Fast jeder Besuch im klassischen Supermarkt beginnt mit einer traditionsreichen Vorspiegelung falscher Tatsachen. Üppige Fruchtstapel, vom Wassernebel behauchte Vitaminträger und farbenfrohe Arrangements weitgereister Köstlichkeiten suggerieren dem Kunden, dass er den Einkaufshimmel auf Erden betreten hat – bevor er, kaum ist der geflieste Obstolymp passiert, in die tiefen Regalschluchten des Restmarkts hineingestoßen und nach Durchquerung der nüchtern illuminierten Kühlebene als Halbgefrorenes zurück zur Kasse geschubst wird.
Was muss das für ein Hallo gewesen sein, als beim niederländischen Supermarktzweiten Jumbo jemand auf die Idee gekommen ist, mit der Falschtatsachenvorspiegelung einfach in die Verlängerung zu gehen.
Die Grundidee dahinter ist so einfach wie genial. Anstatt den Laden – wie üblich – in Abteilungen und Sortimente zu strukturieren, haben sich die Jumbo-Designer auf zwei grundlegende Bedürfnisse konzentriert, die Kunden beim Einkauf leiten: Die Begeisterung für frische, leckere, außergewöhnliche Lebensmittel. Und die Pflicht, auch den ganzen Rest nachzukaufen, der in langweiligen Kartons und Plastikverpackungen steckt.
Wer braucht schon Abteilungen?
Das Konzept funktioniert nicht nur in der XXL-Variante. Sondern auch mitten in der Stadt, wo vielen Handelsketten der Platz gar nicht ausreichen würde, um ihre Standardkonzepte unterzubringen. Um das Problem zu umgehen, konzentriert sich Jumbo in zwei seiner Märkte in Amsterdam einfach aufs Wesentliche.
Der eine liegt im Nordosten der Stadt im Hafengebiet von Zeeburg (Foto oben), ist direkter Nachbar des beeindruckenden Lloyd-Hotel und gehörte bis vor wenigen Jahren zum Konkurrenten C1000, den Jumbo 2011 übernahm (und an dem auch Edeka damals interessiert war). Im Juli 2015 war Neueröffnung.
Der andere ist die 12. Filiale der Supermarktkette in der niederländischen Hauptstadt und hat Ende Juni 2016 am Plein 40-45 eröffnet (dem zentralen Platz im westlichen Stadtteil Slotermeer, der an die Jahre der deutschen Besatzung und den niederländischen Widerstand erinnert).
Auf mickrigen 1000 Quadratmetern. Aber mit einer sehr zu empfehlenden Facebook-Seite.
Für alle, die demnächst einen neuen Supermarkt bauen wollen (oder gerne angenehm einkaufen gehen), lohnt sich der Besuch in beiden:
1. Wegen der Frutsche
Warum müssen frische Lebensmittel in unterschiedliche Abteilungen wegsortiert werden? Müssen sie gar nicht! Deswegen hat Jumbo die Frutsche erfunden (Frische + Rutsche = Frutsche), eine Art Ladenstraße, die sich in der Zeeburger Filiale vom Eingang bis ans andere Ende des Ladens zieht und die bisher üblichen Abteilungen und deren Aufgänge auflöst.
Weil es nunmal nahe liegt, dass jemand, der frisches Gemüse fürs Abendessen einkauft, eventuell auch an leckeren Tapas interessiert ist. Oder ein Stück Fleisch dazu haben will, Käse für den Nachtisch und frisch gebackenes Brot.
Die Wände der Frutsche sind mit hellem Holz und farbigen Fliesen verkleidet, Theken wechseln sich mit Körben und leicht gekippten Tischen ab.
Bremsaufsteller sind genauso tabu wie Truhen, über die man sich erst beugen muss, um hineinsehen zu können. Die Metzgerei hebt sich mit ihrem schwarz-weißen Design leicht von der Nachbarschaft ab, die Feinkost-Theke weckt mediterrane Assoziationen. Trotzdem passt alles zusammen. Und macht Appetit darauf, daheim ein neues Rezept auszuprobieren, ohne dass zwischendurch ein Papptroll „ANGEBOT!“ schreit.
Notfalls geht’s auch ohne Frutsche: In Slotermeer ist die Ladenstraße eher ein Frürfel (Frische + Würfel = Frürfel), weil das dem Grundriss des Ladens entgegenkommt. Das Prinzip des ablenkungsfreien Frische-Einkaufs, der nicht nach der Obst- und Gemüseabteilung gleich wieder aufhört, ist trotzdem dasselbe.
2. Wegen Teil zwei
Für den ganzen Rest ist Platz in der zweiten (deutlich größeren) Ladenhälfte. Dort wartet – früh genug – die Pflicht, bestehend aus Küchenschrank-Standards, für die niemand lange am Regal stehen bleiben mag, egal wie bunt sie verpackt sind. Konsequenterweise verzichtet Jumbo in Teil zwei deshalb auch auf aufwändige Dekoration. Und arrangiert sich notfalls auch mit Mini-Tiefkühltruhen, die in die Wand zurückgesetzt sind, um nicht im Weg rumzustehen.
Nur die Hervorhebung des „niedrigsten Preis“-Sortiments ist ein Muss und mit deutlichem Hinweis direkt am Regal bzw. – bei Aktionspreisen – am Regalende gekennzeichnet.
Eine weitere Ausnahme wird für glutenfreie Produkte, Bio-Artikel und „Superfoods“ gemacht, die als „bewusste Wahl“ gut sichtbar an der Wand angeschrieben sind.
