Mal angenommen, nach den zurückliegenden Wochen festigt sich bei Verbraucher:innen tatsächlich die Erkenntnis, dass Lebensmittel im Internet zu bestellen doch ganz praktisch ist: Wer bringt uns dann eigentlich die Wocheneinkäufe, die wir demnächst online in Auftrag geben, nachhause?
Die allermeisten Händler sind nicht sonderlich scharf darauf, eigene Fuhrparks zu unterhalten, um ihren Kund:innen die Lebensmittel aus dem Netz an die Haustür zu bringen.
Das scheinen sie mit vielen Paketlogistikern gemeinsam zu haben, die sich derzeit ganz gut selbst damit auslasten, normale Pakete von A nach D zu fahren (und vorher nochmal durch Verteilzentrum B und über Zwischenstation C bzw. wieder zurück).
In Berlin sitzt ein Unternehmen, das einen Vogel hat (im Logo) und alles etwas anders zu machen versucht, um sich als Alternative zu den großen Anbietern zu empfehlen. Ohne dabei sonderlich viel Lärm zu verursachen. „Wir sind Dienstleister und möchten gar nicht so sehr in Erscheinung treten, sondern stellen die Marke des Auftraggebers in den Vordergrund“, sagt Nils Fischer, CEO und Mitgründer des Logistikdienstleisters Liefery, der sich auf die Sofort-Zustellung von Paketen spezialisiert hat, am Tag der Bestellung oder am darauf folgenden (Same Day bzw. Next Day Delivery).
Mit diesem Ansatz spielt Liefery auch im Markt für Liefer-Lebensmittel eine zunehmend größere Rolle.
Stadtnahe Depots für die Sofortlieferung
2014 gegründet, gehört der Logistiker seit 2017 über Hermes mehrheitlich zur Otto Group. Und macht trotzdem ziemlich vieles von dem richtig, was sich Paketempfänger:innen im Jahr 2020 so wünschen: in erster Linie nämlich, dass ihr im Internet bestelltes Paket möglichst schnell bei ihnen ankommt. Nicht morgen, vielleicht. Nicht beim Nachbarn oder im Paketshop am anderen Ende der Stadt. Sondern: heute, nachhause, ganz sicher.
Das funktioniert tatsächlich. Bestellungen werden in drei Zeitfenstern geliefert, vor allem abends zwischen 19 und 22 Uhr – weil dann die allermeisten Leute zuhause sind (auch wenn gerade nicht Pandemie ist). Zu den Auftraggebern gehören u.a. Asos, Zalando, H&M, Nike, Nespresso und NBB (Notebooksbilliger.de).
Fischer erklärt, Liefery positioniere sich bewusst anders als die großen Logistikanbieter: „Bei uns kann fast jede:r Kurier sein. Unsere Zustellgebiete variieren von Tour zu Tour, Ortskenntnisse sind nicht nötig, die Fahrer:innen orientieren sich per App.“ Aktiv ist das Unternehmen in allen großen deutschen Ballungsräumen (und in Wien). Dort betreibt Liefery eigene Depots, die sehr viel stadtnäher gelegen sind als die riesigen Sortierzentren der Konkurrenz. „In der Regel dauert es maximal einige Stunden, bis Pakete unser Depot wieder verlassen“, sagt Fischer. „Dadurch brauchen wir keine großen Lagerflächen im eigentlichen Sinne, sondern setzen eher auf Umschlagplätze in den Städten, wo wir – je nach Zeitfenster – die notwendigen Sortierstrecken bauen können.“
Der Lebensmittel-Anteil nimmt zu
In Berlin wurde gerade die erste automatisierte Sortieranlage in Betrieb genommen, die auch nachts größere Paketvolumina verarbeiten kann. In Zukunft sollen Pakete außerdem über Micro-Depots verteilt werden, die direkt in den Städten liegen und den Weg zur Empfängerin bzw. zum Empfänger weiter verkürzen.
Das ist auch deshalb interessant, weil Liefery schon heute für zahlreiche Auftraggeber frische Lebensmittel zustellt, unter anderem für die Kochboxen-Anbieter Hello Fresh und Marley Spoon.
Als DHL im vergangenen Sommer entschied, sich aus der Zustellung frischer Lebensmittel vollständig zurückzuziehen (siehe Supermarktblog), stand Liefery zudem bereit, um Aufträge zu übernehmen. Derzeit sind die Berliner u.a. für Real, Getnow und myEnso unterwegs.
Dazu kommt die Kooperation mit Rewes Lieferservice. Der verfügt zwar über eigene Fahrzeuge, organisiert aber einen Teil der Lieferungen schon seit längerer Zeit über Liefery. Dort stellt man dem Partner komplette Touren bereit, die von Rewe selbst geplant werden können. (Bis zum vergangenen Jahr gab es eine ähnlich gelagerte Zusammenarbeit mit Bringmeister von Edeka.)
