Brötchen aus dem Automaten: Wie Aldi mit seinen „Backöfen“ die Bäcker ärgert

Brötchen aus dem Automaten: Wie Aldi mit seinen „Backöfen“ die Bäcker ärgert

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Dass bei Aldi keineswegs nur die Leute einkaufen, die aufs Geld schauen müssen, sondern auch viele von denen, die das nicht zu tun bräuchten, ist bekannt. Aber dass Richter jetzt auch schon ihre Arbeit im Discounter erledigen – das ist neu.

Als sich vor einigen Wochen die Anwälte von Aldi Süd mit denen des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks vor dem Landgericht Duisburg trafen, um die Klage des Verbands gegen die neuen Backautomaten des Discounters zu erörtern, erklärte der zuständige Richter kurzerhand, die Beweisaufnahme in den nächstgelegenen Aldi-Markt verlagern zu wollen. Er habe das im Internet recherchiert. In einer halben Stunde treffe man sich dort.

Also stand der Richter nachher in der Aldi-Filiale in Duisburg-Neudorf und verlangte, die Teigprodukte sehen zu können, die von den Mitarbeitern in den Automaten geschoben werden. Aldi lehnte ab.

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„Backofen“-Automat in einer Aldi-Süd-Filiale: sieht aus wie ein Fahrscheinautomat für Riesen.

So erzählt es zumindest Amin Werner, Hauptgeschäftsführer des Bäckerhandwerkverbands in Berlin. Dieser will verhindern, dass Aldi die riesigen Backautomaten, die seit einiger Zeit in die Süd-Filialen des Konzerns eingebaut werden, weiterhin „Backofen“ nennt. „Das setzt nämlich voraus, dass ein Backvorgang stattfindet. Das bezweifeln wir – und das kann auch in der Kürze der Zeit gar nicht passieren. Es geht um Sekunden, mitunter auch mal eine Minute. Um ein ordentliches Brot mit 750 Gramm zu backen, brauchen Sie aber anderthalb Stunden“, sagt Werner.

Weil so viel Zeit heute kaum noch jemand hat, erfand die Industrie die so genannte „Unterbruchmethode“, bei der – zum Beispiel – ein Brot zur Hälfte vorgebacken und am Verkaufsort zu Ende gebacken wird. Werner erklärt: „Wir haben den Verdacht, dass die Brote bei Aldi zu 80 oder 90 Prozent vorgebacken angeliefert werden und nur noch ein Erwärmen stattfindet.“

Aldi-Sprecherin Julia Büttner widerspricht: „Die von unseren Lieferanten vorgebackenen Backwaren werden im ‚Backofen‘ zum Verzehr fertig gebacken. Der dabei im ‚Backofen‘ stattfindende Prozess ist ein echter Backvorgang, sodass von einer bloßen ‚Erwärmung‘ oder ‚Bräunung‘ der Ware nicht gesprochen werden kann.“

Im Grunde genommen muss das Gericht also die Frage klären, wie genau man eigentlich „backen“ definiert.

Obwohl die eigentliche Frage natürlich lautet: Möchten wir als Verbraucher ernsthaft Brot und Brötchen essen, die per Knopfdruck aus einem riesigen Ungetüm mit Ausgabeschacht stammen, der an einen Fahrscheinautomaten für Riesen erinnert?

Aldi (Süd) findet: ja, wir wollen. „Wir werden das Konzept flächendeckend umsetzen und unsere mehr als 1790 Filialen in Süd- und Westdeutschland mit dem ‚Backofen‘ ausrüsten“, sagt Aldi-Sprecherin Büttner. Etwa tausend Filialen seien bereits umgerüstet. Und im Zweifel müsste der Konzern seine Automaten wohl nur umbenennen, um die Klage des Zentralverbands der Bäcker nichtig zu machen. Denn dass Aldi seine Backwaren auf diese Weise anbieten darf, ist unstrittig. Gekämpft wird bloß um die Bezeichnung. (Aldi Nord, das unabhängig von den Süd-Filialen agiert, testet Automaten, die einfach wie Backöfen aussehen, ohne dass es drangeschrieben ist.)

Insofern werden die Bäcker selbst bei einem Sieg vor Gericht nicht verhindern können, dass ihnen ein Teil ihres Geschäfts weggenommen wird.

