Das hat sich das kleine Amazon in den 90er Jahren vermutlich auch nicht gedacht: dass es, wenn es mal groß ist, Supermarktbetreiber werden würde. Ist aber trotzdem so gekommen. In den USA sitzt seit kurzem der Biohändler Whole Foods mit am Amazon-Frühstückstisch (siehe Supermarktblog). Als nächstes ist Europa dran. Das glaubt zumindest die französische Zeitung „Le Monde“, die an diesem Mittwoch berichtet, Amazon habe Kontakt zu mehreren französischen Handelsketten aufgenommen, um Kooperationen bzw. Übernahmen zu prüfen.
Gespräche seien mit Intermarché und Système U geführt worden; außerdem wurde – so schreibt „Le Monde“ – Monoprix umworben, eine Tochter der Casino-Gruppe. Und habe dankend abgelehnt.
Die Zeitung beruft sich auf anonyme Quellen. Wie nachhaltig die Ablehnung in den einzelnen Unternemen tatsächlich ist, lässt sich deshalb schwer einschätzen. („Amazon n’est pas notre ami“, wird ein Händler zitiert – Amazon sei kein Freund, wolle bloß an Verkaufsflächen und Kunden herankommen.) Aber bei genauerem Hinsehen würde Monoprix tatsächlich hervorragend zur Amazon-Strategie passen, wie sie sich bislang abzeichnet.
Die Franzosen verfügen u.a. in Paris über zahlreiche Läden in zentralen Lagen, die nicht nur auf den klassischen Lebensmitteleinkauf ausgerichtet sind, sondern auch eine äußerst üppige Snack-Auswahl bieten. So wie die Filiale im Forum des Halles, mitten in der Stadt.
Salate, Wraps, Sandwiches und Sushi werden täglich frisch an Ort und Stelle zubereitet und zum Mitnehmen in die Kühltheke gepackt.
Wer sein Mittagessen nicht im Stehen verschlingen mag, darf sich aber auch kurz hinsetzen und einen Kaffee dazu trinken.
Klassisch eingekauft wird ein Stockwerk tiefer, wo direkt das ungewöhnlich farbenfroh verpackungsdesignte Bio-Sortiment ins Auge sticht.
Außerdem bringt die Handelskette ihren Kunden die Einkäufe innerhalb einer Stunde Prime-Now-mäßig nachhause.
Anders formuliert: Amazon bräuchte sich bei einem – rein hypothetischen – Erwerb von Monoprix nur geringfügig umzugewöhnen, weil die Parallelen zu Whole Foods unübersehbar sind. (Selbst wenn direkte Vergleiche schon wegen der unterschiedlichen Strukturen schwierig sein dürften.)
Mit dem 2003 gestarteten Ableger monop’daily verfügen die Franzosen noch dazu über einen Schwung an Mini-Supermärkten in Innenstädten, die sich ideal eignen würden, um die Kassenlostechnik eingebaut zu kriegen, die Amazon mit seinem Go-Konzept in Seattle erprobt (siehe Supermarktblog) und ohnehin nach Europa bringen will.
Ein Hindernis wäre womöglich, dass Monoprix nicht nur Lebensmittel verkauft, sondern zu einem großen Teil als klassisches Kaufhaus funktioniert. Als Lagerflächen würden sich teure 1a-Flächen aber nur bedingt eignen; und dass Amazon durch den Erwerb einer Mischkette auch noch zum stationären Kaufhausbetreiber wird, scheint zumindest zum jetzigen Zeitpunkt schwer vorstellbar.
Selbst wenn die Sondierungen erstmal zu nichts führen, verraten Amazons Ambitionen einiges über den Supermarktgeschmack der Amerikaner: Handelsketten, die sich vornehmlich an eine urbane, kaufkräftige Zielgruppe richten und ein ausgeprägtes Snack-Bewusstsein mitbringen, das sich Amazon auch für seine bringen Dienste zu Nutz machen kann, sind offensichtlich besonders begehrt. Nach diesem Maßstab wären so gut wie alle deutschen Supermarktketten also vorerst sicher vor Übernahmen. (Kleiner Scherz.)
Der Nächste, bitte!
In den europäischen Nachbarländern gehen die Spekulationen schon sehr viel weiter. In Großbritannien soll sich Amazon für die Handelskette Morrisons interessieren, die Nummer vier im Markt. Das liegt einerseits nahe, weil Morrisons bereits mit Amazon kooperiert, Locker-Abholstationen in seinen Filialen aufstellt und sogar seine Eigenmarken für Amazon-Dienste zur Verfügung stellt (siehe Supermarktblog).
Andererseits betreibt Morrisons vor allem große SB-Warenhäuser und verfügt nur über wenige Innenstadt-Standorte. Dafür hätte Amazon ein bisschen schneller sein müssen: Vor einigen Jahren verfolgte Morrisons noch das Ziel, mit den kleineren „M local“-Supermärkten gegenzusteuern (siehe Supermarktblog).
Die Innenstadtliebe war aber nur von kurzer Dauer, sämtliche Läden längst wieder verkauft bzw. geschlossen. (Allerdings an vielen Standorten zumindest in London danach auch nicht mehr so schnell anderweitig vermietet worden.)