„Die Händler beauftragen uns mit einer abgestimmten Anzahl an Sendungen, die Mengen werden über einen wöchentlichen Forecast regelmäßig miteinander abgestimmt“, erklärt Fischer das „Exclusve Delivery“-Prinzip, das auch Unternehmen außerhalb des Lebensmitteleinzelhandels nutzen. Liefery sei dabei ein fester Bestandteil zur Unterstützung der Flotte, über die ein Auftraggeber selbst verfüge.
Steigende Nachfrage, ächzende Händler
Schon jetzt machen frische Lebensmittel ein Viertel der Lieferungen aus; Kochboxen mitgerechnet steigt der Anteil auf rund 50 Prozent. Über Kühlfahrzeuge verfügt Liefery zwar nicht – die sind aber auch gar nicht notwendig, weil sich in der Branche durchgesetzt hat, Lebensmittel in frischeversiegelten Thermoboxen mit passiver Kühlung (z.B. Trockeneis) zu versenden. Um die Kühlkette einzuhalten, werden die Boxen erst unmittelbar vor der Zustellung geöffnet, um die eingetüteten Einkäufe zu entnehmen.
Als in den vergangenen Wochen immer mehr Deutsche ihre Lebensmittel online bestellen wollten, haben das deshalb nicht nur die Händler gemerkt – sondern natürlich auch Liefery.
„Dass die Nachfrage durch die Corona-Krise steigen wird, war uns klar – aber dass das Geschäft so durch die Decke geht, hätten wir ehrlich gesagt nicht gedacht“, sagt Fischer. Im März wurden Steigerungen von bis zu 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet. „Wir kommen jetzt glaube ich in eine Phase, in der der Versand von frischen Lebensmitteln deutlich öfter genutzt und in der Öffentlichkeit auch viel breiter akzeptiert wird als bisher.“
Allerdings ist das dieselbe Phase, auf die viele Händler so ganz und gar nicht vorbereitet waren – weshalb die meisten gar nicht so schnell Einkäufe versenden konnten wie die Kund:innen gerne bestellt hätten (siehe Supermarktblog).
Lieferkapazitäten? Da geht noch was
Dabei sei die größte Hürde oft nicht die Lieferkapazitäten gewesen, erklärt Fischer. Sondern, dass es nach seiner Wahrnehmnung nicht genügend Mitarbeiter:innen zum Picken und Packen der Bestellungen in Filialen und Dark Stores gegeben habe. Der Liefery-CEO sagt: „Wir könnten noch deutlich mehr Touren fahren als bisher und hätten auch ausreichend Zusteller:innen dafür.“
Das ist ein Satz, bei dem man sich angesichts der aktuellen Situation, in der sich die Logistikbranche von einer Ausnahmesituation zur nächsten jammert, noch mal erkundigen muss, ob er wirklich so gefallen ist. Ist er?
Fischer bestätigt – und erklärt: „Das liegt unter anderem daran, dass wir nicht wie viele andere Logistiker vorrangig auf Tagestouren setzen. Natürlich fahren Kuriere für uns zum Beispiel von 13 bis 22 Uhr, wir bieten aber auch kürzere Touren an, z.B. von 19 bis 22 Uhr oder von 9 bis 12 Uhr. Wir können aber auch sehr kurzfristig auf zusätzliche Ressourcen zugreifen, um Mitarbeiter:innen wenige Stunden am Tag einzusetzen.“ Das Modell der flexiblen Touren hilft dabei.
Außerdem stehe man in Kontakt mit branchenfremden Firmen, denen in der Corona-Krise Aufträge weggebrochen seien und die Liefery ihre Unterstützung angeboten hätten. „Wir haben deshalb im Moment mehr Kapazitäten als wir nutzen können.“
Man sei „fest davon überzeugt, dass unser Netzwerk noch deutlich höhere Volumina verarbeiten kann als das bislang der Fall war“, sagt Fischer. „Wir sind noch lange nicht am Ende des Wachstums.“
In-Store-Picking à la Instacart
Das hilft natürlich wenig, wenn Auftraggeber mit dem Kommissionieren kaum hinterherkommen. Aus diesem Grund überlegt Liefery, das künftig gleich mit zu übernehmen. Fischer sagt: „Wir haben den Plan schon vor längerer Zeit entwickelt; zum damaligen Zeitpunkt ist das aber im Markt noch nicht so recht auf Gegenliebe gestoßen.“ Mittlerweile kämen die Anfragen für solche Lösungen jedoch direkt von den Auftraggebern.
Der Ablauf klingt einfach: Im Anschluss an eine Kund:innen-Bestellung würde vom Händler nicht nur (wie sonst) die Zustellorder an Liefery übermittelt, sondern der gesamte Warenkorb mit allen Artikeln. Ein:e Liefery-Mitarbeiter:in würde daraufhin im Markt die Produkte aussuchen. Die Zustellung könnte regulär erfolgen.
Denkbar sei, die zusätzliche Aufgabe direkt den Kurierfahrer:innen zu übertragen; oder – bei entsprechender Nachfrage – eigene Picker:innen in Läden zu beschäftigen. Ähnlich macht es z.B. Instacart in den USA – mit dem Unterschied, dass die Bestellungen bei der Liefery-Lösung weiter über den Webshop bzw. die App des Händlers laufen könnten.
