Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihren eigenen Supermarkt bauen. Wie würde der aussehen?
Nicht so vollgeramscht, dafür mit ganz viel Platz für die Produkte? Es gäbe keine langen Gänge, sondern bloß Inseln, auf denen alles in Körben, hübschen Holzkisten und auf niedrigen Regalen gelagert würde? Vorne im Markt könnte man erstmal ein Tässchen Kaffee trinken und ein Stück Quiche essen? Und drinnen würden einen die Mitarbeiter beim Einkauf beraten, wenn sie nicht gerade an den Bedientheken für Frischwaren aus der Region zu tun haben?
Lustig. Das ist genau der Markt, den sich Christiane Speck vor gut anderthalb Jahren ausgedacht hat. Mit dem kleinen Unterschied, dass sich darin tatsächlich schon einkaufen lässt.
Im November 2009 eröffnete im Kölner Stadtteil Bayenthal die erste Temma-Filiale, eine Mischung aus Bioladen, Marktstand, Bäckerei und Café, dessen Namen an die Tante-Emma-Läden von früher erinnern soll.
„Das erste halbe Jahr war ziemlich anstrengend und kräftezehrend“, sagt Speck. „Viele Kunden haben den Ansatz erst nicht verstanden und waren skeptisch, weil Temma nicht aussieht wie sie das von Supermärkten gewöhnt sind“ – zum Beispiel wegen des Logos in der eher untypischen Farbe Schwarz-Olive. Aber nach ein paar Monaten hat sich das geändert, die Idee hat sich herumgesprochen und seit vergangenem Sommer läuft der Laden, der für deutsche Verhältnisse tatsächlich erstaunlich unsupermarktig geworden ist, ganz gut. Im Frühjahr haben zwei weitere Filialen in Köln und Düsseldorf aufgemacht.
Den Unterschied zu normalen Supermärkten sieht jeder sofort: Temma erinnert eher an eine kleine Markthalle. Auf knallbunte Poster wird komplett verzichtet, stattdessen sind Angebote handschriftlich auf schwarze Tafeln notiert. Obst und Gemüse gibt’s tatsächlich an Ständen, die aussehen wie auf dem Wochenmarkt. Die übrigen Produkte sind in ganz einfache Metallregale aus dem Baumarkt geräumt. Das hat Geld bei der Einrichtung gespart, das wiederum für die Gestaltung der Fleisch- und Käsetheken und das Bistro im Eingangsbereich ausgegeben werden konnte, das mit einer Bäckerei kombiniert ist (und offiziell „Deli“ heißt).
Speck sagt: „Bei Temma ist alles echt: Wir haben keinen Plastikboden verlegt und eine Holzmaserung draufgemalt.“ Die Möbel sind aus Naturmaterialien, der Boden im Deli besteht (je nach Filiale) aus geölten Eichendielen oder Schmuckfliesen.
Inspirationen für den Laden kommen vor allem aus der Gastronomie: Speck hat sich Bäckerei-Konzepte in Paris angesehen, kleine Kaffeehäuser in Amsterdam sowie moderne Biomärkte in Hamburg und Berlin. Logo und Ladendesign sind in Zusammenarbeit mit kleinen Agenturen entwickelt worden, eher beim Kölschtrinken als am Reißbrett, erklärt Speck:
„Sowas kann man nicht machen, indem man sagt: Wir treffen uns am Dienstag von acht bis zehn, danach wissen wir, wie der Markt aussieht. Das ist mit der Zeit gewachsen.“
Es durfte nur nicht zu Schickimicki sein, weil die Kunden sonst sofort denken würden: Hier kann ich mir gar nichts leisten! Manche Ideen sind aber auch einfach aus einer gewissen Zweckmäßigkeit heraus entstanden. Die Produktinseln gibt es, weil im ersten Laden in Bayenthal Säulen den Weg für Regalreihen versperrten – also ließ Speck die Regale einfach außenherum bauen. Ähnlich war’s mit dem Bistro:
„Der Deutsche redet ja immer vom Brot. Die Leute kommen aus dem schönsten Urlaub und sagen: Aber zuhause gibt’s das beste Brot! Das Problem ist nur: Mit Bäckereien ist es im deutschen Handel schwierig, Geld zu verdienen. Deshalb ist die Idee entstanden, unsere Bäckerei mit dem Gastrobereich zu verbinden, der als Treffpunkt für die Leute aus dem Viertel angelegt ist. Zusätzlich probieren die Leute, wenn sie im Deli essen, die Waren aus dem Markt – denn genau die werden verwendet. Den Eifelschinken auf unseren Klappbroten können Sie gleich anschließend auch an der Bedienungstheke kaufen. Das funktioniert sehr gut.“
Und wer noch mehr probieren will, kommt einfach zum „After Work Wine Tasting“, das einmal im Monat angeboten wird.
Vielleicht erinnert Sie das alles ein bisschen an die britischen Mischläden, um die’s neulich an dieser Stelle ging. Das Spannendste an Specks Konzept eines Nachbarschaftsmarkts ist aber, wie sich dadurch tatsächlich das Einkaufsverhalten der Kunden ändert:
„Bei Temma bewegen sich die Leute anders als in normalen Märkten. Viele kommen gestresst herein, bremsen ab, werden ruhiger. Deshalb ist es auch gar nicht abwegig, im Deli erstmal einen Kaffee zu trinken oder eine Kleinigkeit zu essen bevor’s ans Einkaufen geht.“
Zur Kundschaft gehörten viele junge Mütter, weil sie mit dem Kinderwagen mehr Platz haben, und ältere Leute, denen es im Discounter zu hektisch ist. Die Produkte sind allerdings teurer als im klassischen Supermarkt, weil ausnahmslos alles Bio ist (mehr dazu im nächsten Eintrag). Der erste Temma hat nicht durch Zufall in Bayenthal eröffnet. Die Kaufkraft im Bezirk ist relativ hoch. Dass der (verhältnismäßig) kleine Laden direkt neben einem riesigen Rewe eröffnet hat, sieht allerdings erst einmal nach Kamikaze-Aktion aus.
Dabei war die Lage sogar absolute Voraussetzung, sagt Speck. Denn – und das ist eine kleine Überraschung – Temma gehört zu Deutschlands zweitgrößtem Lebensmittelhändler, der Rewe Group, für die Speck als Leiterin der Strategieabteilung Projekte und Neukonzepte im Vollsortiment arbeitet. (Klingt kompliziert, heißt aber halt so.)
„Wir wollten von Anfang an zeigen, dass Temma das klassische Supermarktgeschäft nicht kannibalisiert – natürlich auch als Signal in den Konzern hinein“, sagt Speck. Denn nur unter dieser Voraussetzung hat Temma als Rewe-Ableger auch eine Zukunft, sonst würde sich der Konzern ja selbst die Kunden wegnehmen.
Wie genau diese Zukunft aussieht und was das Temma-Sortiment von dem anderer Märkte unterscheidet, steht im nächsten Supermarktblog-Eintrag. Sonst kommen Sie zwischendrin ja gar nicht mehr zum Einkaufen.
Fotos: Rewe (3), Supermarktblog