Der Weg ist das Ziel: Tegut macht sich schick für die Expansion

Der Weg ist das Ziel: Tegut macht sich schick für die Expansion

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Zwei Wochen vor Ostern hat sich die hessisch-schweizerische Supermarktkette Tegut in der vergangenen Woche selbst ein Geschenk gemacht. Es liegt, passend zum Fest, etwas versteckt im Wiesbadener Stadtteil Sonnenberg, der nicht nur deshalb als gehobenes Wohnviertel gilt, weil man aus der Innenstadt ziemlich bergauf laufen muss, um hinzukommen. Sondern auch, weil dort die kaufkräftigsten Bewohner der auch sonst nicht gerade verarmten Landeshauptstadt ihre kantigen Neubauten errichten.

Mittendrin hat Tegut einen Markt neu eröffnet, der das Vorbild für alle zukünftigen Läden werden soll.

Der 2007 eröffnete Markt in Wiesbaden gehört bis 2010 Tengelmann und wurde dann von Tegut pbernommen

Sechs Wochen war für die Renovierungsarbeiten geschlossen, und dass dabei nicht bloß ein paar Regale verrückt und die Wände neu gestrichen wurden, lässt sich ohne Zweifel am zwischenzeitlichen Umbaustatus ablesen:

Für den Umbau wurde der Tegut-Markt komplett entkernt / Foto: (c) Tegut

Der Auftrag an die Konstrukteure war es, einen energiesparenden Laden zu entwerfen, der sich im Design deutlich von den aufgefrischten Discountern abhebt, in dem aber trotzdem ein schneller Einkauf möglich ist. Das Design sollte Transparenz vermitteln und trotz 12.000 Produkten im Sortiment übersichtlich sein. Der Laden musste auch für hungrige Mittagspäusler geeignet sein. Vor allem aber sollten stärker als bisher herausgestellt werden, dass Tegut auch günstige Lebensmittel im Sortiment hat. Michael Ball, der den Umbau als Projektleiter verantwortete, erklärt:

„Es ging uns nicht darum, einen Designladen zu bauen, wir wollten einen zeitgemäßen Auftritt schaffen, der sich auf andere Märkte übertragen lässt.“

Was ist neu?

Der Weg ist das Ziel: Bisher lässt Tegut Kunden die freie Wahl, wie sie sich durch einen Markt bewegen wollen. Es gibt breite Hauptgänge, aber zahlreiche Abzweigemöglichkeiten. Im neuen Ladendesign ist das radikal anders, dort werden die Kunden auf zwei Wegen bis zur Kasse „geführt“. Der kurze ist für Schnelleinkäufer, die durch die Obst-und-Gemüse-Abteilung zur Backstation geleitet werden und dann mit einem Haken zum Süßwarenregal und den Getränken an die Kasse abkürzen können. Der lange führt nach der Backstation an den Frischetheken vorbei in die Kühlabteilung und zum Wein, erst dann zur Kasse.

Farbe signalisiert den Preis: An der Farbe der Boxen unter der Backstation lässt sich auf einen Blick erkennen, wo Brote welcher Preisstufen einsortiert sind. In den grünen Boxen stecken die Bio-Artikel, Brote zum Normalpreis sind in den aubergine bemalten Kisten, und die „Kleinster Preis“-Brote wohnen in Cyan. (Dieselbe Farbe, die auch auf den Verpackungen den Preiseinstieg signalisieren soll.) Leider ist das die einzige Stelle im Markt, die das Farbschema so konsequent abbildet.

Die Preislagen sind mit unterschiedlichen Farben gekennzeichnet / Foto: (c) Tegut

Billig am Ende: Um die Wochenangebote sichtbar zu machen, sind die Produkte im zweiten Teil des Markts in die Regalenden („Gondelköpfe“ heißen die im Supermarktdeutsch) einsortiert und kriegen Schilderkäppchen in Tegut-Orange aufgesetzt. Damit will Tegut dem Eindruck entgegenwirken, man sei teurer als die Supermarktkonkurrenz. Im Januar wurden bereits zahlreiche Preise gesenkt.

