Testlauf für Naturalia Vegan in Paris: Déjà-vu im 11. Arrondissement

Testlauf für Naturalia Vegan in Paris: Déjà-vu im 11. Arrondissement

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Mit dem Veganismus tun sich viele Franzosen eher schwer. Die Biomarktkette Naturalia verkauft in drei ihrer Pariser Läden dennoch testweise ausschließlich Produkte ohne tierische Inhaltsstoffe.

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Während die deutschen Supermärkte zunehmend Platz für vegetarische Produkte freigeräumt haben, scheint der Vegetarismus so manchem europäischen Nachbarn immer noch suspekt zu sein. Der Vegetarierbund (VEBU) geht davon aus, dass sich rund 10 Prozent der Deutschen fleischfrei ernähren; in Frankreich lag die Zahl älteren Studien zufolge bei 2 Prozent. (Die Notwendigkeit einer Aktualisierung scheint sich Meinungsforschern bislang nicht erschlossen zu haben.)

Kein Wunder, dass das „New York Times Magazin“ vor einigen Jahren in seinem „Vegetarian and Gluten-Free Guide to Paris“ zusammenfasste:

„Vegetarians in France are odd ducks.“

Was sind dann erst die Veganer?

Die 1973 gegründete Biomarktkette Naturalia versucht das gerade rauszufinden. Vor wenigen Wochen verpasste sie drei ihrer über 130 Filialen – zwei in Paris, eine im direkt daneben gelegenen Vincennes – einen neuen Namen und ein verändertes Sortiment. Seitdem gib es bei den Ablegern „Naturalia Vegan“ ausschließlich Produkte zu kaufen, die vollständig ohne tierische Inhaltsstoffe auskommen.

„Un phénomène très marginal au sein de la population française“,

erinnerte „Le Figaro“ die Leserschaft seines Berichts über die Eröffnung pflichtgemäß an den Status des Veganismus als Randerscheinung.

Womöglich deshalb ist Naturalia Vegan zunächst auch nur als 18-monatiger Test angelegt. Wenn der schiefgeht, kann die Kette die Läden problemlos wieder in „normale“ Bioläden umwandeln und die veganen Verkaufshits ins reguläre Sortiment übernehmen. Das Risiko hält sich also in Grenzen – zumal Naturalia die französische Handelskette Monoprix als Eigentümer im Rücken hat, die selbst als (konventioneller) Lebensmittelhändler aktiv ist.

Genau das also, was dem deutschen Pionier Veganz womöglich gefehlt hat, als der sich ab 2011 als erste europäische Kette veganer Supermärkte etablieren wollte.

(Kann man natürlich auch anders herum sehen: Mit klassischem Handelspartner hätte Veganz sich vielleicht niemals soviel trauen können.)

Wer hat’s erfunden?

Inzwischen hat sich der Schwerpunkt des Unternehmens verschoben (siehe Supermarktblog), obwohl ein strategischer Partner durchaus für neuen Schwung im Filialgeschäft sorgen könnte.

Den Naturalia-Vegan-Märkten sieht man ihre Inspiration nämlich mehr als deutlich an: Wer zwischen den Regalen steht und die Produkte im Regal überblickt, könnte auch leicht auf die Idee kommen, gerade in Berlin zu stehen, wo die meisten verbliebenen Veganz-Märkte beheimatet sind.

Das liegt auch daran, dass sich im Sortiment viele Produkte deutscher Hersteller mit deutschsprachigem Inhaltsaufdruck finden, z.B. im Kühlregal: vegane Salami von Wheaty, Tofu Chicken Masala von Lord of Tofu, Käpt’n Tofus Knusperstäbchen von Viana.

Diese Auswahl hat Veganz-Gründer Jan Bredack wesentlich mit angeschoben, indem er die Absatzmöglichkeiten für die Hersteller stetig erweiterte – erst in den eigenen Läden, später auch in Bio-Supermärkten und im klassischen Lebensmittelhandel. Die zunehmende Produktvielfalt ist nun die Grundlage dafür, dass große Handelsketten wie Monoprix (das wiederum zu Casino gehört) sich im europäischen Ausland trauen, selbst mit veganen Supermärkten zu experimentieren – während die Expansion des Vorbilds hierzulande ironischerweise gestoppt ist.

