Wie das Design für Rewes „Feine Welt“ entstand

Wie das Design für Rewes „Feine Welt“ entstand

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Äpfel und Birnen werden auf Hochglanz poliert, bevor sie ins Regal kommen. Bananen müssen immer schön gelb sein. Wenn am Salat ein paar welke Blätter dran sind, lassen wir ihn im Supermarkt lieber liegen. Und Kartoffeln werden glatt geputzt, bis kein Gramm Erde mehr zu sehen ist. Aber alles, was die Natur uns nicht freundlicherweise vorverpackt hat, sondern von der Lebensmittelindustrie in bunt bedruckte Scheußlichkeiten gestopft wurde, legen wir widerstandslos in den Einkaufswagen.

Warum ist das so? Weil wir’s nicht anders kennen.

In der Supermarktblog-Verpackungskritik (Teil 1 und Teil 2 nachlesen) gab es neulich außer den vielen Negativbeispielen auch eine Ausnahme. Dies ist die Geschichte dazu.

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* * *

„Die Deutschen sind es gewöhnt, im Supermarkt alles sehr genau erklärt zu kriegen“, sagt Katrin Niesen. „Auf der Verpackung steht deshalb immer, warum dieses oder jenes Waschmittel besser wäscht. Und auf fast jedem Joghurt muss der Löffel drauf sein, damit man merkt, dass man’s löffeln muss.“ Vor drei Jahren hat Niesen glücklicherweise ein weitgehendes Löffelabbildungsverbot durchsetzen können: bei der Präsentation für die Verpackungen der neuesten Rewe-Eigenmarke.

Als Ergänzung zu den „Ja!“-Discountprodukten, der „Rewe“-Mittelmarke und den „Rewe Bio“-Sachen sollte es künftig auch Lebensmittel geben, die zwar nicht unbedingt fürs tägliche Sattwerden benötigt werden. Aber dafür als Glücksanreger: eine besondere Schokolade, ein exotischer Saft, ein außergewöhnlicher Honig.

Die Vorgabe von Rewe war: Entwerft uns Verpackungen, an denen man im Supermarkt nicht einfach so vorbeigehen kann, sondern neugierig wird – darauf, wie das schmeckt, was drin steckt. „Wir wollten ein Design für Premium-Produkte entwickeln, die die Leute jeden Tag kaufen können, und vor allem auch als Geschenk mitbringen würden, wenn sie bei Freunden eingeladen sind“, sagt Niesen, Creative Director bei der Peter Schmidt Group, die sich auf Logo- und Produktdesign spezialisiert hat. Von den Hamburgern kommt das Design für die neue Apollinaris-Flasche, die Verpackung für Persil, der Beck’s-Relaunch. Und das Design für „Rewe Feine Welt“.

Das Ergebnis sieht so aus:

(Und: ja, das geht auch größer. Weiter unten.)

1. Die Idee

Das Hauptverkaufsargument für Eigenmarken ist in der Regel, dass sie günstiger sind als klassische Markenprodukte. Im Laufe der Jahre haben Supermärkte im Ausland entdeckt, dass sich, wenn die Kunden erstmal der Eigenmarke vertrauen, auch so genannte „Premium“-Produkte verkaufen lassen. Bei denen ist die Gewinnspanne größer, weil sie teurer sind. Dafür müssen sie sich aber auch klar vom übrigen Sortiment unterscheiden. Die Grundidee von Rewe war: Unsere Kaufleute kommen auf der ganzen Welt herum – also lassen wir sie von dort besondere Produkte „mitbringen“. Dazu passend entstand das Motto „Spezialitäten zum Genießen und Entdecken“.

Es gab da nur ein klitzekleines Problem: „Der wöchentliche Einkauf ist Routine, viele kaufen immer dieselben Sachen“, sagt Niesen. „Wer für Freunde kocht, geht mit einer Liste in den Markt. Bei Hunger und Durst kaufen wir uns ein Sandwich und was zu trinken. Aber fast niemand geht in den Supermarkt zum Bummeln.“ Anders gesagt: Zwischen Käsetheke und Drogerieabteilung erwarten die wenigsten Kunden, zu „genießen“ und zu „entdecken“. Die meisten wollen vor allem die anschließende Kassenschlange überleben. Voraussetzung war also, dass die „Feine Welt“-Produkte im Regal von sich aus auffallen.

