.com

Oda ist davon überzeugt, das „most efficient retail system in the world“ entwickelt zu haben, und das klingt nicht nur ein bisschen großkotzig; sondern ist natürlich ein einziger Affront gegenüber denen, die das schon ein Jahrzehnten für sich reklamieren: die stationären Discounter, die online genau deswegen bislang keinen kleinen Zeh auf den Boden bekommen haben. Oda hingegen klotzt gleich richtig dicke, man sei „genauso günstig“ und habe eine „zweimal so große Auswahl wie im Discounter“ (wie gesagt: auf Norwegen bezogen, wo weder Aldi noch Lidl vertreten sind).

Der Fehdehandschuh wäre den Widersachern also schon mal hingeworfen, und dass man sich bei der geplanten Expansion direkt ins Albrecht’sche Mutterland der Günstiganbieter wagt, könnte eine Mischung aus Größenwahn und Abenteuerlustigkeit sein.

Start „in der zweiten Jahreshälfte“

Aber, bitteschön – den Versuch ist’s angesichts der lustlosen Biederkeit, mit der Aldi, Lidl & Co. oftmals im Markt agieren, definitiv wert. Ausreichend Geld kommt von den Investoren Kinnevik (Zalando), Softbank (WeWork, Deliveroo) und dem niederländischen Handelsinvestor Prosus, die mitgeholfen haben, Oda im vergangenen Jahr zum ersten Start-up-„Unicorn“ Norwegens zu machen. Zuletzt hatte man dort allerdings unter Corona-bedingten Engpässen zu leiden. Vor wenigen Tagen war Start in Helsinki und anderen finnischen Städten, wo bislang 5.000 Produkte zur Auswahl stehen.

Wie genau man sich hierzulande aufstellen will, ist noch unklar – und zitierfähige Auskünfte gibt es auf Supermarktblog-Anfrage aus Oslo erstmal auch keine. Eine Sprecherin erklärt lediglich, man werde „in Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 2022 starten“, was viel, viel Raum lässt. Alles andere muss man sich aktuell noch selbst zusammenreimen. Fangen wir doch mal an.

Personal wird derzeit zunächst für zwei Lagerstandorte gesucht: Berlin und Bochum. Die „Lebensmittel Zeitung“ (Abo-Text) berichtete zudem, dass Malte Nousch, der u.a. beim Aufbau des vor einigen Jahren kurz nach dem Start wieder blitzeingestellten Kaufland-Lieferservices geholfen hat, als Oda-Geschäftsführer für Deutschland verpflichtet wurde. Und auf LinkedIn rekrutiert Steffen Christ, ehemals Head of E-Commerce bei Kaiser’s Tengelmann und Ex-COO beim seitdem mehrfach weitergereichten Bringmeister, gerade sein Team, für das man am liebsten einen „dynamic MacGyver“ nach dem nächsten einstellen würde, der künftige Probleme vorhersehen soll, „bevor sie aufkommen“. (Hogwarts-Diplome in Hellsichtigkeit dürften als Qualifikationsnachweis willkommen sein.) Weitere Leitungspositionen sind mit erfahrenen Managern besetzt, die u.a. für Lidl und Zalando tätig waren.

Begrenzte Partner-Auswahl

Interessant wird, in welcher Intensität sich der norwegische Ansatz auf den deutschen Markt übertragen lässt – denn was Niedrigpreise angeht, dürfte die Kundschaft hierzulande deutlich verwöhnter sein als im europäischen Norden. Dazu ist es ein lustiger Spagat, einerseits den stationären Discount dissen zu wollen – und ihn andererseits als Partner zur Zusammenarbeit zu benötigen.

In Norwegen kooperiert Oda zumindest mit dem zur Osloer Reitan-Gruppe gehörenden Discounter Rema 1000, der Zugriff auf das eigene Sortiment gewährt (und einst die norwegischen Lidl-Filialen übernommen hatte, nachdem sich die Deutschen 2008 aus dem Markt verabschiedeten).

Ob man sich für den deutschen Marktstart ebenfalls einen Discount-Partner suchen werde, lässt Oda auf Supermarktblog-Anfrage offen. Die Auswahl dürfte sich allerdings in Grenzen halten: Das Interesse bei Edekas Netto (ohne Hund) und Rewes Penny wird sich in Grenzen halten, weil keine der beiden Handelsgruppen ihre eigenen Online-Ambitionen torpedieren wollen wird. Ob sich Aldi und Lidl auf ein Kooperationsabenteuer einließen, das sie nicht vollständig steuern können, ist sehr ungewiss. Übrig blieben lediglich der Fürther Harddiscount-Verfechter Norma; und Netto (mit Hund), das aber zur Salling-Group gehört, die zwar in Norwegen nicht vertreten, in Dänemark aber ein Hauptkonkurrent des Oda-Partners Reitan ist. Das lässt wenig Spielraum.

