Invasion der Eigenmarken – oder: Warum der Spee-Fuchs so schlecht schläft

Invasion der Eigenmarken – oder: Warum der Spee-Fuchs so schlecht schläft

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Wer im Großbritannien-Urlaub schon mal versucht hat, bei Tesco Orangensaft zu kaufen, der weiß, dass es vorher praktisch gewesen wäre, ein Seminar zur beschleunigten Entscheidungsfindung zu belegen. Weil die Auswahl einen verrückt macht. Soll’s ein Saft mit oder ohne Fruchtfleisch sein („smooth“ oder „with bits“)? Die Bio-Variante? Doch lieber der billigste? In der Flasche oder im Karton? In kleinen Päckchen zum Mitnehmen? Ohne Zuckerzusatz? „100% Not From Concentrate“? „100% Not From Concentrate Pure Squeezed Smooth“? Aus gefrorenem Konzentrat? Und dann wieder: „smooth“ oder „with bits“?

Dieser Tesco ist also ein echter Saftladen.

Falls Sie sich den Klick auf die vielen Links gespart haben: bei der aufgelisteten Auswahl handelt es sich ausschließlich um Eigenmarken. Von denen gibt es inzwischen so viele, dass die „echten“ Marken in manchem Regal ziemlich untergehen. Nicht nur bei Tesco.

Damit die Kundschaft nicht völlig wahnsinnig wird, erfinden die Supermärkte im Ausland immer neue Mittelmarken für spezielle Zielgruppen oder Anlässe.

Tesco hat „Tesco Indian“ im Angebot (indische Fertiggerichte), beim Konkurrenten Waitrose heißen kalorienarme Produkte „Love Life“ und (was besonders hübsch ist) Kalorienbomben „Seriously“. Sainsbury’s verspricht für seine „Taste the Difference“-Fertigessen Restaurantqualität. Und Asda hat die von Kunden getestete Marke „Chosen by You“ im Programm.

Soweit ist’s in deutschen Supermärkten noch nicht. Kann aber nicht mehr lange dauern.

Seit einer Woche gibt es bei Rewe außer den bisherigen Eigenmarken ja!, Rewe, Rewe Bio und Rewe Feine Welt auch „Rewe frei von“ zu kaufen, „die neue Marke für Ernährungssensible“ – was ein bisschen unglücklich formuliert ist. Wer möchte schon gern Ernährungssensibelchen sein? „Die neue Marke für Lebensmittelunverträgliche“ oder „Rewe Nahrungsmittelantiallergie“ hätte aber natürlich noch deutlich doofer geklungen und auch nicht auf die Packungen gepasst.

Zum Sortiment gehören gluten- und laktosefreie Produkte wie Müsli, Schokolade, Eis, Muffins, Schokokuchenrührteig, Nudeln, Frischkäse, Mozzarella, und laktosefreie Milch. Letztere gibt’s zwar längst auch beim Discounter. Aber Rewe hat nicht nur Gluten und Laktose verbannt, sondern die Produkte alle ähnlich eingepackt, um den Wiedererkennunsgwert zu stärken: (mal wieder) weiß und mit eigenem Logo.

Originalitätspunkte gibt’s dafür leider keine, denn die Strategie ist – wie so oft – abgeguckt.

In Großbritannien bietet Sainsbury’s schon seit längerem Lebensmittel für Kunden mit Allergieportfolio an. Der Name „Sainsbury’s Free from“ ließ sich praktischerweise eins zu eins übersetzen, und wahrscheinlich ist es schon ein Wunder, dass nicht auch das grüne Verpackungsdesign übernommen wurde. Der größte Unterschied ist: Bei Sainsbury’s belegt „Free from“ bereits ganze Regalreihen, während Rewe die meisten „Frei von“ Produkte derzeit noch ein bisschen verschämt im Diätregal versteckt.

Weil in der Kölner Rewe-Zentrale derzeit offensichtlich Markenerfindungswochen sind, gibt es seit einigen Wochen auch „Vivess“, so eine Art Übermarke für praktische Nutzlosigkeiten, die man beim wöchentlichen Einkauf garantiert nicht auf dem Zettel hat, nachher aber vielleicht im Einkaufswagen. Weil es auf dem Weg zur Kasse kein Vorbeikommen an den Metalltischen gibt, die vollgestopft sind mit Vivess-Rollerblades, Vivess-Geschirr, Vivess-Radlerhosen, Vivess-Eierkochern, Vivess-Platzdeckchen und Vivess-Sportsocken.

Übersichtlicher werden die Läden dadurch nicht. Aber Rewe scheint ganz versessen darauf zu sein, immer mehr Kontrolle über die verkauften Produkte zu kriegen, und kann – weil es zum Beispiel auch Vivess-Schreibwaren gibt, klassische Hersteller aussortieren.

Im Auftrag der Handelskette Markant hat eine Markenberatungsfirma gerade bei normalen Verbrauchern umgefragt, was sie von den Eigenmarken der Handelsketten halten (Studie als pdf). Etwa die Hälfte hat geantwortet, dass sie sich vorstellen könne, künftig eher auf etablierte Markenprodukte zu verzichten als auf Eigenmarken. Das werde, so urteilen die Forscher, vor allem für Hersteller so genannter B- und C-Marken zum Problem, die sich als billigere Alternative zu etablierten Klassikern (zum Beispiel Persil) positioniert hatten. Für die ist in den Läden vielleicht bald kein Platz mehr, weil die Supermärkte lieber ihr eigenes Zeug anbieten.

„Mittelmaß ist tödlich“, heißt es in der Markant-Studie über die B- und C-Marken. Wahrscheinlich wird der Spee-Fuchs künftig sehr schlecht schlafen.

Und falls Sie schon erste Opfer kennen, also Marken, die aus Ihrem Supermarkt verschwunden sind: ab damit in die Kommentare!

Fotos: Supermarktblog

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