Angebotskappen sollen dabei helfen, dass Tegut nicht mehr als teuer wahrgenommen wird

Alltag der offenen Tür: „Wir wollen zeigen, dass wir nichts zu verbergen haben“, sagt Projektleiter Ball. Deshalb ist der Zubereitungsraum, in dem Brote aufgebacken und Snacks zubereitet werden, türlos. Die Frischetheken sind wie Tische gebaut, damit die Kunden drunter schauen können und sehen: Alles sauber hier. Ein praktischer Nebeneffekt ist, dass die 12,5 Meter lange Theke nicht so wuchtig wirkt wie in anderen Supermärkten.

Druntergucken erlaubt: Die Frischetheken sollen an Tische erinnern / Foto: (c) Tegut

Für den kleinen Appetit: Mit einer Convenience-Theke neben der Backstation reagiert Tegut auf veränderte Einkaufsgewohnheiten und bietet acht verschiedene warme Mittagessen, die auf 65 Grad erhitzt und in einem kleinen Futterschränkchen warmgehalten werden. So richtig passt die Fertiglasagne im Plastikschälchen aber nicht zum Tegut-Image, auch wenn die Mahlzeiten bald alle Bio sein sollen. In einer schmalen Theke am Ende der Obst-und-Gemüse-Abteilung gibt’s auch Wraps und Dreieck-Sandwiches (allerdings noch nicht in Bio-Qualität). Ob das Sofortessen ausgerechnet in einem Markt ankommt, der mitten in einem Wohngebiet liegt, ist fraglich – Tegut spekuliert aber darauf, dass die Mitarbeiter des in der Nähe ansässigen Bundeskriminalamts sich auch mal kantinenfrei nehmen.

In der Mitte des Ladens ist eine Kaffee- und Espresso-Maschine aufgestellt, die auf Knopfdruck ein Heißgetränk zubereitet, das beim Einkaufen getrunken werden kann. (Die Einkaufswagen haben praktischerweise Kaffeebecherhalter eingebaut.) Bezahlt wird der Kaffee einfach nachher an der Kasse.

Kaffeepäuschen beim Einkaufen gefällig? Der Becher kann auch an den Einkaufswagen geklemmt werden / Foto: (c) Tegut

Noch mehr Convenience soll es ab Oktober im Mini-Tegut geben, der dann im Frankfurter Turm-Carrée eröffnet.

Weniger gelungen ist die Integration von Putzmitteln und Drogerie-Artikeln, die sich so gut zwischen den übrigen Sortimenten verstecken, dass sie fast unsichtbar sind. Wäre der Laden von Drogeriekonkurrenten umzingelt, würde das ja einleuchten – aber so sieht das „Notsortiment“ (Projektleiter Ball) tatsächlich aus wie eins: als seien die Produkte vergessen und auf den letzten Drücker dazwischen gestopft worden, eine Hälfte vor die Schokolade, die andere zum Tierfutter.

Ein "Danke" an der Kasse ist "eine markenkonforme Verabschiedung", sagt Tegut / Foto: (c) Tegut

Dass der neue Markt sonst aber einen ziemlich guten, fast schon: gemütlichen Eindruck macht, liegt auch am hellen Design. An den hellen Wänden sitzen die Sortimentsnamen in dünnen Metallschaukeln, Regale sind mit cremefarben gestrichenem Holz eingerahmt, anthrazitfarbene Hintergründe heben besondere Sortimente hervor (Backstation, Käse und Wurst in Bedienung, Sekt und Wein).

Und wenn Tegut so konsequent gewesen wäre, komplett auf Schilder zu verzichten, die von der Decke hängen, wäre das Ergebnis ideal. So baumeln jetzt über den Angebotsflächen doch ein paar Hinweise aufs Ostersortiment.