Riesenauswahl zum Discountpreis?

Dabei hört sich das Kernversprechen von Oda – zumindest aus Konsument:innensicht – ganz gut an: Per App lässt sich in Norwegen aus bislang 7.000 Artikeln auswählen, die entweder noch am selben Tag oder am nächsten zugestellt werden, und zwar von externen Dienstleistern, die sich zu einem gewissen Service-Level und zur Tarifzahlung ihrer Mitarbeiter:innen verpflichten. Die ersten drei Monate können sich Neukund:innen kostenlos beliefern lassen.

Oda will günstige Preise mit großer Auswahl kombinieren; Foto: Oda.com

Die Oda-Grundprinzipien lauten: „It must be cheap“, „It has to be great quality“, „the selection should be huge“.

Im Gespräch mit dem „Manager Magazin“ (Abo-Text) hatte Oda-Co-Gründer Karl Munthe Kaas im vergangenen Jahr versprochen, „online das Preisangebot eines Harddiscounters mit der Auswahl eines Hypermarkets“ bieten zu wollen. Eine Nummer kleiner ging’s vermutlich nicht.

Dank des hohen Umschlags wird frischere Ware als im stationären Handel versprochen, und aufgrund der mengengenauen Planung der fast vollständige Wegfall überschüssiger Lebensmittel, die entsorgt werden müssten. Kund:innen können sich per individuellem „climate receipt“ anzeigen lassen, wie nachhaltig ihr Liefereinkauf war.

Inspiration zum Selberkochen

Besonders stolz ist man bei Oda auf die hohe „Pick-Rate“, also die Zahl der Artikel, die dank technologischer Unterstützung im Schnitt pro Stunde gepackt werden kann, und die eigenen Angaben zufolge mit 212 so hoch wie bei keinem anderen europäischen Anbieter liegen soll.

Lieferrouten sollen mit bis zu 35 Lieferstopps planbar sein – was sich aus der Ferne schon arg nach Liefermärchen anhört.

In der Heimat kommt Oda auf einen Durchschnittswarenkorb von sehr stattlichen 119 Euro, und es wird keine kleine Anstrengung, das hier zu wiederholen (insbesondere im angepeilten Segment). Dabei könnte es eine Hilfe sein, sich nicht nur auf die Preiskommunikation zu verlassen, sondernKund:innen den potenziellen Online-Lebensmitteleinkauf wie auf Oda.nl mit zusätzlichen Services schmackhaft zu machen.

Die „Middagsassistenten“ sollen Oda-Kund:innen bei der Inspiration für den (günstigen) Wocheneinkauf helfen; Screenshot: oda.com

Das Grundmenü des – übrigens so gar nicht nach Discount aussehenden – Webshops ist denkbar einfach gehalten und besteht aus zwei Optionen: „Lebensmittel“ und „Rezepte“. Die Sortimentsauswahl hinter dem ersten Punkt erklärt sich von selbst; und hinter dem zweiten verbirgt sich tatsächlich eine stattliche Datenbank hübsch fotografierter Rezepte, die zum Kochen inspirieren sollen und deren Zutaten sich per Klick einfach in den Einkaufswagen übertragen lassen.

Die „Middagsassistenten“ können kommen

Alleinstellungsmerkmal wäre das in Deutschland zwar keines – Anbieter wie Rewe sind schon seit Jahren Herren ihr eigenen Kochstudios und versenden kontinuierlich neue Rezepte an Newsletter-Bezieher:innen. So konsequent wie Oda ist der Ansatz, Kund:innen direkt über die Zubereitung zum Einkaufen zu animieren, aber bislang noch in keine App und keinen Shop integriert. (Knuspr versucht’s aber gerade.)

Vielleicht versprechen die skandinavischen „Middagsassistenten“ ja auch ihrer deutschen Zielgruppe bald „simple and healthy everyday dinners“, deren Zutaten per Mausklick nachhause geliefert werden. Und allen, die keine Lust aufs Selberschnippeln haben, stattdessen „Dinner Kits“ von einer ausgewählten Zahl an Partner-Restaurants.

Kann also losgehen mit der Idee vom rollenden Frische-Discounter.

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