In Frankreich verbreitet sich seit dem Sommer außerdem das kühne Gerücht, Amazon könne an Carrefour interessiert sein – der zweitgrößten europäischen Handelskette (nach der deutschen Schwarz-Gruppe). Womöglich ist das aber eher einer latenten Lust am Selbstgrusel in der Branche geschuldet. Weil schwer nachvollziehbar ist, warum sich Amazon riesige Supermarktketten ans Bein binden sollte, die zwar in mehreren europäischen Ländern präsent sind – aber mit einem Großteil ihrer (Nonfood-)Umsätze auch für ein Geschäft steht, das Amazon selbst gerade grundlegend transformiert bzw. ersetzt.
Zweifellos wäre es interessant, vielleicht sogar notwendig für die Amerikaner, bei der Erschließung des europäischen Lebensmittel- und Snack-Markts Verbündete an ihrer Seite zu haben.
Aber idealerweise solche, die nicht erst noch merken müssen, dass Handel morgen anders funktionieren wird als in der Zeit, die sie groß gemacht hat.
Verbündete wider Willen?
Wenn es Amazon tatsächlich gelänge, eine etablierte europäische Supermarktkette zu übernehmen, hätte das in jedem Fall auch Konsequenzen für alle, die sich einer Kooperation strikt verweigert haben: Weil die meisten europäischen Unternehmen in Einkaufsallianzen zusammengeschlossen sind, um Waren gemeinsam günstiger zu beschaffen. Nur mal zum Beispiel: Casino ist Mitglied der European Marketing Distribution (EMD), genau wie Markant, Kaufland (für Osteuropa) – und die britische Asda, eine Tochter von Amazons derzeitigem Hauptgegner im amerikanischen Heimatmarkt: Walmart. Sieht so aus, als könnten die nächsten Monate ziemlich interessant werden.
Fotos: Supermarktblog
Carrefour wäre doch ein top-Argument, denke ich mal ….
Die sind doch überall präsent, in Innenstadtlagen, bei Tankstellen und die großen Hypermärkte gibts eh in vielen etwas größeren Städten!
Und was soll Amazon mit dem ganzen Klimbim?
Etwas verkaufen?
….
Das ist doch deren Haupterwerb.
Und dabei sollte dann natürlich ein Verdienst enstehen …..
Ah, mein Fehler. Ich dachte, Sie hätten ein Argument parat.
Aha! …. Habe ich das nicht?
meinen sie teile des „klimbims“ verkaufen? oder waren verkaufen? die größen flächen außerhalb der innenstädte könnte amazon doch maximla als lager haben wollen. warenhäuser will doch keiner mehr…ah außer hudsons bay natürlich. man würde sich einen riesigen und nicht sehr kernkundenorientierten klotz ans bein kaufen.
Also, mir persönlich würde amazon sicher reichen, wie es jetzt ist …..
Mir reicht auch Carrefour, wie es jetzt ist …..
Aber man sollte schon auch mal über seinen üblichen Tellerrand schauen ….
[…] Amazon und Europäische Supermärkte: Peer Schader im Supermarktblog über die WholeFoodsisierung Europas: […]
Mein Tipp ginge an Tegut… Würde imho auch sehr gut zu Amazon passen… Die Mutter von Tegut (Migros) ist vermutlich zu sehr Mischkonzern um ernsthaft interessant zu sein… Wobei Amazon bisher den schweizer Markt extrem vernachlässigt hat…
Carrefour kaufen, die nicht benötigten Teile (die riesigen Einkaufstempel zum Beispiel) an andere Interessenten verscherbeln.
Macht Google ähnlich: Anstatt den ganzen Smartphone- und Elektronikkonzern HTC zu erwerben, werden nur die Filetstücke (Patente) und die benötigten Abteilungen (Pixel-Smartphones) gekauft, der Rest verbleibt beim alten Konzern und wird anderweitig losgeschlagen.
Hat für Google ja schon mit Motorola ganz wunderbar gekla… – oh, Moment.
Genau, eben nicht! Daraus hat Google ja gelernt, und sich den ganzen extra Schranz den Google sich mit einer Komplettübernahme mit ins Unternehmen holen müsste erst gar nicht eingekauft bzw. innerhalb des Deals mit HTC gleich weiterverkauft.
Das wäre für Amazon so auch mit Carrefour möglich.
Ja. Wahrscheinlich wäre das möglich. Es wäre nur ein sehr absurder Einsatz von Ressourcen, die Amazon eigentlich mit der Übernahme eines kleineren bzw. geeigneteren Wettbewerbers umgehen könnte. Aber vielleicht unterschätze ich das auch massiv. Und Amazons sehnlichster Wunsch ist tatsächlich, so zu werden wie die großen Ketten, die sich so schwer damit tun, so zu werden wie Amazon.
Weil es hier (unter anderem) gerade mal wieder um amerikanische Supermarktketten wie Walmart oder Whole Foods geht, hätte ich da mal eine Frage an dich, Peer: Für wie wahrscheinlich und sinnvoll hältst du denn eine Expansion der amerikanischen Shopping-Club-Kette Costco nach Deutschland? In Frankreich (Paris) und Spanien gibt’s die ja schon. Meinst du in Deutschland gäbe es da einen Markt?
Uh, keine Ahnung. Unwahrscheinlich – angesichts der massiven (und weiter voranschreitenden) Konzentration im Markt.