Die Naturalia-Vegan-Läden sind zwar nicht riesig, allerdings deutlich größer als ihre Berliner Vorbilder – was auch deshalb kein Problem ist, weil Naturalia ohnehin über ein üppiges Bio-Sortiment verfügt. Neben der demeter-Variante „Beerenbauern“ steht ganz selbstverständlich die Naturalia-eigene Konfitüre  .

Die üppige Sofortessen-Auswahl mit Sandwiches und Salaten, von der sich die deutschen Anbieter noch was abschauen können, steuert hingegen die italienische Marke „VeryVeg“ bei. Insofern ist Naturalia Vegan also ein durch und durch europäisches Projekt.

Nüsse und Mandeln lassen sich aus den auch hierzulande beliebter werdenden Rüsselschütten abfüllen – und obendrüber erklärt der Händler ganz clever, wozu das gut ist: nicht nur, um Verpackung zu sparen, sondern auch, um neue Produkte in kleinerer Menge ausprobieren zu können.

An eine üppige Superfoods-Auswahl hat man auch gedacht, die Obst- und Gemüse-Auswahl ist dagegen eher übersichtlich.

Insgesamt 2.000 Artikel gibt’s zu kaufen, und zwar in Wohngegenden, wo die Märkte in der Regel in der Nachbarschaft klassischer Mini-Supermärkte des Konkurrenten Carrefour liegen – vermutlich um auch Kunden anzusprechen, die sich nicht gleich ins Komplettsortiment stürzen wollen (das draußen am Laden als Versprechen angeschrieben ist). Sondern erstmal per Ergänzungskauf an das „phénomène très marginal“ rantasten.

In der vorvergangenen Woche hielt sich der Ansturm bei meinem Besuch noch arg in Grenzen – was aber auch am allgemein müden Ferien-August in Frankreich liegen kann.

An sich kommuniziert Naturalia Vegan nämlich schon ganz gut, indem sich die Läden nicht nur als Anlaufstelle für konsequente Ernährungsumsteller positionieren. Sondern als Ausprobieralternative zu den klassischen Supermärkten und ihren vereinzelt gegründeten Bio-Stiefkindern. (So wie das auch Veganz mit der Zeit gelernt hat.)

Wenn das nach anderthalb Jahren tatsächlich gut gegangen sein sollte und Naturalia Vegan als Mini-Marke bestehen bliebe, noch dazu im nicht gerade Veganer-paradiesischen Frankreich, wäre das ein ziemlich deutliches Zeichen an die deutschen Kollegen, die Expansion womöglich zu früh eingestellt zu haben.

Und falls nicht: immerhin ein ganz beachtliches Zwischengeschnatter der odd ducks.


Die Fotos im Text stammen aus den Läden in der Rue de Merlin, Paris, und der Avenue de Paris, Vincennes. Der dritte Laden befindet sich in der Rue de Rome, Paris.

Fotos: Supermarktblog"

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1 Kommentar
  • Zu 100% wird der Laden sich nach der Testphase (oder schon vorher) wieder vom vegan-Konzept verabschieden. Wenn das schon in Deutschland nicht läuft, dann in Frankreich erst recht nicht. Dem Land von Käse und Foie gras!

    Grund ist der gleiche wie hier: Keiner braucht einen veganen Laden. Das meiste gibts auch im normalen Bio- oder Supermarkt. Aber durch den Verzicht auf alltägliche Produkte wie Eier, Milch oder Joghurt entgeht dem Laden sehr viel Laufkundschaft und „100% vegan“ dürfte viele abschrecken.

    @Peer
    In Frankreich hat gerade der erste Costco aufgemacht, das find ich auch spannend. Habe allerdings Zweifel ob das ein Erfolg wird. Reingehen und gucken würde ich schon gerne mal, aber nicht für 36€ Mitgliedsbeitrag…

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