Eigenmarken dürfen natürlich trotzdem schick verpackt sein.
3. Wegen der guten Ideen
3.1 Dit product afwegen
Der Großeinkauf ist nach dem Scannen schon im Einkaufswagen verstaut, da mahnt der Kassierer, dass Sie den Blumenkohl in der Gemüseabteilung nicht abgewogen und bestrichcodet haben? Wenn der Händler nicht so schlau war, eine Zusatzwaage hinter der Kasse aufzustellen, bleiben nur zwei Möglichkeiten: 1. Zurückstürmen und die Rollaugen der anstehenden Restkundschaft ignorieren. 2. Liegenlassen und das Kichererbsen-Curry ohne Blumenkohl zubereiten. (Määh.)
Jumbo hat sich für die Variante entschieden, die Wiegeware am Regal so deutlich zu kennzeichnen, dass der Fehler gar nicht erst passieren kann:
3.2 Het is vandaag …
Wie lange hält die Milch? Wann stinkt’s dem Käse, nicht gegessen zu werden? Und welches Ultimatum stellt der Joghurt für seinen Verzehr? Das auf die Packung gedruckte Mindesthaltbarkeitsdatum liefert wertvolle Indizien, sofern man im Kopf hat, welches Datum eigentlich heute ist.
Für alle anderen steht’s bei Jumbo einfach nochmal an der Kühlregalwand:
3.3 Snel betalen
Das wirklich Allerletzte, das eilige Kunden sehen wollen, denen gerade die Mittagspause davon läuft, sind langsam voranruckelnde Kassenbänder. Weil die erahnen lassen, dass der ausgewählte Snack aus Zeitgründen gleich doch wieder vor dem Rechner im Büro verschlungen werden muss. Also: weg damit! (Den Kassenbändern.)
Wenn’s richtig rund geht im Markt, öffnen einfach die Bezahlschleusen für Kunden, die bloß ein paar Artikel mitnehmen wollen (und noch ein Pfund Sonnencreme dazu brauchen, wenn ich die Bestückung der zusammengeknautschten Quengelzone richtig erkannt habe). Wer will, kann selbst scannen.
Freilich hat auch Jumbo mit den üblichen Tücken des Lebensmittelhandels zu kämpfen, die die Ladenatmosphäre empfindlich stören können: leere Regale, schmuddelige Ecken, Kassenschlangen. Und bei komplizierter gebauten Grundflächen wird das sorgfältig erdachte 2-in-1-Prinzip schnell zum schwierigen Puzzle.
Aber die erst 1979 gegründete Kette hat immerhin erkannt, dass sie sich was einfallen lassen muss, um gegen den frisch fusionierten Marktführer Ahold Delhaize, der in den Niederlanden auf satte 34 Prozent Marktanteil kommt, bestehen zu können. Zum Beispiel mit Läden, in denen Kunden nicht deshalb Geld ausgeben, weil sie von einer Angebotsfalle zur nächsten zickzacklaufen. Sondern weil sie sich dort gut aufgehoben fühlen, neue Ideen fürs Kochen bekommen und den lästigen Vorratseinkauf fast schon nebenbei erledigen können.
Läden, die nicht besonders riesig sein müssen, um Vielfalt zu suggerieren. Sondern bloß aus der Perspektive derer gedacht sind, die dort regelmäßig hinkommen: Ihrer und meiner.
Fotos: Supermarktblog
Die Geräte zum Selberscannen (die es in selber Ausführung auch bei Albert Heijn sowie coop in Schweden gibt) sind genial. Dank ihnen musste ich noch kein einziges Mal an der Kasse anstehen, stattdessen ist der Bezahlvorgang in ~10s abgeschlossen (auch dank der Drahtloszahlterminals); und es ist deutlich komfortabler während des Einkaufs einfach alles zu scannen und direkt in die Tasche zu packen als wie bei den Selbstscanautomaten bei Ikea, real und Edeka, wo man am Ende erst selber alles durchziehen muss.
Sehr angenehm ist auch, dass man auf den Webseiten von AH und Jumbo sämtliche Produkte inklusive Nährtwertangaben und Preis einsehen kann, wodurch mal als nicht niederländisch Sprechender seinen Einkauf vorab planen kann.
Diese Geräte gibt es hier in Deutschland zB auch bei Globus.
Wie wird denn beim Selbstscannen kontrolliert, daß man auch 100% der Artikel gescannt hat? Stichprobenkontrolle am Ausgang? Oder was ist da vorgeshen, oder vertraut der NL Supermarkt seinen Kunden zu 100%?
Es gibt 2 Arten von Selbstscan-Kassen, insbesodnere die kleineren haben oft nur Variante 1 (meist dort, wo auch der Kundenservice ist):
1.“Normale“ Kassen, bei denen man der Kassierer(in) seinen Scanner gibt und abkassiert wird. Dabei wird ein prüfender Blick in den Wagen geworfen, stichprobenartig muss auch manchmal jemand seine Artikel vorzählen.
2. Selbst-Bezahlterminals ohne Personal. Hier ist ähnlich wie beim deutschen Ikea meist ein Mitarbeiter da, der ein Auge darauf hat, was da so vor sich geht.
Ich wäre gerade sehr dafür, das Jumbo die Kaiser’s Filialen in Rhein-Ruhr übernimmt, wo gefühlt 99% der Filialen die Größenordnung 1000 – 1500 qm haben und für dieses Konzept großartig geeignet wären.