„Wir sind theoretisch bereit für den Start“, erklärt Fischer und sagt, dass es bereits Interesse an der Lösung gebe. Vorher müssen aber auf Händlerseite ein paar Faktoren geklärt sein: insbesondere die echtzeitbasierte Anzeige der verfügbaren Artikel (also z.B. wieviele Tafeln einer speziellen Ritter-Sport-Sorte noch im Laden vorrätig sind und zu welchem Preis). Auch für das leidige Thema Ersatzartikel bräuchte es eine klare Regelung. Und irgendwie müssen die Kurierfahrer:innen die Einkäufe in der Filiale ja auch durch die Kasse bringen.
„Das über Debit-Karten laufen zu lassen und später zu verrechnen, halten wir nicht für die geeignete Lösung“, sagt Fischer. „Wir brauchen eine, bei der der Auftragseinkauf intern verbucht wird.“ Das müsse aber machbar sein.
Freundliches Paket zum Mitfahren gesucht
Was sonst noch so alles machbar ist, testet Liefery schon seit längerem aus – zum Beispiel die Konsolidierung von Lebensmittel-Lieferungen mit dem klassischen Paketgeschäft. Kurz gesagt: dass alles, was frisch ist, auf derselben Tour mitfahren kann wie der Rest. Denn das spart Aufwand – und letzten Endes Kosten. „Im vergangenen Sommer haben wir mit dem neuen Modell in Berlin angefangen, und diesen März ist der letzte Standort umgestellt worden. Für uns macht es im prozessualen Ablauf keinen Unterscheid mehr, ob wir ein Paket von Asos oder eine Thermobox von Real ausliefern“, erklärt Friedemann Nierhaus, Director Strategy & Business Development bei Liefery.
Liefery könne vergleichsweise günstige Zustellpreise pro Sendung anbieten, „weil wir auf einer Tour die Lieferungen mehrere Anbieter kombinieren – und nicht nur für einen einzigen frische Lebensmittel durch die Stadt fahren“, so Nierhaus. „Wenn dann noch das reguläre Paketgeschäft obendrauf kommt, das ebenfalls wächst, lassen sich die Touren sehr viel besser auslasten.“
Genau das scheint dem Wettbewerb bislang nicht – oder nur unzureichend – gelungen zu sein. Trivial ist die Aufgabe nämlich nicht, schon wegen der unterschiedlichen Stopp-Zeiten: „Ein Asos-Paket lässt sich innerhalb von drei bis vier Minuten ausliefern; frische Lebensmittel dauern natürlich länger – bei aktuell 4,5 Packstücken pro Bestellung im Schnitt“, erklärt Nierhaus. Außerdem nimmt Liefery an der Haustür Pfandflaschen zurück und registriert Storno-Artikel. Das werde vom Planungssystem bei der Touren-Aufteilung entsprechend berücksichtigt.
Obst, Pasta und Sneaker auf einen Schlag
Im nächsten Schritt sollen Fahrer:innen im Idealfall Bestellungen verschiedener Händler an derselben Haustür abgeben. Nierhaus sagt: „An diesem Punkt sind wir zugegebenermaßen noch nicht. Aber wenn das Wachstum im Standardgeschäft so weitergeht wie bisher, ist das vielleicht noch eine Frage von einem Dreivierteljahr.“
Liefer-Lebensmittel haben dabei einen entscheidenden Vorteil: Kund:innen bestellen im Idealfall sehr regelmäßig wieder; und die allermeisten sind auch wirklich daheim, wenn sie wissen, dass ihr Wocheneinkauf gebracht wird. Die Zustellquote liege „in den seltensten Fällen unter 99,5 Prozent“, erklärt Liefery-Geschäftsführer Fischer. „Mit diesem Wissen lässt sich auch die Zustellung anderer Sendungen sehr viel intelligenter planen.“ Derzeit arbeitet das Team daran, den Algorithmus entsprechend zu ergänzen.
Wenn das gelingt, könnten Online-Besteller:innen künftig, nachdem sie Obst, Gemüse, Pasta und Drogerieartikel eingeräumt haben, direkt die mitgelieferten neuen Sneakers anprobieren. Nicht auszudenken, was das für die Erkenntnis bedeuten würde, dass Lebensmittel im Internet zu bestellen ja doch ganz praktisch ist.
Titelfoto: Liefery
Ich benutze Liefery bereits längere Zeit als Kunde des real Lebensmittelshops. Die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit ist dabei beeindruckend. Noch nie kam eine Lieferung außerhalb des gebuchten Zeitfensters. Offenbar klappt da auch das Echtzeittracking gut. Denn die SMS, die die Lieferung ankündigt, kommt bei mir zuverlässig ca. 25 Minuten vor dem Eintreffen des Fahrers.
TK-Ware ist noch immer gefroren und Kühlware ebenfalls spürbar kalt. Ob das auch im Hochsommer so bleibt, wird sich herausstellen.
Zusammengefasst bin ich beeindruckt, dass selbst in diesen Ausnahmezeiten zumindest in meiner Region die Lebensmittellieferung mit Liefery so gut funktioniert.