Die Fisch-Gemüse-WG – oder: Kommt unser Essen bald vom Supermarktdach?

Die Fisch-Gemüse-WG – oder: Kommt unser Essen bald vom Supermarktdach?

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Familie Hauptstadtbarsch wohnt zweistöckig, gleich um die Ecke von Ikea. Soviel Platz braucht sie eigentlich nicht. Das 1000-Liter-Becken im Erdgeschoss reicht völlig, weil Buntbarsche sich eh im Schwarm am wohlsten fühlen. Also sind eine Etage höher ein paar Gurken-, Kürbis- und Tomatenpflanzen eingezogen, um sich auf dem überdachten Balkon zu sonnen.

Der Container mit dem aufgesetzten Gewächshaus auf dem Gelände der Berliner Malzfabrik ist schon von weitem zu sehen. Früher mälzte an diesem Ort die Schultheiss-Brauerei; heute ist das riesige Gebäude eine Experimentierstelle für Nachhaltigkeitsprojekte. Die Barsch-Gemüse-Wohngemeinschaft ist eines davon, zumindest bis zum kommenden Oktober. Dann ziehen die 200 Fische, die von 30 Gramm auf ein halbes Kilo zugelegt haben, wieder aus. Und kommen auf den Grill (der schon hinterm Container bereit steht).

Beim „Malzwiese Festival“ Anfang Juni konnten die Besucher Patenschaften für die Tiere erwerben, die dafür gezüchtet sind, gegessen zu werden. (Eventuell sind noch einige Patenschaften zu vergeben; Nachfrage hier per Mail.) Ein böser Witz? Nee, sagt Patenschafts-Ausdenker Nicolas B. Leschke: „Wenn du etwas einen Namen gibst, wird dir bewusst, dass es ein Lebewesen ist. Und es ist etwas Besonderes.“

Sein Kollege Christian Echternacht erklärt: „Wenn man im Restaurant den Kellner fragt, wo der Fisch herkommt, kriegst man meistens eine sehr allgemeine Antwort, zum Beispiel: ‚Italien.‘ Dann weiß man aber immer noch nicht, womit der Fisch gefüttert wurde, unter welchen Umständen er aufgezogen und wie er hierher transportiert wurde: War er tiefgeforen? Ist er aufwändig mit dem Flugzeug hierher transportiert worden? Da bohrt man anschließend ungern weiter nach, um den Freunden am Tisch nicht auf den Zeiger zu gehen. Das ist aber unbefriedigend.“

Auch deshalb haben Echternacht und Leschke Anfang des Jahres ihr Start-up ECF gegründet – „Efficient City Farming“. Um den Leuten ganz genau sagen zu können, wo ihr Fisch herkommt, und das Gemüse noch dazu: aus der Nachbarschaft nämlich.

Das Ziel von ECF ist es, die Lebensmittelproduktion zumindest teilweise wieder dorthin zu verlagern, wo die Leute leben, die sie konsumieren. Weil dann lange Transportwege unnötig werden und sich jede Menge CO2 sparen lässt. Und weil ihr System viel weniger Wasser braucht als die industrielle Landwirtschaft.

Dieses System ist tatsächlich so eine Art WG – und wissenschaftlich korrekter beschrieben: ein vom Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) entwickeltes Aquaponic-Verfahren namens ASTAFpro, bei dem Fischzucht und Gemüseanbau miteinander verknüpft sind. Stark vereinfacht funktioniert es so: Die Fische produzieren durch ihren Stoffwechsel und mit Unterstützung freundlicher Bakterien in einem Extrabecken Dünger, der mit dem Wasser einen Stock höher gepumpt wird. Dort können sich die Pflanzen mit ihren Wurzeln in der Nährstofflösung bedienen und wachsen. Nebenbei sorgen sie dafür, das von den Fischen produzierte CO2 zu binden. Damit die Barsche nicht ihres Tag- und Nachtgefühls beraubt werden, gibt es Schlitze im Gewächshausboden. Fertig ist unsere kleine Stadtfarm.

Schön und gut – aber was hat das jetzt mit Supermärkten zu tun?