Nur über Aktionsflächen hängen im Markt Schilder von der Decke

„Ein gutes Sortiment braucht einen guten Rahmen. So ein Markt muss professionell, lebendig und ehrlich sein“, sagte Tegut-Geschäftsführer Thomas Gutberlet am Mittwoch in Wiesbaden. Dazu gehöre, dass die Kunden zusehen könnten, wie gearbeitet wird, aber auch der Verzicht auf Supermarktmärchen:

„Ich werde manchmal gefragt, warum wir keine Bäcker beim Teigkneten abbilden. Ganz einfach: Weil es auch beim Bäcker um die Ecke kaum noch jemanden gibt, der seinen Teig mit der Hand knetet.“

Die neue Schlichtheit mit den bunten Farbklecksen, die auf die Eigenmarken-Verpackungen kennzeichnen, steht Tegut sowieso viel besser, zumal sich die Fuldaer damit im Rhein-Main-Gebiet ganz gut von den kühl-modernen, arg steril wirkenden Rewe-Neubauten abgrenzen können.

Zwei weitere Tegut-Testmärkte eröffnen in den kommenden Monaten in Gelnhausen und Stuttgart. Dort wäre dann auch deutlich mehr Platz für die neuen Elemente. Der Markt in Wiesbaden – eine ehemalige Tengelmann-Filiale – ist mit seinen 700 Quadratmetern jedenfalls eher untypisch für einen klassischen Tegut-Supermarkt. (Kleinere Märkte werden in Fulda als „Nahversorger“ kategorisiert, die eigentlich keine Bedientheken haben.)

Bis Ende des Jahres werden Erfahrungen gesammelt, wie die Läden bei den Kunden ankommen, und Verbesserungen eingearbeitet. Bis alle Tegut-Märkte nach dem neuen Konzept umgestaltet sind, wird es aber wohl noch Jahre dauern – schließlich wurden gerade erst die letzte Filialen nach dem alten Konzept renoviert.

Warten wollte Tegut mit den Umbauten nicht. Seit die hessische Supermarktkette Anfang 2013 vom Schweizer Marktführer Migros übernommen wurde, wird hart daran gearbeitet, den Rückstand zum enteilten Wettbewerb wieder zu verkleinern und nach zahlreichen Schließungen die Umsatzverluste der zurückliegenden Jahren wieder aufzufangen.

Als nächstes steht eine Überarbeitung der Eigenmarken an, von denen zukünftig ein Großteil in den Migros-Produktionsbetrieben hergestellt wird (siehe Supermarktblog). Die Zahl der Produkte zum „Kleinsten Preis“ ist deutlich aufgestockt worden. Weine, Obst und Gemüse und frische gekühlte Produkte wie Nudeln kriegen das neue „Tegut Bio“-Logo verpasst. Und der – im vergangenen Jahr bereits angekündigte – Schritt nach Baden-Württemberg ist der erste Test, ob Tegut auch außerhalb seines bisherigen Verbreitungsgebiets ankommt. Dass der erste Stuttgarter Markt in einem Einkaufscenter eröffnet, ist Thomas Gutberlet zufolge kein Zufall:

„Wir profitieren da von der Center-Struktur, weil Kunden dort automatisch vorbeikommen, ohne dass wir gleich in der ganzen Stadt groß Werbung schalten müssen. Damit besteht die Chance, dass Stuttgart uns schnell kennenlernt.“

Im Moment sieht es so aus, als tue Migros seiner neuen Tochter ganz gut, zumal es durch den neuen Eigentümer ein Budget gibt, um die Kette weiterzuentwickeln. Ein bisschen mehr Konkurrenz kann der deutsche Lebensmittelhandel mit seinen Supermarkt- und Discount-Riesen gut gebrauchen.

Auch wenn die Art und Weise, wie Tegut sich zwischen den Großen einzureihen versucht, manchen noch überrascht: Außer Kunden, Nachbarn, Vereinen, Politikern und Journalisten war zur Vorab-Eröffnung des Wiesbadener Ladens in der vergangenen Woche auch ein Vertreter der örtlichen Kirchengemeinde gekommen und hielt eine kurze Willkommensrede. Sie begann mit den Worten:

„Sie haben uns eingeladen. Damit haben wir nicht gerechnet…“

Fotos: Tegut (2,3,4,6,7), Supermarktblog (1,5,8)

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18 Kommentare
  • Wurden Sie von Tegut zur Eröffnung des Marktes eingeladen? Wenn ja, welche anderen Artikel sind bisher durch eine solche Einladung entstanden? Ich bitte Sie, diese deutlicher zu kennzeichnen.