2. Die Grundlagen

Bis zu zwei Jahren dauert es normalerweise, bis ein neues Design in den Läden steht. Gitte Knöpfle, die das „Feine Welt“-Projekt bei der Peter Schmidt Group als Account Director begleitete, erklärt: „Deshalb bringt es nichts, aktuelle Trends in die Entwicklung einzubeziehen – denn die sind längst überholt, wenn alles fertig ist.“. Bei Rewe musste es ein bisschen schneller gehen. Von der ersten Präsentation bis zum Start des Sortiments im September 2009 blieben nur ein paar Monate Zeit.

Damit „Feine Welt“ ins Rewe-Regal passt, war es notwendig, sich zunächst einmal anzusehen, was da schon steht: „ja!“ in Weiß-Blau, die sehr bunt und unterschiedlich gestalte „Rewe“-Mittelmarke, „Rewe Bio“ in grün getunkt. Niesen sagt: „Wir haben überlegt, wie weit wir von den anderen Rewe-Eigenmarken weggehen sollen, und entschieden: soweit weg wie möglich.“ Vor allem, damit dazwischen noch Platz ist, wenn irgendwann noch mehr Eigenmarken dazu kommen.

Die „Feine Welt“-Verpackungen sollten zwar schick aussehen, aber auch nicht so pompös, dass die Leute im Laden das Gefühl haben, sie müssten vor dem Bezahlen einen Kredit aufnehmen. Besonders wichtig war, dass die Produkte an unterschiedlichen Stellen im Markt ähnlich gut wirken. „Wenn die Kekse im Keksregal stehen, muss ich sie schnell finden. Aber wenn ein ganzes Regal mit ‚Feine Welt‘-Produkten gefüllt ist, darf es auch nicht langweilig aussehen“, sagt Niesen.

3. Was heißt überhaupt „Premium“?

Verpackungen von Produkten, die nicht in erster Linie wegen ihres niedrigen Preises gekauft werden, sondern zum Beispiel wegen eines besonderen Geschmacks, sind oft eher schlicht, mit feinen Strukturen und stark reduzierten Elementen bedruckt. Aufdringliche oder und knallige Verpackungen sind tabu.

4. Schwarz oder weiß

Schwarz natürlich! Die Premium-Marken bei Tesco in Großbritannien („Tesco Finest“) und Coop in der Schweiz („Coop Fine Food“) sind schließlich auch schwarz, und das funktioniert hervorragend. Also hat Niesens Team sechs schwarze Designs entworfen, weil Rewe schon darauf eingestellt war – und dazu ein weißes, sozusagen als Störmanöver. „Unsere Empfehlung war ganz klar, weiß als Grundton zu nehmen. Das hat für Premium-Produkte niemand erwartet. Es hat also überrascht, und genau das war ja die Absicht“, erklärt Niesen. In der Marktforschung wurden Testkunden gefragt, welche Produkte sie am ehesten kaufen würden? Welche verschenken? Und welche gerne mal probieren? Der Gewinner war meistens: weiß. Knöpfle sagt: „Auch Rewe war überrascht, weil man dort nicht gedacht hätte, dass ein weißes Design so gut abschneidet.“

Allerdings wird Weiß ja (vor allem bei Rewe) zunächst einmal mit der Discountmarke „ja!“ assoziert. Macht aber nichts, sagt Niesen, sofern die Gesamtgestaltung der Packungen für Distanz sorgt: „Autos haben ja auch alle vier Räder – ein Porsche genauso wie ein Fiat Panda.“ Was auf den Rädern draufsitzt, macht den Unterschied.

Bei „Feine Welt“ ist der Unterschied: Gold.

5. Das Logo

Es gab mehrere Vorschläge für ein Logo, die sich alle auf die Idee bezogen, dass die Produkte von allen Kontinenten kommen sollten. Die Designer haben einen goldenen Bogen entworfen, der an einen angedeuteten Horizont erinnert, über dem der Rewe-Schriftzug steht; ein Band im typischen Rewe-Rot, das wie eine Art Lesezeichen über die Packung flattert; und eine goldene Weltkugel, auf die Symbole gesetzt wurden, die für ferne Länder und Genuss stehen: ein Hummer, ein Segelschiff, ein Papagei, eine Palme, eine Teekanne – und, ähm, eine Meerjungfrau, die einen riesigen Löffel mit sich herumträgt. (Vermutlich für unvorhergesehene Unterwasser-Puddingfeste.)

Bekanntlich entschied sich Rewe für die Weltkugel. (Nur der Vorschlag, bei frischen Produkten aus dem Kühlregal das Gold durch Silber zu tauschen, hat sich nicht durchgesetzt.)