Ganz einfach: Der Container ist bloß der Prototyp. „Wir gehen davon aus, dass sich Farmen ab 500 Quadratmetern wirtschaftlich rentieren“, sagt Echternacht. Und wo ist in der Stadt soviel Platz? Genau: zum Beispiel auf Supermärkten.

Die Aquaponic-Systeme einem Laden direkt aufs Dach zu bauen, hätte den Vorteil, dass das Gemüse einfach nur geerntet und einen Stock tiefer getragen werden müsste. Der Händler könnte damit werben, dass alles besonders frisch ist („ultra-frisch“, sagen die Profis) und seit der Ernte nicht schon weitergereister als der Kunde, der nachher reinbeißt. ECF übernähme die Bewirtschaftung der Stadtfarm und ginge dafür einen langfristigen Vertrag mit dem Partner ein. Eigentlich braucht jetzt nur noch eine Supermarktkette, nun ja: anzubeißen.

Ob das so leicht wird?

„Wir müssen die Handelsunternehmen davon überzeugen, dass es sich für sie lohnt, auch Gemüse selbst zu produzieren. Dafür braucht es ein gewisses Umdenken. Aber viele Konzerne sind ja schon sehr auf Nachhaltigkeit bedacht“, sagt Leschke. Die Investitionskosten für die Ketten hält ECF für „überschaubar“. Genau beziffern lassen sie sich nicht, weil das sehr auf das jeweilige Gebäude ankommt, das aufgestockt werden soll. Deswegen wird jedes Mal individuell eine „Machbarkeitsstudie“ angefertigt.

Ein paar Probleme – oder zumindest Nachteile – gibt es aber doch.

1. Der Verkaufspreis

„Ein Bauer in Spanien kriegt bekommt für seine Tomaten einen Kilopreis zwischen 20 und 50 Cent, im Supermarkt kostet das Kilo nachher drei bis vier Euro – alles, was dazwischen liegt, geht also an die Zwischenhändler oder für den Transport drauf“, sagt Echternacht. Das heißt: mit der lokalen Produktion lässt sich ziemlich was sparen. Billig wird das Stadtfarmgemüse deshalb aber nicht sein. „Wir orientieren uns am Durchschnittspreis des Biogemüses und sind vielleicht etwas teurer“, sagt Leschke. „Dafür können wir das ganze Jahr über einen stabilen Preis anbieten, der nicht je nach Jahreszeit schwankt.“

Damit sind die Kunden, die beim Einkaufen vor allem drauf achten, ob’s günstig ist, natürlich raus aus der Zielgruppe. Und bei den Bio-Käufern werden sich ein paar überlegen, ob sie bereit sind, noch mehr als bisher für ihr Essen auszugeben. Leschke erklärt: „Wir werden das Kilo Tomaten nie für 30 Cent anbieten können.“

2. Die Auswahl

Frischer Fisch vom Dach, das klingt ganz gut. Und wenn die Tomaten aus dem Gewächshaus nicht nur knackig rot aussehen, sondern auch wieder nach Tomate schmecken, ist das sicher ein gutes Verkaufsargument. Viel mehr als Tomaten, Gurken, Salate und Kräuter können in den Aquaponic-Farmen aber nicht wachsen, weil Karotten und Kartoffeln sich dann doch nicht mit Nährstofflösungen zufrieden geben wollen. Die City-Lebensmittelproduktion eignet sich also nur für ein begrenztes Sortiment. Der Rest wird vermutlich weiter einmal quer übern Kontinent gekarrt.

Dass die Pflanzen ihre Wurzeln direkt ins Wasser hängen, hat auch zur Folge, dass ECF das Gemüse nicht als „Bio“ verkaufen kann. Denn die Vorschriften dafür besagen, dass Bio-Lebensmittel in der Erde gewachsen sein müssen. Das ist Quatsch, sagt Leschke: „Wir arbeiten strikt nach den Bio-Richtlinien. Und der Pflanze ist es egal, ob sie die Nährstoffe aus der Erde oder aus dem Wasser zieht.“

(Der Fisch darf übrigens Bio sein ohne in der Erde stecken zu müssen, normales Wasser reicht.)