    • Ja, es gab einen offiziellen Pressetermin. Was erfordert dabei Ihrer Auffassung nach eine „Kennzeichnung“?

    • Zur besseren Unterscheidung zwischen redaktionellen und werbenden Inhalten wünsche ich mir das. Wenn es nur ein Pressetermin war, müssen sie das natürlich nicht erwähnen. Wenn Ihnen aber Spesen wie Reisekosten oder Hotelübernachtung bezahlt wurden, halte ich das für erwähnenswert.

    • Verstehe. Aber werbende Inhalte gibt es hier nicht. Kein einziger Text ist bisher mit Übernahme von Spesenkosten oder bezahlten Hotelübernachtungen durch Unternehmen entstanden, ich zahl das ausnahmslos selbst. Das macht es manchmal auch ein bisschen schwer zu finanzieren.
      Wenn Blogeinträge mit positiver Tendenz erscheinen, bedeutet das nicht, dass ich mich habe kaufen lassen, sondern: dass ich was gut oder interessant finde.
      Ich danke auf jeden Fall für die Anregung und hab da mal eine Erklärung aufgesetzt, die jetzt auch oben im Menü verlinkt ist.

  • Interessant und nett geschrieben. Schöner Beitrag. Und ein vielversprechendes Konzept von Tegut – bleibt abzuwarten, wie die Kunden das annehmen.

    Im Absatz zum Heißgetränk-Automat (oberhalb des zugehörigen Bildes) fehlt ein Wort: „In der Mitte des (?) ist eine Kaffee- und Espresso …“
    Viele Grüße

  • Korrekturvorschlag: Sollte es logisch statt „den Vorsprung zum enteilten Wettbewerb wieder zu verkleinern“ nicht „den Rückstand…zu verkleinern“ heißen?

  • Die Kaffee-Idee mit Halter finde ich gut. Nur bin ich Pessimist, denn wenn genug Depp– äh, mental oder feinmotorisch geforderte Kunden den Becher samt Inhalt auf dem Boden verteilt haben, dann war’s das wieder.

  • Schöne Idee, mit dem Kaffee WÄHREND des Einkaufens. Sitzen will man (zumindest ich) nicht unbedingt im Supermarkt. Vermute mal, das erhöht die Verweildauer im Markt und damit den Umsatz?!

    • Neulich wurde in einer BBC-Dokumentation („Spring’s Supermarket Secrets“) erklärt, dass man Läden inzwischen auf Übersichtlichkeit und Schnelligkeit optimiert, denn nur wenn die beabsichtigten Einkäufe zügig abgearbeitet werden können haben Kunden Zeit und Lust, weitere Produkte zu entdecken (Zitat: „The faster we shop, the more we buy“).

  • Den Kaffee muss man bezahlen? Echt? Warum sind sie nicht so konsequent, und verstehen das Angebot als Kundenservice? (Woher wissen die überhaupt an der Kasse davon, dass der Kunde einen Kaffee genommen hat?)

  • Da kann man ja bei Albert Heijn in den Niederlanden noch lernen… Einkaufswagen mit Kaffeebecherhalter für den gratis-Kaffee… Das macht was her 🙂

  • Ich finde euren Supermarktblog gut, die Bedienung ist sehr einladent, der Laden ist sehr gut eingerichtet und ist schön strukturiert wie man es von einer Ladenbau Firma erwarten kann. Ich selbst arbeite in einer Ladenbau Firma in Mannheim. Gruß Hans.

  • So sehr ich es begrüße, wenn sich tegut bemüht, schöne, einladende Läden zu präsentieren, so sehr geht mir die Umbauerei auf die Nerven. „Mein“ tegut vor Ort hat vor einiger Zeit innen alles umgekrempelt. Noch immer suche ich Waren am gelernten Ort vergeblich. In den letzten Wochen experimentieren sie jetzt mit merkwürdigen Mikro-Veränderungen. Wo im Kühlregal rechts die Feinkostsalate und links davon die Fische waren, ist nun plötzlich alles anders herum. Ebenso bei dem Käse oder im Wurstregal.

    • Diese Mikroveränderungen im Tiefkühlregal nimmt mein Aldi jede Woche vor. Und ewigt suche ich den Frischkäse.

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