6. Die Packungsgestaltung

Die Feine-Welt-Verpackungen sind auch deshalb so Supermarkt-untypisch, weil sie dreigliedrig aufgebaut sind: im Mittelpunkt steht in der Regel das fotografierte Produkt, das zusammen mit besonderen Zutaten arrangiert ist: Senfkörnern, Teeblüten, Chilischoten, Ingwerknollen.

Darunter erst folgt der Name des Produkts, der in vielen Fällen gar nicht als Inhaltsangabe, sondern als eine Art Geschmacksversprechen funktioniert: „Funkeln Madagaskars“ (Schokolade mit Cranberries), „Duft der Provence“ (Lavendelhonig), „Goldenes Thaifeuer“ (Kürbissuppe mit Kokosmilch und Chili), „Siziliens Schatz“ (eingelegte Oliven). Manche Produktnamen übertreiben’s auch mit der Schnörkeligkeit. Unter „Pure Verführung“ und „Cremige Erfüllung“ stellt man sich – ohne die Packung gesehen zu haben – vielleicht nicht als allererstes Haselnusseis und weiße Schokostreichcreme vor.

An dritter Stelle folgt, direkt vorne auf der Packung, die „Geschichte“ des Produkts: Wo genau kommt es her? Was macht es besonders?

Als Schriftart hat das Designer-Team Futura ausgesucht. Die ist relativ zeitlos, schlank sowie in unterschiedlichen Farben und Größen gut lesbar. Das war wichtig, weil sich ein Camembert nunmal nicht genauso verpacken lässt wie Chips. Niesen erklärt: „Wir haben eine dünne Schrift verwendet, weil Blockschrift mit den anderen Design-Elementen konkurriert hätte. Bei vielen Produkten gibt es ein Sichtfenster, die Abbildung und das Logo. Uns war wichtig, dass das Auge an diesen Elementen entlang geführt wird. Der Text ordnet sich unter.“

Trotzdem ist das ganz schön viel zu überblicken für Leute, die mit dem Einkaufswagen nach der Arbeit durch den Laden hetzen. Niesen erklärt: „Die Geschichten zu Herkunft und Auswahl werden meist erst gelesen, wenn der Kunde das Produkt schon in der Hand hält oder direkt vorm Regal steht.“ Dann hat die Verpackung schon gewirkt.

Warum legen dann nicht mehr Supermärkte Wert darauf, dass ihre Eigenmarken im Regal unverwechselbar sind? „Hersteller wollen Designs, die sehr nah dran sind an dem, was die Leute schon gewöhnt sind“, erklärt Niesen. Dann, so glauben die Produzenten, verkaufen sich die Sachen besser.

7. Die Feinheiten

An jedes „Feine Welt“-Produkt ist noch einmal ein Heftchen geklebt, in dem die Informationen zur Herkunft nochmal vertieft werden: Die Pastasoße „Glühendes Italien“ erklärt, wie sie zubereitet wurde; die Streichcreme „Sanfte Pistazie“ schildert eine kleine Anbaugeschichte ihrer Hauptzutat; und die Schokolade „Criollo Karamell“, wie edel ihr Kakao ist und dass sie sich von Hand mit Karamell bestreuen ließ. Das sind natürlich in erster Linie Marketing-Märchen. Aber sehr hübsch formulierte.

Es gibt noch ein paar andere Tricks, um den Verpackungen den letzten Schliff zu geben: Die schon erwähnten Sichtfenster wirken edel und verraten gleich, wie übertrieben aufwändig zum Beispiel die Kekse mandelbesplittert und kakaoglasiert wurden. Im Essig steckt ein echter Korken, keiner aus Plastik. Und das Mahlwerk der Salzmühle ist aus Keramik.

8. Fertig*

*(verkürzte Darstellung des Designprozesses.)

* * *

Inzwischen gibt es bei Rewe um die 200 „Feine Welt“-Produkte. Regelmäßig kommen neue dazu, und wenn welche sich nicht so gut verkaufen, werden sie wieder aus dem Sortiment genommen. Das Prinzip ist aber immer dasselbe: Wenn die Arbeit der Gestalter funktioniert, ist es uns egal, dass es an der Kasse nachher etwas teurer wird. Weil uns die Verpackung überzeugt hat, und im besten Fall sogar Lust darauf gemacht, gleich zuhause das auszuprobieren, was drinsteckt.

Nur eins können auch Niesen und Knöpfle nicht steuern: Wenn der Inhalt nicht das erfüllt, was die Hülle verspricht, ist der ganze Zauber dahin.

Fotos: Peter Schmidt Group

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