Rewe hat schon vor Jahren eigene Backstationen in seinen Märkten eingerichtet, an denen sich die Kunden Aufbackware selbst in Tüten verpacken und an der Kasse bezahlen, ebenso Real. Und Edeka sei inzwischen durch zahlreiche Zukäufe unabhängiger Betriebe der größte Bäcker Deutschlands, erklärt Werner. Noch dazu haben sich in den vergangenen Zeit die Discount-Bäcker in den Innenstädten breit gemacht, etwa die „Back Factory“, einer Tochte des Großbäckers Harry Brot, der Supermärkte beliefert. Von denen sind manche – so wie Rewe – aber längst auf die Idee gekommen, eigene Teiglingswerke zu bauen und sich selbst zu versorgen.

Wenn jetzt noch die Discounter in großem Maße frische (oder frisch aufgebackene) Brötchen verkaufen, könnte vielen Kleinbetrieben endgültig die Konkurrenz über den Kopf wachsen.

Zentralverbands-Chef Werner rechnet vor: Schon jetzt wird der Brotmarkt zur Hälfte von den Supermärkten bzw. den großen Industrieherstellern beherrscht. Ende der 50er Jahre gab es rund 50.000 Bäckereien in Deutschland, heute sind es noch 14.500 (allerdings mit immerhin 40.000 Verkaufsstellen). Bei 11.000 bis 9.000 Betrieben könnte sich die Zahl mittelfristig einpendeln, sagt Werner: „Es gibt pro Jahr etwa 300 bis 400 Bäckereischließungen. Im vergangenen Jahr waren es, nachdem Aldi und Lidl in den Markt gegangen sind, ungefähr 500.“

Wobei das eben auch mit anderen Problemen zusammenhängt: dass der Beruf für viele junge Leute nicht mehr so attraktiv ist, zum Beispiel; und dass nicht jeder unabhängige Bäcker auch so gute Brötchen anbietet, dass die Kunden den Unterschied schmecken.

Interessanterweise hat der Einbau der Backautomaten bei Aldi aber nicht nur Konsequenzen für die kleinen Bäcker, sondern auch für den Aldi-Lieferanten Lieken, der zum italienischen Konzern Barilla gehört. Dessen Waren wurden zuletzt unter anderem von Lidl in bestimmten Regionen aus dem Sortiment genommen. Die Gründe werden offiziell nicht kommuniziert. Aber so ein Exklusivliefervertrag mit der Konkurrenz ist natürlich nicht besonders schön. Bei Lieken jedenfalls geht es gerade darum, ob mehrere Werke geschlossen werden, wogegen sich Mitarbeiter und Gewerkschaft derzeit massiv wehren.

Und das alles nur, weil wir plötzlich unsere Brötchen woanders kaufen (sollen).

Die Klage des Bäckerhandwerkverbands gegen Aldi Süd dürfte übrigens nicht vor Herbst entschieden werden. Erst muss noch ein Sachverständiger bestellt werden, der unangemeldet in Aldi-Filialen auftaucht, Proben der Backwaren nimmt und beurteilt, ob in den „Öfen“ wirklich „gebacken“ wird. Einen Teilerfolg haben die Bäcker schon jetzt errungen: Ursprünglich annoncierte Aldi Süd die Zusammensetzung einiger Brote nicht den „Leitsätzen für Brot und Kleingebäck“ gemäß. Das wurde korrigiert, bestätigt Aldi auf Nachfrage: Die Rezepturen der beiden Brote „Unser Sonniges“ (Roggenmischbrot) und „Unser Meisterliches“ (Mehrkornbrot) seien „angepasst, um möglichen Unsicherheiten bei unseren Kundinnen und Kunden durch eine klare und eindeutige Deklaration entgegenzuwirken. Die Angaben auf den Produktschildern am ‚Backofen‘ erfolgen generell gemäß allen einschlägigen gesetzlichen Vorschriften.“

Und wenn Sie das schon absurd finden, warten Sie mal ab, was hier Anfang nächster Woche über die Backautomaten-Strategie von Lidl steht.

Foto: Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks

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1 Kommentar
  • Und wenn ich hier grad schon wieder die alten Artikel durchstöber, was ist eigentlich aus der Klage geworden? Wenn ich mich recht entsinne, heißen die Automaten immer noch ‚Backofen‘, oder?

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