3. Die Menge

Eine 1000-Quadratmeter-Farm könnte 50 Tonnen Tomaten und 5 bis 10 Tonnen Fisch produzieren. Aber dann auch nur Tomaten und Fisch. Womöglich reicht das eine Zeitlang, wenn beide als Nischenprodukte zum angekündigten Preis verkauft werden. Falls die Nachfrage größer ist, ist die Farm aber ratzfatz leergefuttert.

4. Die Heizung

Im Winter müssen die Gewächshäuser natürlich geheizt werden, weil Tomateneis im Einzelhandel bisher nicht zu den Verkaufsschlagern gehört – und das kann dem System schnell die Ökobilanz verhageln. Leschke sagt: „Es gibt die Möglichkeit, regenerative Energien zu nutzen oder Abwärme, die sowieso im Markt entsteht.“ Solarstrom würde die Anlage natürlich noch einmal verteuern.

5. Die Statik

Fischtanks wiegen ein bisschen was und nicht automatisch jedes Flachdach ist dafür ausgelegt, solche Gewichte zu tragen. „Es gibt nur gewisse Gebäudetypen, die sich dafür eigen. Bei Neubauten ist es natürlich kein Problem, das Flachdach für dynamische Lasten auszulegen“, sagt Leschke. Fabrikhallen und Parkhäuser gehen genauso. Und die Farmen ließen sich auch auf Stelzen bauen, zum Beispiel als Parkplatzüberdachung. Für ältere Supermärkte eignen sie sich aber wegen der hohen Umrüstkosten wohl nicht. Das ist ein ziemlich großer Nachteil, weil es sehr der Idee widerspricht, die Systeme vor allem auf bisher ungenutzte Flächen in der Stadt zu setzen.

6. Die Konkurrenz

ECF hat die Stadtfarmen nicht erfunden, darf aber das spezielle Aquaponic-System des IGB vermarkten. Weltweit versuchen derzeit viele Unternehmen, sich mit solchen oder ähnlichen Projekten durchzusetzen. In Zürich zum Beispiel gibt es die Urban Farmers, deren Fisch-Gemüse-WG ziemlich ähnlich funktioniert. (Und auch in Berlin schon ausprobiert wurde.) Das hilft vielleicht, um Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Ärgerlich wäre jedoch, wenn sich die vielen Akteure bei der Etablierung gegenseitig im Weg ständen.

7. Unsere Bequemlichkeit

Es bringt wenig, Tomaten vom Dach zu kaufen, wenn die Kunden sie nachher mit dem Auto nachhause fahren – weil sich die CO2-Bilanz dann ins Fäustchen hustet lacht.


So gut sich die Idee, die Lebensmittelproduktion zurück in die Städte zu holen, auch anhört: Auf absehbare Zeit werden die Cityfarmer wohl nur eine Zusatzversorgung leisten können. Bis es überhaupt soweit ist, braucht ECF zunächst einmal ein Startkapital, um auf dem Gelände der Malzfabrik ein „Showcase“ zu bauen: eine richtig große Farm, das sich interessierte Unternehmen ansehen können, um sich überzeugen zu lassen, dass das System in großem Stil funktioniert. ECF sucht gerade nach Investoren. (Wenn Sie 3 Milliönchen übrig hätten, überlegen Sie doch mal. Den Container gäbe es schon für 35.000 Euro inklusive Fisch und Pflanzen, aber vermutlich wäre Ihre Ernährung dann etwas einseitig.)

Das Gemüse würde dann per Wochenabo an Berliner Haushalte gebracht, die Fische auf Bestellung ausgeliefert.

Das Wichtigste wäre aber, tatsächlich eine Supermarktkette dafür zu gewinnen, die ECF-Farmen auszuprobieren und in Serie gehen zu lassen. Die Gespräche mit den Handelsunternehmen laufen, sagen die Start-up-Gründer, es gäbe auch schon Interessenten. Aber noch steht das Projekt offensichtlich ziemlich am Anfang und das Team muss aufpassen, sich nicht zu sehr in seinen Visionen zu verzetteln.

Los geht die Dachrevolution erst, wenn ein Vertrag unterschrieben ist und die nächste Barsch-Generation mit dem Gemüse tatsächlich in ihre erste Großflächen-WG ziehen kann.

Mehr zum Thema Stadtfarmen steht im nächsten Blogeintrag.

Fotos: Supermarktblog

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